Klimapolitik: Heiße Luft in jeder Hinsicht

In den Wahlprogrammen der Parteien spielt der Klimaschutz eine große Rolle. Dumm nur, dass keine der Parteien, die jetzt im Bundestag sind, eine überzeugende Strategie darlegt, wie Klimaschutz gelingen kann, ohne den Wohlstand zu gefährden. Nur noch wenige Tage bis zur Wahl. Glaubt man den Umfragen, spielt der Klimaschutz eine entscheidende Rolle, wenn es darum geht, Wähler zu mobilisieren. Die Parteien räumen dem Thema breiten Raum in ihren Wahlprogrammen ein. Dabei sind drei unterschiedliche Positionierungen erkennbar:

  • Problemleugnung: Die AfD distanziert sich eindeutig von jeder Art der Klimapolitik. “Den Klimaschutzplan 2050 der Bundesregierung und Dekarbonisierungsmaßnahmen lehnt die AfD ab. Das Pariser Klimaabkommen vom 12.12.2015 ist zu kündigen. Deutschland muss aus allen staatlichen und privaten ‘Klimaschutz’-Organisationen austreten und ihnen jede Unterstützung entziehen. Die AfD fordert einen öffentlichen, freien Diskurs über die Ursachen von Klimaveränderungen und die verheerenden Folgen einer Dekarbonisierung. Jegliche Form der CO-Besteuerung ist abzuschaffen.” Konsequent folgert die AfD daraus unter anderem, Kohle- und Atomkraftwerke weiter laufen zu lassen.
  • Markt- und Innovationsvertrauen: Die FDP setzt auf den Markt, um Wege zur Reduktion von CO2 zu finden: „Deutschland und Europa haben sich zur Klimaneutralität bis zum Jahr 2050 verpflichtet. Dieses Ziel wollen wir durch ein striktes CO2-Limit durch ein umfassendes Emissionshandelssystem erreichen. Den Weg dorthin überlassen wir dem Erfindergeist von Ingenieurinnen, Technikern und Wissenschaftlerinnen. So können wir Klimaschutz marktwirtschaftlich und wissenschaftlich sicher erreichen. (….) Nur der Emissionshandel garantiert eine Deckelung des Gesamtausstoßes an Klimagasen.” Darüber hinaus hat die FDP eine sehr wichtige und richtige Forderung im Programm: Wir wollen die Möglichkeit nutzen, Projekte in anderen Staaten zu finanzieren und die entsprechenden Treibhausgasreduktionen auf die eigenen Ziele anzurechnen. Artikel 6 des Pariser Abkommens sieht das ausdrücklich vor. Bislang verzichtet die EU jedoch freiwillig auf die Nutzung dieser Möglichkeit. Da es für das Klima irrelevant ist, an welcher Stelle CO2 eingespart wird, wollen wir bei höheren Zielen künftig die Möglichkeit eröffnen, diese im Sinne einer ökonomisch effizienten Klimapolitik auch über Maßnahmen nach Artikel 6 des Pariser Abkommens zu erreichen.” Ich erinnere an die über 80 Milliarden Euro, mit denen wir der Fotovoltaik weltweit zum Durchbruch verholfen haben. Einen Anteil der Millionen Tonnen von CO2, die weltweit mit Hilfe der Fotovoltaik eingespart werden, sollten wir uns zurechnen lassen – vor allem, weil diese Industrie heute fest in der Hand von chinesischen Anbietern ist. Die FDP denkt hierbei an künftige Maßnahmen wie zum Beispiel Aufforstungsprojekte, aber auch an die Modernisierung von Anlagen.
  • Beschleunigtes „Weiter-so“: CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE setzen darauf, dass der eingeschlagene Kurs fortgesetzt wird und haben nur unterschiedliche Vorstellungen vom Tempo. Das liest sich dann so:
    • UNION: Wir werden den Ausbau der Erneuerbaren Energien entscheidend voranbringen und daher deutlich schneller ausbauen, damit der stark steigende Energiebedarf gedeckt wird. Nur so wird die Energiewende in allen Bereichen gelingen, und nur so werden die Pariser Klimaziele erreicht werden.” Die UNION betont die entscheidende Herausforderung: “Wir brauchen Energiespeicher, um die Schwankungen der Erneuerbaren Energie in wind- und sonnenschwachen Zeiten auszugleichen. Wir werden die dafür notwendige Technologieentwicklung und -umsetzung weiter fördern (…).”
    • SPD:Um in Deutschland bis spätestens 2045 treibhausgasneutral leben, arbeiten und wirtschaften zu können, werden wir dafür sorgen, dass wir unseren Strom spätestens bis zum Jahr 2040 vollständig aus Erneuerbaren Energien beziehen. Unser Strombedarf wird in den kommenden Jahren und Jahrzehnten deutlich steigen, weil wir anstatt fossiler Energieträger deutlich mehr Strom im Verkehr und der Industrie einsetzen werden. Allein bis 2030 brauchen wir jährlich ungefähr 10 tWh Strom zusätzlich – das entspricht dem Stromverbrauch von Hamburg. Wir brauchen deshalb ein Jahrzehnt des entschlossenen Ausbaus der Erneuerbaren Energien.”
    •  GRÜNE: Wir werden das noch immer ungenügende Klimaschutzgesetz generationen- und budgetgerecht nachschärfen, jahres- und sektorenscharf ausbuchstabieren, die Rolle des Expertenrates für Klimafragen stärken und das deutsche Klimaziel 2030 auf mindestens minus 70 Prozent anheben. Unser Ziel ist es, 100 Prozent erneuerbare Energien bis 2035 zu erreichen. So kann Deutschland in 20 Jahren klimaneutral werden.” Und an anderer Stelle: “Die Vorgaben des Pariser Klimavertrages sowie den Atomausstieg wollen wir im Grundgesetz verankern und Ökologie als weiteres Grundprinzip staatlichen Handelns stärken. (…) Mit einer CO2-Bremse machen wir Klimaschutz zur Querschnittsaufgabe, indem wir Gesetze auf ihre Klimawirkung hin prüfen, die Vereinbarkeit mit den nationalen Klimaschutzzielen und dem CO2-Budget sicherstellen (…).”
    • LINKE: Wir fordern die Energiewende mit 100 % Erneuerbaren bis 2035. Wir wollen den Kohleausstieg bis spätestens 2030. Wir wollen die Energiekonzerne entmachten und eine Energiewende in Bürgerhand, in öffentlichem oder genossenschaftlichem Eigentum.” Und an anderer Stelle: “Unser Ziel ist es, dass die Industrie bis 2035 weitgehend CO2-neutral und energie-effizient produziert (…) Es dürfen keine Arbeitsplätze verlagert werden, bevor nicht neue, gleichwertige Arbeit geschaffen wurde. Umgekehrt müssen neue Industrieanlagen so ausgerichtet sein, dass bis spätestens 2040 weitgehend CO2-frei und klimaneutral produziert werden kann. (…) Die Industriekonzerne müssen verpflichtet werden, diesen Umbau in die Wege zu leiten. Bei der Finanzierung der ökologischen Modernisierung der Produktion, wollen wir die Konzerne und Aktionäre in die Pflicht zu nehmen.” Gleiches gilt auch für die Vermieter, die zusätzlich mit Mietendeckel, CO2-Steuer und Grundsteuer belastet werden – neben Vermögenssteuer und -abgabe.

UNION, SPD, GRÜNE und LINKE fordern Verbote, staatliche Regulierung, Subventionen für bestimmte Sektoren und Bereiche. Zwar betont die UNION, auf den Markt und den Emissionshandel zu setzen, jedoch liest sich das Programm – geschrieben zu Zeiten, in denen man noch fest mit einer schwarz-grünen Koalition rechnete – in weiten Teilen wie eine Diskussionsgrundlage für die Koalitionsverhandlungen. Vergessen wir nicht, dass der amtierende CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier (63) erst vor wenigen Monaten eine Garantie für das Klima und die Wirtschaft abgeben wollte, verbunden mit konkreten CO2-Einsparungen je Sektor und Jahr bis 2050 – der Traum jedes Planwirtschaftlers und exakt das, was die GRÜNEN mit aggressiveren Zielen in ihrem Programm fordern.

DIW erklärt GRÜNE als Sieger

Dennoch kann man zwischen den Programmen differenzieren. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat genau dies im Auftrag der vom GRÜNEN-Politiker Rainer Baake geleiteten Stiftung Klimaneutralität getan. Wenig überraschendes Ergebnis: Kein Parteiprogramm ist den Forschern gut genug mit Blick auf die Klimaziele, aber die GRÜNEN kommen den Vorstellungen der Stiftung am nächsten. Es lohnt sich, genauer anzuschauen, wie das DIW zu dieser Einschätzung kommt, denn es hilft zu verstehen, warum sich die deutsche Klimaschutzpolitik in eine Sackgasse manövriert.

Bei der Studie des DIW handelt es sich um eine Art Nutzwertanalyse. Es wird vorgegeben, zu welchen Aspekten der Klimapolitik sich die Parteien im Programm äußern müssen. Die Aussagen werden dann mit 0 bis 4 Punkten bewertet und die Kriterien gesamthaft nach Bedeutung gewichtet. Jeder, der mit dieser Methodik arbeitet, weiß, dass die Gewichtung entscheidende Bedeutung für das Ergebnis hat.

Benchmark für das DIW sind die eigenen Vorschläge für die Klimapolitik. Jene Partei, die sich in ihrem Programm am engsten an die Empfehlungen hält, muss als Gewinner vom Platz gehen. Nachdem die AfD wegen offenkundiger Weigerung, das Thema überhaupt aufzugreifen, nicht in der Studie auftaucht, ist die FDP das erste Opfer dieser Vorgehensweise. Das DIW erklärt:

Studienergebnisse legen nahe, dass ein sektorübergreifender CO2-Preis als zentrales Instrument in der Klimapolitik geeignet ist. Er ist eine wichtige, allerdings keine hinreichende Bedingung für das Erreichen der Klimaziele. Allein entfaltet die Bepreisung von CO2-Emissionen keine ausreichende Wirkung, um die notwendigen Veränderungen in der geforderten Geschwindigkeit zu erreichen. (…) Parteien sollten in ihren Wahlprogrammen daher konkrete Vorschläge machen, wie es gelingen kann, bestehende Lock-In-Situationen sowie fehlende Investitionsanreize zu überwinden und die notwendigen, tiefgreifenden Transformationsprozesse einzuläuten. Diese Vorschläge sollten auf Sektorenebene Hürden und Hemmnisse auf dem Weg zur Klimaneutralität adressieren und über reine marktwirtschaftliche Instrumente hinausgehen (…).“

Obwohl Ökonomen sich einig sind, dass ein sektorübergreifender CO2-Preis das beste Instrument ist, um die Ziele zu erreichen, erklärt das DIW, dass dem nicht so sei. Folge für die FDP: Da sie sich auf diesen Mechanismus konzentriert und ihn sogar mit einem CO2-Mengenbudget verbinden will, bleiben viele der Boxen im Raster des DIW leer, die Partei damit ohne Punkte – und die Schlagzeile war sicher: Die FDP ist schlecht für das Klima. Dabei würde ein Preis Effizienz und Effektivität sicherstellen, genau das, was uns seit Jahren bei der Klimaschutzpolitik fehlt. Übrigens: Die FDP ist die einzige Partei, die explizit regelmäßige Stresstests unserer Stromversorgung fordert, um sicherzustellen, dass wir keine Blackouts erleben müssen.

Damit haben wir nur noch die vier Parteien übrig, die sich im Kern, wie oben gezeigt, nicht groß unterscheiden. Hier kommt die Gewichtung ins Spiel. Besonders hoch wichtet das DIW den Umbau der Energieversorgung, was durchaus nachvollziehbar ist, steht der Bereich doch für fast 46 Prozent der Einsparpotenziale an CO2, wie das DIW feststellt. Die Unterpunkte bei den Aussagen zur CO2-Reduktion sind wiederum gewichtet:

  • Verzicht auf fossile Energieträger (31 %)
  • Erneuerbare Energien (31 %)
  • Ausbau der Stromnetze und Speicher (14 %)
  • Rest – Sektorenkoppelung, Wasserstoff, Wärmeversorgung (25 %)

Wer sich jetzt wundert, dass das jetzt in Summe 101 Prozent ergibt, der mag sich direkt an das DIW wenden. Ist aber so und dürfte mit einer „Rundungsdifferenz“ erklärt werden, die allerdings bei Nutzwertanalysen unüblich ist.

Doch kommen wir zurück zum Thema. Erstaunlich ist doch, dass die wirklich entscheidende Frage der Energiewende – Ausbau der Netze und Schaffen von Speichern für Zeiten, an denen keine Sonne scheint und kein Wind bläst – für die Beurteilung der Programme unmaßgeblich ist. Egal wie viele Punkte einer Partei hier zugebilligt werden, es spielt bei einer Gewichtung von 14 Prozent für das Gesamtergebnis keine Rolle.

Wer als Partei Punkte sammeln will, muss also

  • erklären, dass der Kohleausstieg bereits 2030 stattfindet. Das tun die GRÜNEN und die LINKEN, weshalb sie vier Punkte bekommen. SPD und UNION halten sich noch mit der Notwendigkeit auf, andere Energiequellen zu entwickeln, bevor man auf die Kohle verzichtet, die immerhin 27 Prozent des Stroms im ersten Halbjahr 2021 erzeugt hat. Die Folge ist jeweils nur ein Punkt, während GRÜNE und LINKE für ihre Forderung nach einem früheren Kohleausstieg vier Punkte bekommen.
  • erklären, dass Erdgas nicht oder nur kurzfristig als Ersatz für Kohle zum Einsatz kommt. Da UNION und SPD auch hier einen ausreichenden Ausbau von Erneuerbaren Energien zur Voraussetzung machen, büßen sie wieder wertvolle Punkte ein, während GRÜNE und LINKE für ihre diesbezüglichen Bekenntnisse belohnt werden.
  • mit vielen Worten beschwören, den Ausbau der Erneuerbaren Energien voranzutreiben. „Höheres Tempo“ bringt einen Punkt (UNION), die zusätzliche Erwähnung von Solarenergie (SPD) bringt zwei Punkte. Volle Punktzahl bekommt, wer wie GRÜNE und LINKE mit vielen Worten im Programm Seiten füllt.

Letzteres klingt dann so (GRÜNE): “Unser Ziel ist ab sofort ein jährlicher Zubau von mindestens 5 bis 6 Gigawatt (GW) Wind an Land, ab Mitte der 20er Jahre von 7 bis 8 GW, bei Wind auf See wollen wir 35 GW bis 2035. Im Bereich Solarenergie werden wir den Ausbau von beginnend 10 bis 12 GW auf 18 bis 20 GW pro Jahr steigern ab Mitte der 20er. (…) Daher beseitigen wir in einem kontinuierlichen Prozess bestehende Ausbauhemmnisse (…) In einem ersten Schritt wollen wir die Erneuerbaren Energien als zwingend für die Versorgungssicherheit definieren und dafür 2 Prozent der Fläche bundesweit nutzen. Alle Bundesländer haben hierfür ihre entsprechenden Beiträge zu leisten.”

„Zwingend für die Versorgungssicherheit“ werden die Erneuerbaren Energien allein dadurch, dass alle Grundlastkraftwerke (Kohle, Atom) abgeschaltet werden. Dass diese Vorstellung sich in der Praxis sehr schwer, wenn überhaupt, realisieren lässt, ist nicht maßgeblich, denn es sind gigantische Ziele. Zum Vergleich: Zurzeit haben wir in Deutschland insgesamt rund 55 GW Kapazität in Windanlagen am Land und 2020 wurden rund 1,2 GW gebaut. 5–6 GW wurden noch nie pro Jahr gebaut. Schon gar nicht 7–8. Abgesehen davon freue ich mich auf die Windräder auf dem Tempelhofer Feld in Berlin, wenn wirklich jedes Bundesland zwei Prozent der Fläche für die Energieerzeugung nutzen soll.

Will man nach Auffassung des DIW – und der die Studie bereitwillig aufgreifenden und verbreitenden Medien – eine Klimaschutzpartei sein, muss man nicht sagen, wie es funktioniert, sondern einfach behaupten, es würde schon funktionieren. Wie ein Kapitän, der auf hoher See auf das Prinzip „Ein-Wunder-wird-geschehen“ setzt, nachdem er zur Motivation der Mannschaft, schneller zu rudern, ein Leck in das Boot geschlagen hat.

Um sich endgültig von UNION und SPD abzusetzen, mussten GRÜNE und LINKE nur noch ein frühes Verbrennerverbot (ebenfalls 2030) fordern und voll auf Elektromobilität setzen. Auch hier jeweils vier Punkte für GRÜNE und LINKE. Die SPD bekommt für ihre Forderung eines Tempolimits immerhin drei Punkte, während die FDP, die den Emissionshandel auf den Verkehr ausdehnen will, nur einen Punkt erhält. Allein diese relative Gewichtung sollte zu denken geben, ist doch der Klimaeffekt eines Tempolimits minimal und der des Emissionshandels nachgewiesen erheblich.

Die Sieger stehen damit schon fest, obwohl DIE GRÜNEN aus ideologischen Gründen jegliche Überlegungen zum Carbon Capture ablehnen. Denn diese von allen als wichtig angesehene Technologie – auch vom Thinktank Agora Energiewende, für die man UNION und FDP Punkte zusprach, ist mit durchgerechnet zwei Prozent vom Gesamtergebnis irrelevant. Gleiches gilt für die internationalen Überlegungen zum Klimaschutz, die – wie gesagt – die FDP in die Überlegungen einbringt.

DIE LINKE schnitt in diesem Vergleich so gut ab, weil sie ähnlich wie DIE GRÜNEN ein Programm aufweist, das die wirtschaftlichen Folgen komplett ausblendet. Während DIE GRÜNEN noch darauf setzen, dass ihr – unfundiertes – Versprechen „klimagerechten Wohlstand“ zu schaffen über die Risiken hinwegtäuscht, hat DIE LINKE in ihrem ganzen Programm immer dieselbe Lösung: Die Reichen und die Unternehmen sollen es bezahlen.

So wäre die Linke nach der Logik des DIW genauso wie bei der WDR “Wissenschaftssendung” Quarks auf Platz 1 gelandet, hätten die Forscher nicht teilweise die Punkte recht willkürlich verteilt und die GRÜNEN für die Länge der Ausführungen (nicht unbedingt mit mehr Inhalt) belohnt. So hat es dann für die GRÜNEN und die gewünschte Schlagzeile gereicht. (Ausführlicher nachzulesen hier.)

Übrigens: Das DIW war cleverer als Quarks. Das WDR merkte erst am Schluss, dass das Konzept der FDP überlegen ist und degradierte das Programm wegen „fehlender Glaubwürdigkeit“ von Platz 1 auf Platz 5. Das DIW stellte das bereits gleich zum Anfang sicher.

Falsche Ratgeber

Es ist müßig, sich über solche „Studien“ und deren Rezeption in den Medien zu ärgern. Das Problem ist viel größer:

  • Zum einen belohnen wir Politiker für Versprechen, nicht für die seriöse Realisierung von Maßnahmen. Die Folge ist ein Wettlauf um höhere Ziele, der dem Klima nichts bringt, aber den Standort gefährdet, weil er zu immer drastischeren Eingriffen führt.
  • Zum anderen orientiert sich die Politik an diesen Studien und denkt, dass gute Klimapolitik so funktionieren muss.

Die Folgen sind fatal. Nicht hinterfragte Studien, die angeblich vorrechnen, wie die Klimaneutralität hierzulande erreicht werden kann, werden zum Maßstab der Politik. Dabei blenden sie wesentliche Aspekte komplett aus: von der technischen Realisierbarkeit, über den mit dem Umbau der Wirtschaft verbundenen CO2-Ausstoß bis zu den finanziellen und ökonomischen Folgen.Prominentes Beispiel ist die “AGORA-Studie für ein Klimaneutrales Deutschland 2050” und die Aktualisierung für das Jahr 2045.

Die Studie verspricht nichts weniger als ein neues Wirtschaftswunder. So ist zu lesen: Der Weg in die Klimaneutralität ist ein umfassendes Investitionsprogramm, vergleichbar mit dem Wirtschaftswunder in den 1950er-/60er-Jahren. Kernelemente sind dabei eine Energiewirtschaft auf Basis Erneuerbarer Energien, die weitgehende Elektrifizierung von Verkehr- und Wärme, eine smarte und effiziente Modernisierung des Gebäudebestands sowie der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft für die Industrie.“ Das ist doch eine Aussage!

Die Autoren stören sich auch nicht an dem offensichtlichen Widerspruch zwischen ihrem Versprechen eines „Wirtschaftswunders“ und dem Verzicht, die wirtschaftlichen Folgen überhaupt zu analysieren: „Die ökonomischen Effekte der Klimaschutzmaßnahmen wurden nicht explizit untersucht. (…) Es wurde angenommen, dass temporäre Wettbewerbsnachteile für Unternehmen beim Übergang zu einer klimaneutralen Produktion vermieden oder kompensiert werden.“

Wie sollen eine deutlich kleinere Automobilindustrie, sinkende Massenkaufkraft (wegen wegfallender Arbeitsplätze und unverkennbar höheren Energiekosten) und die Verwendung von knappen Investitionsmitteln für unproduktive Zwecke ein Wirtschaftswunder auslösen, vor allem, wenn man bedenkt, dass wir es mit einer alternden Gesellschaft, schrumpfender Erwerbsbevölkerung, stagnierenden Produktivitätszuwächsen und Billionen Euro an ungedeckten staatlichen Verpflichtungen zu tun haben.

Auch diese Behauptung ist interessant: Der Weg zur Klimaneutralität 2050, wie er in dieser Studie beschrieben wird, stellt einen aus Kosten­sicht und unter Berücksichtigung der Umsetzbarkeit optimierten Weg dar. Hauptkriterien bei der Auswahl der Maßnahmen waren Wirtschaftlichkeit und die Wahrung der Investitionszyklen. Das ist ebenfalls nicht nachvollziehbar, weil in der Studie zwar viele Zahlen auftauchen, aber nur eine mit einem Eurozeichen dahinter. Und diese Zahl ist nicht mal berechnet, sondern aus einer Studie von Boston Consulting und Prognos für den BDI abgeschrieben. Dabei liegt es auf der Hand, dass andere Maßnahmen mit anderen Kosten verbunden sind, vor allem wenn sie zu einem früheren Zeitpunkt umgesetzt werden.

Noch interessanter ist diese Aussage: “Die Schlüsseltechnologien für Klimaneutralität sind bekannt: Es geht um den Aufbau eines komplett auf Erneuerbaren Energien basierenden Stromsystems, das 2050 mindestens 50 Prozent mehr Strom produziert als heute.” Dies sehen andere Experten deutlich anders. Die Schlüsseltechnologien, gerade bezüglich der Speicherung von Energie fehlen heute noch. So rechnen Experten von BCG vor, dass wir weltweit bis zu 210 Milliarden Dollar pro Jahrzusätzlich in Forschung und Entwicklung investieren müssten, um die Technologien zu entwickeln, die uns noch fehlen, um zu Null-CO2 zu kommen! Und diese Investitionen in Forschung und Entwicklung würden in der Tat neue Industrien, Arbeitsplätze und Wohlstand schaffen. Die Behauptung, dass die Technik schon bekannt sei, trifft nicht zu.

Doch nicht nur an den Aussagen bezüglich der Umsetzbarkeit der Maßnahmen und der zu befürchtenden wirtschaftlichen Auswirkungen gibt es Zweifel. Auch in anderer Hinsicht hält die Studie einer kritischen Betrachtung nicht statt. Ein Team um den Professor Dr.-Ing. Holger Watter hat die Studie untersucht und stellt gravierende Mängel fest. Diese reichen von der fehlenden Berücksichtigung des CO2-Ausstoßes im Zuge des Umbaus der Wirtschaft bis zu überoptimistischen Annahmen und dem Ausschluss bestimmter alternativer Wegen zur CO2-Reduktion.

Ungeachtet dieser Kritik wird mit diesen Studien in Medien, Politik und Öffentlichkeit der Eindruck erweckt, es brauche einfach nur den festen Willen, um die Klimaziele zu erreichen. Leider ist dem nicht so.

Wir brauchen einen echten Neustart

Deutschland ist wenig sonnig, dicht besiedelt und hat einen hohen Energiebedarf. Wir verfügen über die drittniedrigsten Solar- und Windressourcen der Welt im Vergleich zu unserem Gesamtenergiebedarf. Klartext: Fast nirgendwo ist es so schwer, die Versorgung auf Erneuerbare Energien umzustellen, wie bei uns.

Dass dies nicht nur in der Theorie so ist, zeigt das erste Halbjahr 2021. Weil der Wind weniger blies, steuerte die Windkraft nur 22 Prozent zur Stromversorgung bei, statt 29 Prozent wie im Vorjahr. Neun Prozent entfiel auf Fotovoltaik und sechs Prozent auf Biogas. Zwölf Prozent steuerten Atom- und 27 Prozent Kohlekraftwerke bei. Also genau jene Erzeugungsquellen produzierten Energie, die wir nach Auffassung vieler Beobachter möglichst rasch vom Netz nehmen sollen.

Wir haben schon heute die höchsten Strompreise Europas. Und dies nicht trotz, sondern wegen der Erneuerbaren Energien, da diese immer einen Back-up brauchen für wind- und sonnenarme Tage. Nun schalten wir alles relevante Grundlastfähige ab und hoffen auf einen noch zu realisierenden technischen Fortschritt, um die Lücken zu schließen – oder auf Importe aus Kohle- und Atomkraftwerken der Nachbarn.

Wer hier auf ein beschleunigtes „Weiter-so“ setzt, der gefährdet die Zukunft des Landes. Wir brauchen dringend einen Neustart in der Klimapolitik. Statt alles auf eine Karte zu setzen, sollten wir verstärkt nach Möglichkeiten suchen, grüne Energie zu importieren und unsere Mittel auf Forschung und Entwicklung konzentrieren. Dann können wir nicht nur einen Beitrag leisten, um deutlich mehr als unseren Zwei-Prozent-Anteil am weltweiten CO2-Ausstoß zu reduzieren, sondern wirklich die Zukunftsindustrien aufbauen, die grünen Wohlstand für morgen bedeuten. Voraussetzung ist allerdings, dass die kommende Bundesregierung erkennt, dass das Motto „Es-wird-schon-gut-gehen“ nicht zur Sicherung von Wohlstand hierzulande taugt.