„Kanzler­schaft Merkel: Zehn Jahre Le­ben von der Substanz“

In der letzten Ausgabe der WirtschaftsWoche erschien dieser Standpunkt von mir anlässlich von zehn Jahren Regierung Merkel. Eine verheerende Bilanz aus dem Blickwinkel des Schaffens von Wohlstand. Wohin man auch schaut: Unser Wohlstand wurde verschleudert:

Zehn Jahre sind es nun her, dass Frau Merkel sich zum ersten Mal verpflichtet hat, „den Nutzen des deutschen Volkes zu mehren“. Vordergründig scheint ihr das gelungen zu sein. Verglichen zu 2005 haben wir mehr Wachstum, weniger Arbeitslose, immer höhere Außenhandelsüberschüsse und die „schwarze Null“ im Bundeshaushalt.

Doch dieser Blick täuscht. Frau Merkel zehrt von der Substanz, die andere geschaffen haben. Schlimmer noch: Es wurden in ihren zehn Jahren Kanzlerschaft Weichen gestellt, die die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands schwächen.

Das fängt an mit der überstürzten Energiewende. Nicht nur, dass sie Kosten von bis zu einer Billion Euro verursacht, die von den Stromverbrauchern zu tragen sind. Sie gefährdet darüber hinaus durch eine Erhöhung der Produktionskosten Tausende von Arbeitsplätzen. Das alles wäre bei einem geordneten Ausstieg aus der Atomenergie nicht passiert.

Zweites Beispiel: das Verschleppen der Eurokrise. Es ist bekannt, dass die Schulden von Staaten und Privaten in der Eurozone zu einem guten Teil nicht mehr tragfähig sind. Statt dieses Problem anzugehen und über Schuldenschnitte und eine echte Reform der Eurozone zu bereinigen, wurde auf Zeit gespielt. Dabei läuft die Zeit gegen den Gläubiger Deutschland: Die Reformbereitschaft der anderen Ländern sinkt, je länger die Krise andauert, und der Berg an faulen Schulden wird immer größer. Bis jetzt haben deutschen Sparer rund 200 Milliarden Zinsverluste erlitten, weil die EZB mit immer billigerem Geld das Versagen der Politik kompensieren muss. Vorsichtig geschätzt dürfte uns die „Rettung“ des Euro mindestens eine weitere Billion Euro kosten.

Ein drittes Defizit: die Generationengerechtigkeit. Schon 2009 wurden die ungedeckten Verbindlichkeiten des deutschen Staates für künftige Pensions-, Renten- und Gesundheitsleistungen auf über 300 Prozent des BIP geschätzt. Längere Lebenserwartung, frühere Renteneintritte und weniger Kinder passen mathematisch nicht zusammen. Folgerichtig hatte die rot-grüne Bundes­regierung begonnen, das Rentenalter zu erhöhen. Der Rückwärtsgang der Regierung Merkel – Rente mit 63 und Mütterrente – kostet unmittelbar 300 Milliarden Euro. Und gibt ein fatales Signal für die drohenden Verteilungs­kämpfe, wenn die Babyboomer-Generation in den Ruhestand tritt.

Hinzu kommt der Raubbau an der Infrastruktur Deutschlands. In den letzten 15 Jahren sind die öffentlichen Investitionen nach einer Auswertung der KfW preisbereinigt nur um 7,8 Prozent gestiegen, im Verhältnis zum BIP sind sie gefallen. In den Kommunen, eigentlich die Hauptträger der öffentlichen Investitionen, sind sie nach einer Studie des DIW seit 2003 per Saldo negativ. Dabei braucht gerade ein Industrieland gute Schulen, erstklassige Forschung und funktionierende Verkehrssysteme.

Die Investitionsschwäche könnte sich schließlich auch als Pferdefuß der Merkel´schen Flüchtlingspolitik erweisen. Zwar wird der Zustrom junger Menschen von Politikern und Ökonomen als Lösung für die ungedeckten Versprechen der alternden Gesellschaft verkauft. Damit Migranten überhaupt einen positiven Beitrag leisten können im System Deutschland, sind jedoch erhebliche Investitionen in Sprachschulung und Ausbildung erforderlich, die weit über die derzeit geleistete Soforthilfe hinausgehen. Tätigen wir diese nicht, ist die Gefahr groß, dass es überwiegend eine Zuwanderung in die Sozialsysteme ist. Eine weitere Errungenschaft aus den zehn Jahren Merkel´scher Kanzlerschaft – der Mindestlohn – dürfte für die schnelle Integration wenig hilfreich sein.