Interview mit t-online: Wir brau­chen ein End­lager für Schul­den

Dieses Interview mit mir erschien in der vergangenen Woche bei t-online: 

Auszüge:

  • “Ich habe die alleinige Mehrwertsteuersenkung für die Gastronomie abgelehnt, weil ich der Meinung bin, dass die geringe Ersparnis für die Verbraucher kaum mehr Menschen in die Restaurants treibt. Eine temporäre Senkung der Mehrwertsteuer auf alles finde ich dagegen prinzipiell charmant. Denn bei größeren Anschaffungen etwa Autos, Möbel oder einem neuen Dach stellen geringere Preise einen Kaufanreiz dar – der den Konsum und damit Wirtschaft befeuert.” – bto: Hier nochmals zur Klärung: Auch ich weiß, dass die Mehrwertsteuersenkung vom Gesamtbetrag vermutlich begrenzte Wirkung entfalten wird. Ich habe auch die Kommentare auf diesen Seiten gelesen, die nachvollziehbar begründen, weshalb ein Programm für die Autoindustrie besser gewesen wäre, auch wenn damit Strukturen verfestigt werden, weil nur so Angst überwunden wird.
  • Zwar finde ich es grundsätzlich gut, dass es die Steuersenkung gibt, sie ist besser als nichts. Noch sinnvoller aber wäre gewesen, Konsumgutscheine mit einem Ablaufdatum zu verteilen. Bei ihnen hätte man sagen können, dass sie nur zu bestimmten Anlässen, etwa in Hotels, Restaurants, aber auch in den lokalen Geschäften genutzt werden dürfen. Die Mehrwertsteuersenkung sorgt dagegen – wenn überhaupt – nur dafür, dass größere Anschaffungen spürbar günstiger werden. Kleine Geschäfte, die vergleichsweise günstige Waren anbieten, profitieren wahrscheinlich weniger davon, weil die Steuersenkung keinen Massenkonsum hervorrufen wird.” – bto: Das ist – denke ich – unstrittig. 
  • “Wir sehen ja schon jetzt, dass die Menschen kaum mehr in die Geschäfte gehen, zum Teil aus Angst vor einer Ansteckung mit Corona, zum Teil, weil sie genervt sind vom Schlangestehen mit Masken. Viele Menschen haben während des Lockdowns zudem gelernt, wie komfortabel die Lieferung nach Hause ist – das könnte sich jetzt fortsetzen. Das Konjunkturpaket löst also eines der Hauptprobleme nicht: Es setzt keinen Anreiz dafür, dass die Menschen wieder verstärkt in die kleinen Geschäfte und Betriebe vor Ort stürmen.”
  • “Ich bin generell dafür, dass man die Steuern und Abgaben in Deutschland deutlich senken sollte – und zwar dauerhaft. Im konkreten Fall aber ist die Idee ja eine andere. Hier geht es darum, der Wirtschaft einen Impuls zu verleihen, sie kurzfristig anzuschieben. Das erreiche ich nur mit Maßnahmen, die zeitlich beschränkt sind. Wird die Mehrwertsteuer dauerhaft gesenkt, hat niemand einen Grund, jetzt loszulaufen und etwas zu kaufen. Denn dann könnte sie das ja auch noch nächstes Jahr machen. Deshalb wäre es im aktuellen Kontext falsch, die Mehrwertsteuer dauerhaft zu senken.”
  • “Investitionen, etwa bei der Bahn, werden sehr lange dauern. Zunächst muss die Bahn ein Bauprojekt aufsetzen, dann muss sie es planen, ausschreiben, schließlich den Auftrag zur Ausführung an eine Firma vergeben. Erst dann werden die Gelder wirklich wirksam. Bis dahin haben wir eine völlig andere Welt. Trotzdem ist es natürlich absolut richtig, dass wir im Inland mehr investieren. Nur wenn wir das tun, wenn wir vor allem Geld in unsere Infrastruktur stecken, kann sich Deutschland dauerhaften wirtschaftlichen Erfolg sichern. Und das ist wichtig, denn ich glaube: Wir werden jetzt, in der zweiten Jahreshälfte, einen relativ steilen Anstieg des Wachstums erleben – danach aber, 2021, wird die Wachstumskurve wieder abbröckeln. Daran werden die aktuellen Maßnahmen nichts ändern. Deshalb werden wir weitere Konjunkturpakete in den kommenden Jahren sehen, auch auf europäischer Ebene.”
  • “Ich halte ewige Schulden für das Beste, was uns passieren könnte. Es ist ein deutsches Missverständnis, dass Staaten ihre Schulden zurückbezahlen. Staatsschulden lösen sich durch das Wachstum der Wirtschaft auf. Zur Verdeutlichung: Für die sogenannte Schuldenquote als Gradmesser der Staatsverschuldung werden die Verbindlichkeiten ins Verhältnis zur Wirtschaftsleistung, dem Bruttoinlandsprodukt (BIP), gesetzt. Wächst das BIP bei gleichbleibendem Schuldenstand, sinkt die Quote und damit die Verschuldung. (…) Im Großen und Ganzen sind wir etwa die Staatsschulden aus der Finanzkrise 2008/2009 durch Wachstum, vor allem dank der Exporte der Auto- und Maschinenbauer, losgeworden. Nach dem Zweiten Weltkrieg war es ähnlich: Damals haben sich viele Staaten, die sich wegen des Krieges verschuldet hatten, durch Wachstum und durch Inflation entschuldet. Es wäre dumm, wenn der Staat jetzt spart, um die neuen Schulden abzubauen. Die Wirtschaft braucht das staatliche Geld. Deutschland muss zum Wachstum zurückfinden.”
  • “Wir müssen endlich wieder mehr investieren. Vor der Corona-Krise wurde geschätzt, dass es in den nächsten Jahren 450 Milliarden Euro braucht, um Deutschland langfristig flott zu machen. Wir sprechen von Straßen, Brücken, vom Bahnnetz, vor allem aber auch von der digitalen Infrastruktur. Da ist Deutschland im weltweiten Vergleich ganz weit hinten. Jeder, der zuletzt im Homeoffice saß, weiß das. Dann müssen wir dringend in Bildung investieren – und vor allem die Standards erhöhen. Es darf nicht sein, dass die Zahl der Abiturienten und Studenten immer weiter wächst und die der Lehrlinge in der dualen Ausbildung sinkt. Zudem braucht es natürlich mehr Investitionen in den Klimaschutz, in die Forschung und Entwicklung grüner Technologien.”

Dann zum Thema Europa und zur Frage, weshalb ich den Merkel/Macron-Plan kritisch sehe:

  • “Weil das der Einstieg in eine sogenannte Transferunion ist, bei der die weniger verschuldete Staaten wie Deutschland den höher verschuldeten Staaten wie Italien, Spanien aber auch Frankreich mit ihrem Geld aufpäppeln. Nach dem aktuellen Plan der EU-Kommission bekommen diese Staaten deutlich mehr Geld aus Brüssel als etwa Deutschland. Gleichzeitig steht Deutschland für einen viel größeren Teil der Schulden gerade. Das heißt, es handelt sich um ein Geschenk von uns an unsere Nachbarländer. Und das ist nicht gerecht. Denn innerhalb der Eurozone gehören die Privathaushalte in Deutschland zu den ärmsten. Insbesondere die Privathaushalte in Italien sind deutlich vermögender als die deutschen. Zudem verfestigt der Plan nur alte Strukturen, das Geld sorgt nicht dafür, dass die hoch verschuldeten Länder produktiver werden.”
  • “Wir brauchen ein Endlager für Schulden. Deshalb plädiere ich dafür, dass die Staaten – auch Deutschland! – einen Teil ihrer Schulden bei der Europäischen Zentralbank (EZB) abladen können, sodass sie selbst nicht mehr davon belastet werden. Im Prinzip sind wir ja schon auf dem Weg dahin. Die EZB kauft gerade noch einmal mehr als früher im großen Rahmen Staatsanleihen auf. Die Endlager-Idee würde bedeuten: Die EZB behält diese Schulden auf Dauer, die Staaten tilgen sie bei ihr nicht. Praktisch wäre das eine Art Schuldenschnitt – der nicht nur den Staaten helfen würde, die sehr hohe Schulden haben, sondern auch Staaten wie Deutschland.”
  • “Sicherlich nehmen die Börsen gerade viele Entwicklungen vorweg. Sie sind aber auch stark vom billigen Geld und den staatlichen Konjunkturpaketen geleitet. Die Erholung basiert auf drei Annahmen: Erstens, das billige Geld bleibt uns erhalten. Zweitens, wir erleben wirklich eine V-förmige Entwicklung des Wachstums, also einen starken Anstieg, der auf den starken Absturz der Wirtschaft folgt. Und drittens, wir bekommen keine weitere Welle der Pandemie. Die erste Annahme ist richtig. Bei der zweiten und dritten lässt es sich noch nicht abschließend sagen. Deshalb ist offen, ob alles halb so schlimm wird oder nicht.”

→ t-online.de: “Ewige Schulden sind das Beste, was uns passieren kann”, 7. Juni 2020