“Insider sind selten Gutmenschen”

Dieser Kommentar erschien bei WirtschaftsWoche Online:

Bei neuen Angeboten an der Börse sollten Anleger gründlich hinschauen. Denn nur selten haben die Verkäufer das rein altruistische Motiv, die Allgemeinheit an einem tollen Investment teilhaben zu lassen. Der Fall Rocket Internet ist ein aktuelles Beispiel dafür.

„Sehr geehrte Frau Dr. Meckel, als Geschäftsführer eines der großen unabhängigen Vermögensverwalter in Deutschland (…) hat mich die Kolumne von Herrn Stelter – vorsichtig formuliert – erschüttert. Selten habe ich in einem Qualitätsmedium dieses Maß an Unkenntnis gelesen, das Herr Stelter dort über Glencore und die Grundsätze der Kapitalanlage offenbart.“ So begann eine Zuschrift an meine Chefredakteurin im November 2015. Als Neu-Kolumnist stellte ich mich nach der dann im Schreiben folgenden Breitseite auf die Qualität meiner Kolumne auf das Schlimmste ein. Immerhin verwaltet der Kritiker nach eigener Auskunft rund zwei Milliarden Euro und verfügt zweifellos über erhebliche Expertise.

Anstoß genommen hatte er an meiner Aussage, dass die Eigentümer des Rohstoffkonzerns Glencore mit ihrem Börsengang im Jahr 2011 – vorsichtig formuliert – ein hervorragendes Gespür für Timing hatten. Offensichtlich war meine ausführliche Antwort an den Kollegen jedoch so treffend, dass Frau Meckel mich an dieser Stelle – bis jetzt – gewähren ließ, und der Kritiker mir nie erwiderte.

Warum erwähne ich diese Episode? Die Aktie, die ich damals mit Glencore verglich, war Rocket Internet. Auch diesen Börsengang hielt ich für gewagt – und die Kursentwicklung seither gibt mir recht.

Zunächst ist es für die Aktionäre von Rocket eine gute Nachricht, dass ich Rocket heute erwähne. Nachdem ich am Beispiel von Glencore gezeigt habe, wieso es gefährlich ist, in diese Werte zu investieren, hat sich Glencore von damals 1,60 Pfund auf heute 2,17 Pfund erholt (was in Euro gerechnet immer noch kein so gutes Geschäft ist). Davor war die Aktie allerdings von einem Hoch von über 6 Pfund nach dem Börsengang im Frühjahr 2011 erheblich eingebrochen.

Vielleicht erholt sich Rocket in den kommenden Monaten also auch. Doch darum geht es mir nicht. Wie bei Glencore war es keine gute Idee, bei Rocket nach dem Börsengang einzusteigen. Notierte Rocket im November 2014 bei 56,60 Euro, so bekommen Anleger heute nur noch 17,40 Euro dafür. Wer zum Ausgabekurs von 42,50 Euro eingestiegen ist, hat mehr als 50 Prozent verloren. Eine Kurserholung in den kommenden Wochen und Monaten ist da nur eine zu erwartende technische Reaktion.

Rocket ist wie Glencore ein Musterbeispiel für Börsengänge, aus denen sich sehr wohl, anders als der Profi im zitierten Leserbrief meinte, allgemeingültige Regeln für die Kapitalanlage ableiten lassen. Mindestens zwei der im vergangenen Jahr abgeleiteten Regeln passen auch im Fall von Rocket:

1. Insider sind keine Menschenfreunde

Wenn Unternehmen an die Börse gehen, geschieht dies nur selten aus dem Motiv heraus, die Allgemeinheit an den Erträgen teilhaben zu lassen. Entweder ist es echte finanzielle Not, oder es ist Zeit für die Insider, Kasse zu machen. Welcher Insider wird schon verkaufen, wenn er es nicht muss und er hohe weitere Erträge erwartet? Im konkreten Fall von Rocket Internet hat sich das wieder einmal bewahrheitet. Das Vermögen der Gebrüder Samwer unterlag einem erheblichen Klumpenrisiko. Es war also an der Zeit, zu diversifizieren und Geld aus dem Unternehmen abzuziehen.

Dies macht niemand, wenn er davon ausgeht, dass die große Wertsteigerung noch bevorsteht. Wer in der Start-up-Szene – gerade in Berlin – unterwegs ist, weiß, dass es für gute Ideen und Geschäftsmodelle wahrlich nicht an Finanzierungsmöglichkeiten mangelt. Rocket an die Börse zu bringen, war deshalb mehr der finanziellen Optimierung der Eigentümer geschuldet, als der Notwendigkeit Geld einzusammeln. Außer man sah es auf „dummes Geld“ ab, welches keine Mitsprache sucht. Auch keine gute Motivation aus Sicht der neuen Aktionäre.

2. Euphorie ist ein schlechter Ratgeber

Als Glencore an die Börse ging, lag ein Jahrzehnt Rohstoffboom hinter uns. Von Chinas unersättlichem Rohstoffhunger getrieben, kannten die Rohstoffe nur eine Richtung: nach oben. Man sprach bereits von einem strukturellen Wandel und einem Superzyklus. Überall wurden im Glauben an den immerwährenden Boom neue Kapazitäten geschaffen. Dabei hätte ein Blick in die Geschichte genügt. Auch früher gab es im Rohstoffsektor die Hoffnung auf einen ewigen Boom – der bitter enttäuscht wurde.

Als Rocket an die Börse ging, galt die Finanzkrise als überwunden und die Firma war das Vorzeigeunternehmen für die Digital Economy made in Germany. Wenn es in den USA von den sogenannten Einhörnern (also Unternehmen mit mehr als einer Milliarde US-Dollar Bewertung schon vor dem Börsengang) so wimmelt, muss doch auch bei uns etwas gehen, so die Logik. Titelgeschichten über den knallharten Führungsstil des Frontmannes zeigten allen, dass es sich hier um Gewinnertypen in einem boomenden Markt handelt. Ja, die Euphorie war gedämpft, verglichen mit dem Boom Ende der 1990er-Jahre, aber doch zu spüren. Deutschland hätte mit Rocket endlich auch einen gewichtigen Spieler in diesem neuen Markt, wurde da geschrieben. Dass das Portfolio überwiegend aus wenig differenzierten Handelsunternehmen und Kopien amerikanischer Wettbewerber besteht, wurde da nur am Rande erwähnt.

Das Rocket-Modell eignet sich nicht für die Börse

Was noch fehlt in der Auflistung der Warnsignale, sind hohe Verschuldung und Firmenübernahmen, die bei Glencore erheblich zur Krise beigetragen haben. Dafür ist bei Rocket das Geschäftsmodell als Ganzes kritischer zu sehen und das operative Risiko erheblich. Ich würde sogar soweit gehen, zu sagen, dass sich das Rocket-Modell nicht für die Börse eignet. Wenn das Management von „Sondereffekten“ spricht, wenn es die Wertminderungen und Fair-Value-Anpassungen, die hinter dem Halbjahresverlust von 617 Millionen Euro stehen, erläutert, muss man sich schon wundern. Es ist doch gerade das Geschäftsmodell, Firmen zu gründen, rasch auf eine hohe Bewertung zu treiben und dann Kasse zu machen. Wenn die Erlöse daraus normal sind, sind es die Verluste eben auch. Der Versuch des Managements von dieser Tatsache abzulenken, ist für mich ein weiteres Warnsignal.

Doch wie bei Glencore geht es mir auch heute nicht um die konkreten Aussichten für Rocket. Es geht um die generellen Lehren für Kapitalanleger. Immer, wenn Unternehmen mit starken Eigentümern an die Börse kommen, ist Vorsicht angesagt. Natürlich waren Facebook und Google tolle Investments für jene, die beim IPO eingestiegen sind. Doch in der Mehrzahl der Fälle signalisieren diese Börsengänge, dass eine Spitze erreicht ist, sei es an der Börse generell, in der jeweiligen Branche und/oder im betreffenden Unternehmen.

In London – so meldeten die Zeitungen am letzten Wochenende – steht eine wahre Flut an Börsengängen bevor. Aktien im Wert von bis zu 30 Milliarden Pfund sollen noch in diesem Herbst an der Börse platziert werden. Es sind vor allem Private-Equity-Firmen und ausländische Investoren, die den Börsenboom nach der Brexit-Entscheidung für sich nutzen wollen, Kasse zu machen. Es würde mich wundern, wenn wir bei einer weiteren Erholung an den Börsen nicht auch an anderen Märkten eine Flut an Börsengängen erleben. Ein deutliches Warnsignal.

Nachtrag:

In der F.A.S. von gestern werde ich im Zusammenhang mit dem heutigen Börsengang von Uniper zitiert. Meine Sicht ist recht einfach:

  • Daniel Stelter von der Denkfabrik „Think beyond the obvious“ plagen solche Zweifel nicht. Je geringer die Bewertung an der Börse, umso besser, findet er. Schließlich macht eine niedrigere Bewertung den Aktienkauf billiger. „Uniper ist nichts für Anleger, die die Aktie einmal ihren Kindern vererben wollen oder die auf hohe Kursgewinne hoffen. Aber sie kann sich für alle lohnen, die von hohen Dividenden profitieren wollen.“” – bto: Die Frage war, was für die Aktie spricht. Aus meiner Sicht kann man sie nur kaufen, wenn sie wirklich billig ist.
  • Denn: “„Es kann sinnvoll sein, die Aktie eines Unternehmens zu kaufen, das seinen eigenen Niedergang effizient managt“, sagt Daniel Stelter.”

Heute nun war der große Tag. Ich hätte zu Kursen unter 9 Euro gekauft. Zum jetzigen Kursniveau von über 10 finde ich hat die Aktie zu wenig Potential. Da gibt es deutlich bessere Qualität in der Welt.