In der Sackgasse

Stephen King, bis 2015 Chefvolkswirt und jetzt Seniorberater der HSBC, hat mehrfach mit provokanten Aussagen auf sich aufmerksam gemacht. So warnte er im letzten Jahr vor einer neuen Rezession, der die Wirtschaftspolitik nichts mehr entgegensetzten könne. Die Geldpolitik wäre wirkungslos und von der Fiskalpolitik könnten angesichts hoher Schulden keine Impulse mehr gesetzt werden. Nur noch das sogenannte Helikopter-Geld bliebe als eine riskante Möglichkeit bestehen.

Nun hat er seine Analysen aktualisiert. Immer mehr Ähnlichkeiten sieht er zwischen der Entwicklung in Japan seit 1990 und der Dauer-Krise, die die westliche Welt seit 2008 befallen hat. Dabei stellt er fest, dass wir bereits nach dem Platzen der New Economy Blase im Jahr 2000 auf dem Weg in eine große Depression waren. Der Aktiencrash war durchaus mit dem Einbruch von 1929 vergleichbar. Die Rezession war dennoch relativ mild, weil es deutliche Zins- und Steuersenkungen gab, die dann zur Immobilienblase in den USA geführt haben. Die Bekämpfung der damaligen Rezession hat so die Grundlage für die große Rezession von 2009 gelegt. Und die Politik seither dürfte die Grundlage für eine noch größere Krise gelegt haben. Wie hier schon mehrfach festgestellt, geht es unseren Politikern wie Goethes Zauberlehrling: die Geister, die sie riefen, werden sie nicht mehr los. Hohe Schulden und schwaches Wirtschaftswachstum verstärken sich gegenseitig und führen in eine Abwärtsspirale. Nur durch eine deutliche Reduktion der Schulden und/oder höheres Nominalwachstum ist es laut King überhaupt denkbar, dem japanischen Szenario, ich nenne es Eiszeit, zu entkommen.

Doch welche Optionen haben wir noch, der Eiszeit zu entgehen? King diskutiert sechs Optionen. Keine davon ist wirklich erfreulich.

Option 1: Mehr Staatsausgaben

Von Vertretern wie Larry Summers schon lange gefordert, sollen die Staaten mit massiven Konjunkturprogrammen die „säkulare Stagnation“ überwinden und die unausgelasteten Kapazitäten („Output Gap“) auslasten. Im Prinzip eine gute Option, weil sie noch Hoffnung macht. Allerdings hat sie in Japan nichts gebracht. Stattdessen wurden viele „Brücken ins Nichts“ gebaut und der ökonomische und soziale Nutzen vieler Projekte ist mehr als zweifelhaft. Außerdem haben die Regierungen der westlichen Welt bereits hohe Schulden, weshalb weitere Schulden nur begrenzt akzeptiert werden oder aber eine entsprechende Zurückhaltung der Privaten zur Folge haben. Der Konjunkturaufschwung nach dem New-Economy-Crash war das Ergebnis einer solchen Politik, hat aber nur die „deflationäre Stagnation“, die bereits im vollen Gange war, übertüncht. Die säkulare Stagnation begann also schon deutlich früher als die Vertreter dieser These erkennen. Deshalb sind die Instrumente auch ungeeignet, führen sie doch nur zu neuen Blasen, die irgendwann platzen.

Option 2: Helikopter-Geld

Helikopter-Geld ist bereits in aller Munde, insofern spare ich mir hier die ausführliche Erklärung. Letztlich geht es darum, dass von der Notenbank zusätzlich geschaffenes Geld zu mehr Nachfrage führt, was bei unausgelasteten Kapazitäten inflationsfrei funktionieren sollte. Zumindest in der Theorie.

King lakonisch: „Wenn etwas zu gut klingt, um wahr zu sein, ist es wohl auch so.“

Tatsächlich würde Helikopter-Geld nur dann funktionieren, wenn es zu Inflation führt. Helikopter-Geld mit dem Ziel der Inflationserzeugung ist jedoch nichts anderes als umverteilende Fiskalpolitik im Mantel der Geldpolitik. Eine heimliche Vermögenssteuer, die zudem sehr ungerecht ist, weil sie nur jene trifft, die Geldvermögen halten. Das Risiko einer Panik hält King für groß. Träte ein Vertrauensverlust ein, würde die gewünschte in eine ungewünscht deutliche Inflation umschlagen. Für King ist es kein Zufall, dass die Begriffe „Helikopter-Geld“ und „Hyperinflation“ so oft gemeinsam vorkommen.

Option 3: Offene Pleiten

Offene Pleiten sind vor allem für jene eine Option, die keine eigenen Helikopter besitzen, zum Beispiel weil sie Staaten der Eurozone sind. Zwar hat die EZB die Zinsen deutlich nach unten gedrückt, dennoch sind die Schulden in den meisten Ländern auf einem nicht nachhaltigen Trend. Damit wächst das Problem weiter an und die Option „Pleite“ wird immer realistischer. Damit würde aber ebenso wie beim Helikopter-Geld das Vertrauen der Sparer unterminiert. Noch mehr als heute würden die Sparer ihr Geld „unter der Matratze“ verstecken und damit die Geldpolitik endgültig wirkungslos machen.

Option 4: Annullierung von Schulden auf der Notenbankbilanz

Eine weitere Option wäre die Annullierung der Staatsschulden, die von den Notenbanken gehalten werden. Eine Idee, die bekanntlich gerade im angelsächsischen Raum zunehmend Unterstützung findet. Für King ist es letztlich nur eine noch extremere Variante des Helikopter-Geldes mit denselben Verteilungs- und Inflationswirkungen. Ich denke dennoch, dass Japan in den kommenden Jahren diesen Weg gehen wird und dies bereits vorbereitet.

Option 5: Liquidierung von Überkapazitäten

Zwar haben sich einige Länder wie Deutschland, Großbritannien und die USA von der Krise erholt, dennoch haben wir es mit geringen Wachstumsraten und vor allem abnehmender Produktivität zu tun. Deshalb könnte es sein, so King, dass die „deflationäre Stagnation“ an unzureichendem Angebot liegt, eben, weil die Wirtschaft weniger effizient ist.

Weshalb nun war das Produktivitätswachstum in einer Phase schnellen technologischen Fortschritts so gering? Die Ursache könnte in der Geldpolitik liegen: diese hat vor allem die Preise von Immobilien und Finanzassets getrieben. Unternehmen wurden entlastet und sie haben weniger Kostensenkungen vorgenommen, als sie sonst hätten vornehmen müssen (was statistisch eine geringere Produktivität bedeutet). Zuviel Kapital blieb in ineffizienten Unternehmen gebunden. Diese konnten ohne großen Druck weiter Geld verdienen und sich auf das Financial Engineering konzentrieren, was zwar die Aktionäre freut, der eigentlichen Produktivität jedoch nicht nutzt.

Zombie-Firmen schwächen das Wachstum, weil sie den Prozess der kreativen Zerstörung hemmen. Würden wir heute die Zombies zur Restrukturierung zwingen hätten wir wohl auch mehr Arbeitslosigkeit und eine Verstärkung der Krise. Deshalb ginge es nur in Kombination mit Maßnahmen zur Konjunkturankurbelung.

Option 6: Mehr Welthandel

Theoretisch wäre mehr Handel eine Antwort auf die Krise. In der Realität sinkt der Welthandel jedoch in den letzten Jahren. Das ist insofern überraschend, als bisher der Welthandel schneller gewachsen ist als das Welt-BIP. Mögliche Gründe sind:

  • eine Straffung von globalen Wertschöpfungsketten, um diese weniger krisenanfällig zu machen oder infolge von neuen Technologien (z. B. 3-D-Druck);
  • eine Zunahme des versteckten Protektionismus mit aggressivem Bestehen auf bestimmten „Standards“;
  • weniger verfügbarer Handelsfinanzierung seit der Krise;
  • zunehmende Unsicherheit wegen aufkommender Währungskriege.

Offene Märkte würden nach HSBC bei der Bewältigung der Krise helfen. Doch leider spricht wenig dafür. Im Gegenteil nimmt der Protektionismus weltweit zu.

Nationalistische Strömungen sind überall auf dem Vormarsch. Sei es die Idee, eine Mauer zwischen den USA und Mexiko zu bauen. Sei es das untätige Zuschauen, wie in Europa die Schengen-Zone zerfällt.

Fazit

So kommt Stephen King von der HSBC zu seiner Schlussfolgerung: Galt Japan bisher als Ausnahme, muss man jetzt konstatieren, dass die „japanische Krankheit“ um sich greift. Die vorgestellten Lösungen sind eine Mischung aus wirkungslos, begrenzt, riskant, leichtfertig und quälend langsam. Wie Japan lehrt, wird mehr Geld nicht die Lösung bringen. Im Gegenteil: Die immer lockerere Geldpolitik begünstigt Spekulation und verlängert so die instabile deflationäre Stagnation. Für uns als Kapitalanleger keine schönen Aussichten. Von jeder Seite droht Gefahr – und zwar jeweils eine andere, was eine passende Strategie umso schwieriger macht. Zwar denke ich, dass die Politik sich auf den Weg des Helikopter-Geldes versteift, doch kann es – wie hier immer wieder geschrieben – noch lange dauern, bis es so weit ist und zu lange um Pleiten und Chaos auszuschließen. Deshalb gelten weiterhin Diversifikation und Disziplin als goldene Regeln der Geldanlage.

→ WiWo.de: „Die japanische Krankheit – in der Sackgasse“, 31. März 2016