“Im Notfall starten die Helikopter”

Dieser Kommentar von mir erschien bei Cicero.de:

Der heftige US-Börsencrash zeigt: 30 Jahre Leben auf Pump fordern jetzt ihren Tribut. Der inflationären Geld- und Vermögensvermehrung folgt die deflationäre Geld- und Vermögensvernichtung. In Europa verschärft die Eurokrise das Schauspiel.

Die Schulden der Welt wachsen seit Jahrzehnten schneller als die Wirtschaftsleistung. Weltweit liegen die Schulden von Staaten, Unternehmen und privaten Haushalten mit mehr als 215 Billionen US-Dollar (325 Prozent des Welt-Bruttoinlandsproduktes) um 70 Billionen höher als noch vor zehn Jahren. In den Industrieländern wuchsen sie seit 2006 von 348 Prozent des BIP auf 390 Prozent, in den Schwellenländern – vor allem von China getrieben – von 146 auf 215 Prozent.

Schulden belasten die Weltwirtschaft

Neue Schulden haben dabei eine immer geringere Wirkung auf das Wachstum. Bewirkte ein US-Dollar neue Schulden in den 60er-Jahren noch rund 80 Cent mehr Bruttoinlandsprodukt (BIP), so sank der Wert in den 90er-Jahren auf 30 Cent und seit dem Jahr 2000 auf rund zehn Cent.

Hier liegt die entscheidende Ursache für den zunehmenden deflationären Druck und das immer geringere Wachstum der hoch verschuldeten Länder und der Weltwirtschaft insgesamt. Darüber kann auch eine Zwischenerholung, wie wir sie gerade erleben, nicht hinwegtäuschen.

Ein Teil der neuen Schulden dient nur noch dazu, die Zinsen auf den alten Schulden zu bedienen, aber nicht, um mehr Nachfrage zu generieren. Die vorhandenen Überkapazitäten führen zu Preisdruck, weil Schuldner Liquidität um jeden Preis beschaffen und Vollkosten dabei keine Rolle spielen. Der weitaus größere Teil der neuen Schulden fließt in die Vermögensmärkte und führt da zu steigenden Preisen.

Wir stehen sehr schlecht da

Die Notenbanken tragen erhebliche Mitschuld an der Entwicklung, weil sie Geld immer billiger gemacht haben, sobald eine kleine Rezession oder fallende Aktienmärkte drohten. Die Notenbankbilanzen haben sich vervielfacht, ohne damit die Realwirtschaft nachhaltig zu beleben. Noch nie standen wir nach rund neun Jahren Aufschwung so schlecht da wie heute. Das Zinsniveau schon bei null, die Staatsfinanzen keineswegs ausgeglichen – wenn man von Deutschland absieht, wobei auch dies nur die Folge der tiefen Zinsen ist.

Koste es, was es wolle: Fallende Vermögenspreise müssen verhindert werden. Fallen nämlich die Preise von Aktien und Immobilien, kommt unser ganzes Schuldengebäude zum Einsturz, weil den Schulden nicht mehr ausreichend wertvolle Sicherheiten gegenüberstehen.

Zinsen müssen dauerhaft tief bleiben

Alles, was die Notenbanken seit 2007 getan haben, diente dazu, den Schuldendeflationsprozess zu stoppen. Die unangenehme Nebenwirkung: Die Schulden wuchsen noch schneller. Man kann nämlich nicht einfach aufhören, neue Schulden zu machen, alleine schon wegen der fälligen Zinsen auf der bereits ausstehenden Schuld. Tiefe Zinsen haben zudem weitere Kreditaufnahme vor allem in den Schwellenländern befeuert. Das ist so, als wenn man bei einem baufälligen Haus Zement in das Fundament spritzt und zeitgleich oben weitere Stockwerke draufsetzt.

Und damit sind wir beim Einbruch der Börsen in den vergangenen Tagen. Vordergründig ist er nicht dramatisch angesichts der eindrücklichen Performance der Börsen seit 2009. In Wirklichkeit aber ist er ein Alarmsignal erster Güte. Zuvor waren die Zinsen auf zehnjährigen US-Staatsanleihen auf rund 2,7 Prozent gestiegen. Dieser Anstieg erfolgte mit Blick auf die Ankündigung der US-Notenbank, die Zinsen anzuheben, die gut laufende Wirtschaft in den USA und die Erwartung, dass dies auch zu höheren Inflationsraten führen wird. Offensichtlich herrscht am Markt die Auffassung, dass die hoch verschuldete Weltwirtschaft keinen Zinssatz von mehr als 2,7 Prozent bei US-Staatsanleihen verkraftet. Vor Beginn der vergangenen Finanzkrise konnten die Zinsen auf den zehnjährigen immerhin noch auf fünf Prozent steigen, bis es zur Korrektur an den Börsen kam.

Achillesferse Unternehmensverschuldung

Damals war es das Spiel mit fragwürdigen Immobilienkrediten, welches das Weltfinanzsystem an den Rand des Zusammenbruchs brachte. Diesmal ist es eine zunehmend untragbare Verschuldung der Unternehmen.

In Europa hat die Europäische Zentralbank (EZB) den Markt so weit verzerrt, dass Unternehmen mit einer schlechten Bewertung von den Investoren sogar dafür bezahlt werden, das Geld der Bank zu nehmen. So das Beispiel des französischen Abfallunternehmens Veolia, das kürzlich eine ungesicherte Anleihe mit drei Jahren Laufzeit zu einem Zinssatz von minus 0,026 Prozent platzierte. Kreditschwache europäische Unternehmen zahlen also tiefere Zinsen als die USA als größte Militärmacht der Welt.

In den USA selbst sieht es nicht besser aus. Die US-Unternehmen waren noch nie so hoch verschuldet wie heute, sowohl absolut, als auch relativ zu den entscheidenden Kenngrößen wie Cashflow, Gewinn und Eigenkapital. Alleine im vergangenen Jahr haben US-Unternehmen 1,14 Billionen US-Dollar neue Schulden gemacht. Unternehmen auf Junk-Niveau zahlen durchschnittlich weniger als sechs Prozent Zins. Dabei wissen wir aus vergangenen Kreditzyklen, dass die Gläubiger von Unternehmensanleihen im Falle einer Schieflage nur rund 35 Prozent ihres Einsatzes wiedersehen. Das Risiko ist also erheblich.

Steigen die Zinsen, schwächeln die Unternehmensanleihen

Auch in den Schwellenländern sind es vor allem die Unternehmen, die in den vergangenen Jahren die tiefen Zinsen dazu genutzt haben, mit deutlich mehr Kredit zu arbeiten. Hinzu kommt hier der deutliche Anstieg der Verschuldung in US-Dollar, was neben dem Zinsänderungsrisiko ein Wechselkursrisiko mit sich bringt, vor dem angesehene Institutionen wie die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich schon seit Längerem warnen.

Steigt der risikofreie Zins nun an, schlägt sich das überproportional im Markt für Unternehmensanleihen nieder. Über Nacht ist das Kreditausfallrisiko wieder präsent. Die Zinsdifferenz (der sogenannte „Spread“) nimmt schnell und deutlich zu, was zu einer erheblichen Verteuerung der Unternehmensfinanzierung und zugleich zu erheblichen Verlusten für die Anleger führt. Dies wiederum erhöht nochmals den Druck auf die Märkte. Ein sich selbst beschleunigender Abstieg käme in Gang.

Spekulation auf Kredit als Brandbeschleuniger

Bereits seit einem Jahr haben sich die Hoch-Risikoanleihen vom Aktienmarkt in den USA entkoppelt. Während die Börse deutlich zulegte, stagnierten die Hoch-Risiko-Anleihen auf hohem Niveau. Ein erstes Warnsignal. Seit Jahresanfang fielen die Anleihen schlechter Schuldner. Ein weiteres Warnsignal. Nun sind die Aktien der Entwicklung gefolgt. Die Anleihengläubiger sind also weniger euphorisch gewesen als die Börsianer wie meist in der Geschichte.

Der Einbruch geschah deshalb so schnell, weil die Marktteilnehmer zunehmend auf Kredit spekulieren. Nicht nur die Unternehmen sind hoch verschuldet, sondern auch die Käufer von Anleihen und Aktien. So versuchen sie in einem Umfeld von Niedrigzins, eine Zusatzrendite zu erwirtschaften. Die Kredite für Wertpapierkäufe an der Wall Street waren auf historischem Höchststand. Die Liquiditätsreserve der Investoren war so tief wie seit Jahrzehnten nicht. So viele Amerikaner wie nie erwarteten steigende Aktienkurse.

Als die Stimmung kippte, kam es zur erwartbaren Reaktion. Gerade die Investoren, die auf Kredit spekulierten, mussten schnell aus dem Markt, um massive Verluste zu vermeiden. Verstärkt wurde die Entwicklung noch durch eine massive Spekulation auf eine anhaltend geringe Schwankungsbreite an der Börse („Volatilität“). Über Jahre war diese immer weiter zurückgegangen und viele Marktteilnehmer, auch Versicherungen und Pensionsfonds, verkauften eine Art Versicherung, dass diese Volatilität nicht ansteigt. Nun ist sie deutlich gestiegen, was wiederum auf den Aktienmarkt zurückschlägt.

Die Helikopter laufen sich warm

Kurzfristig dürfte es zu einer Erholung an den Märkten kommen (sie ist sogar bereits da). Wichtiger ist jedoch die Frage, wie es danach weiter geht. 2007 hielten sich die Aktienmärkte nach ersten Interventionen noch gut, bevor sie 2008 deutlich einbrachen. Auch diesmal könnte es sein, dass es noch eine Weile dauert, bis die Solvenzprobleme an anderen Stellen im Finanzsystem auf die Börsen durchschlagen.

Sollte es dazu kommen, lehrt tatsächlich die Geschichte was wir erwarten können: Die Notenbanken der Welt werden versuchen, das Spiel noch eine Runde weiter zu treiben. Vermutlich werden wir dann den Einsatz von sogenanntem Helikoptergeld erleben: die direkte Finanzierung von Staatsausgaben durch die Notenbanken um auf diese Weise die Vermögenspreise zu stützen, die Wirtschaft zu stimulieren und zugleich Inflation zu erzeugen.

Zur Freude gibt das keinen Anlass. Schulden in Billionenhöhe können nicht mehr bedient werden. Diese Schulden müssen aus der Welt, entweder durch Pleiten und Konkurse oder durch massive Inflation. Mit den Schulden verschwinden allerdings auch die Vermögen in entsprechender Größenordnung. Die Marktturbulenzen von heute geben da nur einen kleinen Vorgeschmack.

→ cicero.de: “Im Notfall starten die Helikopter”, 6. Februar 2018

Kommentare (29) HINWEIS: DIE KOMMENTARE MEINER LESERINNEN UND LESER WIDERSPIEGELN NICHT ZWANGSLÄUFIG DIE MEINUNG VON BTO.
  1. Michael
    Michael sagte:

    Wenn diese Verräter in Notenbanken und Politik rechtzeitig die Reißleine gezogen hätten, hätten wir die Krise längst hinter uns und könnten wieder positive in die Zukunft blicken.

    Antworten
  2. Dietmar Tischer
    Dietmar Tischer sagte:

    >Schulden in Billionenhöhe können nicht mehr bedient werden. Diese Schulden müssen aus der Welt, entweder durch Pleiten und Konkurse oder durch massive Inflation. >

    Oder:

    Durch Vereinbarungen (geordneter Vermögensverzicht) oder durch starkes Wachstum.

    Letzteres ist nicht realisierbar, weil die Voraussetzungen dafür fehlen, und alles andere nicht, weil an dem DOGMA, dass KEINER verlieren darf, niemand zu rütteln wagt.

    Weil MEHR Schulden auch keine Lösung sind, sondern das Verschuldungsproblem nur noch verfestigen würden, nun also der Radikalansatz:

    Änderung des Finanzierungsmodus – ein anderes Geldsystem: Helikoptergeld statt Schuldgeld.

    Das ist soweit schlüssig und ich glaube auch, dass damit das Finanzsystem stabilisiert werden kann (was m. A. n. aber nicht hinreichend ist, das System auf DAUER zu stabilisieren)

    Stabilisieren ist nicht dasselbe wie REALWIRTSCHAFTLICHE Probleme lösen.

    Die Kurschluss-Denke von Stöcker und anderen besteht in der Annahme, dass die VERFÜGBARKEIT von Geld, d. h. Kaufkraft, sich übersetzt in NACHFRAGE und damit WIRTSCHAFTSWACHSTUM.

    Diese Annahme ist durch nichts gerechtfertigt außer durch den GLAUBEN, dass Menschen, die Geld haben, es ausgeben.

    Das ist zwar insoweit richtig, wie Menschen Bedürfnisse haben, denen sie durch Erfüllung von Grundbedarfen gerecht werden müssen, um existieren zu können. Und es ist auch richtig, dass Menschen darüber hinaus Bedürfnisse haben, die sie sich erfüllen wollen, obwohl sie auch ohne sie existieren könnten, z. B. das 2. Automobil.

    Das funktioniert unter bestimmten Bedingungen weitgehend problemlos.

    Es reicht aber nicht für die Fortschreibung, dass – egal, was die Bedingungen sind – NUR Geld das Problem sei und es mit mehr Geld keine Probleme mehr gibt oder, wenn doch, dass sie gelöst WERDEN, wenn nur genug Geld da sei.

    Jetzt kommt natürlich der Einwand:

    Mehr Geld, nicht schuldbehaftetes Geld, ist nur die VORAUSSETZUNG für Lösungen, z. B.

    >… die Beendigung einer in dieser Größenordnung völlig unnötigen humanitären Katastrophe im Süden Europas.>,

    wie M. Stöcke es am anderen Thread konkretisiert.

    Wie soll denn das REALWIRTSCHAFTLICH funktionieren, wenn die humanitäre Katastrophe eine REALE wirtschaftliche ist?

    Kein Wort dazu, sondern die Ausblendung von Grundeinsichten, hier einer von A. Smith, die – sorry, aus dem späten 18. Jahrhundert –, nicht überholt ist, sondern seitdem immer wieder bestätigt wurde:

    „Es ist nicht die Mildtätigkeit des Metzgers, Brauers oder Bäckers, die uns unsere Mahlzeit verschafft, sondern deren Eigeninteresse … wir treten nicht an sie heran mit dem, was wir für uns als notwendig erachten, sondern mit dem, was IHREN Interessen dient“

    Dient es den Interessen des Metzgers, Brauers oder Bäckers, wenn wir mit einem Bündel von Geldscheinen an sie herantreten?

    Natürlich nicht.

    Metzger, Brauer, Bäcker würden ebenso an uns mit einem Bündel von Geldscheinen herantreten und wir würden feststellen, dass es uns nichts nützt.

    Geld nützt nur etwas, wenn GÜTER oder DIENSTLEISTUNGEN dahinterstehen, d. h. jemand diese BEREITS erbracht hat bzw. sie weiterhin erbringen will und erbringen kann.

    Im Süden Europas werden sie nicht hinreichend erbracht, obwohl dort mit erheblichen Finanzierungserleichterung, z. T. sogar de facto-Geldgeschenken (Griechenland), Voraussetzungen geschaffen wurden, sie zu erbringen.

    Am Geld kann es offensichtlich nicht liegen.

    Woran liegt es dann?

    Überflüssige Fragen, denn Helikoptergeld wird es richten – die Rede ist von der BEENDIGUNG –, allein dadurch, dass es da ist.

    Und daher KEIN Wort, wie der gesamtgesellschaftliche politische WILLE, überkommene ANSPRÜCHE mit auch sehr schmerzhaften Eingriffen ENTWERTEN kann, d. h. tiefgreifende STRUKTURVERÄNDERUGNEN durchsetzen wird.

    Das ist weniger als Voodoo-Ökonomie.

    Das ist AUSBLENDUNG der Realität und IRREFÜHRUNG der Menschen.

    Antworten
    • Michael Stöcker
      Michael Stöcker sagte:

      @ Dietmar Tischer

      Das zentrale Problem sind persistente Leistungsbilanzungleichgewichte aufgrund asymmetrischer Verschuldungsprozesse (insbesondere 2002 bis 2008) sowie der Matthäus-Effekt. Ein großer Teil der Kredite im Süden Europas kann rein logisch nicht bedient werden, solange sich diese Ungleichgewichte nicht umkehren; denn nur auf diesem Wege fließen die finanziellen Mittel in den Süden zurück, mit dem sodann die Bankkredite getilgt werden können. Von einer Umkehr ist weit und breit nichts zu sehen und die Bundesregierung trickst mit Hilfe des Statistischen Bundesamtes mit den Statistiken, dass einem schon schwindelig werden kann bei solcher Schwindelei. Die Importe (+ 5,2 %) sind nämlich relativ gesehen 2017 stärker gestiegen als die Exporte (4,7 %). Und schon haben wir das Problem weggeschummelt, obwohl der Überschuss immer noch bei rund 8 % des BIP liegt und die Exporte in absoluten Zahlen immer noch um 5,2 Mrd. stärker angestiegen sind als die Importe. Und Frau Zypries hatte bei der Pressekonferenz null Ahnung, worüber sie das so sprach: https://youtu.be/rEoPPLakYYY?t=979.

      Das ist AUSBLENDUNG der Realität und IRREFÜHRUNG der Menschen.

      Ich habe nicht behauptet, dass ein solches Konzept die eierlegende Wollmilchsau ist. Die tiefen strukturellen Probleme müssen Griechenland & Co. schon selber lösen; und wir ebenfalls.

      LG Michael Stöcker

      Antworten
      • Dietmar Tischer
        Dietmar Tischer sagte:

        @ Michael Stöcker

        >Die tiefen strukturellen Probleme müssen Griechenland & Co. schon selber lösen; und wir ebenfalls.>

        Und lösen sie diese SELBER, d. h. in dem Rahmen, in dem sie von ihnen zu lösen sind?

        Nein, jedenfalls NICHT hinreichend, obwohl es Hilfe – Insolvenzvermeidung und „Kostenbeihilfe“ durch ESM und QE der EZB gab und immer noch gibt.

        Kurzum:

        Ihre Begründung, dass die Kredite nicht bedient werden können, ist weitgehend ENTWERTET, weil die Kredite nicht bzw. nicht voll umfänglich bedient werden MUSSTEN und immer noch nicht müssen.

        Tatsache ist vielmehr, dass die Menschen im Süden sich nicht den tiefen Strukturveränderungen aussetzen wollen, die nun einmal nötig sind, um – auf IHRER Seite – die Leistungsbilanzungleichgewichte abzubauen.

        Soweit ich zurückblicke, haben sie das NIE getan.

        Sie haben vielmehr kompensatorisch IMMER ihre Währungen abgewertet und wir unsere aufgewertet.

        Das ist die Tragik:

        Sie sollen etwas tun, zu was sie nicht fähig sind.

        Und, auch Tragik, wir müssen nicht tun, was für unsere Wohlstandssicherung notwendig ist.

        Geld löst diese Euro-bedingte strukturelle Schieflage nicht.

      • Lutz
        Lutz sagte:

        Was tun wir eigentlich um die Leistungsbilanzungleichgewichte auf UNSERER Seite abzubauen ?
        Ich höre seit Jahren nur Jubelmeldungen über unsere Exporterfolge, das wir schon immer ein Überschussland waren und bleiben wollen; nein sogar müssen, da wir ja demografisch schwinden.
        Kurzum Überschüsse sind hui, Defizite hingegen sind pfui. Wir erwarten jedes Jahr das sich das Ausland bei uns verschuldet, um es dann dafür zu kritisieren, das es diese Defizite macht. Das ist doch schizophren.
        Also noch mal, was tun wir in Deutschland konkret, um die Ungleichgewichte abzubauen ? Erschweren wir es mit unserer Wirtschaftsstruktur nicht eher den Defizitländern ihre Defizite abzubauen, unabhängig von Strukturreformen. Wieso muss Deutschland einen Aussenhandelsbeitrag von 40 % bis 50 % haben und wieso wird der bis aufs Messer verteidigt, wenn es letztlich keinen Ausgleich gibt. Oder wie Stelter es schreibt, wir unsere Güter und Dienstleistungen verschenken, statt sie selbst zu nutzen (konsumieren und investieren in Deutschland).

        Herr Tischer es ist immer leicht mit dem Finger auf andere zu zeigen. Die eigenen Versäumnisse so deutlich zu adressieren scheint, wesentlich schwieriger zu sein.

        MfG Lutz

      • Dietmar Tischer
        Dietmar Tischer sagte:

        @ Lutz

        Ich zeige nicht mit dem Finger auf andere, jedenfalls nicht in dem Sinn, ihnen „Schuld“ oder Versagen vorzuwerfen.

        In einem System, in dem Wettbewerb das Prinzip ist – zuerst einer von Menschen und Unternehmen, aber erweitert begriffen auch von Nationen oder Wirtschaftsräumen –, geht es darum, sich auf die GEGEBENHEITEN einzustellen, vorausgesetzt natürlich, dass sie regulativ fair sind.

        Das gilt für uns genauso wie für andere.

        Wenn andere auf DAUER ihren Wohlstand erhöhen wollen, können sie nicht kontinuierlich bei anderen verschulden oder sich durch andere mit Transfers alimentieren lassen, sondern müssen Güter und Dienstleistungen schaffen und anbieten, die andere haben möchten und möglichst teuer bezahlen.

        Schaffen sie das nicht aus welchem Grund auch immer – es muss nicht an ihrer Kompetenz liegen, sondern kann auch durch Anderes bedingt sein (Geografie, Klima, Rohstoffe etc.), dann können sie ihren Wohlstand nicht steigern.

        Das ist die REGEL, idealtypisch natürlich, aber dennoch als ANERKANNTES Prinzip.

        Wir erwarten NICHT, dass sich das Ausland bei uns verschuldet und noch nicht einmal, dass es sich überhaupt verschuldet, um bei unsere Waren und Dienstleistungen zu erwerben.

        Wir ARBEITEN mit unseren Angeboten und HOFFEN, dass sie diese annehmen und kaufen.

        Bisher jedenfalls haben wir allen Grund, diese Hoffnung zu haben, weil ihnen unsere Produkte und Dienstleistungen offensichtlich NUTZEN und sie FREIWILLIGE kaufen. Wir zwingen jedenfalls niemanden mit der Knarre am Kopf, bei uns zu kaufen. Allerdings: Als stärkste Wirtschaftsmacht der EU agieren wir natürlich mit der MARKTMACHT dieses Wirtschaftsraums, um unsere Exporte abzusichern, was übrigens andere, insbesondere die USA und China auch tun.

        Wenn es nicht mehr so sein sollte, d. h. z. B. die Amerikaner und Chinesen nicht mehr so viele Automobilie unserer Hersteller kaufen, dann haben wir das zu AKZEPTIEREN, aber niemanden zu beschuldigen.

        Das ist die Auffassung, die MASSGEBEND unser Handeln leiten sollte.

        Saldenmechanik besagt etwas über Gleichgewichte oder Ungleichgewichte, ist aber nicht maßgebend dafür, welche Löhne die Tarifpartner der Exportindustrien vereinbaren sollten. Leute wie Flassbeck, die das immer wieder wissen wollen, sind diesbezüglich unbeachtlich.

        Uns geht es blendend, haben wir uns also keine Versäumnisse vorzuwerfen?

        Weit gefehlt.

        Wir erkennen nicht, dass wir natürlich ein RISIKO eingehen, wenn unser Wohlstand so erheblich wie es der Fall ist, von der Bereitschaft ANDERER abhängt, unsere Waren und Dienstleistungen zu kaufen. Da wir dies nicht erkennen, bereiten wir uns auch nicht für den Fall vor, dass sie es nicht mehr tun. Wir können z. B. Trump beschimpfen und anklagen, wenn er die Zölle für unsere Güter erhöht, sie damit teurer macht und den Absatz drosselt. Wir können aber letztlich NICHTS dagegen tun, wenn er trotz unserer Vergeltungsmaßnahmen dabei bleibt.

        Mit Blick auf diesen Aspekt, MÜSSTEN wir die Handelsbilanzüberschüsse abbauen. Das würde Friktionskosten bedeuten. Wir sind offensichtlich nicht willig, diese auf uns zu nehmen.

        Wir erkennen des Weiteren nicht, dass wir bei weitem nicht genug dafür tun, unsere POSITION im Welthandel zu erhalten, selbst wenn es keinen Protektionismus geben wird. Andere, insbesondere die Chinesen, werden ERKENNBAR besser und innovativer. Wenn wir in der Bildung nicht erheblich AUFHOLEN – ja, wir liegen da deutlich ZURÜCK – werden sich unsere Überschüssen zwangsweise abbauen und wir an Wohlstand verlieren.

        Wir tun also durch Untätigkeit bzw. falsches Verhalten schon etwas, dass sich zukünftig die Handelsbilanzüberschüsse abbauen werden.

        Wir erkennen nicht, dass wir nachlassen, in unserer Paradedisziplin PRODUKTIVITÄTSSTEIGERUNG zu glänzen. Wir hatten in der Vergangenheit nicht wie jetzt in der Eurozone einen erheblichen Teil unserer Exporterfolge einer unterbewerteten Währung zu verdanken, sondern hatten uns bzw. wurden mit Aufwertungen der DM unter Druck gesetzt, die Produktivität zu erhöhen und innovativer zu werden.

        Wir werden an Wettbewerbsfähigkeit verlieren und tragen dazu bei, dass sich zukünftig die Handelsbilanzüberschüsse abbauen.

        Wir, die sicherheitsbewussten, Risiken abgeneigten Deutschen erkennen nicht, dass es dumm ist, in einer hoch verschuldeten Welt anderen unsere Überschüsse zu verleihen, statt sie zu investieren. Hier geht es nicht um die ERWIRTSCHAFTUNG von Überschüssen, sondern um deren VERWENDUNG. Das sind erst einmal zwei unterschiedliche Aspekte, obwohl sie natürlich letztlich zusammenhängen.

        Wir sind auf dem Weg in zukünftige relative Armut.

        Fazit:

        Der Sachverhalt mit unseren Exporterfolgen und Handelsbilanzüberschüssen ist zwar problematisch (auch weil andere einen Nachteil für sich darin sehen), aber an sich keineswegs schizophren und schon gar nicht geeignet, uns Schuldgefühle aufzuladen.

        Er gibt aber Anlass zu großer Besorgnis mit Blick auf unser Verhalten.

    • Thomas
      Thomas sagte:

      >Diese Annahme ist durch nichts gerechtfertigt außer durch den GLAUBEN, dass Menschen, die Geld haben, es ausgeben.

      Glaube würde ich das nun nicht nennen, schließlich korreliert das Geldausgeben doch sehr hoch mit dem Einkommen. Sicherlich würde ein Teil das Geld sparen, aber gerade Menschen mit kleinen Einkommen werden das wohl rasch wieder ausgeben wollen und müssen. Was das nun für das Wachstum bedeutet, sei mal dahingestellt. Da bin ich ja dabei, dass man strukturelle Veränderungen nicht durch Geld bewirkt.

      Ich finde Helikoptergeld an Bürger – bitte nicht den Staat! – als Instrument zumindest weniger verwegen als 0- oder gar Negativzinsen in der Hoffnung, dass dann Firmen Kredite aufnehmen oder ihre Guthaben investieren und sich das dann in Wachstum niederschlägt. (So man dies als einen Grund für die Niedrigzinspolitik anerkennen möchte.)

      >Und daher KEIN Wort, wie der gesamtgesellschaftliche politische WILLE, überkommene ANSPRÜCHE mit auch sehr schmerzhaften Eingriffen ENTWERTEN kann, d. h. tiefgreifende STRUKTURVERÄNDERUGNEN durchsetzen wird.

      Ich bin recht sicher, dass es hier nicht in großer Zahl der Bürger zu einer vernünftigen Einsicht kommen wird, sondern eher an eine automatische Anpassung der Ansprüche an die von selbst entstehenden Realitäten.

      Vielleicht fällt es vielen nicht mal groß auf. Infrastruktur verfällt schleichend und durch den technologischen Fortschritt kann man sich heute viele Konsumergüter /- services auch für kleines Geld oder gar gratis (durch Werbung finanziert) leisten.

      Antworten
      • Dietmar Tischer
        Dietmar Tischer sagte:

        @ Thomas

        >Glaube würde ich das nun nicht nennen, schließlich korreliert das Geldausgeben doch sehr hoch mit dem Einkommen.>

        Das stimmt, wenn das Einkommen so erzielt wird, wie es bisher der Fall ist – durch Leistung.

        Wenn es LEISTUNGSLOS erzielt wird, wie bei Helikoptergeld, ist offen, wie weit eine Korrelation dann noch gegeben ist.

        Es gibt jedenfalls die These, dass die Leute dem Braten nicht trauen und befürchten, dass das empfangene Helikoptergeld zurückgefordert wird und sie es daher nicht ausgeben.

        Ich würde diesen Aspekt nicht zu hoch hängen, genauso wenig wie bei Steuersenkungen.

        Aber wir haben hier schon eine völlig neue Situation, eben einen Paradigmenwechsel.

        Wenn Sie gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen sind, weil es „motivationspsychologisch blanker Unsinn“ ist, dann müssen Sie sich auch fragen, ob – bei allen Unterschieden zum Helikoptergeld – es dabei nicht auch ein wenig in Richtung von Unsinn geht und zwar auch dann, wenn man „mit kleiner Dosis“ anfängt und auch dabei bleiben will (M. Stöcker).

        Warum nicht eine Steuersenkung – das wäre doch auch eine kleine Dosis?

        Es geht letztlich um wesentlich mehr als dies, ist meine Befürchtung und nicht nur meine.

        >Ich bin recht sicher, dass es hier nicht in großer Zahl der Bürger zu einer vernünftigen Einsicht kommen wird, sondern eher an eine automatische Anpassung der Ansprüche an die von selbst entstehenden Realitäten.>

        Das ist auch meine Meinung.

        Es geschieht mit Akzeptanz des technologischen und sozialen Wandels (u. a. Demografie, Migration etc.).

        Die Frage ist für mich, der ich das als „Anpassung nach unten“ verstehe hinsichtlich der ANSPRÜCHE, ob das gesellschaftlich einigermaßen konfliktfrei zu schaffen ist.

      • Thomas
        Thomas sagte:

        @ Herr Tischer:

        >Wenn Sie gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen sind, weil es „motivationspsychologisch blanker Unsinn“ ist, dann müssen Sie sich auch fragen, ob – bei allen Unterschieden zum Helikoptergeld – es dabei nicht auch ein wenig in Richtung von Unsinn geht und zwar auch dann, wenn man „mit kleiner Dosis“ anfängt und auch dabei bleiben will (M. Stöcker).

        Das ist klare Logik und wenn man dem Faden ans Ende nachgeht: Für die, die sich jetzt bereits mit Hartz IV eingerichtet haben – und ich denke jetzt an die jungen und gesunden Empfänger, die nicht arbeiten wollen – senkt das freie Geld sicherlich den Anreiz noch weiter. Punkt angenommen.

        >Warum nicht eine Steuersenkung – das wäre doch auch eine kleine Dosis?

        Mit substantiellen Änderungen tut sich ja die Regierung schwer und wenn es steueraufkommen-neutral sein soll, muss woanders was hoch, das schmeckt dann wieder einem Teil der Wähler nicht. Das elegante am Helikoptergeld wäre ja, dass alle was bekommen und die Umverteilung “statistisch sauber” und nicht politisch verzerrt erfolgt.

        (Allein deswegen kann ich mir schon nicht vorstellen, dass es direkt an die Bürger gehen würde. “Was? Die Reichen sollen jetzt noch mehr Geld bekommen… wir die XYZ sind dagegen und dafür, lieber Gruppe ABC noch etwas mehr zu geben.” Vielleicht auch noch zur Einordnung: Ich bin nun kein Fan von Helikoptergeld und hatte das bis dato als finale Bankrotterklärung eingestuft. Ich versuche mich da nur einmal neutral mit zu befassen, um es zu verstehen und mir eine Meinung zu bilden.)

        >Es geht letztlich um wesentlich mehr als dies, ist meine Befürchtung und nicht nur meine.

        Ja, da fehlen dann die korrigierenden Elemente bzw. jede Leitlinie. 10, 50, 500? Was nimmt man…

        >Die Frage ist für mich, der ich das als „Anpassung nach unten“ verstehe hinsichtlich der ANSPRÜCHE, ob das gesellschaftlich einigermaßen konfliktfrei zu schaffen ist.

        Tja, mit Politik, die zu den “natürlichen” Konflikten noch neue dazu gestaltet, Medien, die Gräben zwischen gesellschaftlichen Gruppen ziehen, und Einrichtungen wie Gewerkschaften, Wohlfahrts- oder Umweltverbände, für die Konflikte teilweise sogar Geschäftsmodell sind und diese entsprechend im Marketing aufbereiten… vielleicht kämen wir als deutsche Gesellschaft sogar gemeinsam noch dadurch. Aber ich fürchte, da werden zu viele Spaltpilze durch uns durchgetrieben. Ich will hier nicht schwarzmalen, aber seit ein paar Jahren wächst meine Befremdung deutlich schneller als meine Zuversicht.

    • Alexander
      Alexander sagte:

      –>Dieser Gedanke entspringt aus großzügigen Gefühlen, aus reinen Absichten. Gerade dadurch hat er so schnell die Sympathie der Massen gewonnen, und dadurch reißt er auch einen Abgrund unter unseren Füßen auf, wenn er falsch ist

      Die öffentlichen Finanzen werden schnell vollkommen in Unordnung geraten. Wie könnte es anders sein, wenn der Staat auf sich nimmt, alle mit allem zu versorgen? Das Volk wäre erdrückt von Steuern, man emittiert eine Anleihe nach der anderen, nachdem man die Gegenwart erschöpft hat, verschlingt man die Zukunft.

      Schließlich, da es im Prinzip einmal anerkannt ist, dass der Staat zu Gunsten der Bürger Brüderlichkeit ausüben soll, wird man das ganze Volk in Bittsteller verwandelt sehen. Grundeigentum, Landwirtschaft, Industrie, Handel, Seefahrt, Industrieunternehmen, alles eifert, Vergünstigungen des Staates zu fordern. Der Staatshaushalt wäre buchstäblich zur Plünderung freigegeben. Jeder hätte gute Gründe zu beweisen, dass die gesetzliche Brüderlichkeit in diesem Sinne interpretiert werden muss: “Die Vorteile für mich und die Lasten für die anderen.” Alle Anstrengung wird sich darauf richten, der Gesetzgebung einen Fetzen des brüderlichen Privilegs zu entreißen. Die leidenden Klassen hätten wohl die meisten Rechtstitel, doch nicht immer den meisten Erfolg. So wird ihre Menge sich unaufhörlich erhöhen, mit der Folge, dass man nur von Revolution zu Revolution schreiten kann. <–

      http://www.bastiat.de/bastiat/schriften/bruederlichkeit.html
      (Frederic Bastiat 1801-1850)

      Antworten
      • Michael Stöcker
        Michael Stöcker sagte:

        Wie wäre es mal mit stichhaltigen Gegenargumenten, statt mit Zitaten aus dem vorletzten Jahrhundert, die damals durchaus ihre Berechtigung gehabt haben mögen. Ideologische Prädispositionen helfen bei der aktuellen Problemlage nicht weiter.

        LG Michael Stöcker

      • Alexander
        Alexander sagte:

        @Michael Stöcker

        Seit dem vorletzten Jahrhundert sind diese Utopien mehrmals versucht und durch Katastrophen widerlegt worden, aber das genügt nicht?

        Jede Form von verschenktem Geld zerstört entweder die Kaufkraft des Geldes (auch in Form von Vermögenspreisinflation) oder es zerstört den Leistungswillen der Produzenten, deren Engagement man selbsttragend voraussetzt. Beides ist -jetzt- schon zu beobachten in Form von:
        – absurden Preisen für Anlagen
        – Investitionszurückhaltung
        – Zombiefizierung durch verantwortungslose Hasardeure.

        Falls sie persönlich das nicht in ihrem Umfeld finden, heißt das nicht, es gäbe diese Entwicklung nicht.

        Anstelle mehr Planwirtschaft braucht der “Markt” Anreize für Engagement. Nicht mehr Zwang sondern mehr Freiheit ist die Lösung (auch eine Stunde nach zwölf) am Ende eines Kreditgeldsystems.

        Seit >25 Jahren richten sich Anreize ausschließlich an die Geldwirtschaft nicht an die Eigentümer. Dieser feine Unterschied hat ideologische Gründe, weil der Marxismus absolut nicht tot ist.

      • Thomas
        Thomas sagte:

        Ich seh’s noch immer so wie vor nunmehr sechs Jahren: Wenn schon Gratisgeld bzw. präziser Gratiskredit, dann bitte für alle und nicht nur für die High Finance.

        Auch ohne viel Ahnung meinerseits ist es genauso gekommen, wie ich damals dachte: Bei Mainstreet kam nix an und Inflation zumindest für Verbrauchsgüter auch Fehlanzeige. Nun gut, manchmal ist Kenntnis der groben Mechanismen und Intuition schon ausreichend auch ohne mathematische Modelle.

        Ich finde Helikoptergeld auch extrem schräg, aber im Endeffekt könnte man das auch als eine Art spezielle Steuer sehen, wo sich KEINER in der betroffenen Währung drücken kann. Für die Sachwerte ist es ja zunächst einmal egal (sekundäre Mechanismen beiseitegelassen). Sorge macht man sich ja um den Geldwert seines Gesparten / Kaufkraftverlust. Mache ich mir auch…

        Ich hab mir das mal in Excel als Mini-Modell zusammengeklickert und einfach die schiefe Verteilung der Vermögen in fünf Zellen zugrundgelegt, dahinter dann die Anzahl Personen mit entsprechenden Vermögen gesetzt und geguckt, was passiert, wenn man jetzt jedem ein paar Tausend Euro schenkt und wie sich anschließend die %-Vermögensverteilung gestaltet. Unterstellen wir einmal einfach, dass dies dann der Kaufkraft entspricht und machen einen Vorher-Nachher-Vergleich.

        Am unteren Ende, also bei den rund 25% faktisch mittellosen im gefühlt reichen Deutschland vervielfacht sich die Kaufkraft. Auch in der nächsten Kategorie mit kleinen Guthaben gibt es deutlich mehr Kaufkraft. In der Mitte schwindet dieser Effekt und oben sinkt die Kaufkraft. Aber: Die “Reichen” und “Superreichen” mit 1 Mio. oder 10 Mio. Guthaben verlieren in meinem ganz groben Modell 1%-Punkt auf einem Niveau von rund 50%, während unten 25% ein Vervielfachung ihrer Kaufkraft erfahren.

        Klar, das ist nur über den ganz dicken Daumen grob mal schnell zusammengebaut, weil es mich interessierte. Aber bei extrem nicht-linearen Verteilung (also sehr wenige Leute haben sehr viel und umgekehrt) ist es schon interessant und aufschlussreich zu gucken, was dann eine lineare Maßnahme (jeder – auch die Mittelschicht und ja auch die Reichen bekommen Geld) sich dann auf die Verteilung auswirkt.

        Vielleicht gibt es das ja auch schon als (verständliches) Paper oder Präsentation irgendwo… in den Details sind meine Zahlen definitiv nicht korrekt, aber der in der Wirkung nichtlineare Transfer wird im Grundsatz stimmen. Ansonsten bitte korrigieren…

        Aber der *eigentliche* Clou ist der folgende und deswegen bin ich da mittlerweile mit versöhnt (vor allem vor dem Hintergrund, dass wir jetzt rote Minister haben, obwohl >50% konservativ/liberal gewählt haben): Anders als bei sozialistisch immer wieder geforderten Steuern bei „Reichen“ (aus der Sicht der Sozialisten) braucht man sich bei Helikoptergeld kein Sorgen machen, dass
        a) die *wirklich* Reichen ausweichen
        b) die Mittelschicht die Zeche zahlt
        c) der Staat die Kaufkraft für mehr oder weniger sinnige Sachen mehr oder weniger erfolgreich verschleudert
        d) beim “kleinen” Mann am Ende nur Brosamen ankommen

        Und abschließend: Ich bin kategorisch gegen bedingungsloses Grundeinkommen, weil das motivationspsychologisch blanker Unfug ist. Das können wir irgendwann mal machen, wenn wir Star Trek-Produktions-Niveau erreicht haben, aber bis dahin müssen wir morgens aufstehen und Sachen machen, die wir in der Regel nicht machen würden, wenn wir nicht müssten zum Broterwerb.

        Also Helikoptergeld nur in kleinen Dosen und nicht so weit, dass die Leute ihre Jobs aufgeben können.

        Puh, da hatte es mich gerade mitgerissen.

        Helau :)

      • Michael Stöcker
        Michael Stöcker sagte:

        @ Alexander

        „Jede Form von verschenktem Geld zerstört entweder die Kaufkraft des Geldes (auch in Form von Vermögenspreisinflation) oder es zerstört den Leistungswillen der Produzenten, deren Engagement man selbsttragend voraussetzt.“

        Bitte nicht so martialisch. Es geht nicht um Zerstörung, sondern um eine Zielinflation von 2 %, damit Geld nicht zu einem eigenständigen Asset wird. Nicht umsonst verfolgen alle großen Notenbanken dieses Ziel. Haben Hans-Werner Sinn et al. leider bis heute nicht verstanden.

        Und wieso bitte schön zerstört dies den Leistungswillen der Produzenten? Das Ziel der Produzenten ist nicht die Mehrproduktion, sondern die Rendite. Und diese ist IMMER monetärer Natur. Mit einer leichten Inflationierung via Helikoptergeld für die Hauptstraße lässt sich eine solche gewünschte monetäre Rendite dauerhaft realisieren. Der Leistungswille der Produzenten wird vielmehr durch fehlende Nachfrage zerstört; denn dann passen sie ihre Kapazitäten nach unten an.

        LG Michael Stöcker

      • Johann Schwarting
        Johann Schwarting sagte:

        Noch einige Zitate aus dem vorletzten Jahrhundert:

        “Der Staat ist die große Fiktion, mit deren Hilfe sich alle bemühen, auf Kosten aller zu leben.” (Frederic Bastiat, 1850)

        “Jede Anleihe muß nämlich wenigstens verzinst, womöglich auch amortisiert werden. Das Deficit zeigt eben, daß die bestehenden Steuern dazu nicht ausreichen. Jede Anleihe erfordert daher eine Steuererhöhung um den Betrag des Zinses und der Amortisierungsquote derselben. Es leuchtet ein, daß, wo eine solche Steuererhöhung gleichzeitig mit der Anleihe stattfindet, der Zins der gemachten Anleihe nur noch durch neue Anleihen gedeckt werden kann, was seine Grenze in sich selbst findet.”
        (Lorenz von Stein, 1860)

        “Ein Staat, der seinen Kredit benutzt, verfügt über Hülfsmittel, die er in den künftigen Einkommen des Volkes zu finden hofft. Es leidet keinen Zweifel, daß die Benutzung dieser Hülfsquelle begrenzt ist. Wenn sich auch nicht bestimmt angeben läßt, wie stark und wie schnell das Einkommen einer Nation noch wachsen, und der wievielte Theil dieses Einkommens für allgemeine Zwecke gesammelt werden kann, so weiß man doch, daß es eine Grenze giebt, die man nicht übersteigen darf, ohne das Kapital des Landes anzugreifen, die Quelle selbst, aus der man schöpfen will, zu zerstören und das Volk in Armuth und Verzweiflung zu stürzen.”
        (Friedrich Nebenius, 1820)

        “Wenn Staatsschulden einmal bis zu einem gewissen Grad angehäuft sind, so läßt sich, glaube ich, kaum ein einziges Beispiel für ihre richtige und vollständige Bezahlung anführen. Die Erleichterung der öffentlichen Finanzen, wenn sie überhaupt jemals erreicht wurde, konnte immer nur durch einen Bankrott herbeigeführt werden, mehrfach durch einen offen erklärten, immer aber durch einen tatsächlichen Bankrott, auch wenn dabei behauptet wurde, es sei zurückgezahlt worden.”
        (Adam Smith, 1776)

        “Nichts ist richtiger als daß jeder Staat, der immerfort borgt, der nie die vorher gemachten Schulden abzahlt, endlich untergehen muß. Sieht man also einen Staat schon eine geraume Zeit hindurch in diesem Fall, und kann aus seinen Verhältnissen mutmaßen, daß er nie solange Muße behalten werde, um seine Schulden bis zu einem gewissen Punkt zu vermindern, sondern vielmehr durch die Umstände genötigt sein werde, sie noch mehr zu vergrößern, so kann man diesem Staat ganz richtig den Untergang prophezeien.”
        (Karl August von Struensee, 1800)

        “Ein Recht auf Kredit gibt es nicht.” (Wilhelm Schimmelpfeng, 1873)

        Quelle: http://www.dasgelbeforum.net/forum_entry.php?id=397242

      • Alexander
        Alexander sagte:

        @ Michael Stöcker
        -eine Zielinflation von 2 %, damit Geld nicht zu einem eigenständigen Asset wird.
        Geld ist kein Asset sondern eine Forderung auf Leistung. Die 2% sind zusätzliche Einnahme für den Geldmonopolisten als Käufer der ersten Instanz. Die stete Inflation eine Propagandalüge um jeden Druck politische Fehlentscheidungen zu korrigieren zu vernebeln. Deflation ist systemisch in einem Kreditgeldsystem und kann nicht durch unendliche Inflationierung gelöst werden. Der Markt sucht sich immer günstigere Standorte und jene am Heimatstandort Gefangene erleiden diesen Kaufkraftverlust (=Ziel-Infla).

        Gefangen sind Eigentümer, nicht die Geldwirtschaft.
        Ausgeliefert sind Eigentümer dem fallenden Eigenkapitalzins und der maßlosen Gesetzgebung (vgl.Bastiat – Gerechtigkeit vs Brüderlichkeit).
        Zerstört wird Leistungswille durch progressive Besteuerung und kalter Progression, wenn die Rendite nach Steuern (vgl. Eigenkapitalzins) zur Verschuldung zwingt. Verschuldung heißt Verpfänden von Eigentum in einem Spiel wo man ohne Preissetzungsmacht seit > 25 Jahren nur noch – Eigentum- verlieren kann.

        Die umfassende Propaganda, dass Besitz (Leasing, Miete) ein evolutionärer Fortschritt sei, ist Verdummung. In Wirklichkeit fallen alle verpfändeten Eigentümer an den Geldmonopolisten = Verstaatlichung.

        Sobald die Schuldner verstanden haben, dass sie nie mehr Eigentümer ihres Unternehmens sein werden – ändert sich die Art der Betriebsführung. Es entwickeln sich dann Zustände, die gesetzliche Regelungen erfordern (Leiharbeit, Mindestlohn)…. weil nur Eigentümer an fairer Bezahlung interessiert sind, damit ihre Anlagen durch engagierte Mitarbeiter langen Kapitalzins abwerfen, bevor sie untergehen.

        Schäden haben wir schon lange zu beklagen, man muss allerdings danach suchen, weil niemand “sein” scheitern gerne zugibt. Den größten Schaden sehe ich kulturell, wenn sich eine Gesellschaft von “Freien” in eine von abhängigen Untertanen verwandelt.

        Die Lehre von Eigentumslosigkeit (=Marxismus) passt bestens in die Wünsche der Großindustrie, die gerne global agiert und ganz besoffen von ihrer Macht ist. Großindustrielle der USA haben im 19. Jahrhundert per Militär Streiks beenden lassen und das FED System installiert um der Deflation ein endgültiges Ende zu machen. Präsidenten werden dort gemacht – wie ein Macron mit freundlicher Unterstützung der Axa Group.

      • Michael Stöcker
        Michael Stöcker sagte:

        @ Alexander

        „Geld ist kein Asset sondern eine Forderung auf Leistung.“

        Geld – im Sinne von Zentralbankgeld – ist natürlich keine Forderung, sondern stets das Geforderte. Dass man für sein Geld dennoch in der Regel etwas KAUFEN kann liegt am Schuldendruck der Kreditnehmer. Insofern spreche ich bei Geld lieber von einem unspezifischen Anspruch auf das BIP. Allein auf Basis eines Geldscheins können Sie aber von niemandem etwas fordern.

        Zu einem Asset wird Geld in einem deflationären Szenario, da die Realverzinsung über Null liegt. Damit wird Geld gegenüber vielen anderen Anlageklassen privilegiert. Und das ganz ohne unternehmerisches Risiko. Damit ist Geld nicht mehr Mittel zum Zweck, sondern wird zum Zweck an sich.

        „Die 2% sind zusätzliche Einnahme für den Geldmonopolisten als Käufer der ersten Instanz.“

        Nicht so bei QE4P.

        „Deflation ist systemisch in einem Kreditgeldsystem und kann nicht durch unendliche Inflationierung gelöst werden.“

        Was denn nun: Deflation oder Inflation?

        „Gefangen sind Eigentümer, nicht die Geldwirtschaft.“

        Bitte begründen.

        „Zerstört wird Leistungswille durch progressive Besteuerung und kalter Progression, wenn die Rendite nach Steuern (vgl. Eigenkapitalzins) zur Verschuldung zwingt.“

        Die Realität spricht hier doch ganz klar eine andere Sprache: Die USA hatten in ihrer erfolgreichsten Phase bis in die 60er Jahre Grenzsteuersätze über 90 %. Und zu einer Verschuldung wird keiner gezwungen. Sie ist aber im richtigen Verhältnis auch kein Bug, sondern das notwendige Feature in einem Kreditgeldsystem. Das Problem ist die einseitige Geldvermögensakkumulation aufgrund des Matthäus-Effekts. Eine hohe progressive Steuer sowie eine konsequente Erbschaftssteuer wirken hier systemisch ausgleichend. Nur so wird einseitige Machtkonzentration verhindert und somit die Freiheit des einzelnen vor der Diktatur der Geldeliten geschützt.

        LG Michael Stöcker

      • Daniel Stelter
        Daniel Stelter sagte:

        Allerdings haben damals nur Einzelpersonen die abhängig beschäftigt waren, diese Steuersätze gezahlt. Alle anderen haben die damals noch viel größeren Ausweichmöglichkeiten genutzt.

      • Alexander
        Alexander sagte:

        @Michael Stöcker

        Sollen wir uns jetzt an Definitionen abarbeiten?
        >„Geld ist kein Asset sondern eine Forderung auf Leistung.“ ernsthaft?? Den größten Erfolg nach einem gewonnenen Weltkrieg, einer Materialschlacht in Korea, Vietnam und dem Höhepunkt der Raumfahrt (Mondlandung) samt kältestem Krieg – feiern sie als privaten Erfolg, wo sich die USA mit Staatsausgaben bis über ihren Goldstandard verschuldeten??

        Das muss natürlich besteuert werden. Damit schließt sich der marxistische Kreis.
        “-hohe progressive Steuer
        – konsequente Erbschaftssteuer
        -nur so wird einseitige Machtkonzentration verhindert ”

        Fazit:
        “Alle Macht den Räten”

        Ihre Utopie ist stimmig, allein es werden die Dummen fehlen, die sich freiwillig ausplündern lassen. 100% Staatseigentum schaffen keine Verschuldungsbereitschaft, keinen Fleiß, keinen zu besteuernden Erfolg.

        Arbeitnehmerdenken ist keine Lösung und wird niemals eine finden.

      • Alexander
        Alexander sagte:

        @Michael Stöcker
        ein deutlicher Teil meines Textes ging gerade verloren…sorry.

  3. Johannes
    Johannes sagte:

    Ja, vorstellbar ist es. Ist die Verzweiflung nur groß genug, wird sicher auch Helikoptergeld eingesetzt. Sind wir aber – mit Blick auf Frankreich & Italien z.B. – nicht auch schon nah dran. Die Camouflage von H. Draghi, der sein Heimatland, aber auch Frankreich munter via Staatsanleihenkäufen bereits teilweise finanziert, ist doch auch durchschaut worden.
    https://www.welt.de/finanzen/article169329207/Wie-EZB-Chef-Draghi-Macrons-Frankreich-bevorzugt.html

    Klar, dem Namen nach ist es kein Helikoptergeld, der Sache aber schon recht nah dran…

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