„Griechenland ist das lauteste, aber nicht das größte Problem der Eurozone“

Dieser Beitrag erschien bei manager magazin online:

Das griechische Votum ist ein weiteres Symbol für die gescheiterte Strategie der Euroretter und für den Linksrutsch in Europa. Statt unseren Wohlstand zu sichern, wird nach Konsum und Umverteilung gerufen – auch in Frankreich.

Das entschiedene Nein der Griechen unterstreicht das Scheitern einer Politik, die seit 2009 das Problem hoher Schulden nur durch billiges Geld und noch mehr Schulden bekämpft hat. In Griechenland, aber auch in allen anderen Krisenländern der Eurozone. In Griechenland wurden zunächst die privaten Geldgeber aus Frankreich, Deutschland, England und den USA gerettet. Vielleicht zu Recht, drohte zur damaligen Zeit doch eine Bankenkrise kurz nach dem Lehman-Schock. Rückblickend gesehen wäre es allemal besser gewesen, die Verluste damals zu realisieren und die Banken zu sanieren und – falls erforderlich – zu verstaatlichen.

Hätte man dies gemacht, hätten die Griechen sich sehr rasch an die neuen Verhältnisse anpassen müssen. Jahrelang haben die Griechen dank der freigiebigen Kreditgeber einen Scheinboom erlebt, dieser wäre 2010 auf einen Schlag zu Ende gewesen. Die Anpassung wäre damals brutal und schnell gewesen. Vor allem wäre die Schuldfrage nie gestellt worden. Es waren die griechischen Regierungen selber, die das Land in den Ruin geführt haben.

Neue Kredite: Der schlechteste aller Wege

Stattdessen entschied man sich bekanntlich für den anderen Weg, der die fast schon pervers zu nennende Nebenwirkung hatte, dass man den Griechen weiterhin Geld für ein Leben über den eigenen finanziellen Möglichkeiten gab. Wie das ifo Institut vorrechnete, wurde immerhin ein Drittel der Kredite von IWF, EZB und den anderen Euroländern so verwendet. Ein weiteres Drittel erlaubte es den Griechen, Vermögenswerte ins Ausland zu verschieben, was die Steuerbasis weiter erodierte und nicht der wirtschaftlichen Entwicklung im Lande diente. Nur ein Drittel des Geldes floss demnach an die Banken, die 2010 indirekt gerettet wurden.

Fünf Jahre später müssen wir feststellen, den schlechtesten aller Wege gewählt zu haben. Die Griechen haben immer noch nicht erkannt, dass ein Leben über die eigenen finanziellen Möglichkeiten nicht ewig funktioniert. Die staatlichen Kreditgeber – allen voran Deutschland – werden als die Schuldigen der griechischen Misere gebrandmarkt, weil sie zunächst die Wohlstandsillusion genährt und dann versucht haben zu entscheiden, wie die Anpassung an die Realitäten zu erfolgen hat.

Diese ausländische „Bevormundung“ ermöglichte erst die Legendenbildung der griechischen Politik und das Verdrängen der eigenen Schuld am Debakel.

Auch Frankreich, Italien, Spanien und Portugal können ihre Schulden nicht tragen

Griechenland ist zwar das „lauteste“, aber keineswegs das größte Problem der Eurozone. Die Schuldentragfähigkeit ist in Irland, Portugal, Spanien, Italien und Frankreich ebenfalls nicht gegeben. Diese Länder weisen zwar geringere Staatsschulden auf als die Griechen, die Gesamtverschuldung von Staaten und privaten Sektoren liegt jedoch fast überall höher als in Griechenland (Italien und Frankreich noch tiefer, aber bei höheren Privatschulden). Ein guter Teil dieser Schulden ist ebenfalls nicht mehr ordentlich bedienbar, vor allem weil die Schulden nach wie vor schneller wachsen als die jeweiligen Volkswirtschaften.

Damit stößt sechs Jahre nach Krisenbeginn das Spiel auf Zeit an die politischen Grenzen. Die Allianz gegen Griechenland ist nur vordergründig stabil. Die Regierungen in Portugal, Spanien und Italien befürchten die Opposition im eigenen Lande, die es Syriza gleichtun könnte. Deshalb haben sie bisher den harten Kurs unterstützt. Dabei kämen ihnen eine Abkehr vom Sparkurs und weit großzügigere Programme zur Ankurbelung der Wirtschaft entgegen. Dies wohlgemerkt vor dem Hintergrund, dass alle bereits hohe Defizite ausweisen.

Frankreich fordert Transferunion und Sozialisierung der Kosten

Frankreich sucht schon lange nach einem Weg, die deutsche Politik auszuhebeln. Dies beweisen die Forderungen des französischen Wirtschaftsministers Macron vom Wochenende: Transferunion, Sozialisierung der Kosten von Bankenrettungen – was faktisch den faulen Staats- und Privatschulden von mindestens drei Billionen Euro entspricht – einen Eurokommissar zur „Koordinierung der makroökonomischen Politik“ und ein Parlament des Euroraumes – in dem naturgemäß die Südländer die Mehrheit stellen – sind die Kernforderungen des sozialistischen Ministers, der zudem davor warnt, in Griechenland ein weiteres Versailles zu inszenieren.

Wir sollten also nicht den Fehler machen, das Land durch übermäßige Forderungen zu destabilisieren, wie es letztlich in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg die Folge war.

Der Wunsch des Südens: Umverteilung der Altlasten, Blankoscheck für die Zukunft

Damit ist der Grexit auch nicht so sicher, wie viele Kommentatoren ihn darstellen. Es dürfte praktisch fast und politisch völlig unmöglich sein, die Griechen gegen ihren erklärten Willen aus dem Euro zu werfen. Selbst wenn temporär eine Parallelwährung eingeführt wird, so muss dies noch nicht den Grexit bedeuten. Viel zu groß bleibt das Interesse der Politiker in den Geldgeberländern, die Illusion einer funktionsfähigen Währungsunion und einer Rückzahlung der Schulden aufrechtzuerhalten.

Für die anderen Krisenländer und Frankreich bietet sich zudem die Gelegenheit, mit Verweis auf das starke Votum der Griechen und ähnliche absehbare Gefahren in den eigenen Ländern (Front National, Cinque Stelle, Podemos) einen Politikwechsel zu verlangen und durchzusetzen.

Wer die Bücher der linken Vordenker Varoufakis und Piketty zur Eurozone liest, erkennt das Ziel: Umverteilung der Altlasten und Blankoscheck für weitere Umverteilung in Zukunft. Zu einem guten Teil finanziert über die EZB, ohne Gegenleistung oder Aufgabe an Autonomie in den Empfängerländern.

Finanzierung von Konsum statt Investition; Schulden statt Nachhaltigkeit ist das Motto. Eine Fortschreibung der Politik der letzten Jahrzehnte mithilfe des Geldes anderer – vor allem der deutschen Steuerzahler.

Damit geht das Spiel um die Verteilung der enormen Kosten des Euro in die nächste Runde. Deutschland ist nicht gerüstet: keine Strategie, keine strukturelle Mehrheit. Letztere liegt bei den Krisenländern. Welche Folgen dies hat, zeigt die Politik der EZB, wo die Krisenländer im Rat ebenfalls die Mehrheit haben.

manager-magazin.de: „Griechenland ist das lauteste, aber nicht das größte Problem der Eurozone“, 6. Juli 2015