Interview im FOCUS zu den Folgen eines Krieges um die Ukraine

Am 22. Februar 2022 sprach der FOCUS mit mir über mögliche wirtschaftliche Folgen eines Krieges:

FOCUS Online: Herr Stelter, was bedeutet der Russland-Ukraine-Konflikt für die Weltwirtschaft?

Daniel Stelter: Der Konflikt trifft auf eine fragile Weltwirtschaft, die sich von der Corona-Pandemie dank massiver staatlicher Hilfen und einer Liquiditätsflutung durch die maßgeblichen Notenbanken deutlich erholt hat.

FOCUS Online: Was zu einer hohen Inflation geführt hat.

Stelter: genau. Angesichts der weiter vorhandenen Angebotsstörungen und der schon seit Jahren zu geringen Investitionen in die Erschließung neuer fossiler Energiequellen (auch aufgrund des Drucks in der Klimapolitik) hat dies zu Inflationsdruck geführt. Als Folge hat sich in den USA, Großbritannien und auch in der Eurozone der Druck auf die Notenbanken erhöht, die geldpolitischen Zügel anzuziehen.

FOCUS Online: Mit welchen Folgen?

Stelter: Da gleichzeitig der Wachstumsschub nachlässt und die schon vor Corona gegebenen Probleme wieder offen zutage treten – hohe Verschuldung, Blasenbildung an den Finanzmärkten, geringe Produktivitätsfortschritte, einsetzender demografischer Wandel – wäre ohne weiteren externen Schock das Szenario einer Stagflation und auch erheblicher Turbulenzen an den von ewig billigem Geld der Notenbanken hängenden Vermögensmärkten realistisch gewesen.

FOCUS Online: Und nun kommt ein mögliches Kriegsszenario hinzu.

Stelter: das auf diese fragile Lage trifft. Dies kann nur negativ wirken: Die Preise für Rohstoffe, vor allem Öl und Gas steigen deutlich, dies noch mehr, wenn Sanktionen ergriffen werden. Es ist zwar realistisch, dass die OPEC unter massivem Druck des Westens die Förderung ausweitet, aber dies ist nur beschränkt möglich UND dauert etwas. Bei Gas ist die Lage schwerer aufgrund der begrenzten Verlademöglichkeiten für LNG. Höhere Energiepreise treiben zunächst die Inflation weiter, wirken aber in Wahrheit rezessiv, weil die Kaufkraft sinkt. Wir werden also einen Rückfall in die Rezession erleben.

FOCUS Online: Wie werden die Notenbanken darauf reagieren?

Stelter: Die Notenbanken werden aufhören zu bremsen und eher wieder auf das Gaspedal drücken, die Staaten noch mehr Schulden machen. Im Ergebnis führt uns das noch weiter hinein in die Sackgasse aus zu hohen Schulden und (nach einem temporären Schock) weiter zu hohen Vermögenspreisen.

FOCUS Online: Wie lautet Ihr Fazit zu dem Konflikt?

Stelter: Russland trifft auf einen anfälligen Westen. Und offen ist übrigens, wie anfällig Russland wirklich für Sanktionen ist.

FOCUS Online: Wie sollen sich Anleger jetzt verhalten?

Stelter: Panik ist nie ein guter Ratgeber. Man muss aber wissen, dass die Börsen schon seit einigen Wochen angeschlagen sind. Die meisten Vermögensmärkte hängen an der Politik des billigen Geldes, das gilt für Aktien, aber auch für Immobilien! In den USA beispielsweise sind Immobilien teurer als vor der Finanzkrise!

FOCUS Online: Wenn nach Ihrer Ansicht die Notenbanken aber wieder eine expansivere Geldpolitik betreiben müssen, was passiert dann?

Stelter: Bisher sah es so aus, als würde die Politik des billigen Geldes enden, was zu Druck auf den Märkten geführt hat. Dieses Risiko dürfte sinken, was positiv wirkt auf die Preise. Umgekehrt dürfte die Welt aufgrund der steigenden Energiepreise in eine Rezession stürzen. Das wiederum ist schlecht für die Ertragskraft der Unternehmen.

FOCUS Online: Zwei Faktoren heben sich auf?

Stelter: Es stellt sich die Frage: Was wiegt schwerer? Der Rückgang der Erträge oder der fehlende weitere Anstieg der Zinsen. Vermutlich trifft der Ertragsrückgang schwerer und die Märkte bleiben unter Druck.

FOCUS Online: In der Vergangenheit hatten politische Börsen kurze Beine.

Stelter: Normalerweise würde man angesichts der Geschichte dafür plädieren, ruhigen Kopf zu behalten, erholen sich Märkte doch bei einem kurzen Konflikt schnell. Heute wissen wir aber nicht, wie lange es dauert und es trifft auf eine ohnehin schon schwache Weltwirtschaft mit einigen Problemen – siehe oben. Deshalb kann es sein, dass wir deutlich mehr Risiko nach unten als Potenzial nach oben haben.

FOCUS Online: Was sollen Investoren konkret tun?

Stelter: Wenn sie ein globales Portfolio haben und diversifiziert anlegen (Aktien, Immobilien, Gold, Liquidität), tun sie am besten nichts. Wenn es sie auf dem falschen Fuß erfasst hat, weil sie zum Beispiel kein Öl haben, dann laufen sie den Entwicklungen jetzt nicht nach, sondern warten ab, bis sich die Lage etwas beruhigt. Danach sollten sie das Portfolio umbauen und mehr solide Qualitätswerte und Öl- und Rohstoffwerte im Portfolio haben.

FOCUS Online: Und wer spekulativ unterwegs ist?

Stelter: Für Risikofreudige – Russland ist ein billiger Markt und hat, was die Welt braucht: Energie und Rohstoffe. Und wenn der Westen es nicht kauft, China kauft es. Insofern mag man mit einem langen Zeithorizont russische Aktien kaufen.

focus.de: „Die Weltwirtschaft wird in eine Rezession stürzen“, 22. Februar 2022