„Gerichte sind die falsche Instanz!“

Das Bundesverfassungsgericht hat die Klage gegen die Europäische Zentralbank abgewiesen. Damit ist der Weg frei für die Fortsetzung der aggressiven Geldpolitik, die nur ein Ziel hat, das Schuldengebäude der Eurozone vor dem Einsturz zu bewahren.

Ohne Mario Draghis Versprechen, „alles Erdenkliche zu tun“, wäre die Eurozone vermutlich schon 2012 zerfallen. Der EZB-Chef hatte damals die „Outright Monetary Transactions“ (OMT) angekündigt, also den gezielten Aufkauf von Staatsanleihen aus Krisenländern, so sie denn ein Reformprogramm verabschieden. Damit hat er den rapide um sich greifenden Vertrauensverlust in den Euro gestoppt, der kurz davor war, völlig außer Kontrolle zu geraten.

Hat die EZB damit ihr Mandat überschritten? Sicherlich, denn sie ist nur für die Stabilität des Geldwertes zuständig. Andererseits musste sie handeln, denn sonst wäre sie selbst vermutlich heute schon Geschichte.

EZB überschreitet ihr Mandat

Das Instrument des OMT kam nie zur Anwendung. Denn zum einen schreckten die Regierungen der betroffenen Länder vor den damit verbundenen Auflagen zurück. Zum anderen hilft die EZB jetzt ohne Auflagen. „Quantitative Easing“ (QE), also der direkte Aufkauf von Wertpapieren ohne Auflage und Beschränkung, hat das OMT ersetzt. Was temporär vertretbar gewesen sein mag, ist mittlerweile in anderer Form zu einer Dauereinrichtung geworden.

Vordergründig geht es dabei um die Verhinderung von fallenden Preisen (Deflation) und um die Belebung der Konjunktur. Faktisch dient die Politik der EZB jedoch nur dazu, Banken und Staaten vor dem Offenbarungseid zu retten. Die EZB gibt Banken, die bei ehrlicher Betrachtung insolvent sind, Kredite gegen fragwürdige Sicherheiten (Staatsanleihen!), zu einem Zinssatz von null. Ein klarer Widerspruch zu den Grundsätzen ordnungsgemäßer Notenbankpolitik, die genau das Gegenteil fordert.

Die Krise wird zurückkehren

Krisenländer wie Portugal, Spanien und Italien könnten sich ohne EZB nicht so günstig am Kapitalmarkt finanzieren. Irland und Belgien konnten gar 100-jährige Anleihen zu Zinsen begeben, die unter dem Niveau für 30-jährige US-Staatsanleihen liegen. Diese tiefen Zinsen reduzieren den Druck auf staatliche und private Schuldner und verhindern so eine noch tiefere Rezession. Doch hat der nachlassende Druck auf die Krisenländer auch genau die Wirkung, die Kritiker immer wieder hervorheben: Die Schuldner freuen sich über die Entlastung und machen weiter wie bisher.

Die Krise wird sich nach der kurzen konjunkturellen Erholung im kommenden Jahr mit voller Kraft zurückmelden. Dann werden sich das Mandat für die EZB und der heutige Sieg der Befürworter der aggressiven Geldpolitik vor Gericht als Pyrrhussieg entpuppen. Der Patient bekommt weiter Schmerzmittel, aber keine Therapie. Die Schuldenlast und damit der Schaden bei einem chaotischen Zerfall der Eurozone werden mit jedem Tag größer. Eine Eskalation von geldpolitischen Maßnahmen, wie etwa die direkte Finanzierung von Staatsausgaben (Helikopter-Geld) und eine weitere Monetarisierung der Schulden ist absehbar.

Vereinfacht gesagt, belastet die EZB ohne zu fragen und ohne einen expliziten Auftrag unser Vermögen. Die Umverteilung innerhalb Europas – unter dem Titel „Transferunion“ von der deutschen Politik offiziell verhindert – erfolgt ohne demokratische Legitimation und Gegenleistung über die Bilanz der EZB. Wir Deutschen haften mindestens mit unserem Anteil von 25 Prozent. Eine vermeintlich politisch unabhängige Institution wie die EZB agiert zunehmend hochpolitisch, ohne sich dafür rechtfertigen zu müssen. Hierin liegt enorme Sprengkraft für die weitere Entwicklung.

Klage war gerechtfertigt

Insofern war diese Klage vor dem Bundesverfassungsgericht genauso berechtigt wie die weiteren, die bereits eingereicht wurden. Doch sind Gerichte die falschen Adressaten für die Kritiker der EZB. Wer eine andere Geldpolitik fordert, der muss die Alternative nennen und dies kann nur die Politik: Schuldenschnitte akzeptieren, Reformanstrengungen intensivieren und die europäische Integration vorantreiben – oder, falls diese nicht realistisch ist, die Zusammensetzung der Eurozone anpassen. Nicht allen Ländern passt das Korsett des Euro. Das sollten wir uns endlich eingestehen.

Die EZB wird als einzige Rettungsinstanz für den Euro von der Politik missbraucht und zunehmend überlastet. Sie müsste sich selber verweigern, will sie die Existenz des Euro und damit die eigene sichern. Solange die Politik die Realität verdrängt und nicht entsprechend handelt, gibt es nur die Wahl zwischen Fortsetzung der jetzigen Geldpolitik oder Chaos. Deshalb macht die EZB immer weiter.

Das Nichthandeln der Politik ist gefährlich

Wer es ändern will, muss politisch handeln. Doch hier finden wir eine perverse Situation vor: Die EZB mindert den politischen Druck in den Krisenländern durch ihre Maßnahmen. Zugleich ermöglicht sie der deutschen Regierung, die Illusion einer erfolgreichen Eurorettungspolitik aufrechtzuerhalten, obwohl diese auf voller Linie gescheitert ist. Für die Politiker ist das Handeln der EZB ein Segen, weil sie sich vor höchst unpopulären Entscheidungen drücken können: drastische Reformen im Süden und Forderungsverzichte im Norden.

Für uns Bürger wird die Weigerung der Politik im Desaster enden. Auf Dauer wird es nämlich nicht genügen, nur Schmerzmittel zu verteilen. Die Schuldenlast der Länder wächst weiter an, die Realwirtschaft kommt nicht wieder auf Kurs, die erheblichen Unterschiede in der Wettbewerbsfähigkeit verfestigen sich.

Auf zwei Szenarien müssen wir uns deshalb einstellen: den Zerfall des Euro oder eine hochinflationäre Geldentwertung. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis in einem der Krisenländer eine Regierung an die Macht kommt, die das Heil in einem Austritt aus dem Euro sieht. Käme es dazu, wäre eine Kettenreaktion zu erwarten, die nicht nur zu anderen Austritten führt. Sie würde erhebliche Vermögensverluste bei uns bewirken – und eine tiefe Rezession.

Es droht eine Inflation

Alternativ droht ein zunehmender Vertrauensverlust in die EZB. Geld hat nur deshalb heute einen Wert, weil wir daran glauben, dass es auch morgen noch einen Wert hat. Schwindet dieses Vertrauen, droht eine Flucht aus dem Geld. Die Folge ist eine deutliche Inflation.

Gerichte, selbst das Bundesverfassungsgericht, werden diese Entwicklung nicht stoppen. Dennoch haben die Klagen einen Sinn. Sie machen der breiteren Öffentlichkeit bewusst, dass etwas entschieden falsch läuft. Es ist höchste Zeit, dass wir gegen die heutige Politik, die unweigerlich einen erheblichen Schaden für uns bedeutet, aufbegehren.

Cicero.de: „Gerichte sind die falsche Instanz!“, 21. Juni 2016