Gaspreis­deckel – zu spät und un­zureichend

Am Montag habe ich an dieser Stelle einen Gaspreisdeckel gefordert. Heute nun hat die Bundesregierung genau einen solchen Strom- und Gaspreisdeckel beschlossen. Grund zur Freude? Keineswegs. Denn die Beschlüsse der Bundesregierung unterstreichen einmal mehr, dass die Politiker, die unser Land durch die wohl schwerste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg führen wollen, den Ernst der Lage nicht erkannt haben oder nicht erkennen wollen.

Auf den ersten Blick klingt alles so, wie von vielen gefordert. Die Bundesregierung mobilisiert 200 Milliarden (unseres heutigen oder künftigen Steuergeldes), um den Energiekostenschock für Privathaushalte und Unternehmen abzufedern. Die Bürger haben mehr in der Tasche, die Unternehmen müssen sich nicht mehr um ihre Existenz sorgen.

Doch wie so häufig handelt es sich um Maßnahmen, die die Symptome bekämpfen, die Ursachen der Krise aber nicht adressieren. Was ist meine Kritik:

  1. Die Maßnahme greift viel zu spät: Der russische Angriffskrieg begann vor sieben Monaten. Erste Konzepte, um die Folgen des Energiepreisschocks abzufedern, lagen im Juni vor. Es musste Oktober werden, bis die Bundesregierung reagiert und dabei liegt außer einem versprochenen Ausgabenvolumen von 200 Milliarden kein Konzept vor, nach welchen Kriterien und auf welchem Weg die Mittel fließen werden. Selbst wenn das, wie heute versprochen, bis Mitte Oktober ausgearbeitet werden soll, dürfte die Maßnahme erst im Januar greifen. Viel zu spät für viele Haushalte und Unternehmen.
  2. Hilfe nach dem Prinzip Gießkanne: Sobald es darum geht, private Haushalte zu entlasten, stehen wir immer vor dem Problem, dass nicht nur die Bedürftigen entlastet werden, sondern auch jene, die sich die höheren Energiepreise leisten können. Dies macht die Entlastung unnötig teuer. Hinzu kommt, dass wir gar nicht die Datenbasis haben, um einen Grundbedarf zu bestimmen, beispielsweise ist aus der Gasrechnung nicht ersichtlich, wie viele Menschen in einem Haushalt leben. Hier sind – auch mit Blick auf den Einsparungsanreiz – direkte Zahlungen an die ärmeren Haushalte das bessere Instrument.
  3. Energiepreisdeckel setzen Energiestrategie voraus: Ziel der Deckelung von Strom- und Gaspreisen ist neben der Entlastung der Verbraucher die Hilfe für die Wirtschaft. Doch diese Hilfe ist nur dann sinnvoll, wenn sie dazu dient, einen vorübergehenden Preisschock zu mildern. Doch genau davon können wir nicht ausgehen. Entgegen auch meiner Forderung tut die Bundesregierung nichts Wesentliches, was dazu führen wird, dass zeitnah die Energiepreise deutlich sinken. Es gibt keine echte Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke, kein Beschluss zum Fracking in Deutschland, sondern ein einseitiges Festhalten an teuren Importen von Flüssiggas und den Illusionen einer Zukunft mit Erneuerbaren Energien, die aber zur Funktionsfähigkeit erheblichen Überkapazitäten und Back-ups bedarf, was ebenfalls die Kosten hochhält. Solange die Bundesregierung keinen Strategiewechsel beschließt, bleiben unsere Energiekosten hoch. Dauerhafte Subventionen werden wir uns aber nicht leisten können, was zu der Schlussfolgerung führt, dass der Strom- und Gaspreisdeckel lediglich den Zeitpunkt des Marktausscheidens energieintensiver Unternehmen beeinflusst, nicht aber das Ausscheiden an sich. Letztlich ist der Preisdeckel ein sehr teurer Versuch, vom Scheitern bei der eigentlichen Aufgabe, nämlich der Neudefinition der Energiestrategie unseres Landes abzulenken.
  4. Die Finanzierung: In einem Sondertopf werden 200 Milliarden zur Verfügung gestellt, zunächst finanziert durch neue Schulden. Doch die Regierung ist kreativ: Zum einen sollen sogenannte „Übergewinne“ im Strommarkt besteuert werden, zum anderen hofft man auf die europäische Besteuerung der Kohle-, Gas- und Erdölunternehmen. Letztere müssen eigentlich dringend mehr in die Erschließung neuer Vorkommen und den Ausbau von Raffineriekapazitäten investieren. Dazu benötigen sie Geld, vor allem auch deshalb, weil die Klimapolitik der letzten Jahre entscheidend dazu beigetragen hat, dass sich die weltweiten Investitionen in diesem Sektor halbiert haben. Die Preise für fossile Energien waren deshalb schon vor dem Krieg deutlich gestiegen. Kohle beispielsweise kostet bei Verladung in Australien heute gut achtmal so viel wie 2019. Die Ursache: viel zu wenig Investitionen in Bergbau und Transportinfrastruktur.

Das Gleiche gilt für den Strommarkt. Die Ausnahme sind lediglich die Anbieter von Erneuerbaren Energien, denen wir Verbraucher und Steuerzahler Mindestgewinne garantieren. Hier sollte man, ähnlich wie das Frankreich und Großbritannien tun, auch Gewinnhöchstgrenzen definieren und uns in Zeiten hoher Preise entlasten. Ansonsten gilt auch hier, was wir für Öl, Gas und Kohle gesagt haben: Wir brauchen jeden Anreiz zur Investition. Sondersteuern sind kein Anreiz. Im Gegenteil.

Besser wäre es, die Notwendigkeit der Angebotsausweitung mit der Finanzierung einer für den Übergang nötigen Subvention zu verbinden. Fracking in Deutschland könnte nach Schätzungen die russischen Gaslieferungen für 40 Jahre ersetzen. Würden wir heute beschließen, diese Reserven zu erschließen und solange zu nutzen, bis die Energiewende gelungen ist, ließen sich die Kosten für die Deckelung durch einen Aufschlag auf den Gaspreis finanzieren. Denn Gas aus Deutschland wäre nicht nur deutlich klimafreundlicher als Flüssiggas aus aller Welt, sondern auch unschlagbar billig.

Bleibt festzuhalten, ein Energiepreisdeckel ist nur sinnvoll, wenn er mit einer massiven Ausweitung des Angebots einhergeht. Sonst verbrennt er nur sinnlos Milliarden im Versuch, Wählerstimmen zu kaufen und Unternehmen am Leben zu erhalten. Ist das Geld weg, platzt die Illusion.

cicero.de: “Zu spät und unzureichend: Ist das Geld weg, platzt die Illusion”, vom 30.09.2022