Gaspreis­deckel jetzt!

Deutschland besitzt eine Wirtschaftsstruktur, um die uns nicht wenige Länder beneiden. Im Gegensatz zu den USA, Großbritannien und Frankreich ist es uns gelungen, einen starken industriellen Sektor zu erhalten. Fast ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts wird hier erwirtschaftet. Ohne Zweifel sind die gut bezahlten Arbeitsplätze in der Industrie das Rückgrat unseres Wohlstands.

Dieser Erfolg ist umso erstaunlicher, weil sich die Rahmenbedingungen für die Industrie hierzulande schon seit Jahren nicht positiv entwickelt haben: verfallende Infrastruktur, zunehmend offensichtliche Mängel im Bildungswesen, rückständige Digitalisierung, wachsende Bürokratie, nicht wettbewerbsfähige Steuer- und Abgabenlast und dazu eine Klimapolitik, die darauf setzt, durch eine überproportionale Verteuerung der Energie die hiesige Wirtschaft in eine Vorreiterrolle zu drängen, ohne die Frage zu prüfen, ob sie eine solche Rolle überleben kann. Kein Wunder also, dass die Industrie bereits vor dem Corona-Schock auf dem Rückzug war und lieber im Ausland investiert hat.

Existenzieller Schock

Auf diese ohnehin schon schlechte Ausgangslage traf der russische Angriffskrieg und die sich daraus ergebende drastische Verteuerung von Energie. Entgegen den auch vom amtierenden Wirtschaftsminister gestreuten Behauptungen hatte die deutsche Industrie ihre Wettbewerbsfähigkeit nicht dank billiger, sondern trotz relativ teurer Energie. Daten des europäischen Statistikamtes zeigen eindeutig, dass die industriellen Verbraucher in Deutschland bereits in den Jahren vor dem Krieg mehr und nicht weniger als die europäischen Wettbewerber bezahlt haben – ein Aspekt, auf den der Ökonom Daniel Gros hinweist, verbunden mit dem Kommentar, dass „Deutschland einen Verlust an Energieunabhängigkeit hinnehmen musste, ohne einen spürbaren wirtschaftlichen Vorteil zu erlangen“. Entsprechend effizient sind die deutschen Unternehmen dann auch mit Gas umgegangen, wie er vorrechnet. So ist hier die Gasintensität pro BIP-Einheit nur halb so groß wie im weltweiten Durchschnitt und auch im Vergleich zu den anderen Ländern Europas ist Deutschland deutlich effizienter als beispielsweise Italien oder Spanien. Trotzdem haben wir natürlich beträchtliche Ausgaben für Gas.

Alle Effizienz nutzt allerdings nichts angesichts des enormen Kostenschocks, vor dem unsere Industrie nun steht. Nachdem der Gaspreis sich seit Jahren in einem engen Korridor bewegt hat, ist er seit Anfang 2021 in der Spitze um 2.000 Prozent gestiegen. Trotz der leichten Entspannung in den letzten Tagen ein für Privathaushalte und Unternehmen untragbares Niveau, welches zudem noch auf den Strompreis durchschlägt, denn Tatsache ist, dass Gas nach wie vor zur Stromerzeugung verwendet wird.

Was hier droht, ist eine massive Deindustrialisierung Deutschlands. International operieren­de Unternehmen verlegen ihre Produktion an günstigere Standorte. Man denke an die USA, wo Erdgas nur ein Zehntel des hiesigen Preises kostet. Unternehmen, die das nicht können und im internationalen Wettbewerb stehen, laufen Gefahr, diesen Kostenanstieg nicht zu verkraften und dauerhaft aus dem Markt auszuscheiden.

Hierin liegt der entscheidende Unterschied zur Corona-Krise, den unsere Regierung – vor­rangig der Wirtschaftsminister – nicht vollständig zu erfassen scheint. Ein Restaurant kann man vielleicht für ein paar Monate stilllegen und danach wieder öffnen oder im Falle eines Konkurses durch ein anderes ersetzen. Für Industriebetriebe gilt das nicht. Ist erst mal eine Werksschließung erfolgt, ist keineswegs sicher, dass es wieder öffnet. Kapazitäten entstehen in anderen Regionen und um die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts stand es – wie ein­gangs erwähnt – schon zuvor nicht gut.

Gaspreisdeckel lebensnotwendig

Statt nun also schulterzuckend davon zu sprechen, dass wir alle ärmer werden und darauf zu hoffen, dass „der Winter nicht zu hart wird“ wie unser Wirtschaftsminister, sollte die Regie­rung besser handeln – im doppelten Wortsinn. Es muss darum gehen, die Welle zu brechen. Es ist klar, dass die Energiepreise nicht dauerhaft auf dem heutigen Niveau bleiben werden. Sie werden wohl nicht auf das Vorkriegsniveau zurückkehren – wobei auch dies bei intelli­gen­ter Politik möglich wäre(!) –, aber gegenüber heute deutlich sinken.

Was sollte die Politik also tun?

Zum einen sollte sich die Regierung endlich an die Arbeit machen, dass Angebot an Energie in der Zukunft glaubhaft zu erhöhen.

  • Kohlekraftwerke rasch in die Lage versetzen, ans Netz zu gehen, statt sie wie heute mit Auflagen daran zu hindern.
  • Atomkraftwerke für einen längeren Zeitraum am Netz lassen. Dies bedeutet nicht für ein paar Monate, sondern für einen Zeitraum von mindestens fünf, besser zehn Jahren. Zugleich sollten alle noch nicht zurückgebauten Kraftwerke wieder in Betrieb genommen werden.
  • Fracking in Deutschland umgehend genehmigen und zuzulassen. Neue Technologien reduzieren die Umweltrisiken dramatisch und es könnte bereits in wenigen Monaten das erste Gas fließen. Ohnehin stellt sich die Frage, wieso es für die Umwelt besser sein sollte, in den USA gewonnenes Fracking-Gas zu verflüssigen und hierher zu trans­portieren. Ist es nicht.

Allein schon durch den Beschluss dieser Maßnahmen würde sich der für Unternehmen entscheidende Terminpreis deutlich entspannen.

Der zweite Teil des Programms muss am Gaspreis direkt ansetzen. Hier sollte die Regierung die Welle abflachen und die Mehrkosten zwischenfinanzieren. Was ist damit gemeint?

  • Für Privathaushalte wird der Grundbedarf an Gas preislich gedeckelt, für den Rest­bedarf ist der Preis frei, um einen möglichst starken Sparanreiz zu setzen.
  • Für Unternehmen wird der Preis ebenfalls gedeckelt, und zwar gleitend. Im vierten Quartal dieses Jahres wird der Preis auf 75 Euro je MW/h gesenkt, nach sechs Monaten steigt er auf 100 Euro und nach weiteren sechs Monaten auf 150 Euro. Zurzeit kostet Gas nach einem Höhepunkt von annähernd 330 Euro rund 200 Euro. Damit haben die Unternehmen mehr Zeit, sich an die Lage anzupassen und bekommen zugleich Planungssicherheit.

Die Kosten für ein solches Programm wären sicherlich erheblich. Ich versuche es mal mit einer – zugegeben – sehr vereinfachten Rechnung: In der Vergangenheit haben wir pro Jahr etwa 30 Milliarden Euro für den Import von Gas ausgegeben. Zurzeit laufen wir mit einer Jahresrate von ungefähr 60 Milliarden, was bereits die erheblichen Einsparungsbemühun­gen der Industrie spiegelt. Der Staat müsste also für eine Übergangszeit die Mehrkosten übernehmen. Wenn der Staat die gesamte Differenz von 30 Milliarden übernähme (was mehr ist, als der obige Vorschlag kosten würde) und dies für einen Zeitraum von drei Jahren (was ebenfalls eine zu negative Annahme ist, vor allem wenn zugleich Maßnahmen zur Angebotsausweitung ergriffen werden), beliefen sich die Kosten auf 90 Milliarden Euro, rund 2,5 Prozent des BIP.

Das mag viel erscheinen, ist jedoch verglichen mit dem volkswirtschaftlichen Schaden, der anderweitig entsteht, vernachlässigbar. Selbst bei doppelt so hohen Kosten dürfte es sich für uns alle lohnen, wenn der Staat interveniert.

Wer soll das bezahlen?

Doch wer soll am Ende für diese Rettungsaktion aufkommen, werden sich nicht wenige fragen. Soll erneut der „einfache Arbeitnehmer für Großkonzerne bezahlen“, wie ich es bereits von einigen Politikern erwarte? Nein. Die Gasverbraucher sollen es in Zukunft zurückzahlen. Der staatliche „Wirtschaftsrettungsfonds Gas“ tritt nur als Zwischenfinan­zierer auf. In Zukunft, wenn sich die Energiepreise normalisiert haben, wird ein Zuschlag auf den Gaspreis erhoben, der es erlaubt, die eingegangenen Schulden über einen sehr langen Zeitraum von mindestens 30 Jahren zu tilgen. Das passt zu der Schätzung, dass unsere eigenen Gasreserven für gut 30 Jahre reichen. Das unschlagbar günstige deutsche Gas – weil nicht um die halbe Welt transportiert – würde dann trotz Zuschlag unschlagbar günstig bleiben.

focus.de:”„Ohne Gaspreis-Deckel wird unsere Wirtschaft diese Klimapolitik nicht überleben“”, vom 26.09.2022

cicero.de:”Es braucht unbedingt einen Gaspreisdeckel!”, vom 26.09.2022