Deutschland sollte mehr Schulden machen für mehr Wachstum

Der Bund hat in den Jahren 2020, 2021 und 2022 mehr Schulden gemacht als in den 25 Jahren zuvor. Wenig spricht dafür, dass wir im Umfeld von Krieg, Energiepreisschock, Deglobalisierung und zerfallenden Lieferketten bald zur Schuldenbremse und zur „schwarzen Null“ zurückkehren werden.

Mit dem starken Anstieg der Staatsverschuldung steht Deutschland nicht allein da. Der Unterschied zu den anderen Euro-Ländern besteht nur darin, dass wir von einem niedrigeren Niveau aus starten. Wie aber soll mit der immer höheren Verschuldung umgegangen werden? Die Optionen sind unerfreulich.

Da wäre zunächst die Möglichkeit, die Staatsschulden in den kommenden Jahren durch Überschüsse zu tilgen. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass es Beispiele für diese Vorgehensweise gibt: So hat Großbritannien die Staatsschulden nach den napoleonischen Kriegen von 192 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im Jahr 1822 bis ins Jahr 1912 durch Haushaltsüberschüsse auf 28 Prozent gesenkt. Heutzutage ist das politisch schwer vorstellbar.

Populärer ist die Hoffnung, die Schuldenquote durch beschleunigtes Wirtschaftswachstum abbauen zu können. Hierin liegt der eigentliche Grund für die abnehmende Staatsverschuldung in den Jahren vor Corona und nicht in den geringen Überschüssen im Staatshaushalt. Befürworter höherer Verschuldung verweisen gern auf die wachstumsfördernde Wirkung staatlicher Ausgaben.

Schaut man jedoch genauer auf die schuldenfinanzierten Ausgaben, so handelt es sich nur selten um Maßnahmen wie Investitionen in Digitalisierung und Bildung, die das Produktionspotenzial heben würden. Die Bundeswehrausstattung oder Maßnahmen zum Klimaschutz tragen nichts zu höherer künftiger Wirtschaftsleistung bei und sind damit aus Steuermitteln zu finanzieren, nicht durch Verschuldung.

Wachstum wird Schuldenquote nicht senken

Die ständig steigenden Schuldenquoten der Euroländer unterstreichen, dass die Ausgaben nicht zum gewünschten Wachstum führen. Angesichts der demografischen Entwicklung liegt auf der Hand, dass das Wachstum der Wirtschaft in den kommenden Jahrzehnten die Schuldenquoten nicht senken wird.

Die theoretische Option des Schuldenschnitts, also des Staatsbankrotts, ist in der westlichen Welt äußerst selten und – an Griechenland gut zu beobachten – keineswegs leicht zu bewerkstelligen.

Verbleiben zwei Optionen: zum einen die Möglichkeit, die Steuerzahler anderer Länder heranzuziehen, wie dies Frankreich, Italien, Spanien und weitere hoch verschuldete Euro-Länder über Transfer- und Schuldenmechanismen auf EU-Ebene seit Jahren anstreben. Oder eben die Inflation.

Die Schlussfolgerung ist eindeutig: Es lohnt nicht zu sparen, wenn man sich die Währung mit Ländern teilt, die auf Umverteilung und Inflation setzen. Deutschland sollte alles daransetzen, das eigene Wachstumspotenzial zu erhöhen, und dafür auch Schulden machen.

handelsblatt.com: “Deutschland sollte mehr Schulden machen für mehr Wachstum”, 01. Mai 2022