„Europa vor der Eiszeit, Japan vor dem Endspiel“

Folgender Beitrag erschien bei Cicero.de:

In seinem neuen Buch „Eiszeit in der Weltwirtschaft“ entwirft Daniel Stelter ein ernüchterndes Zukunftsszenario der globalen Finanzwelt. Er lässt die vergangenen Krisenjahre in Europa Revue passieren und zieht Japan als Negativbeispiel einer Volkswirtschaft mit verkorkstem Krisenmanagement heran.

Japan ist seit Jahrzehnten in einer Dauerstagnation mit deflationären Tendenzen gefangen. 1990 platzte eine Blase am Immobilien- und Aktienmarkt; bis heute konnte sich das Land davon nicht erholen. Zwar wuchs die Produktivität deutlich. Dennoch gelang es angesichts einer schrumpfenden Bevölkerung nicht, zu nennenswerten Wachstumsraten zurückzukehren. Zu schwer wog die Last der Schulden, die Unternehmen im Boom aufgebaut hatten und dann über zwei Jahrzehnte abbauten. Trotz Rekorddefiziten des Staates und aggressiver Politik der Notenbank blieb das Land in einer Dauermisere gefangen. Die einst stolze Exportnation hat weltweit massiv Marktanteile eingebüßt.

Wir folgen dem japanischen Vorbild

Deshalb verweisen westliche Beobachter gerne auf Japan als ein Beispiel für eine verfehlte Wirtschaftspolitik. Hätten die Japaner so konsequent reagiert wie die USA nach dem Platzen der Immobilienblase im Jahre 2009, stünden sie heute ebenso besser da – so lautet die Argumentation.

Zweifel sind angebracht.

Im Vergleich war die US-Blase deutlich kleiner, und vor allem die demografische Entwicklung ist in den USA nach wie vor deutlich besser. Noch gewichtigere Gegenargumente: Die Erholung in den USA seit 2009 ist die schwächste seit dem Zweiten Weltkrieg. Die tatsächliche Arbeitslosigkeit liegt immer noch sehr hoch, während die US-Notenbank sehr großzügig ist. Es ist also zu früh, um den Sieg für die amerikanische Wirtschaftspolitik auszurufen.

Japan setzt alles auf eine Karte

Es sieht allerdings auch nicht so aus, als ob es dem vom „Economist“ begeistert als „Superman“ gefeierten japanischen Ministerpräsidenten Abe gelingen wird, das Ruder herumzureißen.

Zur Erinnerung:

Im verzweifelten Versuch, den sicheren Weg in den Staatsbankrott noch zu verhindern, hat die japanische Regierung 2014 ein aggressives Programm gestartet: Es wird – nach dem Ministerpräsidenten Abe – als „Abenomics“ bezeichnet.

Die Strategie basierte auf drei Säulen:

  • viel Geld drucken (relativ zur Größe der Volkswirtschaft rund 1/3 mehr als die nicht gerade knausrige Federal Reserve), um dadurch die Inflation auf über zwei Prozent zu hieven;
  • „flexibel“ weiter Defizite machen (zurzeit beträgt das Staatsdefizit rund 10 Prozent des Bruttoinlandsproduktes);
  • mit Reformen das Wachstumspotenzial stärken, zum Beispiel durch eine höhere Erwerbsquote von Frauen.

Heute muss man feststellen: Die „Abenomics“ sind gescheitert. Die Reformen gehen nur schleppend voran. Japan bleibt nicht viel mehr als die altbekannten Rezepte: die eigene Währung massiv abwerten, Wertpapiere durch die Notenbank aufkaufen. Der erhoffte Exportboom hat sich nicht eingestellt. Die japanische Industrie verkauft vor allem hochwertige Produkte, die nicht unbedingt über den Preis verkauft werden. Die Unternehmen haben deshalb weniger die Preise gesenkt und stattdessen lieber die Gewinne maximiert. Weil sie diese Gewinne nicht investieren oder höhere Löhne bezahlen, kommt es im Inland nicht zu mehr Nachfrage. Gleichzeitig wirken gestiegene Importpreise wie eine Konsumsteuer. Private Haushalte zahlen den Preis für die verzweifelte Politik. Stagnierende Einkommen und höhere Lebenshaltungskosten führen zu weniger, nicht zu mehr Wachstum.

Damit wird immer klarer, dass es auf eine andere Lösung der japanischen Krise hinausläuft. Es ist offensichtlich, dass die Regierung die Schulden niemals wird zurückzahlen können. Die Bank of Japan kauft einen immer größeren Anteil der Staatsschulden auf. Nicht lange, und der Großteil der japanischen Staatsschulden ist im Besitz der japanischen Notenbank. Da Staat und Notenbank beide dem japanischen Volk „gehören“, könnte man die Ansicht vertreten, dass die Schulden nicht mehr relevant sind.

Über Nacht die Schulden auf null

Schon heute überweist die Notenbank die Zinseinnahmen auf die Staatsschuld als Gewinnausschüttung wieder an das Finanzministerium zurück. Auch auf Tilgung verzichtet sie bereits, kauft sie doch die zur Tilgung neu ausgegebenen Anleihen vollständig auf. Was liegt also näher als diesen verdeckten Schuldenerlass auch offiziell zu machen und die Staatsschulden in der Bilanz der Bank of Japan einfach auf Null abzuschreiben? Über Nacht wären die Schulden verschwunden.

Schon seit Längerem diskutieren Volkswirte ernsthaft diese Möglichkeit, auf elegantem Wege die Schuldenkrise zu lösen. Dabei gibt es zwei Schulen. Die einen sehen das als gefahrlos an, solange man es nur einmalig macht und nicht dauerhaft. Das Geld wäre ja schon im Umlauf, insofern drohe keine Inflation. Die anderen sehen das Risiko eines Vertrauensverlustes in unser Geldsystem, was eine völlige Entwertung zur Folge hätte. Wir werden es erst wissen, wenn wir es machen. Ich selber halte das Risiko für erheblich.

Japan scheint gewillt, das Risiko einzugehen. Aber es bereitet sich gut darauf vor: Die Pensionsfonds verkaufen ihre Staatsanleihen an die Notenbank und kaufen dafür vermehrt Aktien und ausländische Vermögenswerte. Gelingt das Experiment und die Schulden „verschwinden“ ohne eine Inflation durch Vertrauensverlust auszulösen, steht die japanische Wirtschaft gestärkt da. Kommt es zur Inflation, bieten Aktien und ausländische Vermögenswerte einen gewissen Vermögensschutz. Eine sehr intelligente Strategie!

Europa in der Eiszeit

Besorgniserregend ist der Vergleich mit Europa: Auch wir haben es mit einer schuldengetriebenen Blase zu tun, die jäh geplatzt ist. Auch bei uns ist die demografische Entwicklung trotz des Flüchtlingszustroms schlecht. Und auch bei uns wirken Staatsschulden und Nullzinsen nicht heilend, sondern nur stabilisierend. Wie Japan bleiben wir in verkrusteten Strukturen gefangen. Auch bei uns wimmelt es von Zombiefirmen, die zwar noch in der Lage sind, die Zinsen zu bezahlen, aber nicht zu tilgen, geschweige denn zu investieren und zu innovieren.

Wir erhalten Banken und Staaten, die eigentlich insolvent sind, und scheuen uns davor, die Schulden zu bereinigen, indem wir sie abschreiben. Die Politik fürchtet sich zu sehr vor der – berechtigten! – Rache der Wähler. Sie müsste klar sagen, dass wir durch die verfehlte Wirtschaftspolitik der letzten Jahre, den Fehler, eine Währungsunion ohne die erforderlichen Voraussetzungen einzuführen, und die Weigerung, die Probleme konsequent zu lösen und stattdessen zu verschleppen, vor erheblichen Vermögenseinbußen stehen.

So fallen wir immer mehr in ein japanisches Szenario. Eine Stagnation der Wirtschaft, die mich an eine Eiszeit erinnert. Deshalb auch der Titel meines neuen Buches: „Eiszeit in der Weltwirtschaft“.

EZB auf verlorenem Posten

Die EZB ist die einzige Institution, die sich gegen die Eiszeit stemmt. Dabei kämpft sie auf verlorenem Posten, liegt der Schlüssel für die Lösung doch in einer Bereinigung der faulen Schulden. Zunächst hat die EZB mit ihrer Nullzinspolitik den Schuldenturm stabilisiert. Da die Schulden aber immer weiter wachsen, genügt das nicht. Nun folgen Negativzinsen und Einschränkung der Bargeldnutzung, um eine Flucht aus dem Bankensystem und vor den Negativzinsen zu verhindern.

Als nächstes folgt die direkte Finanzierung von Staaten oder Privaten durch das sogenannte „Helikopter-Geld“. Die Idee stammt vom Nobelpreisträger Milton Friedman und wurde auch vom ehemaligen US-Notenbankpräsidenten Ben Bernanke propagiert. Vordergründig zur Bekämpfung der Deflation geht es in Wirklichkeit darum, die Schuldenlast irgendwie tragbar zu halten. Staaten und Bürger sollen das geschenkte Geld ausgeben und so die Wirtschaft und die Inflation ankurbeln.

Mehr als ein Strohfeuer dürfen wir auch daraus nicht erwarten. Nur wenn es gelingt, unser Vertrauen in das Geld zu zerrütten, kommt es zur gewünschten Inflation. Diese würde aber, wenn sie denn eintritt, ablaufen wie – bildhaft gesprochen – der Schluck aus der Ketchupflasche: nicht als kleiner Klecks (vier Prozent), sondern eher als eine große Sauerei (Hyperinflation).

Knall oder japanische Lösung

Am Ende dürfte wie auch in Japan die „große Lösung“ stehen mit Bereinigung über die Notenbankbilanz. Bis es so weit ist, können aber noch viele Jahre vergehen. Jahre, in denen wir in der Eurozone immer mehr in die Eiszeit abrutschen, und die Konflikte zwischen den Mitgliedsländern zunehmen.

Vieles spricht dagegen, dass wir es in Europa genauso lange in der Eiszeit aushalten wie die Japaner. Zu heterogen sind unsere Gesellschaften, zu verlockend ist der Rückfall in nationales Denken, vor allem, weil Gläubiger und Schuldner in unserem Drama nicht im selben Land sitzen. Doch solange es nicht zu einem politischen Knall kommt – dem Sieg von eurokritischen Parteien in einem der Kernländer der EU – werden wir dem japanischen Vorbild folgen: dem Kaufen von Zeit und dem Hoffen auf ein Wunder. Ersteres geht nur noch begrenzt. Zweites wird nicht kommen.

Damit ist die offene Frage: Halten die Bevölkerungen Europas so lange durch, bis die Schuldenlösung über die EZB-Bilanz kommt, oder droht zuvor der politische „Unfall“ – der Austritt eines der Kernländer aus der Eurozone? Letzteres hätte zwangsläufig eine schwere Krise zur Folge. Bis jetzt hat die EZB immer als letzte der großen Notenbanken zu noch aggressiveren Maßnahmen gegriffen, vor allem aus Rücksicht auf die Deutschen als Hauptgläubiger in der Eurozone. Bleibt es bei diesem Tempo, sind Chaos und Depression wahrscheinlicher.

P.S.: Natürlich wäre es besser, die Politik würde das Schuldenproblem beherzt angehen und in einem geordneten Prozess lösen. Nach sieben Jahren Krise bleibt nur die ernüchternde Feststellung, dass die Hoffnung darauf naiv ist. Es bleibt die Wahl zwischen Chaos und Experiment mit ungewissem Ausgang. Bis dahin: Eiszeit.

Cicero.de: „Europa vor der Eiszeit, Japan vor dem Endspiel“, 27. März 2016

Kommentare (8) HINWEIS: DIE KOMMENTARE MEINER LESERINNEN UND LESER WIDERSPIEGELN NICHT ZWANGSLÄUFIG DIE MEINUNG VON BTO.
  1. Dietmar Tischer
    Dietmar Tischer sagte:

    @ Michael Stöcker

    >Zu Ihrem Beispiel. Sie schreiben: „Ihr Kompass zeigt in Richtung Knüppelpfad.“ Ich kann nicht erkennen, inwiefern meine Vorschläge für die übergroße Mehrheit ein Knüppelpfad sein sollen.>

    Sorry, ich habe mich offensichtlich nicht verständlich genug ausgedrückt.

    Deshalb diese Ergänzung:

    Der Knüppelpfad kann begangen werden und er SOLL zum Ziel führen können (habe ich ausdrücklich angenommen). Insofern sind IHRE Kritiker wie Issing völlig belanglos für MEINE Argumentation Ihnen gegenüber. Ihr Verweis auf sie ist neben der Sache.

    Kurzum, der Knüppelpfad ist nicht das Problem – nicht nur die übergroße Mehrheit, sondern alle könnten ihn begehen.

    Das Problem ist die geteerte Straße, die besser begehbar ist, leicht abwärts führt und daher bequemer ist und insbesondere dann die Präferenz ist, wenn die Wanderung durch den Wald anstrengend ist.

    Weil sie als VORTEILHAFTER angesehen wird gegenüber dem Knüppelpfad, hat dieser keine Chance die bevorzugte Option zu sein. Ich sage: ANGESEHEN wird, nicht IST.

    Heißt:

    Weil ein Weiter so auf der Basis von „Schuldgeld“ von der Politik und vermutlich auch der Bevölkerung als weniger risikobehaftet angesehen wird als Helikoptergeld, hat Helikoptergeld keine Chance.

    >… will daran nichts ändern, sondern lediglich unsere fehlerhaften Vorstellungen von Wirklichkeit korrigieren und somit dazu beitragen, dass wir den geteerten Weg nicht fälschlicherweise für einen Knüppelweg halten …>

    Welche Vorstellungen von Wirklichkeit FEHLERHAFT sind, lassen wir einmal dahingestellt.

    Man sieht die Wirklichkeit nicht so wie sie ist, sondern so wie sie sich uns im Lichte UNSERER Vorstellungen von Wirklichkeit präsentiert. So ist das zumindest bei komplexen Sachverhalten.

    Aber Sie haben natürlich alles Recht auf dieser Welt, für IHRE Vorstellung zu werben. Und ich schließe nicht aus, dass irgendeinmal heute abseitige Vorstellungen Realität werden. Die Abschaffung des Bargelds z. B. halte ich heute für abseitig, bin aber überzeugt, dass sie einmal kommen wird.

    >Es liegt an der jungen Generation, welche Vorstellungen von Wirklichkeit sich durchsetzen werden.>

    Das ist richtig.

    Völlig andere Vorstellungen, vermutlich auch die vom Geldwesen, werden sich m. A. n. erst dann durchsetzen, wenn die junge Generation oder eine andere gegen die Wand gelaufen ist.

    Diesbezüglich (hier: Kopernikus, Ihre Vorstellungen) habe ich im Herdentrieb, letzter Beitrag, geschrieben:

    „Revolutionen, auch die im Denken, ereignen sich nach Scheitern oder nach Desaster.“

    Wir haben (noch) kein Scheitern und kein Desaster – wir haben Eiszeit.

    Antworten
  2. Dietmar Tischer
    Dietmar Tischer sagte:

    Hier ein Auffassung aus dem geleakten Telefongespräch zwischen IWF-Repräsentanten zur nächsten Griechenland-Krise, die ich als Bestätigung meiner Kosten-These verstehe:

    http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/griechenland-wikileaks-veroeffentlicht-angebliches-iwf-gespraech-a-1085112.html

    Daraus:

    >Deshalb müsste der IWF laut Thomsen zu gegebener Zeit sagen: “Schauen Sie, Frau Merkel, Sie stehen vor einer Frage. Sie müssen entscheiden, was TEURER (meine Hervorhebung, D. T.) ist: Ohne den IWF weiterzumachen. Würde der Bundestag sagen: Der IWF ist nicht an Bord? Oder lieber die Schuldenerleichterung wählen, von der wir glauben, dass Griechenland sie braucht, um uns weiter an Bord zu halten.” Das sei die entscheidende Frage, so Velculescu laut Gesprächsmitschrift. “Ich bin überrascht, dass das noch nicht passiert ist.” >

    Was ist TEURER – das ist wie immer die Frage.

    Bei den Schuldenerleichterung geht es um einen Schuldenschnitt, d. h. um einen formal ausgesprochenen VERZICHT auf zumindest teilweise Rückzahlung der griechischen Staatsschulden. Das ist die Bedingung des IWF – und muss es seiner Satzung nach sein, wenn er dabei bleiben will.

    Merkel muss den IWF an Bord halten, sonst wackelt ihre Bundestagsmehrheit. Einem formalen Schuldenverzicht kann sie aber nicht zustimmen. Sie würde innenpolitisch unglaubwürdig, weil sie 2010 gesagt hatte, dass die Griechen ihre Staatsschulden begleichen werden. Außerdem würde in der Bevölkerung die Auffassung, dass die Währungsunion erhalten werden solle, geschwächt werden. Denn es müssten bei einem solchen Verzicht VERLUSTE ausgewiesen werden. Dass an diesen DE FACTO sowieso kein Weg vorbeiführt, ist etwas anderes – solange man sie nicht im Haushalt aisweist.

    Was tun, Frau Merkel?

    Nun man wird den Griechen keine Schulden erlassen, aber erklären, dass für die aufgelaufenen praktisch keine Zinsen zu zahlen sind und die Tilgung erst in 2216 beginnen müsse. Da dies Schuldentragfähigkeit bedeutet, können selbstverständlich weitere Schulden aufgenommen werden – Hauptsache das Land kippt nicht aus der Eurozone. Der IWF wird das nicht gut finden, aber zustimmen, weil auch er nicht will, dass Griechenland aus der Eurozone ausscheidet.

    Heißt:

    Eiszeit – OHNE Lösung am Horizont.

    Antworten
  3. Dietmar Tischer
    Dietmar Tischer sagte:

    Ich habe „Eiszeit in der Weltwirtschaft“ nicht gelesen und kann daher nicht beurteilen, wie weit und wie genau Cicero.de das Buch widergibt.

    Der Artikel ist m. A. n. mit das Beste, was ich für das Verständnis der STRUKTURELLEN PROBLEMATIK und der daraus resultierenden LÖSUNGSDEFIZITE, mit denen wir uns konfrontiert sehen, gelesen habe.

    Insbesondere die aufgezeigte Parallele zwischen der Situation Japans sowie dem, was man dort im Zeitvorlauf zustande gebracht hat, und der Eurozone verdient größte Beachtung. Auch die kurze Einbeziehung der USA ist hilfreich. Auslassungen zu Sonderheiten, z. B. dass sich Japan nicht im Ausland verschuldet und die USA über die Referenzwährung verfügen, sind zu begrüßen, weil sie nicht vom roten Faden der Argumentation ablenken.

    Das m. A. n. nicht wegdiskutierbare Fazit ist ernüchternd und sollte jedem zu denken geben:

    >Damit ist die offene Frage: Halten die Bevölkerungen Europas so lange durch, bis die Schuldenlösung über die EZB-Bilanz kommt, oder droht zuvor der politische „Unfall“ – der Austritt eines der Kernländer aus der Eurozone? Letzteres hätte zwangsläufig eine schwere Krise zur Folge. Bis jetzt hat die EZB immer als letzte der großen Notenbanken zu noch aggressiveren Maßnahmen gegriffen, vor allem aus Rücksicht auf die Deutschen als Hauptgläubiger in der Eurozone. Bleibt es bei diesem Tempo, sind Chaos und Depression wahrscheinlicher>

    Krise oder Chaos – schon das ist schlimm genug.

    Und dann?

    Wie kommen wir da raus, um im Wettbewerb um Wohlstand wieder teilnehmen zu können, wenn andere wie China es schaffen sollten, sich ohne Krise und Chaos weiterzuentwickeln (was keineswegs sicher, aber möglich ist)?

    Die KRISE hinter Krise oder Chaos:

    Wer jung ist, sollte das besser verdrängen.

    Antworten
    • Michael Stöcker
      Michael Stöcker sagte:

      Meine Antwort auf diese Problematik kennen Sie: https://zinsfehler.wordpress.com/2013/10/13/zehn-masnahmen-fur-ein-europa-in-frieden-freiheit-und-wohlstand/

      Die drei wichtigsten Punkte sind ein zentralbankfinanziertes Bürgergeld (aka Helikoptergeld/QE4P/Citoyage) eine progressive Erbschaftssteuer sowie eine Reaktivierung der gesetzlichen Rente. Wer jung ist, sollte also besser nichts verdrängen, sondern sich aktiv für eine alternative Politik einsetzen. TINA gehört auf den Scheiterhaufen, nicht jedoch QE4P.

      LG Michael Stöcker

      Antworten
      • Dietmar Tischer
        Dietmar Tischer sagte:

        Richtig, Ihre Antwort auf diese Problematik kenne ich.

        Ich weiß auch:

        Es ist nur eine Antwort, keine Lösung.

        Das ist keine Kritik an Ihnen, weil ich – leider – auch keine habe und es ganz offensichtlich niemand gibt, der eine hat.

        Meine Erkenntnis und die anderer, u. a. die von D. Stelter ist, dass es KEINE LÖSUNG gibt im Sinne eines geordneten Verfahrens, mit dem wir zielgerichtet den Problemen entkommen könnten. D. Stelter begründet dies m. A. n. hinreichend und hinreichend überzeugend.

        Bevor Sie widersprechen, will ich anhand einer Analogie darlegen, warum das so ist und somit auch für Ihre Antwort gilt.

        Nehmen wir an, dass Sie am Rande eines riesigen, unübersichtlichen Waldgebietes stehen mit einer Karte und einem Kompass. Sie kennen Ihr Ziel (die Lösung) und wissen anhand von Karte und Kompass, in welche Richtung Sie gehen müssen.

        Wenn Karte und Kompass nicht funktionieren, kommen Sie nicht ans Ziel. Wir blenden das aus, obwohl man dies für die Zielerreichung nicht ausblenden kann (heißt: Es wäre zu prüfen, ob man mit Ihren Vorstellungen tatsächlich zu einer Lösung käme).

        Sie gehen nun also los und führen das Volk ans Ziel, ins „gelobte Land“ vernünftiger wirtschaftlicher Verhältnisse.

        Nach einiger Zeit erreichen Sie eine Lichtung, von der 5 Wege abgehen: ein Schotterweg, ein Knüppelpfad, eine gepflasterte Straße (leicht aufwärts), eine geteerte leicht abwärts und ein vermatschter, schlammiger Weg? Ihr Kompass zeigt in Richtung Knüppelpfad. Schlagen Sie diese Richtung ein? Natürlich nicht, das Volk wird die geteerte, leicht abwärts führende Straße gehen wollen und sie auch gehen. Daran ändern Sie nichts – nicht eine Bohne. Wenn doch, dann wird man sie als Wegweiser entlassen. Nach einiger Zeit wiederholt sich das Spiel an der nächsten Lichtung etc.: Bei Entscheidungen wird regelmäßig die Option gewählt, die allen anderen gegenüber diejenige mit den kurzfristig erkennbar geringsten Kosten ist, wobei „Kosten“ im allgemeinsten Sinne verstanden werden muss.

        Erreicht das Volk das Ziel, das Sie ihm vorgegeben haben?

        Es erreicht es nicht. Praktisch nie und nimmer, theoretisch allenfalls mit der Wahrscheinlichkeit, mit der Lottospieler Millionäre werden.

        Sie verstehen, was die Analogie Ihnen verdeutlichen will, und müsste auch erkennen, dass Ihre Überlegungen NICHT REALISTISCH und damit lediglich als intellektuelle Spielerei interessant sind.

        Damit sage ich nichts Abwertendes, sondern ordne nur ein:

        Ihre Antwort bzw. ihre Vorstellungen sind letztlich IRRELEVANT für das, was sie vorgeben zu leisten, nämlich eine LÖSUNG zu SEIN.

      • Michael Stöcker
        Michael Stöcker sagte:

        Lieber Herr Tischer,

        wie Sie wissen, sind mir meine großen/größten Kritiker die Liebsten; denn nur so können die Pros und Cons sauber herausgearbeitet werden und nur auf diesem Weg kann geprüft werden, was eine intellektuelle Übung ist und was nachhaltige Substanz haben könnte.

        Zu Ihrem Beispiel. Sie schreiben: „Ihr Kompass zeigt in Richtung Knüppelpfad.“ Ich kann nicht erkennen, inwiefern meine Vorschläge für die übergroße Mehrheit ein Knüppelpfad sein sollen.

        Es gibt zum einen für ALLE Bürger von Euroland jeden Monat ca. acht Kästen Freibier (QE4P in Höhe von 80 EUR und wegen der Suchtgefahr selbstverständlich alkoholfrei; zertifiziert durch die noch zu gründende MKA (Monetäre Konzertierte Aktion)). Wer könnte hierunter leiden? Richtig, unsere Hardcore Monetaristen, die sich eine fiktive Welt gebastelt haben, die leider nur sehr wenig mit der monetären Wirklichkeit zu hat. Für die wird es ein echter intellektueller Knüppelpfad. Ottmar Issing müsste sich wohl in die Nervenheilanstalt begeben: http://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=16487#comment-189127. Hierzu passt auch die Einschätzung von Flassbeck: http://www.flassbeck-economics.de/otmar-issing-helikoptergeld-ist-bankrotterklaerung-der-ezb-wer-aber-ist-der-bankrotteur/

        Wie sehr der naive Monetarismus in der veralteten Tradition der Bundesbank der 70er Jahre noch immer unsere Sinne vernebelt und einfach nicht tot zu kriegen ist, wird erneut durch ein Interview mit Andreas Dombret belegt, dessen Meinung ich ansonsten eigentlich sehr schätze. Auch im Jahre 8 der Richtigstellung durch die Bundesbank zuckt sie noch immer: Die Loanable Funds Theorie: https://zinsfehler.wordpress.com/2015/06/02/zombinomics-oder-die-pfahlung-der-loanable-funds-theorie/. So antwortet Herr Dombret im Interview: „Weil die Zinsen so niedrig und bei der EZB sogar negativ sind, müssen sie irgendetwas mit ihrem Geld machen. Und deshalb vergeben sie so viele Immobilienkredite.“ http://www.spiegel.de/wirtschaft/immobilien-bundesbank-warnt-vor-preisblase-a-1084518.html.

        Auch Herr Dombret fällt wieder auf die konstruierte Vorstellung von Wirklichkeit herein. Banken VERLEIHEN KEIN Geld!!! Zur konstruierten Vorstellung von Wirklichkeit verweise ich auch auf Ihren Kommentar im Herdentrieb aus dem letzten Jahr: http://blog.zeit.de/herdentrieb/2015/11/10/wie-wissenschaftlich-ist-die-neoklassik_9033?sort=asc&comments_page=18#comment-215514. Denn dies gilt selbstverständlich auch für die kolportierten Vorstellungen unseres medialen und ökonomischen Mainstream zu QE4P. Und auch Ihr unablässiges Insistieren auf strukturelle Reformen (so richtig ich sie im Einzelfall auch finde) verhindert den nüchternen Blick auf die monetären und saldenmechanischen Restriktionen, die es zu überwinden gilt.

        Zum anderen präferiere ich eine Rückbesinnung auf die gesetzliche Rente als Basisaltersvorsorge (VII.). Auch hiervon profitieren ca. 90 % der Bevölkerung.

        Und eine höhere Erbschaftssteuer (VIII.) mit hohen Freibeträgen (1 Mio. pro Kind) in Verbindung mit einem staatlichen Erbschaftsfonds ist wohl auch kein Knüppelpfad für die 90 %.

        Eine Eindämmung des Algotradings (Punkt X.) über Mindesthaltedauern ist zudem eine Befreiung aus der existentiellen Sinnlosigkeit. 99,9 % werden vermutlich gar nicht wissen, worum es dabei geht.

        Insofern gebe ich Ihnen völlig recht, wenn Sie schreiben: „Natürlich nicht, das Volk wird die geteerte, leicht abwärts führende Straße gehen wollen und sie auch gehen. Daran ändern Sie nichts – nicht eine Bohne.“

        Ich will daran nichts ändern, sondern lediglich unsere fehlerhaften Vorstellungen von Wirklichkeit korrigieren und somit dazu beitragen, dass wir den geteerten Weg nicht fälschlicherweise für einen Knüppelweg halten, der unmittelbar in die Inflationshölle führt, sondern in eine lebenswerte Zukunft mit relativem Wohlstand (nicht Luxus) für alle. Damit schaffen wir kein langweiliges Paradies, aber wir können die nervenaufreibende Hölle verhindern.

        „…und müsste auch erkennen, dass Ihre Überlegungen NICHT REALISTISCH und damit lediglich als intellektuelle Spielerei interessant sind.“

        Meine Überlegungen sind genau so realistisch, wie die eines Kopernikus (ich stehe ihm gegenüber auf der Erkenntnisleiter aber ganz weit unten). Oder um mit Wilhelm Jensen zu sprechen:

        „Wer andern etwas vorgedacht,
        wird jahrelang erst ausgelacht.
        Begreift man die Entdeckung endlich,
        so nennt sie jeder selbstverständlich.

        Es liegt an der jungen Generation, welche Vorstellungen von Wirklichkeit sich durchsetzen werden. Auf die vermeintlichen Weisheiten greiser Hardcore Monetaristen sollte sich die Jugend jedenfalls nicht unreflektiert verlassen. Dieser Weg ist allerdings ein echter intellektueller Knüppelweg: http://www.querschuesse.de/eurozone-ausstehendes-kreditvolumen-november-2015/#comment-92450.

        LG Michael Stöcker

  4. Rob
    Rob sagte:

    “Die Unternehmen haben deshalb weniger die Preise gesenkt und stattdessen lieber die Gewinne maximiert. Weil sie diese Gewinne nicht investieren oder höhere Löhne bezahlen, kommt es im Inland nicht zu mehr Nachfrage.”

    Danke für diese Feststellung (angenommen, sie trifft zu). Das ist m.M.n. das Hauptübel schlechthin, das über viele Jahre hinweg unsere heutige Lage (bzw. die Lage in Japan) verursacht. Man könnte sogar meinen: die drei Staaten mit den höchsten kumulierten Leistungsbilanzwerten (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Cumulative_Current_Account_Balance.png, weiter zu “the Data” scrollen) haben auch die größten Ersparnisse im Ausland (mutmaßlich vorwiegend Unternehmerersparnisse), die also keine Nachfrage im Inland auslösen.
    Das Deutschland unter den dreien noch keine nennenswerten Probleme hat, liegt an der Einbindung im Euro.

    Antworten
    • Michael Stöcker
      Michael Stöcker sagte:

      „Weil sie diese Gewinne nicht investieren oder höhere Löhne bezahlen, kommt es im Inland nicht zu mehr Nachfrage.“

      Oder aber auch: Weil die Gewinne nicht genügend besteuert werden, sind fiskalische Redistribution sowie staatliche Investitionen zu niedrig. Aber auch diese Situation führt in das Binswangersche Dilemma. Entweder steigen die Löhne, was zu Lasten der Vorsteuerrendite geht oder aber es steigen die Steuern, was zu Lasten der Nachsteuerrendite geht. In beiden Fällen widerspricht dies der Funktionsweise des Kreditgeldkapitalismus. Hier kollidiert die betriebswirtschaftliche Logik mit der volkswirtschaftlichen Saldenmechanik.

      Die simple Lösung liegt im monetären Bereich. Je länger wir mit QE4P zuwarten, umso so größer wird allerdings das Ketchup-Szenario. Warum? Weil zwischenzeitlich auch immer mehr gesunde Betriebe illiquide werden und somit Insolvenz anmelden müssen. Nach dieser dummen Art der Marktbereinigung treffen dann hohe monetäre Wünsche auf ein geschrumpftes Waren – und Dienstleistungsangebot bei niedrigeren Kapazitäten. Der Hysterese-Effekt bewirkt zudem eine größere Katastrophe auf dem Arbeitsmarkt. Dazu noch ein wenig Demografie und Flüchtlingsproblematik und das Drehbuch für ein europäisches Endzeitepos a la Waterworld hat eine solide Basis. Das Eiszeit-Szenario ist dagegen eine geradezu harmonische Perspektive.

      LG Michael Stöcker

      Antworten

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