Ethisches In­vestieren hält nicht, was es ver­spricht

„Es gibt eine und nur eine soziale Verantwortung für Unternehmen – ihre Ressourcen zu nutzen und sich an Aktivitäten zu beteiligen, die darauf abzielen, ihre Gewinne zu steigern.“ Diese Auffassung des Nobelpreisträgers Milton Friedman aus den 1970er-Jahren gilt heute als überholt. Schon seit Langem geht der Trend in eine andere Richtung.

Unternehmen sollen sich selbst nach ethischen Grundsätzen steuern und neben der Maximierung der Erträge für die Eigentümer auch andere Ziele verfolgen, wie den Schutz von Klima und Umwelt und eine gerechtere Gesellschaft. Zusammengefasst wird das mit dem Kürzel „ESG“ – Umwelt (Environment), Soziales (Social) und gute Unternehmensführung (Governance).

Unternehmen suchen sich Mitarbeiter danach aus, Sparer und Großinvestoren fordern eine entsprechende Ausrichtung. Vermögensverwalter versprechen, bei der Geldanlage darauf zu achten. Sie zeigen in Studien, wie etwa der Axa Investment Manager für das Jahr 2021, auf, dass ESG-orientierte Anlagen nicht nur gut für das Gewissen, sondern auch für den Geldbeutel seien. Kein Wunder, dass in den vergangenen Jahren sehr viel Geld in ESG-Fonds geflossen ist.

Doch ganz so unstrittig, wie es erscheint, sind die mit dem ESG-Label versehenen Anlagen dann doch nicht. Schon lange ist bekannt, dass Unternehmen von verschiedenen Ratingagenturen unterschiedlich eingestuft werden und die Kriterien unterschiedlich gewichtet in die Bewertung eingehen. So kann ein Ölmulti wie Total Energies ESG-konform sein, wenn er weniger schlecht abschneidet als der Branchendurchschnitt. Ebenso bekannt ist, dass manche Anlagen als „grün“ ausgewiesen werden, die es nicht sind.

In den USA ist ESG mittlerweile in den Fokus der politischen Auseinandersetzung geraten. Während die Demokraten für eine Bevorzugung von Anlagen nach ESG-Kriterien sind, fordern Republikaner Pensionsfonds auf, Gelder von ESG-Fonds abzuziehen. Vertreter von 19 republikanisch regierten Bundesstaaten haben Blackrock-Chef Larry Fink wegen möglicher Gesetzesverstöße angeschrieben. Ziel der Geldanlage sei es, für die Anleger eine möglichst hohe Rendite zu erwirtschaften, nicht andere Ziele zu fördern. US-Präsident Joe Biden musste am 20. März mit einem Veto ein Anti-ESG-Gesetz stoppen.

Viele Befürworter sehen Zielkonflikt nicht

Für viele Befürworter des ESG-Investierens gibt es den Zielkonflikt zwischen Rendite und ESG nicht. Im Gegenteil würde die Beachtung der ESG-Kriterien erst sicherstellen, dass die Aktionäre auch in Zukunft gutes Geld verdienen.

Der Niedergang der Credit Suisse aufgrund von eklatanten Mängeln der Corporate Governance unterstreicht dies. Dabei ist es allerdings symptomatisch für die Schwächen der ESG-Einstufungen, dass die Bank gute bis mittlere ESG-Ratings hatte. Es lohnt sich also, etwas genauer hinzuschauen.

Wie Geldmanager ihr eigenes Geld investieren, ist ein sicherer Indikator dafür, wie ernst sie das meinen, was sie sagen. Investiert ein Vermögensverwalter viel von seinem eigenen Geld mit dem Geld der Anleger zusammen, darf man davon ausgehen, dass er so investiert, dass Risiko und Ertrag aus seiner Sicht optimiert sind.

Vitaly Orlov von der Universität St. Gallen hat mit zwei Kollegen in einer Studie gezeigt, dass das Anlageverhalten von Fondsmanagern, die eigenes Geld mit verwalten, bezüglich ESG anders ist als bei reiner Verwaltung von Kundengeldern.

Die Finanzwissenschaftler haben 1216 aktiv verwaltete, breit gestreute und als ESG-Fonds bezeichnete US-Aktienfonds von Januar 2015 bis Dezember 2020 analysiert. Das Ergebnis: Sobald der Manager eigenes Geld im Fonds hat, weicht die Anlagestrategie von der nach ESG eigentlich vorgegebenen Strategie ab. Je mehr Geld der Manager im Fonds hat, desto stärker ist die Abweichung. Zieht er das eigene Geld ab, wird der Fonds wieder ESG-konform.

Geldmanager glauben nicht an Überlegenheit ESG-konformer Geldanlage

Das zeigt deutlich, dass die Geldmanager – zumindest in den hier untersuchten USA – nicht an die Überlegenheit von ESG-konformer Geldanlage glauben. ESG als Label dient vor allem dazu, Anlagegelder anzulocken. Blickt man zudem auf die Renditen verschiedener Geldanlagen im Jahr 2022, kommt man nicht umhin festzustellen, dass jene, die nicht an die Grundsätze des ESG gebunden waren, eine bessere Rendite-Chance hatten.

Kaum jemand wünscht sich eine Rückkehr zu den Vorstellungen von Milton Friedman. Dennoch sollten wir uns ernsthaft die Frage stellen, ob ESG, so wie es heute praktiziert wird, mit Versprechungen, die nicht ernst gemeint sind, und fragwürdigen Kriterien, Anlegern und Gesellschaft nicht vielleicht mehr schadet als nutzt.

→ handelsblatt.com: “Ethisches Investieren hält nicht, was es verspricht“, 26. März 2023