“Es geht zu Lasten der Mittelschicht”

Dieser Kommentar erschien bei Cicero.de.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hatte die wachsende Ungleichheit im Land angeprangert. Der Ökonom Daniel Stelter widerspricht. Statt für Umverteilung plädiert er für eine Reform des Banken- und Geldsystems und für eine Begrenzung der Zuwanderung.

Im Herbst 2014 besuchte der französische Ökonom Thomas Piketty den deutschen Wirtschaftsminister Gabriel. Auf großer Bühne wurde im Wirtschaftsministerium sein Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ besprochen und diskutiert. Der Hausherr stellte damals fest, dass es ihm letztlich egal sei, ob die Thesen Pikettys zuträfen oder nicht. Politisch relevant sei die Forderung nach höherer Besteuerung von Vermögen und Einkommen allemal. Und er würde sich danach richten.

Gabriel ist damit nicht alleine. Das Deutsche Institut der Wirtschaft (DIW) mit seinem umtriebigen Präsidenten Marcel Fratzscher hatte in einer Studie die zunehmende Ungleichheit im Lande angeprangert. Dass die zugrunde liegenden Zahlen falsch waren und nach Korrektur beileibe nicht den alarmistischen Schlagzeilen entsprachen, wurde von den Medien nur in Fußnoten erwähnt. Wir alle sollten die Schlagzeilen in Erinnerung und die politisch gewünschte Message im Hinterkopf behalten.

Symptome statt Ursachen

Sowohl Piketty als auch Fratzscher beschreiben Symptome wie steigende Vermögen und zunehmende Ungleichverteilung von Vermögen und Einkommen. Doch statt auf die wirklichen Ursachen einzugehen, liefern sie mehr oder weniger überzeugende Begründungen für die von ihnen bedauerte Entwicklung. Nur über mehr Besteuerung ließen sich die Probleme lösen, ist sodann die Schlussfolgerung.

Dabei lohnt es sich, tiefer zu blicken. Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs und dem Eintritt Chinas in die Weltwirtschaft erhöhte sich das weltweite Arbeitskräfteangebot um mehrere Hundert Millionen Menschen. Die sogenannte Globalisierung erlaubte es diesen Menschen, die Armut zu überwinden, führte jedoch zugleich zu einem intensiveren Lohnwettbewerb. In der Folge gingen Arbeitsplätze in den Industrieländern verloren und das Lohnniveau geriet unter Druck. Die zwangsläufige Folge: eine Spreizung der Lohnentwicklung.

Wer nun den Eindruck erweckt, dies einfach ändern zu können, muss entweder zu Protektionismus greifen – nicht zufällig eine offene Tendenz beider Präsidentschaftskandidaten in den USA – oder aber zu Lohnbezuschussung aus Steuermitteln. Die einfache Erhöhung von Mindestlöhnen stößt bei offenen Märkten rasch an Grenzen.

Vermögenszuwächse durch Schulden

Auch hinter dem Anstieg der Vermögen seit Mitte der 1980er-Jahre, wie von Piketty beobachtet, steht die Globalisierung. Im Bemühen, die Folgen für die westlichen Gesellschaften zu mindern, haben die Politiker auf eine Deregulierung des Bankensystems und immer tiefere Zinsen gesetzt. So sollte Verschuldung fehlende Einkommen ersetzen.

Zu immer tieferen Zinsen und mit immer geringeren Eigenkapitalanforderungen haben Banken den Kauf von Vermögenswerten, vor allem Immobilien, finanziert. In der Tat ist es so, dass der einzige Vermögenswert, der in den vergangenen 30 Jahren nach dem Anstieg der Vermögen relativ zum Bruttoinlandsprodukt steht, die Immobilien sind. In Großbritannien beispielsweise liegen die Ausleihungen der Banken an die Realwirtschaft seit 1990 stabil bei rund 30 Prozent des BIP, im selben Zeitraum haben sich Konsumentenkredite und vor allem Hypotheken verdreifacht. Ohne diesen Verschuldungsanstieg, den Piketty übrigens mit keinem Wort erwähnt, wären die Vermögenswerte nicht so angestiegen und auch die Vermögenskonzentration nicht, profitieren doch naturgemäß nur jene von Vermögenszuwächsen, die Vermögen besitzen.

Wer die ungleiche Vermögensentwicklung bekämpfen will, muss offensichtlich an unserem Bank- und vor allem Geldsystem ansetzen. Wir brauchen eine Begrenzung des Kreditwachstums, was aus Sicht von Politikern die unerfreuliche Nebenwirkung hat, dass man nicht mehr kurzfristig die Wirtschaft stimulieren kann. Deshalb ist es bequemer wie Piketty und Fratzscher bei den Symptomen zu bleiben und die populistische Steuerkeule zu schwingen.

Sozialausgaben auf Rekordniveau

Noch nie haben in Deutschland so viele Menschen Arbeit gehabt wie heute. Dennoch geben wir so viel Geld für Soziales aus wie nie. Offensichtlich läuft wirklich etwas falsch im Lande.

Es ist interessant, dass gerade bei boomender Wirtschaft und Rekordausgaben des Staates für Soziales eine „Gerechtigkeitsdebatte“ geführt wird. Mit Blick auf die Einkommen lohnt es sich, daran zu erinnern, dass als „arm“ gilt, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens verdient. Wenn wir morgen alle Gehälter in Deutschland real verdoppeln könnten, wäre die Armut nach dieser Definition unverändert. Allein schon dieses Beispiel zeigt, wie man mit dem Begriff der Armut agieren kann, um ein gewünschtes politisches Ergebnis zu erzielen.

Besonders Türken sind armutsgefährdet

Nehmen wir dennoch diese Armutsdefinition, lohnt es sich, genauer hinzuschauen, welche Bevölkerungsgruppen unter den Armen überproportional vertreten sind. Wie die F.A.Z. berichtet, sind es vor allem Menschen mit Migrationshintergrund und dabei vor allem Türken. Neben der deutlich höheren Kinderzahl ist es die mangelnde Bildung, die zu einem tieferen Familieneinkommen führt. Gerade Zuwanderer aus muslimischen Ländern – so das DIW – haben weit unterdurchschnittliche Einkommen, zudem eine weitaus geringere Erwerbsbeteiligung der Frauen und zugleich eine höhere Geburtenrate. Es dürfte eine zutreffende Annahme sein, dass diese Bevölkerungsgruppe, obwohl nach hiesigen Maßstäben als „arm“ charakterisiert, sich selbst verglichen mit den Landsleuten in der Heimat keineswegs als „arm“ versteht.

Schon 2014 hat die Bertelsmann Stiftung auf die erhebliche Finanzierungslücke der Zuwanderung hingewiesen und auf eine drastische Umkehr in der Einwanderungspolitik gedrängt. Auf keinen Fall dürfe der Fehler früherer Jahre wiederholt werden, sondern es müsse eine gezielte Zuwanderung von qualifizierten Ausländern erfolgen, die einen entsprechenden Beitrag zur Finanzierung des Sozialstaates leisteten. Wie das geht, zeigen andere Einwanderungsländer eindrücklich. Kanada, Australien und auch die USA sind in der Lage, gezielt qualifizierte Einwanderer anzuziehen. Dazu bräuchten wir allerdings einen deutlichen Wandel in unserer Einwanderungspolitik mit einem an unseren Interessen ausgerichteten Auswahlprozess.

Wenn wir aus humanitären Gründen Flüchtlinge aufnehmen, bedeutet dies nichts anderes, als unseren Wohlstand mit diesen zu teilen. Dies muss zu einer Belastung führen und diese muss letztlich die Mittelschicht tragen. Statistisch gesehen führt die Art der Zuwanderung, wie sie in Deutschland erfolgt, zu immer mehr „Armut“ und demzufolge zu immer mehr Eingreifen der Politik, um das Symptom durch Umverteilung zu lösen.

Cicero.de: “Es geht zu Lasten der Mittelschicht”, 8. August 2016