Erhaltet das DIW!

Dieser Kommentar von mir erschien bei Cicero:

Zurzeit wird überprüft, ob das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung weiter öffentlich gefördert werden soll. Tatsächlich scheinen dem DIW und seinem Präsidenten Marcel Fratzscher die Schaffung politisch erwünschter Nachrichten wichtiger zu sein als Fakten. Trotzdem brauchen wir es ein “linkes” Institut.

Im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, kurz DIW, herrscht Unruhe. Wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtet, steht in dieser Woche der Besuch der Evaluierungskommission der Leibnitz Gemeinschaft an, die darüber entscheidet, ob das größte deutsche Wirtschaftsforschungsinstitut auch in Zukunft großzügig mit öffentlichen Mitteln gefördert wird. Dumm dabei für das DIW: Es geht nicht um die mediale Aufmerksamkeit, sondern – wie auch bei den anderen alle sieben Jahre überprüften Instituten – um die Qualität der Forschung. Und da gibt es zunehmend Zweifel, wie die F.A.Z. zusammenfasst. Von mehreren verpatzten Ausschreibungen ist da die Rede, die oftmals nur durch die exzellenten Kontakte des Präsidenten des DIW, Marcel Fratzscher, in die Politik – vor allem zum damals SPD-geführten Wirtschaftsministerium – gerettet werden konnten. Da gab es dann Aufträge, die es zuvor nicht gab, nur damit auch für das DIW etwas abfällt.

Fratzscher auf allen Kanälen

So gesehen zahlt sich die mediale Präsenz des umtriebigen Präsidenten des DIW für das Institut aus. Immerhin schafft er es auf Platz 3 des jährlichen Ökonomenrankings der F.A.Z., sogar vor dem langjährigen Spitzenreiter, dem früheren Präsidenten des ifo Instituts Hans-Werner Sinn. Bei Twitter hält er den Spitzenplatz nach einer Auswertung des Blogs Makronom, knapp gefolgt von seiner DIW-Kollegin Claudia Kemfert, einer Vorkämpferin für Energiewende und CO2-Steuer.

Dabei spielt es keine Rolle, dass Fratzscher mit seinen Aussagen mehr ein gutes Gespür für politische und mediale Rezeption als für die Güte der dahinter liegenden Analysen hat. Kaum einer schafft es so schnell wie er, sich auf die aktuellen Themen zu stürzen und dabei auch noch den gewünschten Ton zu treffen:

Bestätigung für Kühnert

Kevin Kühnert fordert die Kollektivierung von BMW? Für Fratzscher nur logisch, denn die soziale Polarisierung in Deutschland nähme zu. „Wir haben einen ungewöhnlich großen Niedriglohnbereich, das Armutsrisiko steigt trotz Wirtschaftsbooms“, sagte der Ökonom. „Herr Kühnert trifft zu Recht einen Nerv“, sagte Fratzscher dem Portal n-tv.de. Da stört es nicht, dass die Daten der OECD etwas ganz anderes sagen: Deutschland ist das Land mit dem geringsten Armutsrisiko, der gleichsten Einkommensverteilung und die verfügbaren Einkommen der unteren zehn Prozent sind schneller gewachsen als jene der Mittelschicht.

Die Betonung der Aussagen von Fratzscher liegt also mehr auf der Bestätigung, dass Kühnert ein populäres Thema besetzt hat, als auf den tatsächlichen Fakten. Fragt sich nur, ob man als Vertreter eines Wirtschaftsforschungsinstituts die damit verbundene Reputation und Glaubwürdigkeit dazu nutzen sollte, politische Befindlichkeiten so zu kommentieren.

Fehler mit Folgen

Allerdings passt diese einseitige Darstellung und Verzerrung der Fakten in das Bild, das Fratzscher seit Jahren der Öffentlichkeit vermittelt. So berichteten die Medien in Deutschland im Mai 2016 breit über das Schrumpfen der Mittelschicht. „Die Mittelschicht schrumpft in Deutschland genauso stark wie in den USA“, sagte Marcel Fratzscher damals und weiter: „Wenn die Mittelschicht schrumpft, schadet das der deutschen Wirtschaft.“ Kein namhaftes Medium kam an der Schlagzeile vorbei. Die seriöse WirtschaftsWoche machte es gar zum Titelthema. Umso peinlicher, dass sie schon eine Woche später zurückrudern musste: „Dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) ist ein gravierender Fehler unterlaufen: Die Berechnung der Einkommensschichten in Deutschland, Grundlage der Titelgeschichte der WirtschaftsWoche in der vergangenen Woche, basierte auf einer fehlerhaften Berechnung des Medianeinkommens durch das DIW“, schrieb das Magazin.

Für Marcel Fratzscher kein großes Problem: „Uns (ist) ein Fehler unterlaufen, den wir bedauern. An den Kernaussagen des Berichts ändert sich nichts“, was die WirtschaftsWoche dann doch anders sah: „Insgesamt ist der Bevölkerungsanteil der Mittelschicht an der deutschen Gesellschaft – anders als Fratzscher behauptet – deutlich größer als in den USA. Von einer Verkleinerung auf unter 50 Prozent der Bevölkerung – und damit amerikanischen Verhältnissen – ist Deutschland, anders als das DIW schlussfolgert, noch deutlich entfernt.“ Immerhin hat die WirtschaftsWoche relativ prominent auf den Fehler verwiesen. Die meisten anderen Medien beließen es lieber bei dem Eindruck, den sie in der Woche davor in der Öffentlichkeit mit Fratzschers schrägen Zahlen erweckt hatten: Deutschland, ein Land, in dem es immer ungerechter zugeht. Fakten sind da egal.

Fratzscher bleibt stets auf Kurs

Prominentester Fall waren die Aussagen, die Fratzscher zum Höhepunkt der Flüchtlingskrise im Herbst 2015 in den Medien platzierte. Basierend auf einer „Studie“, die bei genauerem Hinsehen nichts anderes als eine Excel-Tabelle mit überoptimistischen Annahmen war, kam er zu der Schlussfolgerung, dass die Flüchtlinge sich positiv auf die deutsche Wirtschaft auswirken würden. Dabei rechnete er Ausgaben und laufende Kosten systematisch klein und überschätzte künftige Erwerbsbeteiligung und Einkommen eklatant, obwohl die entsprechenden Erfahrungswerte in seinem eigenen Haus im Rahmen des regelmäßig erstellten sozioökonomischen Panels vorlagen. Hauptgrund für die positive Wirkung auf die Konjunktur waren übrigens die gestiegenen Staatsausgaben.

Auch beim Thema Eurokrise bleibt Fratzscher auf Kurs. Ungeachtet der Studien des IWF, die zeigen, dass eine Transferunion gar nicht so groß sein kann, wie sie sein müsste, um den Euro zu stabilisieren und der Tatsache, dass die deutschen Privathaushalte deutlich ärmer sind als jene der Krisenländer, sieht er den Hauptgrund für die Eurokrise in der Weigerung Deutschlands, hiesige Steuergelder für das Ausland zu mobilisieren: „Wer einen dauerhaft stabilen Euro will, muss einer Vertiefung der EU zustimmen. (…) Mit seiner gegenwärtigen Blockadepolitik ist Deutschland eine Gefahr für die EU“, schrieb er in einem Beitrag für die WirtschaftsWoche. Kein Wort davon, dass die Eurozone wirtschaftlich immer weiter auseinanderfällt und die Verschuldung nicht nur in Italien, sondern zunehmend in Frankreich zu einer ernsthaften Bedrohung wird.

Wir brauchen ein „linkes“ Institut

Nun wäre es falsch, das ganze DIW für die Kollateralschäden des übereifrigen Präsidenten abzustrafen. Ohne Zweifel gibt es auch vom DIW fundierte Studien, die einen wertvollen Beitrag zur gesellschaftlichen Debatte leisten. Die Häufung der Fehler und bewussten Fehlinterpretationen, gepaart mit der Kritik von wissenschaftlicher Seite führen aber zu einer kritischen Sicht auf das DIW. Angesichts der rund 30 Steuermillionen die hier ausgegeben werden, zu Recht.

Andererseits brauchen wir in Deutschland ein Wirtschaftsforschungsinstitut, welches mit der „linken“ Brille auf Wirtschaft und Gesellschaft blickt. Nur so ist sichergestellt, dass wir eine echte Diskussion um den besten Weg in diesem Lande führen. Allerdings sollte dieses Institut die höchsten wissenschaftlichen Grundsätze erfüllen und damit aufhören, politisch erwünschte Nachrichten ohne ausreichende Faktenbasis in die Welt zu setzen.

Ob Marcel Fratzscher der Richtige ist, dass DIW so zu reformieren, mag ich nicht zu beurteilen. Er ist schon seit sechs Jahren im Amt. Wenn er weiter als Präsident des DIW agiert, ist es jedoch unerlässlich, dass er sich mehr um Inhalte und Qualität, statt um die eigenen Auftritte in der Öffentlichkeit kümmert. Mediale Enthaltsamkeit dürfte ihm und dem DIW guttun – ebenso den Medien, die künftig kritischer hinschauen sollten, wenn Experten vermeintliche Wahrheiten auftischen.


[1] An dieser Stelle weise ich darauf hin, dass ich von Marcel Fratzscher schon vor einiger Zeit bei Twitter geblockt wurde, weil ich einigen seiner Tweets Fakten entgegengesetzt habe. Eine inhaltliche Auseinandersetzung wird so vermieden.

→ cicero.de: “Wir brauchen ein ‘linkes’ Forschungsinstitut”, 9. Mai 2019