Die Warnung der BIZ vor dem globalen Margin Call

Alle Jahre wieder warnt die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), die Notenbank der Notenbanken, vor den verheerenden Folgen der heutigen Geldpolitik. So auch im neuesten Bericht, der in dieser Woche erschienen ist. Und wie von mir schon in der Vergangenheit prognostiziert, gehen auch diesmal die verantwortlichen Notenbanker und Politiker nach der bewährten Methode vor: „Gelesen, gelacht, gelocht.“

Doch lange dürfte das Spiel nicht weitergehen. Wie die BIZ zu Recht deutlich ausführt, haben wir nichts, aber auch wirklich gar nichts aus der Finanzkrise gelernt. Diese war nicht die Folge von Problemen einzelner Banken: Die Finanzkrise war Folge von Exzessen in der amerikanischen Immobilienfinanzierung und Letztere war schon gar nicht die Folge der Pleite von Lehman Brothers. All dies waren nur Symptome für eine viel tiefer gehende Problematik. Über Jahrzehnte haben wir ein immer größeres Rad mit immer mehr Schulden gedreht. Immer riskantere Geschäfte wurden mit immer weniger Eigenkapital und zu immer niedrigeren Zinsen betrieben. Die Notenbanken trugen daran entscheidende Mitschuld, weil sie auf jedes noch so kleine Problem in den Finanzmärkten mit noch mehr und noch billigerem Geld reagierten. Dies taten sie, um mit den Worten der BIZ zu sprechen, „asymmetrisch“. Sie lockerten die Geldpolitik, strafften sie im Anschluss jedoch nur halbherzig. Das Signal an die Märkte war klar: „Tut, was ihr wollt und macht euch keine Sorgen. Wir hauen euch im Krisenfall wieder raus.“

Gefährlicher Finanzzyklus

Die Finanzkrise war und ist in Wahrheit eine Überschuldungskrise. Um diese zu bekämpfen, haben wir auf die bewährte Rezeptur gesetzt: noch mehr billiges Geld und noch mehr Schulden. Die Weltverschuldung – so rechnet die BIZ vor – liegt um immerhin 40 Prozent vom BIP höher als vor zehn Jahren. Spitzenreiter ist China mit einem Anstieg um 191 Prozent. Doch auch Kanada (70 Prozent – kein Wunder, dass dort nun eine massive Immobilienblase aufgepumpt wurde), Frankreich (67), Japan (52), Korea (49), Großbritannien ( 36) und die USA (29), um nur eine Auswahl zu nennen, geben Anlass zur Sorge.

Diese Kombination aus Rekordverschuldung, niedrigem Wachstum und schwindendem Handlungsspielraum könnte die Welt in eine neue Krise stürzen, warnt die BIZ – und zwar auf genauso explosive Weise, wie die Ereignisse der Jahre 2007-2009. Der „Finanzzyklus“ – so bezeichnet die BIZ die Schwankungen zwischen zunehmender Verschuldung und anschließender Krise – wird immer bedeutender und dominiert mittlerweile die realwirtschaftliche Entwicklung.

Immer mehr werden wir zum Spielball der Finanzmärkte. Steigt die Wachstumsrate der Verschuldung, verbessert sich die Stimmung an Börsen und in der Wirtschaft. Verlangsamt sich das Wachstum hingegen, drohen Crash, Rezession und Depression. Nur immer mehr steigende Dosen an Schulden können das System noch eine Runde weiterbekommen. Dass dies nicht auf Dauer geht, leuchtet wohl allen ein – nur unseren Notenbankern und Politikern nicht. Scheuen sie doch nichts so sehr wie den kalten Entzug, der naturgemäß mit erheblichen Korrekturen an den Finanzmärkten und in der Realwirtschaft einhergehen würde.

Unproduktiv statt produktiv

Leser meiner Kolumnen wissen, dass in unserem Geldsystem neues Geld praktisch unbegrenzt durch das Bankensystem geschaffen wird, und zwar durch die Vergabe von Kredit. Daran ist so lange nichts auszusetzen, wie die neuen Kredite zu produktiven Zwecken eingesetzt werden. Doch leider ist nicht nur die Verschuldung in den letzten Jahrzehnten deutlich gestiegen, sondern zugleich der Anteil der unproduktiven Kredite explodiert. Ein guter Teil der neuen Verschuldung in den USA seit 2009 erfolgte beispielsweise im Unternehmenssektor, der durch immer höheres Leverage die Aktienkurse nach oben getrieben hat. Die Investitionen in echte Anlagen stagnierten derweil auf tiefem Niveau. Kein Wunder, dass die jährliche Wachstumsrate der letzten zehn Jahre mit 1,3 Prozent so tief war, wie noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg. Sie entsprach ziemlich genau der Wachstumsrate, die die US-Wirtschaft nach 1929 verzeichnete, allerdings blieben uns der tiefe Einbruch und die dafür schnellere Erholung erspart.

Statt einer neuen großen Depression bekamen wir eine Depression in Zeitlupe, während zugleich die Finanzmärkte immer mehr aufgeblasen wurden. Doch auf Dauer kann dies nicht gehen.

Spekulation statt Produktion

Der Kauf auf Kredit ist ein gutes Geschäft, solange es gut geht, was ich an einem Beispiel erläutern möchte: Nehmen wir an, Sie könnten sich eine Aktie zu 100 Euro kaufen, die eine sichere Dividende von zehn Euro pro Jahr bezahlt. (ja, in der heutigen Zeit undenkbar) Setzen Sie für den Kauf nur Eigenkapital ein, erzielen Sie eine Rendite von zehn Prozent. Attraktiver wäre es, sich 100 Euro von der Bank zu leihen und gleich zwei Aktien zu kaufen. Gibt die Bank sich mit fünf Prozent Zinsen zufrieden, gehen fünf Euro an die Bank und 15 Euro bleiben bei Ihnen. Macht 15 Prozent Rendite. In der Praxis dürfte die Bank noch großzügiger sein und sich mit nur 20 Prozent Eigenkapital zufriedengeben. Sie können sich also zu Ihren 100 Euro noch 400 Euro von der Bank leihen und fünf Aktien kaufen. Von den 50 Euro Dividende gingen dann 20 Euro an die Bank (fünf Prozent auf 400) und Ihnen blieben 30 Euro! Eine Rendite von dreißig Prozent auf das eingesetzte Eigenkapital.

Nun merken auch andere, was für ein gutes Geschäft das ist und geben sich mit Renditen unter 30 Prozent zufrieden, zahlen also mehr für die Aktie.

Steigt der Kurs auf 140 Euro, haben Sie nicht nur einen schönen Kursgewinn erzielt, sondern auch wieder erheblich mehr Eigenkapital. Ihre zur Beleihung zur Verfügung stehende „Margin“ erhöht sich dadurch auf 300 Euro (100 plus 200 Kursgewinn). Zwar ist die Dividendenrendite von zehn auf nur noch sieben Prozent gefallen. Doch liegt sie damit immer noch über dem Zinssatz der Bank. Sie leihen sich weitere 840 Euro und kaufen dazu. Dann haben sie elf Aktien im Wert von 1540 Euro und Schulden von 1240 Euro. Die Rendite auf ihr Eigenkapital von 300 Euro sinkt zwar auf 16 Prozent, der Gesamtüberschuss (Dividende minus Zinsen) wächst allerdings von 30 auf 48 Euro. Es lohnt sich, solange mehr Schulden aufzunehmen, wie die Dividendenrendite über dem Zinssatz der Bank liegt. Man spricht vom Hebeleffekt (Leverage).

Das war in den letzten 30 Jahren ein sicheres Geschäft. Die Zinsen sanken von über zehn Prozent auf heute null und die Banken gaben sich mit immer weniger Margin zufrieden. Alle Assetpreise haben davon profitiert: Aktien, Anleihen, Immobilien, Kunst. Die Kreditvergabe der Banken zum Kauf von vorhandenen Assets hat sich in diesem Zeitraum vervielfacht.

Margin Call

Das funktioniert aber nur so lange, wie die Papiere im Wert steigen und der Kreditgeber keinen Nachschuss auf das Eigenkapital („Margin Call“) verlangt. Die Crashgefahr in den Märkten steigt, sobald die Finanzierungskosten über der Wertsteigerung des auf Kredit gekauften Gutes liegen. Da die Wertsteigerung mit zunehmender Verschuldung und damit erfolgter Nachfrage abnehmen muss, ist es nur eine Frage der Zeit, bis dieser Punkt eintritt.

Dann geht es aber nicht in einem langsamen und geordneten Prozess bergab. Die Wirkung des Leverages dreht sich nämlich um. Steigt der Wert aller Aktien/Immobilien/Kunstwerke etc. mit einer einzigen Transaktion zu einem höheren Preis, so sinkt auch der Preis aller Assets, sobald eine einzige Transaktion zu einem tieferen Preis vollzogen wird. Aufgrund der Schulden und des deshalb drohenden oder tatsächlich eintretenden „Margin Calls“ durch die Kreditgeber, die um ihre eigene Existenz fürchten müssen – man denke an die Eigenkapitalquoten der Banken, die nun wahrlich wenig Puffer bieten – kommt es zu einer Flucht aus den Märkten. Preise, die über Jahrzehnte kontinuierlich und mit geringen Schwankungen gestiegen sind, gehen in den Sturzflug über.

Der berühmte Crash ist nur denkbar in Märkten, in denen mit viel Kredit gearbeitet wird. Dass die BIZ nun erneut davor warnt, zeigt, wie weit wir es in den letzten Jahrzehnten getrieben haben.

Nicht ob, nur wann

Damit ist es nicht eine Frage, ob es zur nächsten Krise kommt, sondern wann. Märkte, die bei geringster Volatilität, trotz gemischter realwirtschaftlicher Daten auf rekordhohen Bewertungsniveaus notieren, sind anfällig für Störung jeglicher Art. Das trifft gerade auf die USA zu. Bricht das Vertrauen, kommt es zum Crash. Genau dasselbe hätte man allerdings auch 1997 schreiben können, als der damalige US-Notenbankpräsident Alan Greenspan vor der „irrational excuberance“ warnte. Bekanntlich ging die Party dann erst richtig los, bevor sie zweieinhalb Jahre später bitter endete. Genauso könnte es auch diesmal sein. Skeptisch stimmt, dass der weltweite „Kreditimpuls“, also die Wachstumsrate der Neu-Kredite rückläufig ist. Noch immer war das der sichere Vorbote für Turbulenzen an den Finanzmärkten und in der Realwirtschaft.

Die Reaktion der Notenbanken und Politiker auf eine erneute Krise dürfte dieselbe sein wie bisher. Mit noch mehr Geld würde man versuchen, das System doch noch eine Runde weiterzubekommen: Negativzinsen, Bargeldverbote und Helikoptergeld werden die Stichworte sein, mit denen uns die endgültige Rettung versprochen wird, mag die BIZ auch noch so laut warnen.

Freiwillig wird es nicht zu einer Abkehr von diesem Irrweg kommen. Erst wenn das Geldsystem völlig zerrüttet ist, dürfen wir auf einen Neuanfang hoffen. Das wahrhaft Alarmierende ist jedoch: Die Politiker werden wie immer jede Schuld von sich weisen und von „Marktversagen“ sprechen, um uns noch mehr in Richtung Staatswirtschaft zu treiben. Dabei ist die Krise in Wahrheit die Folge einer staatlich verordneten Manipulation des wichtigsten Preises überhaupt: des Zinses.

→  manager-magazin.de: “Das Alarmsignal der Ober-Notenbanker”, 27. Juni 2017