Die Illusion der Eurorettung

Dieser Kommentar von mir erschien bei manager magazin online: 

Am Montag letzter Woche konnten die Leser von manager magazin online gleich auf der Startseite drei interessante Artikel finden. Da war zum einen die überraschend offene Aussage des Grandseigneurs der Beratung, Roland Berger, dass Angela Merkel einfach nicht das Know-how habe, um ordentliche Wirtschaftspolitik zu betreiben. Da waren zum anderen die Abrechnung von Henrik Müller mit der FDP und deren “reichlich naiver” Europolitik und dann noch mein Kommentar, in dem ich vor den kostspieligen Folgen deutscher politischer Inkompetenz bei gleichzeitigem strategischen Vorgehen der französischen Regierung gewarnt habe.

Roland Berger wiederholte die von mir an dieser Stelle immer wieder gebrachte Kritik an der verheerenden wirtschaftspolitischen Bilanz unserer Kanzlerin. Die Positionen von Henrik Müller, den ich sehr schätze, und mir zu den Zukunftsaussichten der Eurozone, weisen jedoch eklatante Unterschiede auf. Während ich mir wünschte (es aber nicht erwarte), dass die FDP an ihrer Linie festhielte, fürchtet Müller dies, weil die FDP so eine Rettung der Eurozone gefährden würde. 

Keine Rettung, sondern Konkursverschleppung

 Wie immer wieder erläutert, setzt jede ernsthafte Sanierung der Eurozone voraus, dass

  • die faulen Schulden von Privaten und Staaten restrukturiert werden. Die Größenordnung dürfte bei mindestens 3.000 Milliarden Euro liegen.
  • das Bankensystem der Eurozone rekapitalisiert wird, um wieder funktionsfähig zu werden. Der Bedarf dürfte bei rund 1000 Milliarden liegen.
  • die Wettbewerbsfähigkeit der Krisenländer (wieder) hergestellt wird oder aber, wenn dies nicht erzielbar ist, Länder die auf Dauer nicht im Euro bestehen können, aus der Eurozone austreten.

 Da diese Voraussetzungen aus politischer Sicht eine Horrorliste darstellen, wird auf Zeit gespielt – mit billigem Geld der EZB und mit immer neuen Vorschlägen, die eine schmerzfreie Rettung versprechen. Zu Letzteren gehören auch die Vorschläge, die Henrik Müller in seinem Beitrag unterstützt und deren Realisierung angeblich an der FDP zu scheitern drohen.

Im Kern setzt Müller auf mehr Solidarität, also Transfers zwischen den Euroländern. Dabei ist Müller mit seiner Hoffnung, die Eurozone ließe sich durch mehr Umverteilung retten, nicht alleine. Führende Ökonomen aus Deutschland und anderen Mitgliedsländern der Eurozone argumentieren in die gleiche Richtung. Dies heißt jedoch noch lange nicht, dass es sich um geeignete Rezepte handelt. Schauen wir uns die Argumente an:

Gemeinsames Budget zum Ausgleich von konjunkturellen Schwankungen

Auf den ersten Blick mag das einleuchten, auf den zweiten jedoch nicht. Da sind zum einen die ungelösten Probleme zu hoher Schulden und unzureichender Wettbewerbsfähigkeit der Länder. An diesem Zustand ändert sich durch mehr Umverteilung nichts. Im Gegenteil besteht die realistische Aussicht, dass sich Wettbewerbsunterschiede verfestigen. Die mehr als hundertjährige Währungsunion zwischen Nord- und Süditalien mag als Beispiel genügen.

Viel schwerer wiegt, dass fiskalische Transfers selbst in den USA, wo der Anteil der Umverteilung zwischen den Bundesstaaten deutlich über dem Niveau zwischen den Mitgliedsländern der Eurozone liegt, nur wenig dazu beitragen, Schocks auf Ebene der Bundesstaaten aufzufangen. So rechnet der IWF vor, dass in den USA bis zu 80 Prozent eines lokalen Schocks über Umverteilung aufgefangen werden, also bei einem Einbruch des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um ein Prozent der Konsum nur um 0,2 Prozent zurückgeht. Dieser Risikopuffer ist aber vor allem die Folge privater Kapitalflüsse. Der Staat hat nur einen Anteil von 15 Prozent. Bei uns in Deutschland liegt der Anteil staatlichen Ausgleichs im regionalen Krisenfall gar noch unter dem Niveau in den USA.

In der Eurozone werden nach dieser Studie weniger als 40 Prozent eines lokalen Schocks über Umverteilung aufgefangen, was natürlich innerhalb einer Währungsunion unbefriedigend ist. Dies liegt aber weniger an dem geringen Grad staatlicher „Solidarität“, sondern am Fehlen der privaten Kapitalströme. Selbst wenn wir den Grad der staatlichen Umverteilung auf das US-Niveau verdreifachen, ändert sich an dieser Lage nichts.

Mehr fiskalische Solidarität innerhalb der Eurozone ist nicht nur sinnlos, weil ohne entscheidende Wirkung mit Blick auf das eigentliche Problem, sondern verbraucht erhebliches politisches Kapital. Am Ende stärkt ein solcher Umverteilungsmechanismus nur die antieuropäischen Kräfte und legt die Basis für ein Katalonien überall.

Gemeinsames Budget als Voraussetzung für eine Insolvenzordnung für Staaten.

Eine Insolvenzordnung für Staaten, wie sie die FDP fordert, hält Müller für „nicht glaubwürdig, solange es keine Transfermechanismen gibt“. Er verweist auf die USA, wo bei Pleite eines Bundesstaates – wie aktuell Puerto Rico und demnächst wohl Illinois – automatische Transfersysteme die Folgen einer solchen Insolvenz auffangen würden. Vor allem über gemeinsame Steuer- und Sozialbudgets. Nur wenn so die öffentliche Ordnung im Falle einer Insolvenz garantiert sei, könne man diese auch zulassen.

So verständlich die Argumentation zunächst erscheint, ist sie auch diese letztlich nicht stichhaltig. Zum einen zeigen die Daten des IWF, dass der Staat nur einen kleinen Teil der ökonomischen Folgen auffangen kann, zum anderen belegt das die Situation in Griechenland. Das Land ist faktisch insolvent und die anhaltenden Transferzahlungen der Europartner dürfte am Ende das Leiden verlängert haben.

Wo der Schaden bei einem Staatsbankrott entsteht, hängt davon ab, wie man ihn organisiert. Führt ein Land – wie es beispielsweise Italien zurzeit diskutiert eine staatliche Parallelwährung ein, lässt sich ein Schuldenschnitt weitaus einfacher und mit geringeren sozialen Problemen organisieren.

Das wahre Problem bei einem Staatsbankrott haben die Gläubiger und diese sitzen bei vielen Staaten nicht im Inland, sondern im Ausland. In der Tat ist der Anreiz, die Überschuldung durch Bankrott zu bereinigen, am größten, je höher der Anteil der ausländischen Gläubiger ist.

Wer eine Insolvenzordnung für Staaten fordert, muss nicht mehr Umverteilung damit verbinden, sondern eine Antwort auf die Frage geben, wie er mit den Verlusten für die Gläubiger umgeht. In der Vergangenheit haben wir vorgegeben „Staaten zu retten“ (Irland, Griechenland) aber in Wirklichkeit nur unsere eigenen Banken gerettet, die nämlich bei einem offenen Bankrott in Schwierigkeiten geraten wären.

Lassen wir Länder offen pleitegehen, so müssen die Gläubiger die Verluste tragen. Konkret bedeutet dies, dass die Inhaber von Lebensversicherungen entsprechende Verluste erleiden. Es bedeutet auch, dass die europäischen Banken in eine erneute Schieflage kommen und bei konsequenter Anwendung der Regeln, deren Eigentümer und Gläubiger.

Deutlicher kann man nicht machen, dass eine Insolvenzordnung für Staaten immer Theorie bleiben wird, wie auch die Regeln zur Abwicklung der Banken über Bail-in von Aktionären und Gläubigern. Solche Regeln können nur etwas bewirken, wenn sie in guten Zeiten mit tiefen Schulden und soliden Bilanzen eingeführt werden. In einem Zustand der Überschuldung wirken sie wie Brandbeschleuniger und werden deshalb von den Märkten nicht ernst genommen. Als Begründung für mehr europäische Umverteilung taugen sie definitiv nicht.

Europäische Einlagensicherung – wozu?

An dieser Stelle kommt die Forderung nach einer europäischen Einlagensicherung ins Spiel, denn nur so ließe sich ein krisenverstärkender „eigendynamischer Prozess“ verhindern. Die Banken sind immer noch die größten Gläubiger der (eigenen) Staaten und müssten deshalb theoretisch vom bankrotten Staat gerettet werden. Kommt es aus anderen Gründen zu einer Schieflage, sind die Staaten für die Einlagensicherung ihrer Bankensysteme und für die Finanzierung der Abwicklung einzelner Institute zuständig. So ziehen sich Banken und Staaten gegenseitig in die Krise und die Volkswirtschaft gleich mit.

Hier nun soll eine europäische Einlagensicherung einspringen. Kommt es also zu einer Bankenkrise in Italien, sollen die europäischen Sparer solidarisch an den Kosten beteiligt werden. Interessant an diesen Überlegungen ist, dass die Einlagensicherung in der EU auf 100.000 Euro beschränkt ist. In den bisherigen Fällen blieben diese Beträge immer geschützt, auch ohne europäische Solidarität.

Für die kleinen Sparer braucht man die europäische Einlagensicherung also nicht. Die realen Probleme liegen ohnehin bei den über diesen Betrag hinausgehenden Forderungen. Hier sind Verluste beim Abbau der Überschuldung unvermeidbar, doch sollten diese nach den Regeln der Bankenabwicklung verteilt werden und nicht über europäische Solidarität.

Womit wir zum Kernpunkt meiner Kritik kommen. Die Vorschläge zur Sanierung der Eurozone sind entweder wirkungslos oder aber sie kommen zu spät. In der heutigen Situation kann man mit mehr Umverteilung die gigantischen Probleme nicht mehr lösen. Man sollte aber auch keine Regeln definieren, die genauso wie alle bisherigen Regeln („No-Bail-out“, Bankenabwicklung) im Ernstfall ohnehin über Bord geworfen werden.

Eine funktionierende Währungsunion setzt private Kapitalströme voraus, die in guten wie in schlechten Zeiten funktionieren. Voraussetzung für diese Kapitalströme sind klare Regeln, die für alle gelten. In den USA ist das unter anderem die eiserne Regel, dass der Bund nicht für die finanziellen Schieflagen der einzelnen Staaten eintritt. Bei uns in Europa überwiegt die Angst vor den politischen Konsequenzen gepaart mit der gerne verdrängten Tatsache, dass wir nun mal keinen europäischen Bundesstaat haben, sondern eine Gemeinschaft souveräner Staaten, die in Zukunft eher mehr als weniger auf ihre Souveränität achten werden.

Wer die Eurozone retten möchte, kommt um einen geordneten Schuldenschnitt und eine Neuordnung der Mitglieder nicht herum. Erst danach können und sollten Reformen, die zu mehr Eigenverantwortlichkeit von Schuldnern und Gläubigern führen, umgesetzt werden. Alles andere erzeugt die Illusion der Rettung oder kauft Zeit.

Nur die EZB hält die Währungsunion am Laufen, womit auch die Frage nach dem Ende der aggressiven Geldpolitik beantwortet ist: erst nach einem solchen Schritt oder niemals. Ich selbst tippe auf eine Flut noch aggressiverer Maßnahmen, sobald die konjunkturelle Zwischenerholung vorbei ist.

Fazit: Nicht nur die Politik der FDP mit Blick auf die Eurozone ist „reichlich naiv“, wie Henrik Müller schreibt. Es ist die Politik insgesamt.

→  manager-magazin.de: “Warum nur ein Schuldenschnitt den Euro sanieren kann”, 31. Oktober 2017