Die hinter­hältige Sparer­steuer

Die Welt berichtet über ein Gespräch mit mir zum Thema Bargeldverbot und Vermögenserhalt in der Eiszeit:

Mario Draghi ist von Amts wegen der mächtigste Hüter des Geldes in Europa. Doch beim 500-Euro-Schein hört seine Fürsorge offensichtlich auf. Relativ unverhohlen kündigte der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) vor dem Europäischen Parlament in dieser Woche an, den Schein womöglich abschaffen zu wollen. Sollte die EZB ernst machen, könnte die wertvollste Note des Eurosystems schon bald nicht mehr gedruckt und irgendwann später auch geschreddert werden.

Das Phänomen ist nicht auf Europa beschränkt. Auch in den USA könnte die 100-Dollar-Note in Zukunft aussortiert werden. Vor allem der einflussreiche frühere US-Finanzminister Larry Summers wirbt intensiv für ein Ende der wertvollsten Dollar-Note: “Es ist an der Zeit, den 100-Dollar-Schein zu töten.” Geht es nach ihm, sollten sich die 20 wichtigsten Staaten der Welt sogar darauf verständigen, künftig keine Scheine mit einem Wert größer als 50 Dollar in Umlauf zu bringen.

Der Kampf gegen die großen Scheine dient einem hehren Ziel. Dahinter steht die erklärte Absicht, die finanziellen Aktivitäten von Terroristen, Waffenschiebern und Drogenhändlern zu erschweren. Die großen Scheine stehen im Verdacht, als bevorzugte Währung der Unterwelt zu dienen. Doch die plötzliche Abneigung gegen das Papiergeld scheint kein Zufall. Einiges deutet darauf hin, dass der Kampf gegen die großen Scheine nur die nächste Eskalationsstufe bei dem erklärten Ziel ist, das Geldsystem und die globale Konjunktur wieder in Schwung zu bringen.

Seit Jahren versuchen die Notenbanken, Geld in die Realwirtschaft zu bekommen. Erst waren es immer niedrigere Zinsen, mit denen Verbraucher und Unternehmen zu mehr Konsum und Investitionen stimuliert werden sollten. Als das nicht ausreichte, wurden kurzerhand Strafzinsen eingeführt, um die Geschäftsbanken davon abzubringen, Geld zu horten. Bislang mit wenig Erfolg.

Nun werden die Zinssätze immer tiefer ins Minus gedrückt, so dass irgendwann jeder Verbraucher die Effekte zu spüren bekommt und das Geld lieber verwendet statt zu sparen. Strafzinsen würden wie eine Art Sparersteuer wirken, die die Geldströme zu Gunsten der Staaten umlenkt und deren immense Verschuldung senkt. Der Trick kann allerdings nur funktionieren, wenn die Menschen sich nicht der Steuer entziehen, indem sie ihr Geld abheben und unter der Matratze oder im Safe lagern. Grenzen für Bargeldgeschäfte oder das Ende der großen Scheine könnten Ausweichreaktionen der Sparer erschweren.

“Die jüngsten Vorstöße von Notenbankern, Politikern und Wissenschaftlern sehen für mich wie eine koordinierte Bargeld-Beschränkung aus”, sagt Unternehmensberater Daniel Stelter, der ein Buch über die neue “Eiszeit der Weltwirtschaft” verfasst hat. “Wir sind gefangen in einem System, das immer niedrigere Zinsen braucht, um den Schulden-Kollaps abzuwenden”, warnt er. Das Bargeld-Verbot sei ein Mittel zum Zweck, um die Menschen im System zu halten.

Die Idee ist nicht neu. Bereits im Herbst 2013 spielte der Internationale Währungsfonds (IWF) in seinem “Schuldenmonitor” das Gedankenexperiment durch, mit Hilfe einer Sparersteuer auf Bankeinlagen die öffentliche Verschuldung in Europa zu reduzieren. Eine einmalige Abgabe von zehn Prozent auf alle Guthaben würde genug Geld einbringen, damit alle Staaten der Währungsunion ihre Schulden auf ein erträgliches Niveau zurückführen könnten, rechnete der IWF damals vor.

Die Zahlen sind beeindruckend. Allein in Deutschland summiert sich das Geldvermögen der privaten Haushalte auf 5,2 Billionen Euro. Das ist mehr als die Hälfte der öffentlichen Schulden in der gesamten Euro-Zone. “Wenn man den Schuldenberg ernsthaft abbauen will, muss man auch an die Vermögen heran, Wachstum allein hilft bei diesen Dimensionen nicht weiter”, sagt Stelter.

Noch sind die Strafzinsen nicht flächendeckend bei den privaten Bankkunden angekommen. Die meisten Institute haben bislang lediglich Bankgebühren angehoben, um sich schadlos zu halten. Doch die EZB könnte bereits im März ihren Druck erhöhen. Experten erwarten, dass die Geldhüter den Einlagensatz für Banken von aktuell -0,3 Prozent auf -0,4 Prozent senken. Dann dürften auch die Kreditinstitute nicht mehr umhinkommen, die “Sparersteuer” auf ihre Kunden über zu wälzen. “Sobald das eigene Konto mit Strafzinsen belastet wird, merkt auch der letzte Laie, dass das Geld in der Hand mehr wert ist als jenes auf dem Bankkonto. Dann werden Münzen und Scheine an Attraktivität gewinnen”, sagt Stelter.

Auffällig ist, dass sich das Bargeldvolumen in der Euro-Zone bereits in den vergangenen Monaten spürbar erhöht hat. Seit 2014 ist elf Prozent mehr Bargeld im Umlauf. Das entspricht Scheinen im Wert von 107 Milliarden Euro. “Bargeld kann über die Negativzinsen nicht besteuert werden und entzieht sich damit auch den geldpolitischen Maßnahmen der EZB”, sagt David Owen, Ökonom bei Jefferies. “Umgekehrt würde eine bargeldlose Gesellschaft, in der die EZB auf Knopfdruck jeden gewünschten Strafzins verhängen kann, ohne dass sich auch nur ein Euro den Maßnahmen entziehen kann, die Geldpolitik viel effektiver machen.”

Die Tatsache, dass es die EZB derzeit vor allem auf den 500-Euro-Schein abgesehen hat, passt in die Theorie. Denn während das Volumen der im Umlauf befindlichen lilafarbenen Riesen seit 2012 nur langsam wächst und bei etwa 300 Milliarden stagniert, ist das Volumen des ungleich beliebteren 50-Euro-Scheins deutlich schneller auf mittlerweile 425 Milliarden angestiegen. “Die Befürworter der Bargeldabschaffung argumentieren: Bargeld ist gleich Kriminalität und damit eine Gefahr für die Allgemeinheit”, sagt Ulrich Horstmann, Analyst bei der BayernLB und Autor des Buches “Bargeldverbot”. “Es geht nur vordergründig um organisierte Kriminalität, vor allem jedoch um eine breitere Kontrolle unter dem Aspekt der Steuereintreibung und nicht zuletzt darum, Negativzinsen besser durchsetzen zu können.”Die Debatte erinnert frappierend an das sogenannte Goldhalteverbot. Im Jahr 1933 wurde im Zuge der Weltwirtschaftskrise der Besitz von Gold in den USA unter Strafe gestellt. Und auch in Deutschland wurden in den 20er-Jahren unter dem Eindruck der Hyperinflation Gesetze erlassen, die den privaten Besitz von Gold einschränken sollten. Dass das Schreddern der großen Scheine nicht nur der Kriminalitätsbekämpfung dient, hat schon der frühere US-Notenbankchef Alan Greenspan durchblicken lassen. 1996 warnte er vor dem unersättlichen Verlangen der Staaten, auf das Vermögen ihrer Bürger zuzugreifen: “Das Schuldenmachen ist im Grund ein versteckter Zugriff auf das Vermögen der Bürger.” Gold – oder im jetzigen Fall Bargeld – das privat gehalten wird, stehe dem entgegen.

Auch Geschäftsbanken können einer Welt der kleinen Scheine etwas abgewinnen. In einer jüngst erschienenen Studie der Harvard Kennedy School listet der frühere Chef der britischen Bank Standard Chartered, Peter Sands, minutiös auf, wie sehr ein Ende der großen Scheine Terrorfürsten treffen würde. Wer heute eine Million Dollar in 500-Euro-Scheinen zu transportieren habe, brauche dafür lediglich ein Fünftel eines Standardkoffers. Mit 2,2 Kilogramm falle die Million nicht weiter ins Gewicht. Anders sehe es aus, wenn man dieselbe Summe in 50-Euro-Scheinen schmuggeln müsse. In diesem Fall wären fast zwei Koffer nötig, um das Gesamtgewicht von 22 Kilo zu transportieren. “Es sollte niemanden wundern, dass der 500-Euro-Schein in der Unterwelt nur der ‘Bin Laden’ heißt”, schreibt Sands. Dass die privaten Geschäftsbanken in einer Welt ohne Bargeld keinen sogenannten Bank-Run mehr fürchten müssen, also eine Situation, in der die Menschen aus Furcht vor Bankenpleiten massenhaft Geld abheben, lässt der Ex-Banker in seiner Auflistung aus.

Doch Sparer können sich durch die Wahl ihrer Anlagen durchaus gegen eine solche Repression wehren. Oberstes Gebot, so Stelter, sei es, das Geld möglichst gebührenfrei oder zumindest zu sehr niedrigen Kosten anzulegen. Wichtig sei zudem, das Vermögen global und über verschiedene Anlageklassen zu streuen. Staatsanleihen zählt der Experte wegen der Null- oder gar negativen Verzinsung nicht dazu, sondern eher Qualitätsaktien, Immobilien und Gold – allerdings nur physisch, nicht in Form von Zertifikaten.

Von Empfehlungen diverser Crash-Propheten, die zum Beispiel zum Kauf von Oldtimern oder Streuobstwiesen raten, um das Vermögen zu sichern, hält er indes nichts. “Man braucht beleihungsfähige Assets, um gegebenenfalls nach einem Neustart des Finanzsystems gut weitermachen zu können.”

→ Die Welt: Die hinterhältige Sparersteuer, 19. Februar 2016