“Die Fed-Entschei­dung schützt nur vor­gezogene Ge­winne”

Dieser Kommentar erschien bei WirtschaftsWoche Online:

Tiefe Zinsen sollten die Wirtschaft ankurbeln, haben aber nur die Finanzmärkte aufgebläht. Kein Wunder, dass die Notenbanken davor zurückschrecken, die Blase, die sie aufgepumpt haben, zum Platzen zu bringen. 

Nun hat die Fed doch die Mahnungen erhört und die Zinsen nicht angehoben. Fast schon verzweifelt waren die Rufe aus den Finanzmärkten, doch bitte nicht an der Zinsschraube zu drehen. Zu schwach sei die Erholung, zu groß die Risiken.

Bekanntlich bin auch ich der Überzeugung, dass es nicht gut um die Weltwirtschaft steht und nur noch mehr, noch billigeres Geld unser Ponzi-Schema eine Runde weiterbringt – allerdings zum Preis weitaus größerer Probleme morgen. Das Jammern der Kapitalmärkte hat aber einen noch profaneren Grund: es geht um die Sicherung der erzielten Gewinne. Denn – anders als die Realwirtschaft – haben sich die Finanzmärkte seit 2009 prächtig entwickelt. Mit fast allen Assetklassen konnte man schöne Gewinne realisieren. Sonderlich intelligent musste man sich dabei nicht anstellen.

Notenbanken haben künftige Erträge in die Gegenwart geholt

Das verwundert zunächst, ist doch ein Umfeld von geringem Wachstum, schwachen Produktivitätsfortschritten, stagnierender bzw. schrumpfender Erwerbsbevölkerung und hoher Verschuldung per Definition auch ein Umfeld geringer Kapitalerträge. Trotzdem sind alle Finanzassets zur “Perfektion” bepreist. Es gibt nicht mehr viel Luft nach oben.

Wir müssen uns immer in Erinnerung rufen, dass die Notenbanken alles daran gesetzt haben, zukünftige Erträge in die Gegenwart zu holen. Mit diesem Wohlstandseffekt sollte der Konsum angeregt werden und damit am Ende die Realwirtschaft. Dass die Sparneigung mit steigendem Einkommen und Vermögen höher ist und damit der Nachfrageeffekt geringer, wurde geflissentlich übersehen.

Unabhängig davon ist auch der Vermögenseffekt endlich. Wenn alle zukünftigen Gewinne bereits vorweggenommen wurden, bleibt einfach nicht mehr viel übrig. Wie beim Konsum auf Kredit kommt auch beim Wohlstandseffekt irgendwann der Zeitpunkt, an dem zurückgezahlt werden muss. Die Frage ist nur, gelingt es diesen Prozess über einen längeren Zeitraum zu strecken oder kommt es zu einer drastischen Anpassung?

Die Vermögenswerte, die in den letzten sieben Jahren am stärksten gestiegen sind, haben etwas gemein: sie haben relativ sicher vorhersagbare Cashflows, also Erträge. Anleihen, Aktien, Immobilien aber auch Private Equity und Venture Capital – bei letzteren sind die Cashflows allerdings nicht so sicher – waren die großen Gewinner dieser Entwicklung. Ausnahme waren die Rohstoffe, die unter den Folgen der massiven Überinvestitionen im Zuge des schuldenfinanzierten Booms in China leiden.

Je länger der Zeithorizont, über den die Erträge zu erwarten sind, desto größer die Kursgewinne. Dies liegt an der Wirkung der tieferen Zinsen bei der Bewertung von künftigen Cashflows. Je tiefer der Zins, desto größer ist der Gegenwartswert der Erträge, die erst in weiter Zukunft anfallen.

Das Problem ist jedoch, dass fallende Zinssätze zwar den heutigen Wert dieser Assets erhöhen, nicht jedoch die entsprechenden zukünftigen Cashflows. Wir zahlen einfach mehr für etwas, was es schon gibt. Konsequenterweise fallen damit jedoch die für die Zukunft zu erwartenden Renditen dieser Vermögenswerten, und zwar genau in der Höhe der schon realisierten Gewinne. Der heutige Wert der Assets ist gestiegen, nicht jedoch der zukünftige.

Praktisch alle Assetklassen haben von tiefen Zinsen profitiert

Die Vermögensverwalter von GMO haben das in einem Kommentar vor einigen Monaten schön illustriert. Nehmen wir an, man wolle im Jahr 2026 ganz sicher über einen Betrag von einer Million US-Dollar verfügen. Der sicherste Weg dies zu tun, wäre einen Zerobond der US-Regierung mit Fälligkeit im Jahre 2026 zu kaufen. Dieser hätte keine laufenden Ausschüttungen, sondern alle Erträge inklusive Zins- und Zinseszins werden am Ende der Laufzeit mit der Tilgung geleistet. Nehmen wir an, diese Anleihe verzinst sich derzeit mit 1,625 Prozent, was einem heutigen Kurs von 851.127 US-Dollar entspricht. Wenn nun die Zinsen um einen Prozentpunkt fallen, steigt der Kurs der Anleihe auf 939.596 US-Dollar. Ein Gewinn von über 88.000 US-Dollar! Der Vermögensverwalter des Anlegers klopft sich auf die Schulter und kassiert eine schöne Erfolgsbeteiligung.

Doch ist der Anleger wirklich “reicher” geworden? Natürlich nicht. Besteht weiterhin das Ziel im Jahre 2026 über eine Million US-Dollar zu verfügen, so wird das weiterhin erreicht. Mehr aber auch nicht. Geändert hat sich nur der Zinssatz mit dem abgezinst wird, nicht jedoch die Erträge. Die Kursgewinne der kommenden Jahre werden entsprechend tiefer ausfallen.

Nun mag man einwenden, dass man mit aktivem Handeln und gutem Gespür erkennt, welche Assets noch nicht so weit gestiegen sind und damit einen Zusatzertrag ermöglichen. Der Anleger in unserem fiktiven Beispiel könnte den Zerobond verkaufen und dafür auf Anleihen aus Schwellenländern setzen, in denen die Zinsen noch mehr Raum zum Fallen haben. Der Preis dafür ist jedoch die Aufgabe von Sicherheit, er muss mehr Risiken eingehen.

Steigende Zinsen lassen Börsen fallen

Hinzu kommt, dass eben praktisch alle Assetklassen vom Effekt der tieferen Zinsen profitiert haben. Überall wurden die künftigen Erträge in die Gegenwart geholt. Maue Renditen sind für die Zukunft zu erwarten, egal worein man investiert.

Noch schlimmer wäre es allerdings, wenn die Zinsen wieder stiegen. Nicht, dass das angesichts der weltweiten Lage ein sehr realistisches Szenario wäre. GMO rechnet vor, dass bei einem Anstieg der Zinsen um 1,5 Prozent die US-Börse um 30 Prozent fallen müsste. Dies selbst, wenn der Zinsanstieg mit einer breiten wirtschaftlichen Erholung einhergehen würde.

Die Notenbanken haben sich in eine Ecke manövriert, wo sie immer weniger Wirkung mit ihren Maßnahmen erzielen – deshalb auch der Ruf nach Helikopter-Geld, also notenbankfinanzierten Staatsausgaben. Zinsen erhöhen können sie auf keinen Fall ernsthaft. Denn dann würden sie die Blase platzen lassen, die sie selbst aufgepumpt haben, statt die Luft über Jahrzehnte raus zu lassen.

Aus Sicht der Anleger ist klar: Im optimistischen Fall haben wir lange Jahre mauer Renditen vor uns, im schlimmsten Fall droht eine herbe Anpassung mit deutlichen Kursverlusten, die uns der Vermögensillusion berauben, der wir angesichts unserer Depotauszüge unterliegen. Die besten Jahre liegen hinter uns und es ist keine gute Zeit, mehr Risiken einzugehen. Mehr Cash und weniger zinsabhängige Investitionen sind angesagt.

→ WiWo.de: “Die Fed-Entscheidung schützt nur vorgezogene Gewinne”, 22. September 2016