Die Demografie schlägt in Deutsch­land bereits ab 2024 zu

Vieles spricht dafür, dass 2022 ein konjunkturell gutes Jahr wird. Die Erholung vom Coronaschock läuft weiter, Finanz- und Geldpolitik bleiben trotz gestiegener Inflationsraten expansiv, vielleicht mit etwas reduziertem Tempo in den USA.

Entscheidend sind allerdings die mittel- und langfristigen Perspektiven, die sich verdüstern. Diese Erkenntnis wird gern verdrängt.

Nach Berechnungen des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel sinkt das potenzielle Arbeitsvolumen bereit ab dem Jahr 2024. Schon im Jahr 2026 liegt demnach das Potenzialwachstum in Deutschland bei nur noch 0,9 Prozent, also 0,5 Prozentpunkte unter dem langjährigen Durchschnitt.

Was harmlos klingt, hat erhebliche Konsequenzen: Die Ansprüche des nicht-erwerbstätigen Teils der Bevölkerung steigen deutlich schneller als die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des anderen Teils.

Zwar machen die Forscher Hoffnung auf steigende Reallöhne und in der Folge etwas höhere Produktivitätszuwächse, diese werden aber nicht ausreichen, um den sich weiter beschleunigenden Rückgang der Erwerbsbevölkerung in den Folgejahren zu kompensieren. Die Lücke zwischen Anspruch und Leistungspotenzial wächst durch den angestrebten Umbau in Richtung Klimaneutralität zusätzlich, denn nur ein Bruchteil der hierfür erforderlichen Ausgaben dürfte das Produktionspotenzial der Volkswirtschaft steigern.

Jährliche Produktionszuwächse verdoppeln

Übersetzt bedeutet das nichts anderes, als dass der konsumierbare Teil des Volkseinkommens sinken und zudem deutlich umstrittener sein wird. Ein Szenario, das starke gesellschaftliche Spannungen verspricht, selbst dann, wenn – wie bereits abzusehen – ein guter Teil der Klimaschutzausgaben mit Krediten und frischem Geld der Europäischen Zentralbank (EZB) finanziert wird.

Gegenüber der Vor-Corona-Zeit müssten wir die jährlichen Produktivitätszuwächse verdoppeln, um den Rückgang der Erwerbsbevölkerung zu kompensieren. Ein wahrer Kraftakt, der umso eher Chancen auf Erfolg hat, je früher wir ihn anpacken. Ansatzpunkte gibt es genug: deutliche Qualitätssteigerung im Bildungswesen, Reduktion der Anzahl der Schulabbrecher und Menschen ohne Berufsausbildung, lebenslanges Lernen, Aufwertung der beruflichen Bildung, Fokussierung der akademischen Bildung auf die MINT-Fächer, deutlich mehr öffentliche und verbesserte Anreize für private Investitionen.

Zum Teil hat die neue Bundesregierung die Themen aufgegriffen, wie das Bekenntnis zu mehr Investitionen und das nationale Ziel für Forschungs- und Entwicklungsausgaben unterstreichen. Aber das genügt bei Weitem nicht.

Meinen wir es ernst mit der Sicherung von Wohlstand, müssen auch die politisch unangenehmen Themen angegangen werden, vor allem im Bildungsbereich. Fordern und fördern ist gerade mit Blick auf die Kohorte der jungen Menschen ohne Berufsausbildung unerlässlich.

handelsblatt.com: “Die Demografie schlägt in Deutschland bereits ab 2024 zu”, 30. Dezember 2021