“Die brutale Revolution in Auto- und Energiebranche”

Dieser Kommentar erschien bei WirtschaftsWoche Online:

Die technologische Revolution bei Stromerzeugung und Autoantrieb droht ein Desaster für unsere Portfolios zu werden. Deutschlands Wirtschaft wird sich fundamental wandeln. Anleger können daraus nur einen Schluss ziehen.

Ich bin weder Automobilexperte noch Fachmann für erneuerbare Energien. Insofern sollten meine Gedanken zu den Folgen des technologischen Wandels und den Implikationen für die Geldanlage mit entsprechender Vorsicht aufgenommen werden: als Denkanstoß, nicht als risikofreie Empfehlung.

Erneuerbare Energie wettbewerbsfähig

Den erneuerbaren Energien begegnete ich selbst lange mit Skepsis. Als die regenerativen Energien ihren Aufschwung begannen, sah ich diese als ein politisch finanziertes Experiment, das mit erheblichem Einsatz von Steuergeldern den CO2-Ausstoß Deutschlands aufs Jahr gerechnet um einige Minuten verringerte. Ohne diese Subventionen war auf absehbare Zeit – so meine Meinung vor nicht mal 15 Jahren – mit Wind und Sonne in unseren Breitengraden kein Geschäft zu machen.

Heute, nur wenige Jahre später, sind die Kosten zur Erzeugung von Energie aus erneuerbaren Quellen so deutlich gefallen, dass sie auch ohne Subventionen wettbewerbsfähig sind. Im letzten Jahr wurde weltweit mehr Strom aus Alternativenergie erzeugt als aus Kohle. Nicht nur die Industrieländer fördern mit Blick auf die Bedrohungen aus dem Klimawandel diese Entwicklung, auch China und Indien gehen diesen Weg. Indien hat beschlossen, in den kommenden zehn Jahren keine weiteren Kohlekraftwerke zu genehmigen. China plant alleine für die kommenden drei Jahre Investitionen von rund 300 Milliarden Euro in grüne Energien.

Damit hat der technologische Fortschritt einen Wandel eingeleitet, der sich nun ohne politische Förderung von alleine vollziehen wird, mit immer schnellerer Geschwindigkeit und immer größerer Brutalität. Für die traditionellen Anbieter ist es ein Albtraumszenario, ist es doch sehr schwer bis unmöglich, den Wandel zur neuen Technologie zu überleben. Wie viele Postkutschenhersteller wurden erfolgreiche Autobauer? Mir fällt kein Beispiel ein.

Ein Blick auf die Kursverläufe der traditionellen Energieerzeuger gibt eindrücklichen Beleg für die Dramatik des Wandels. Selbst wenn sich der Ölpreis in den kommenden Monaten weiter erholen sollte, die These vom knappen Öl können wir getrost ad acta legen. Wer immer auf Ölreserven sitzt, wird in den kommenden Jahren versuchen, so viel wie möglich davon zu verkaufen, egal zu welchem Preis. Denn am Ende dürfte der Wert des nicht geförderten Öls in der Erde gegen null tendieren.

Autoindustrie vor Revolution

Je mehr Strom aus erneuerbaren Quellen erzeugt werden kann, desto größer wird der ökologische Nutzen von Automobilen mit Elektroantrieb. Das Argument, es sei genauso umweltschädlich wie traditionelle Verbrennungsmotoren, zieht dann nicht mehr.

Doch damit nicht genug. Auch im Bereich der Elektroautomobile vollzieht sich derzeit ein radikaler Wandel. Man braucht ebenso wie bei der Energieerzeugung keine Subventionen mehr, um die neue Technologie zu fördern. Analysten der UBS rechnen vor, dass schon im kommenden Jahr, die „Cost of Ownership“, also die gesamten Kosten für Anschaffung und Betrieb eines Elektroautos, auf dem gleichen Niveau wie für ein Auto mit traditionellem Antrieb liegen werden. Konsequenterweise erhöhen die Analysten ihre Absatzprognosen für Elektrofahrzeuge bis 2025 um 50 Prozent auf über 14 Millionen Fahrzeuge weltweit. Das wäre zwar nur ein Anteil von rund 14 Prozent der weltweiten Automobilverkäufe, doch vor allem in den Industrieländern dürfte der Anteil deutlich höher liegen. Einige Länder wie Schweden und Norwegen fördern diesen Trend mit einer höheren Besteuerung für traditionell angetriebene Fahrzeuge. Fahrverbote für Diesel (und demnächst Benziner?) in den Ballungszentren dürften das Ihrige zur Beschleunigung der Entwicklung beitragen. Doch auch in den Entwicklungsländern gibt es entsprechende Überlegungen. Indien diskutiert eine völlige Umstellung auf Elektrofahrzeuge bis 2032.

Tony Seba von der Standford Universität prognostiziert in einer neuen Studie sogar, dass im Jahre 2025 weltweit keine Fahrzeuge mit traditionellen Verbrennungsmotoren mehr verkauft werden. Auch das Nutzungsverhalten würde sich ändern, weg vom Besitz hin zur Nutzung von Fahrzeugen, weil in Ballungsräumen nur so das weiter steigende Verkehrsaufkommen zu bewältigen ist – und das Auto als Prestigeobjekt für jüngere Leute fast völlig die Bedeutung verloren hat. Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor bleiben in diesem Szenario nur außerhalb von Ballungszentren für eine Übergangszeit toleriert, bis sich auch hier der Wandel zur Nutzung elektrisch betriebener Fahrzeuge durchsetzt.

Einmal mehr wird sich zeigen, dass die Märkte für die Modernisierung der Wirtschaft sorgen, nicht die Politik. Überlegungen der CSU, den Absatz von Dieselfahrzeugen steuerlich zu fördern, erinnern fatal an die Verschwendung von Milliarden für den Steinkohlebergbau.

Deutsche Autoindustrie vor existenzieller Krise

So erfreulich dieser Wandel aus ökologischen und ökonomischen Gründen ist, so existenzbedrohend wirkt er für die deutsche Automobilindustrie und die deutsche Volkswirtschaft. Wie immer bei solchem Wandel unterschätzen die traditionellen Anbieter die Gefahr. Doch diese ist dramatisch.

Elektrofahrzeuge greifen die traditionellen Anbieter frontal an. Wer das verstehen möchte, dem empfehle ich einen Blick auf das Chassis eines Tesla. Vorne Elektromotor, hinten Elektromotor, Batterie im Boden versteckt. Das ist es im Prinzip. Und man hat ein Fahrzeug, das für einen Bruchteil des Preises Fahrleistungen bietet, die sonst nur Supersportwagen erreichen. Vor allem ist das Elektroauto weit weniger komplex. Viele Teile, wie beispielsweise ein Getriebe, gibt es gar nicht mehr. Der Tesla S hat 18 bewegliche Teile, traditionelle Automobile rund hundertmal so viele. Deshalb kann bei den traditionellen Autos auch viel mehr kaputtgehen.

Damit steht die deutsche Automobilindustrie vor einer existenziellen Krise: Die vorhandenen Produktionskapazitäten könnten schon bald nicht mehr benötigt werden, ebenso wie ein Großteil der Zulieferteile. Werkstätten werden überflüssig. Der technologische Vorsprung der deutschen Hersteller gilt nicht mehr in der neuen Welt. Hoch technisierte Verbrennungsmotoren werden einfach nicht mehr gebraucht. Wenn überhaupt könnten Kompetenzen bei Fahrwerk und Fahrassistenzsystemen noch einen Wettbewerbsvorteil darstellen. Doch gerade beim Thema „Autonomes Fahren“ droht ein weiterer Angriff aus dem Silicon Valley.

Unseren Handelspartnern dürfte der technologische Wandel entgegenkommen. Bietet der Umstieg auf die neue Technologie doch eine elegante Möglichkeit, die unbeliebten deutschen Außenhandelsüberschüsse zu reduzieren.

Natürlich kann man hoffen, dass es der deutschen Automobilindustrie gelingt, den Wandel zu vollziehen. Die Tatsache, dass sie sich bisher so schwertut, ein deutlich weniger komplexes Produkt in wettbewerbsfähiger Form auf die Weltmärkte zu bringen, ist ein Alarmzeichen. Von der Postkutsche zum Auto stieg die Komplexität. Vom Verbrennungsmotor zum Elektrofahrzeug sinkt sie. Und die Batterietechnologie sitzt bei Zulieferern.

Damit droht nach Unterhaltungselektronik und Fotografie der Verlust einer weiteren traditionellen deutschen Industrie, diesmal jedoch mit weitaus dramatischeren Folgen für die gesamte Volkswirtschaft.

Verbinden wir diese Analyse noch mit den größeren Problemen der demografischen Entwicklung, des verschlechterten Bildungssystems und der erheblichen finanziellen Belastungen, die aus Migrations- und Eurokrise drohen, kann man nur zu dem Schluss kommen, dass es als Investor nicht genügt, Energieaktien und Automobilwerte zu meiden. Wir müssen auch konsequent außerhalb Deutschlands und Europas investieren.

→ WiWo.de: „Die brutale Revolution in Auto- und Energiebranche“, 1. Juni 2017