“Deutschland vor dem Abschwung”

Dieser Kommentar erschien bei manager magazin online:

Der Economist ist zweifellos eine der besten Zeitschriften der Welt: fundierte Artikel, teils süffisanter britischer Stil und herausragende Titelbilder. In einer Branche, die mit dem Niedergang kämpft, ist er einer der wenigen Leuchttürme.

Doch auch der Economist ist nicht frei von Fehlern. Geradezu schon chronisch ist der Titelbildindikator: Wenn sich eine Titelgeschichte des Economist einer bestimmten Entwicklung zuwendet, kann man getrost davon ausgehen, dass eine Trendumkehr bevorsteht. Dabei ist der Economist nicht alleine. Legendär sind zum Beispiel der Bild-Titel zur Zeit des New-Economy-Booms („Jetzt werden alle reich mit Aktien“) oder die SPIEGEL-Geschichte zum Gold. Beide erschienen kurz vor der Trendwende, nachdem Aktien bzw. Gold schon jahrelang gestiegen waren.

Im Falle des Economist waren es sowohl Fehlprognosen bei Gold und Öl, aber auch beim Dollar. Pünktlich zum Höhepunkt der US-Dollar-Stärke im Dezember 2016 inszenierte das Magazin George Washington als Bodybuilder mit dem Titel „Why a strengthening dollar is bad for the world economy“, nachdem der Dollarindex in den sechs Monaten zuvor 13 Prozent gewonnen hatte. Kurz darauf kam die Trendwende. Der Dollar wertete gegen alle Währungen deutlich ab, selbst den krisengeschüttelten Euro.

Deutschland auf dem Titel

Besorgniserregend muss deshalb stimmen, dass Deutschland Gegenstand der aktuellen Ausgabe ist.: „Why Germany`s current-account surplus is bad for the world Economy“  Gezeichnet wird dabei das Bild eines Landes, das strukturell in gesellschaftlichem Konsens auf Exportüberschüsse zur Sicherung von Arbeitsplätzen setzt und sich uneinsichtig bezüglich der Folgen für den Rest der Welt zeigt. Damit verbunden ist die Annahme, dass auch in Zukunft keine Änderung dieser Haltung zu erwarten ist, weil sich alle Akteure in Deutschland uneinsichtig zeigen.

Bekanntlich sehe auch ich die deutschen Außenhandelsüberschüsse sehr kritisch. Es ist nicht in unserem Interesse, in einer überschuldeten Welt immer mehr Forderungen aufzubauen (siehe: Deutschland wirtschaftet wie die Eichhörnchen).

Ernste Gefahren für Deutschland

Es ist eine zweifelhafte Ehre, auf dem Titel des Economist zu stehen, dennoch kann es aber gut sein, dass dies, einer Trendwende in Deutschlands Volkswirtschaft vorausgeht – so, wie es schon bei vergangenen anderen Economist-Titeln und Ereignissen passierte. “The sick man of the Euro”-Geschichte aus dem Jahr 1999. Es dauerte dann zwar noch ein paar Jahre, aber die Trendwende kam, und zwar so massiv, dass wir heute wie der ökonomische Superstar gefeiert werden. Übrigens nicht ganz zu Recht. Rekordtiefe Zinsen, ein (immer noch) viel zu schwacher Euro und ein anhaltender Verschuldungsboom in der Welt erlauben uns erst einen Aufschwung, der weniger von Produktivitätsgewinnen als von billiger Arbeit getragen wird. Doch das hindert unsere Politiker seit Jahren nicht daran, Reformen zu verschleppen. Statt die Grundlagen für künftigen Wohlstand zu legen, verteilen sie lieber soziale Wohltaten, die dauerhaft nicht bezahlbar sind. Gerade die letzten zehn Jahre erweisen sich bei nüchterner Betrachtung als Wohlstandsvernichtung der dramatischsten Art (Wie Deutschland seinen Wohlstand verschleudert).

Die Basis für unseren wirtschaftlichen Niedergang wurde so bereits gelegt. Selbst ohne außerordentliche Ereignisse ist absehbar, dass alleine aufgrund der demografischen Entwicklung, der eklatanten Mängel im Bildungswesen und der unzureichenden Investitionen von öffentlicher und privater Seite die besten Jahre hinter uns liegen. Gut möglich, dass in nicht allzu ferner Zukunft Frankreich – heute noch herablassend belächelt – den Ton in der wirtschaftlichen Entwicklung angibt.

Autoindustrie vor der Krise

Dachte ich bisher, es wäre nur Unwissenheit der Regierenden, weshalb sie die auf Dauer schädliche Politik betreiben, so komme ich mittlerweile zu dem Schluss, dass sie es wissentlich tun, weil der kurzfristige Erfolg an der Wahlurne mehr zählt, als das, was richtig ist für die langfristige Entwicklung des Landes. (Ich weiß, das klingt naiv.)

Angela Merkel weiß nämlich sehr wohl um die Risiken, wie der Spiegel in seiner aktuellen Ausgabe berichtet (“Merkel sieht schwarz für die deutsche Autoindustrie”).Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) räumt der deutschen Automobilindustrie offenbar keine guten Überlebenschancen ein. Beim Europäischen Rat Ende Juni malte sie die Zukunftsaussichten von Deutschlands wichtigstem Industriezweig mit rund einer Million Beschäftigten in düsteren Farben. Jeder wisse, dass die Autoindustrie in ihrer heutigen Form nicht überleben werde.“

Da fragt man sich natürlich, ob die richtige Antwort nicht ein beherztes Eingreifen wäre. Glaubt man wirklich an den technologischen Wandel, so muss man die traditionellen Anbieter nicht schützen, sondern stattdessen geplant so unter Druck setzen, dass sie kein Spiel auf Zeit mehr wagen. Jedes Signal, dass es doch noch länger gut geht mit Diesel und Benzin, führt nur dazu, dass die notwendigen Anpassungen verschleppt werden. Noch ist die Marktstellung der deutschen Anbieter stark genug, um eine Anpassung zu vollziehen. In schon wenigen Jahren dürfte das anders aussehen.

Überlegungen der CSU, den Absatz von Dieselfahrzeugen steuerlich zu fördern, erinnern fatal an die Verschwendung von Milliarden für den Steinkohlebergbau. Besser wäre es, wie bei den Banken vorexerziert, alte Geschäftsteile in separate Gesellschaften auszugliedern und dort geordnet abzuwickeln, damit man sich mit voller Kraft auf die neuen Technologien fokussieren kann.

Die Bedrohung ist real

Gerne wird – gerade in Deutschland – darauf hingewiesen, dass es noch lange zu keinem Umstieg auf die Elektromobilität kommen kann. Zu gering wäre die Reichweite, zu dünn das Netz der Ladestationen, zu hoch der Preis. Abschließend wage ich das nicht zu beurteilen – und habe mir auf meinem Blog auch einige Kritik eingefangen -, doch stimmt mich die Erfahrung skeptisch. Etablierte Anbieter unterschätzen immer Geschwindigkeit und Dramatik eines solchen Wandels. Die deutsche Autoindustrie scheint dabei keine Ausnahme zu sein.

Inhaltlich sprechen nicht wenige Gründe für einen raschen Siegeszug der Elektromobilität. So rechnen Analysten der UBS vor, dass schon im kommenden Jahr, die „Cost of Ownership“, also die gesamten Kosten für Anschaffung und Betrieb eines Elektroautos, auf dem gleichen Niveau wie für ein Auto mit traditionellem Antrieb liegen werdenSchon 2025 sollen über 14 Millionen Elektrofahrzeuge weltweit verkauft werden. Das wäre zwar nur ein Anteil von rund 14 Prozent der weltweiten Automobilverkäufe, doch vor allem in den Industrieländern dürfte der Anteil deutlich höher liegen.

Tony Seba von der Stanford Universität prognostiziert, dass im Jahre 2025 weltweit keine Fahrzeuge mit traditionellen Verbrennungsmotoren mehr verkauft werden. Auch das Nutzungsverhalten würde sich ändern: weg vom Besitz, hin zur Nutzung von Fahrzeugen.

Elektrofahrzeuge greifen die traditionellen Anbieter frontal an. Für einen Bruchteil des Preises hat man ein Fahrzeug, welches Fahrleistungen bietet, die sonst nur Supersportwagen erreichen. Zudem ist das Elektroauto weit weniger komplex. Der Tesla S hat 18 bewegliche Teile, traditionelle Automobile rund hundertmal so viele.

Damit steht die deutsche Automobilindustrie vor einer existenziellen Krise: Die vorhandenen Produktionskapazitäten könnten schon bald nicht mehr benötigt werden, ebenso wie ein Großteil der Zulieferteile. Werkstätten werden überflüssig. Der technologische Vorsprung der deutschen Hersteller gilt nicht mehr in der neuen Welt. Hoch technisierte Verbrennungsmotoren werden einfach nicht mehr gebraucht. Wenn überhaupt könnten Kompetenzen bei Fahrwerk und Fahrassistenzsystemen noch einen Wettbewerbsvorteil darstellen. Doch gerade beim Thema „autonomes Fahren“ droht ein weiterer Angriff aus dem Silicon Valley.

Alptraumszenario für die deutsche Volkswirtschaft

Kommt es zu dieser Entwicklung, ist eine tiefe Krise der deutschen Volkswirtschaft die zwangsläufige Folge. In kurzer Zeit wären die Außenhandelsüberschüsse Geschichte. Der Economist würde Deutschland als Lehrbeispiel für ein Land sehen, das sich zu abhängig von einer Branche gemacht und deren Anpassung durch falsche Politik verschleppt hat.

Dabei ist unser Track-Record nicht gut. Unsere Schlüsselindustrien haben ihre Wurzeln noch im Kaiserreich: Chemie, Maschinenbau, Automobil. Andere wie Fotografie und Unterhaltungselektronik haben wir schon verloren. Neue konnten wir nicht entwickeln. Gelingt es nicht die Automobilindustrie zu retten, gibt es nichts, was an die Stelle treten könnte.

Dass unsere Regierung sich laut Frau Merkel darauf konzentrieren möchte, „die Umstrukturierung unserer Autoindustrie in den kommenden Jahren zu begleiten und zu kompensieren“, gibt keinen Grund zur Hoffnung. Wie schon bei Euro- und Migrationskrise wird auf Durchwursteln gesetzt, statt die Probleme anzugehen. Die Begleitung des Niedergangs als politisches Programm.
→  manager-magazin.de: “Deutschland vor dem Abschwung”, 9. Juli 2017