Der reale Popanz

Das Rückgrat der deutschen Wirtschaft ist bekanntlich der Mittelstand. Nach einer Studie des Instituts für Mittelstandsforschung der Universität Mannheim haben die 26 größten Familienunternehmen von 2011 bis 2020 gut 267.000 neue Stellen in Deutschland geschaffen, die 26 Dax-Konzerne ohne dominierende Familie lediglich rund 48.000. Insgesamt beschäftigen Familienunternehmen rund acht Millionen Mitarbeiter.

Nicht nur die „heimlichen Weltmarktführer“ stehen für gut bezahlte Arbeitsplätze. Eben diese Arbeitsplätze in Deutschland zu erhalten sollte das übergeordnete Ziel der Politik sein. Ohne die Familienunternehmen und das erwirtschaftete Steuer- und Sozialabgabenvolumen ist unser Wohlstand nicht zu halten.

Umso bedenklicher stimmt, dass die fortdauernde Abwärtsentwicklung der Standortqualität durch die Politik nicht nur ignoriert, sondern die Diskussion von Forderungen nach weiteren Verschlechterungen dominiert wird.

Seit Jahren verringert sich die Qualität des Standorts Deutschland. Die Abgabenlast steigt, die Infrastruktur verfällt, die Energiekosten sind nicht erst seit dem Krieg in der Ukraine deutlich höher als in anderen Ländern.

Digitalisierung bleibt ein Wahlkampfslogan der sonst offenbar auf Faxgeräte setzenden Politik. Der subjektive Eindruck des Niedergangs wird bestätigt durch Studien wie dem vor Kurzem veröffentlichten ZEW-Standort-Ranking. Kein Land hat sich demnach so schlecht entwickelt wie Deutschland, und bei Platz 18 von 21 sollten die Alarmglocken inzwischen schrillen, statt nur zu läuten.

Sorge vor Deindustrialisierung

Besonders negativ stechen die Themen Infrastruktur, Bürokratie, Energiekosten und Steuerlast hervor. Nun würde man erwarten, dass die Politik sich daranmacht, diese elementar wichtigen Standortfaktoren zu verbessern. Doch weit gefehlt. Es herrscht immer noch der Glaube vor, die Wirtschaft wäre beliebig belastbar.

Da wird die Sorge vor einer Deindustrialisierung als „Popanz“ abgetan, der nur dazu diene, „der Politik Geld aus den Rippen zu leiern“, so Marcel Fratzscher, einer der bekanntesten Ökonomen Deutschlands.

In einem Gastbeitrag für das Handelsblatt legte er dar, dass die Deindustrialisierung nur ein Risiko sei, wenn „die deutsche Wirtschaft weiterhin die ökologische Transformation und die Digitalisierung verschläft“.

Der Staat könne hier steuernd eingreifen und dafür sorgen, dass die Unternehmen diese Themen „nicht zu zögerlich angehen“. Angesichts der eklatanten Versäumnisse des Staates mit Blick auf seine eigenen Verantwortungsbereiche eine gewagte These.

Damit nicht genug. In anderem Zusammenhang sieht Fratzscher, wie Politiker der SPD und der Grünen, den dringenden Bedarf im Sinne der Gerechtigkeit die Vermögensteuer wieder einzuführen und die Ausnahmen bei der Erbschaftsteuer abzuschaffen.

Da wenig dafürspricht, dass im Gegenzug die Einkommensteuer gesenkt würde, belegte Deutschland dann beim Thema Besteuerung nicht mehr den vorletzten, sondern den letzten Platz im ZEW-Standort-Ranking.

Zukunft im Ausland?

Weiter abwärts gehen dürfte es auch mit Blick auf die Energiekosten. Noch belegt Deutschland trotz der hohen Strompreise Platz 18. Angesichts der Weigerung der Regierung, die Laufzeit der vorhandenen Atomkraftwerke spürbar zu verlängern und heimisches Gas zu fördern, ist auch hier eine weitere Verschlechterung abzusehen.

Seit Jahren schon investieren die Unternehmen weniger in Deutschland und mehr im Ausland. Die Industrieproduktion, die 2015 noch 25 Prozent der Wirtschaftsleistung ausmachte, hat heute nur noch einen Anteil von 19 Prozent. Andere Länder wie die USA konnten im gleichen Zeitraum den Industrieanteil erhöhen und locken nun mit attraktiven Rahmenbedingungen und Subventionen.

Wer in diesem Umfeld die Gefahr der Deindustrialisierung verharmlost oder leugnet, unterschätzt die Unternehmen. Diese sind keineswegs verschlafen, sondern hellwach, wenn es um die Zukunft geht. Für immer mehr liegt diese Zukunft im Ausland.