“Der Elefant im chinesischen Porzellanladen”

Dieser Kommentar von mir erschien bei manager magazin online:

Im ersten Quartal dieses Jahres stiegen die Schulden von Staaten, Unternehmen und privaten Haushalten weltweit um acht Billionen US-Dollar auf den neuen Rekordwert von 247 Billionen Dollar. Das ist erneut mehr als der Zuwachs am Welt-BIP, was die Schuldenquote auf über 300 Prozent des Welt-BIP treibt. Damit setzt sich der Trend der letzten Jahrzehnte unvermindert fort, mit immer mehr und immer billigerem Geld Wirtschaftswachstum zu kaufen und Wohlstand vorzugaukeln.

Schulden per se sind nicht schlecht, so sie zu einem Mehrprodukt führen. Dann steigen Schulden und BIP ungefähr im Gleichschritt. Je mehr Schulden jedoch zum Konsum, zum Kauf vorhandener Vermögenswerte und zum Erhalt nicht wettbewerbsfähiger Strukturen – also Zombieunternehmen und Zombiebanken – dienen, desto schneller steigen die Schulden relativ zum Einkommen. Schon die Finanzkrise 2008 war auf übermäßige Verschuldung zurückzuführen. Seither haben wir nichts getan, diesen Trend umzukehren. Im Gegenteil haben Politik und Notenbanken alles darangesetzt, das Schuldenwachstum zu erleichtern.

Schulden wohin man blickt

Die größten Schuldner der Welt sind: die USA, China, Japan, gefolgt von Frankreich und Italien. Während es in China vor allem der Unternehmenssektor ist, der eine Verschuldung von rund 200 Prozent des BIP auf die Waage bringt, sind es in den USA Privatschulden von 150 Prozent und Staatsschulden von über 100 Prozent. Gerade die Verschuldung der US-Unternehmen ist in den letzten Jahren dramatisch gestiegen, weshalb sogar der IWF hierin einen der möglichen Auslöser für eine neue Finanzkrise sieht. Japan liegt bei der Verschuldung des Privatsektors im soliden Mittelfeld, was nach fast 30 Jahren Schuldenabbau seit dem Platzen der Blase an Immobilien- und Aktienmarkt nicht überrascht. Spiegelbildlich sind dazu allerdings die Staatsschulden gestiegen und nähern sich dem Niveau von 240 Prozent des BIP. Ein zunehmender Anteil dieser Schulden wird von der japanischen Notenbank gehalten, weshalb sich in Japan das spannende Szenario einer Entschuldung über die Notenbankbilanz abzeichnet, sobald die Bank of Japan erklärt, diese Forderungen abzuschreiben oder aber wirtschaftlich so zu behandeln, dass sie niemals getilgt und verzinst werden müssen.

Länder wie Frankreich und Italien werden dies sicherlich genau beobachten, stehen sie doch ebenfalls vor erheblichen Schuldenproblemen. In Frankreich liegen private und öffentliche Schulden über dem Niveau in den USA, was erklärt, mit welcher Macht der französische Präsident für mehr europäische Solidarität mit mehr Umverteilung zu Lasten Deutschlands wirbt. Eurozonenbudget und Eurofinanzminister dienen weniger dem Erhalt der Währungsunion wie an dieser Stelle schon erläutert, sondern vor allem der Mobilisierung der noch vorhandenen Verschuldungskapazität Deutschlands. Ein Aspekt, den unsere Politiker geflissentlich übersehen.

Italien derweil hat ein Staatsschuldenproblem und leidet unter einem Bankenwesen mit einem Rekordniveau an faulen Krediten. Die privaten Haushalte stehen dagegen finanziell sehr gut da und sind deutlich vermögender als die Deutschen. So gesehen war es nur konsequent von der neuen italienischen Regierung einen Schuldenerlass durch die EZB in die Diskussion zu bringen, weil jeder ernsthafte Schuldenschnitt sonst vor allem die eigenen Banken und Sparer treffen würde.

Weitere Kandidaten für Schuldenprobleme in Europa sind Portugal, Spanien, Belgien und Großbritannien.

In den Schwellenländern ist die Verschuldung in den letzten Jahren besonders stark gestiegen und beträgt fast 59 Billionen US-Dollar. Besonders gefährdet sind jene Länder, die sich in Fremdwährungen verschuldet haben, wie die Türkei, Ungarn, Argentinien, Polen, Chile und Korea. Kommt es – wie in der Türkei und Argentinien gerade wieder zu beobachten – zu einem Einbruch der eigenen Währung ist eine Zahlungsbilanzkrise die unvermeidliche Folge.

Donald Trump – der Elefant im chinesischen Porzellanladen

Dass die Weltverschuldung auf einem neuen Höchststand ist, ist kein Zufall. Es ist politisch gewollt. Politiker und Notenbanken haben die Folgen einer durch zu hohe Schulden ausgelösten Krise mit noch mehr Schulden bekämpft. Ohne diese neuen Schulden und die Subventionierung bestehender Schuldner hätten wir eine neue große Depression erlebt. Es war also richtig, so zu handeln, wenn man es mit der Alternative vergleicht.

Das Problem dabei: Es ist uns nicht gelungen, uns von der Schuldendroge zu lösen. Nur durch eine immer höhere Dosis bringen wir das System eine Runde weiter. China kommt hier eine besondere Bedeutung zu. Nicht nur hat das Land unmittelbar zu Beginn der Finanzkrise mit einem gigantischen, schuldenfinanzierten Konjunkturprogramm die eigene Wirtschaft stimuliert und so der gesamten Weltwirtschaft entscheidend geholfen. Seither lag in jedem Jahr das Wachstum der Schulden über dem Wachstum der Wirtschaft.

China steht direkt für mehr als ein Drittel des Wachstums der Weltwirtschaft. Nimmt man die indirekte Wirkung der chinesischen Nachfrage nach Rohstoffen, Maschinen und Konsumgütern hinzu, dürfte die Bedeutung des Landes noch größer sein. Jede Abschwächung in China hat deshalb erhebliche Auswirkungen auf die Welt.

In diesem Szenario schwachen Wachstums der Weltwirtschaft und ungelöster Schuldenprobleme erinnert das Verhalten Donald Trumps an den Elefanten im Porzellanladen. Nichts kann die Weltwirtschaft weniger gebrauchen, als einen ausgemachten Handelskrieg. Dennoch steuern wir ungebremst genau in ein solches Szenario. Dabei ist Trump mehr ein Symptom für die ungelöste Finanzkrise als die eigentliche Ursache für die bevorstehende Krise. Aus der Geschichte wissen wir, dass schwere Finanzkrisen immer zu Protektionismus und Nationalismus führen. Diesmal hat es nur etwas länger gedauert.

Stürzt Trump China in die Rezession?

Die chinesische Wirtschaft ist angesichts der hohen Verschuldung besonders anfällig für die Maßnahmen der US-Regierung. Ein guter Teil der neuen Schulden ist in unproduktive Bereiche geflossen oder hat zum Aufbau erheblicher Überkapazitäten in einigen Branchen beigetragen. Schon vor Monaten warnte der damalige Chef der chinesischen Notenbank vor einem “Minsky-Moment” für China, womit der Moment gemeint ist, an dem man merkt, dass die Schulden nicht mehr tragbar sind. Die politische Führung des Landes hat darauf reagiert. Seit dem letzten Volkskongress laufen die Bemühungen die Verschuldung des Landes in den Griff zu bekommen. Regionalregierungen und Unternehmen werden aufgefordert, Schulden abzubauen, das Schattenbankensystem, welches für einen Gutteil der Kreditschöpfung in den letzten Jahren stand, kommt unter vermehrten Druck.

Diese Maßnahmen zeigen bereits deutliche Wirkung. Nicht nur fällt die offiziell ausgewiesene Wachstumsrate der chinesischen Wirtschaft. Auch die Finanzmärkte des Landes reagieren. Die Börse in Schanghai hat mehr als 20 Prozent korrigiert und ist damals offiziell in einer Baisse. Dabei sind es nicht die exportorientierten Unternehmen, die unter Druck sind, sondern die Unternehmen, die vor allem auf die Binnenwirtschaft ausgerichtet sind. Der sich verschärfende Handelskrieg wird noch zusätzlich zu einer Belastung führen.

Deutschland selber schuld

Eine Abschwächung der Weltkonjunktur ausgehend von China ist damit mehr als nur eine theoretische Gefahr. Uns in Deutschland wird das überproportional hart treffen, sind wir doch mit einem Exportanteil von 46 Prozent so abhängig von der Welt wie noch nie. Kommt es dann noch zum harten Brexit, weil es die EU mit ihrem Streben, Großbritannien möglichst hart für den Ausstieg aus dem Club zu bestrafen übertreibt, ist eine Rezession hierzulande unvermeidlich.

In diese fragile Situation stößt nun Donald Trump mit seiner offenkundigen Absicht, die EU zu spalten und vor allem Deutschland für die jahrelangen Exportrekorde zu bestrafen. Strafzölle auf europäische Autos bieten sich da förmlich an. Die Massenhersteller aus Italien und Frankreich treffen diese ohnehin nicht, weil sie nicht in die USA liefern. Die deutschen Hersteller werden hingegen heftig getroffen.

Es dürfte der EU schwerfallen, passende Gegenmaßnahmen zu beschließen. Wie sollten denn die anderen Regierungen ihren Wählern erklären, dass sie eigenen Unternehmen die Exportmöglichkeiten nehmen, nur weil Deutschland von den Handelsmaßnahmen Donald Trumps getroffen ist? Vor allem wo auch in unseren europäischen Partnerländern die Kritik an der “merkantilistischen” Wirtschaftspolitik Deutschlands wächst.

Schuld an der Entwicklung tragen wir durchaus selbst. Alle Kritik an unserer einseitigen Exportorientierung zum Trotz haben wir nichts getan, die Überschüsse zu reduzieren. Dabei wäre dies, wie ich mehrfach und ausführlich an dieser Stelle erläutert habe, in unserem ureigenen Interesse. Statt immer mehr zu einem Gläubiger einer völlig überschuldeten Welt zu werden, sollten wir lieber unser eigenes Land auf Vordermann bringen. Ansatzpunkte gibt es genug: Investitionen in Bildung und Infrastruktur, digitale Offensive, Herstellung einer funktionierenden Bundeswehr …

Drei Märchen – oder die Zeit der Selbsttäuschung endet

Jetzt bekommen wir die Quittung für diese naive Politik. Die drohende Rezession hierzulande wird uns jäh aus einigen weiteren Wunschvorstellungen reißen:

Märchen 1: Die Finanzkrise ist bewältigt

Schnell wird klar werden, dass wir keine Fortschritte bei der Bewältigung der Finanzkrise gemacht haben. Schulden werden wieder offensichtlich untragbar und eine Welle von Pleiten und Bankrotten ist zu erwarten. Natürlich werden die Notenbanken darauf mit einer nochmals aggressiveren Geldpolitik reagieren. Die sprichwörtlichen Helikopter werden startklar gemacht und die Zinsen noch weiter in den negativen Bereich getrieben. Ob diese Maßnahmen nochmals schaffen, uns eine Runde weiter zu bekommen, ist offen. Bundesbankpräsident Jens Weidmann hat sich im Gespräch mit der Bundesregierung sehr besorgt gezeigt.

Märchen 2: Euro ist gerettet

Geht es der deutschen Wirtschaft schlecht, geht es der Eurozone schlecht. Die vom billigen Geld und dem massiven Aufkauf von Wertpapieren durch die EZB nur verdeckten Probleme der Währungsunion werden wieder offen zutage treten. Es rächt sich, dass die Politik die letzten Jahre nicht dazu genutzt hat, die Probleme der Eurozone zu lösen. Das hat vor allem damit zu tun, dass man sich nicht an die eigentlichen Ursachen herangetraut hat, namentlich die untragbar gewordenen Schulden und die unzureichende Wettbewerbsfähigkeit einiger Länder. Hier wird im Korsett einer Währungsunion zusammengezwängt, was nicht zusammenpasst. Die Diskussionen der letzten Monate mit Blick auf die französischen Reformideen entsprechen derweil der berühmten Neuausrichtung der Stühle auf der Titanic.

Märchen 3: Deutschland ist ein reiches Land

Auch das dritte Märchen wird ein Ende finden. Die Geschichte von Deutschland als reichem Land. Wir werden feststellen, dass

  • unsere Einkommen und die hohe Beschäftigung, tiefen Zinsen und schwachem Euro geschuldet sind.
  • unser Staat nicht gespart hat, sondern nur die Zinsersparnis und die Progressionsgewinne kassiert hat, ohne in die Zukunft zu investieren.
  • wir uns Lasten für Renten und Integration aufgeladen haben, die nur im Umfeld einer Hochkonjunktur temporär tragbar waren.
  • unsere Exporterfolge zu Forderungen an das Ausland geführt haben, auf denen wir erhebliche Verluste erleiden. Dabei denke ich auch, aber nicht nur, an die fast eine Billion Euro Forderungen, die die deutsche Bundesbank im Rahmen des Taget2-Systems an die Krisenländer der Eurozone hat.

So steuern wir auf ein Szenario zu, welches äußerst bedenklich stimmen muss. Am meisten Sorgen muss dabei die Tatsache bereiten, dass die Politik der letzten zehn Jahre die Krisenanfälligkeit der Weltwirtschaft deutlich erhöht hat. Blickt man in die Wirtschaftsgeschichte so muss man feststellen, dass große Krisen immer von zu vielen Schulden ausgelöst wurden. Wenn man also eine deflationäre Depression herbeiführen will, muss man genau das machen, was in den letzten Jahren gemacht wurde.

→ manager-magazin.de: “Der Elefant im chinesischen Porzellanladen”, 25. Juli 2018