„Der dumme deutsche Sparer“


Früher galten die belgischen Zahnärzte als Synonym für den dummen Investor, mittlerweile haben wir Deutsche sie locker abgehängt. Obwohl wir die fleißigsten Sparer in Europa sind, liegen wir in puncto Vermögen weit abgeschlagen hinter Spaniern, Iren, Italienern und Franzosen – und Belgiern. Nach dem gerade veröffentlichten Bericht der Deutschen Bundesbank betrug das durchschnittliche Nettovermögen (Bruttovermögen abzüglich Verschuldung) im Jahr 2014 in Deutschland 214.500 Euro. Das ist doch ganz ordentlich, werden Sie sagen. Doch ein tieferer Blick in die Statistik zeigt, dass drei Viertel der Haushalte in Deutschland ein geringeres Nettovermögen haben als der Durchschnitt. Damit wird der sogenannte Median, das heißt der Wert, der die Haushalte in eine reichere und eine ärmere Hälfte teilt, viel aussagekräftiger, weil er kaum von Extremwerten beeinflusst ist. Dieser Median-Haushalt in der Mitte der Verteilung hatte 2014 aber nur ein Nettovermögen von 60.400 Euro. In der Eurozone hingegen lag dieser Wert schon vor vier Jahren annähernd doppelt so hoch.

Sicher: Diese Vermögenslücke, die sich im Vergleich zu den vermeintlich ärmeren Nachbarn in Europa auftut, hat auch damit zu tun, dass zwei verlorene Weltkriege und Währungsreformen viel Vermögen vernichtet haben. Dennoch wage ich die Behauptung, dass sie auch dadurch entsteht, dass unsere Politiker und die Medien so wenig von Wirtschaft verstehen. Sie freuen sich jedes Jahr aufs Neue, dass wir so erfolgreich im Export sind. Für 2016 rechnen die Experten gar mit einem Exportüberschuss von neun Prozent des BIP. Was wir dabei aber nicht wahrnehmen: Wenn ein Land für neun Prozent vom BIP mehr Waren aus- als einführt, exportiert es auch Kapital in gleicher Größenordnung. Das ist eine zwangsläufige Folge. Für 2015 stellten sich die Zahlen so dar: Die privaten Haushalte sparten 4,8 Prozent des BIP; die Unternehmen, die eigentlich nicht sparen, sondern investieren sollten, sparten 3,2 Prozent vom BIP und sogar der Staat sparte 0,6 Prozent vom BIP. In Summe also 8,6 Prozent vom BIP, die wir nicht im Inland konsumiert oder investiert haben. Diese Ersparnisse flossen ins Ausland, finanzierten dort Konsum und Investition. Korrespondierend dazu konnten wir mehr exportieren als importieren.

Soweit so gut, könnte man anmerken, bauen wir doch damit Forderungen an das Ausland auf, die wir dann, wenn wir das Geld mal brauchen, zum Beispiel um Renten zu bezahlen, wieder abbauen. Idealerweise legen wir das Geld sogar so an, dass wir deutlich mehr zurückbekommen, als wir verliehen haben. Doch genau danach sieht es nicht aus. Schon in der Subprime-Krise verloren die deutschen Kapitalsammelstellen – also all jene Institutionen, deren Aufgabe es ist, Geld zu verwalten und zu vermehren – 400 Milliarden Euro, insgesamt werden die Verluste alleine im Zuge der Finanzkrise auf 600 Milliarden geschätzt. Selbst der Zahlungsverkehr zwischen den Euroländern, der über das sogenannte Target-II-System der Notenbanken abgerechnet wird, kann den deutschen Steuerzahlern noch Verluste einbringen. So liegen die Target-II-Forderungen der Bundesbank an die anderen Notenbanken im Eurosystem bei atemberaubenden 605 Milliarden Euro. Die werden kaum beglichen werden, wenn eines der Länder mit negativem Saldo wegbrechen sollte. So nährt die falsche Perspektive vom Exportweltmeister die Illusion von Wohlstand.

Andere Staaten mit Leistungsbilanzüberschüssen und ihre Notenbanken investieren ihr Geld dagegen deutlich besser – siehe etwa Norwegen und die Schweizer Nationalbank. Eine internationale Streuung an Anleihen, Immobilien und Aktien soll dort das Volksvermögen für die kommenden Jahrzehnte sichern. Natürlich werden auch diese Verluste erleiden, gerade mit Blick auf die ungelöste Schuldenkrise. Einen garantierten Totalverlust wie wir müssen sie aber nicht befürchten.

Ein Paradigmenwechsel tut not. Unsere Politik beschäftigt sich jedoch weniger mit dem Investieren als mit der Verteilung weiterer sozialer Wohltaten. Wobei grundsätzlich nichts gegen mehr Staatsausgaben spricht, ist es doch allemal besser, unsere Ersparnisse dem deutschen Staat als ausländischen Schuldnern anzuvertrauen. Allerdings sollte der dann mit dem künftigen Wohlstand durch Investitionen in Bildung und Infrastruktur sichern, statt das Geld ohne großen Langzeiteffekt auszugeben.

So wie in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung und in der Anlagepolitik der großen institutionellen Anleger – so unwirtschaftlich handeln wir auch als Privatleute. Sichteinlagen, Sparbücher, Festgelder und Lebensversicherungen dominieren die Geldanlage. Also Null- und demnächst Negativzinsen, am Ende vielleicht sogar der Totalverlust, wenn es der EZB – wie beabsichtigt – „endlich“ gelingt, deutliche Inflation zu erzielen. So erklärt sich eben auch die Lücke in den Vermögen privater Haushalte.

Und selbst die mutigeren Anleger ernten nicht den vollen Lohn ihrer Investition. Banken und Berater nehmen sich über Ausgabeaufschläge, Managementgebühren, Depotgebühren, Handelsgebühren, schlechtere Kurse und häufige Umschichtungen im Depot ihren Teil. Drei Prozent laufende Kosten für ein Portfolio mögen in Zeiten mit sechs Prozent Zins noch annehmbar sein. Im Nullzinsumfeld sind sie es nicht.

Zeit also, dass wir es dem Ölmagnaten John D. Rockefeller gleichtun, der meinte: „Lieber eine Stunde über Geld nachdenken, als eine Stunde für Geld arbeiten.“ Recht hat er. Dabei dürfte die Rendite des Nachdenkens deutlich höher sein.

Was müssen wir bei der Geldanlage heute berücksichtigen? Zum einen die Tatsache, dass Negativ- und Nullzins ein extremes Krankheitssymptom sind. Wir haben es mit einer Überschuldungssituation zu tun, die im Euroraum zusätzlich durch dessen Dysfunktionalität verschärft wird. Es drohen – wahlweise und in Kombination – Pleiten, Vermögensabgaben, Deflation und Inflation sowie ein (teilweiser) Zerfall der Eurozone. Hinzu kommen die ungelösten globalen Konflikte und die Migrationswelle. Sichteinlagen, Sparbücher, Festgelder und Lebensversicherungen sind in diesem Umfeld definitiv nicht die richtigen Instrumente der Geldanlage. Nur im Falle einer breit einsetzenden Deflation wären diese Instrumente geeignet. Nur im japanischen Szenario fährt man damit gut. Konsequent zu Ende gedacht müsste man dann – wie es die Japaner seit Neuestem tun – sein Geld bar im Safe lagern, um den Negativzinsen zu entgehen. In allen anderen Szenarien empfiehlt es sich, ähnlich wie Staatsfonds und einige Notenbanken zu handeln: international diversifiziert in Sachanlagen (Aktien, Immobilien) streuen und Gold als Katastrophenschutz. Wenn es schon in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung Deutschlands nicht so aussieht, dann sollten wir es wenigstens in unserer individuellen Anlagestrategie tun.

→ WiWo.de: “Der dumme deutsche Sparer”, 24. März 2016