Den Reichen geht es an den Kragen

Dieser Kommentar von mir erschien bei der WirtschaftsWoche Online:

Letzte Woche haben „die Reichen“ wieder Schlagzeilen gemacht. Nach einer Studie der Credit Suisse ist die Anzahl der US-Dollar Millionäre bei uns im letzten Jahr um 237.000 auf immerhin 1.959.000 gestiegen. Damit liegt Deutschland hinter den USA, Japan und Großbritannien auf Platz 4 (pro Kopf der Bevölkerung führt weiterhin die Schweiz mit weitem Abstand). Die Zahl der Menschen, die mehr als 50 Millionen US-Dollar liquides Vermögen haben, stieg um 500 auf 7.200, womit Deutschland nach den USA und China auf dem dritten Platz liegt.

Futter genug für eine erneute Umverteilungsdiskussion in den Medien, pünktlich zum Höhepunkt des Berliner Jamaika-Theaters. Unterstreichen die Zahlen doch eindeutig, dass jegliche Steuerentlastung für die „Reichen“ völlig unangebracht ist. Wobei ich es immer wieder erstaunlich finde, dass eine ungleiche Vermögensverteilung mit dem Instrument der Einkommenssteuer bekämpft werden soll, welche letztlich jene bestraft, die mit eigener Arbeit zu Vermögen kommen wollen. Hier geht es offensichtlich nicht um das Ziel einer gleichen Vermögensverteilung, sondern um die Sicherung hoher Staatseinnahmen.

Der Reichtum basiert auf dem Leverage-Effekt

Wer ernsthaft die Vermögensverteilung nivellieren möchte, sollte zunächst verstehen, was hinter der Zunahme der Vermögen und der zunehmend ungleichen Verteilung derselben steht. Ansätze wie jene des französischen Ökonomen Thomas Piketty, der mit seinem Bestseller „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ vor drei Jahren für Furore gesorgt hat, eignen sich dafür nicht. Die von ihm aufgestellte Behauptung, die Verzinsung des Kapitals läge dauerhaft über der Wachstumsrate der Wirtschaft, ist empirisch und mathematisch nicht haltbar.

Der eigentliche Treiber der unstrittigen Entwicklung der Vermögen ist ein anderer. Es ist wie von mir schon in meiner Piketty-Kritik „Die Schulden im 21. Jahrhundert“ erläutert der Leverage-Effekt.

Der funktioniert so: Nehmen wir an, Sie könnten sich eine Aktie zu 100 Euro kaufen, die eine sichere Dividende von zehn Euro pro Jahr bezahlt. Setzen Sie für den Kauf nur Eigenkapital ein, erzielen Sie eine Rendite von zehn Prozent. Attraktiver wäre es, sich 100 Euro von der Bank zu leihen und gleich zwei Aktien zu kaufen. Gibt die Bank sich mit fünf Prozent Zinsen zufrieden, gehen fünf Euro an die Bank und 15 Euro bleiben bei Ihnen. Macht 15 Prozent Rendite. In der Praxis dürfte die Bank noch großzügiger sein und sich mit nur 20 Prozent Eigenkapital zufriedengeben. Sie können sich also zu Ihren 100 Euro noch 400 Euro von der Bank leihen und fünf Aktien kaufen. Von den 50 Euro Dividende gingen dann 20 Euro an die Bank (fünf Prozent auf 400) und Ihnen blieben 30 Euro! Eine Rendite von dreißig Prozent auf das eingesetzte Eigenkapital.

Nun merken auch andere, was für ein gutes Geschäft das ist und geben sich mit Renditen unter 30 Prozent zufrieden, zahlen also mehr für die Aktie.

Steigt der Kurs auf 140 Euro, haben Sie nicht nur einen schönen Kursgewinn erzielt, sondern auch wieder erheblich mehr Eigenkapital. Ihre zur Beleihung zur Verfügung stehende „Margin“ erhöht sich dadurch auf 300 Euro (100 plus 200 Kursgewinn). Zwar ist die Dividendenrendite von zehn auf nur noch sieben Prozent gefallen. Doch liegt sie damit immer noch über dem Zinssatz der Bank. Sie leihen sich weitere 840 Euro und kaufen dazu. Dann haben Sie elf Aktien im Wert von 1.540 Euro und Schulden von 1.240 Euro. Die Rendite auf ihr Eigenkapital von 300 Euro sinkt zwar auf 16 Prozent, der Gesamtüberschuss (Dividende minus Zinsen) wächst allerdings von 30 auf 48 Euro. Es lohnt sich, solange mehr Schulden aufzunehmen, wie die Dividendenrendite über dem Zinssatz der Bank liegt. Man spricht vom Hebeleffekt (Leverage).

Das war in den letzten 30 Jahren ein sicheres Geschäft. Die Zinsen sanken von über zehn Prozent auf heute null und die Banken gaben sich mit immer weniger Margin zufrieden. Alle Assetpreise haben davon profitiert: Aktien, Anleihen, Immobilien, Kunst. Die Kreditvergabe der Banken zum Kauf von vorhandenen Assets hat sich in diesem Zeitraum vervielfacht. Kein Wunder, dass die Vermögen seit Mitte der 1980er-Jahre überproportional steigen!

Das Bankensystem schafft unbegrenzt Reichtum

Hinter der Entwicklung der Vermögenspreise liegt also die Geldschaffungsmöglichkeit des Bankensystems. Da die Banken (fast) unbegrenzt neue Kredite vergeben können und so neues Geld schaffen, liefern sie den erforderlichen Treibstoff, um die Nachfrage nach Vermögenswerten weiter in die Höhe zu treiben. Besonders beliebt ist dabei die Finanzierung von Immobilien. Es ist kein Wunder, dass der Großteil des von Piketty und anderen bedauerten Vermögenszuwachses der letzten dreißig Jahre auf den Wertzuwachs der Immobilien zurückgeführt werden kann.

In einer von der Notenbank von San Francisco herausgegeben Studie wird die Entwicklung der Immobilienpreise seit 1870 der Kreditvergabe gegenübergestellt. Eindeutiges Ergebnis: Eine steigende Kreditvergabe für Immobilien geht mit einem überproportionalen Wertzuwachs der Immobilien einher. Der Leverage-Effekt funktioniert also genau so, wie oben beschrieben. Bedenklich ist dabei, dass der Anteil der Immobilienkredite am gesamten Ausleihungsvolumen der Banken ebenfalls ansteigt. Lag der Anteil über Jahrzehnte hinweg bei unter 40 Prozent, steigt er seit Mitte der 1980er-Jahre – also genau seit dem Zeitpunkt der Deregulierung der Finanzmärkte – auf fast 60 Prozent heute. Wir leihen uns immer mehr Geld, um uns gegenseitig vorhandene Immobilien zu immer höheren Preisen zu verkaufen.

Nebenwirkung dieser Entwicklung ist eine immer höhere Verschuldung, die sich zunehmend als Belastung für die Realwirtschaft erweist: Trotz zunehmendem Anteil an „Ponzi-Finanzierung“ (also Krediten, bei denen Zins und Tilgung aus dem Wertzuwachs der Immobilie beglichen werden sollen) wird ein Teil der Finanzierungskosten eben doch aus dem laufenden Einkommen bedient und fehlt damit als Nachfrage im System.

Bereinigung wurde von der Politik verhindert

Ohne eine zunehmende Verschuldung wäre eine Entwicklung der Vermögenswerte, wie wir sie erleben, gar nicht möglich. Und ohne die immer wiederkehrende Intervention durch Politik und Notenbanken wäre sie auch schon längst am Ende. Denn auch im Immobilienmarkt gilt, wie für die Börse, dass es irgendwann zu einer raschen und dramatischen Trendumkehr kommt, spätestens, wenn die Verschuldungskapazitäten erschöpft sind. Doch immer wenn eine solche – dringend erforderliche! – Bereinigungskrise einsetzte, wurde die Kreditvergabe erleichtert und die Zinsen gesenkt. Immer weniger kostet es, in die Spekulation auf ewig steigende Vermögenswerte einzusteigen.

Die Ursache für die Vermögensungleichheit liegt folglich in unserem Geldsystem und in einer Politik, die alles daran gesetzt hat, das Spiel auf Kredit bis zum Exzess auszuweiten. Wer also die Vermögensungleichheit bekämpfen will, muss die Systemfrage stellen. Nur mit weniger Kredit und höheren Kosten (mehr Eigenkapital, höhere Zinsen) kann die Entwicklung umgekehrt werden.

Politik scheut Systemwechsel

Ideen für einen solchen Systemwechsel gibt es durchaus. In der Schweiz steht beispielsweise eine Volksabstimmung für die Umstellung auf ein Vollgeldsystem an. Eine sehr interessante Diskussion, die auch bei uns geführt werden sollte. Schon in den 1930er-Jahren wurden entsprechende Modelle im Angesicht der durch zu hohe Schulden ausgelösten Weltwirtschaftskrise diskutiert.

Der Widerstand gegen einen Systemwechsel ist erheblich, würden doch die Banken ihre Geschäftsgrundlage verlieren. Dabei wird vor allem damit gedroht, dass eine Einschränkung der Kreditvergabe das Wirtschaftswachstum dämmen würde. Kurzfristig mag das so sein, langfristig jedoch nicht, werden doch nur 40 Prozent der Kredite für andere Zwecke vergeben, als den Kauf von Immobilien. Zieht man andere konsumtive Kredite ab, dürfte der Anteil der wirklich für die Realwirtschaft erforderlichen Kredite bei eher 20 Prozent liegen. Man kann also sehr wohl die Kreditvergabe einschränken, ohne die Realwirtschaft zu belasten. Man muss es nur wollen.

Doktern an Symptomen

Die Politik wird die durch eigenes Tun herbeigeführte Vermögenspreisexplosion letztlich durch andere Maßnahmen bekämpfen, die so oder so für die Vermögenden schmerzhaft sein werden. Höhere Vermögenssteuern, Sondersteuern, wie die von den Beratern des französischen Präsidenten Macron in die Diskussion gebrachte Teil-Enteignung von Immobilien, Vermögensabgaben.

Noch ist es bei uns nicht so weit wie in Saudi Arabien, wo begründet mit echter oder vermeintlicher Korruption mehrere Hundert vermögende Bürger in Hotels eingesperrt wurden, um Vermögensabgaben von bis zu 70 Prozent zu erpressen. Auf diese Weise sollen bis zu 300 Milliarden Dollar in die leeren Kassen des Staates fließen.

Die Geschichte ist voller Beispiele der Sanierung klammer Staaten durch die (partielle) Enteignung der Gläubiger und Vermögenden. Getrost dürfen wir davon ausgehen, dass es auch bei uns nur eine Frage der Zeit ist, bevor Maßnahmen in diese Richtung ergriffen werden. Aus Sicht der Betroffenen gibt es außer der konsequenten Wohnsitzverlagerung keine Möglichkeit, dem staatlichen Zugriff zu entgehen. Für Immobilienbesitzer ist dieser Ausweg ohnehin versperrt. Umso wichtiger, dass wir auf das drängen, was wirklich wichtig ist: eine Abkehr von der Droge billigen Geldes und der Illusion von Vermögen auf Kredit.

→ WiWo.de: “Den Reichen geht es an den Kragen”, 23. November 2017