Eine überalterte Bevölkerung muss kein Schicksal sein

Dieser Kommentar erschien im Handelsblatt.

Nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes wird die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter (20 bis 66 Jahre) je nach Zuwanderungsszenario von heute 51,8 Millionen bis zum Jahr 2050 auf 43,2 bis 47,4 Millionen schrumpfen. Schon bis 2030 verlieren wir 2,6 bis 3,5 Millionen potenziell Erwerbstätige. Die Folgen des Bevölkerungsrückgangs sind erheblich, sinkt doch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, während die Kosten der alternden Gesellschaft wahrhaft explodieren.

Als Berater des Bundeswirtschaftsministeriums im Sommer eine Anhebung des Renteneintrittsalters forderten, distanzierte sich Kanzlerkandidat Olaf Scholz (SPD) umgehend von “falsch gerechneten” und “nicht wirklich begründeten Horrorszenarien”. Er freue sich auf eine Debatte mit echten Experten. Nun, nach der Wahl, dürfte es keine „echten Experten“ geben, die erklären, es gäbe kein Problem. Wenn das Renteneintrittsalter unverändert bleibt, müssen die Renten sinken oder die Beiträge und Steuerzuschüsse steigen.

Letzteres forderten DIE GRÜNEN und SPD bereits in ihren Wahlprogrammen: Mehr Menschen sollen verpflichtet werden, in das Rentensystem einzuzahlen, mehr Einkommen müssten belastet werden. Die Einnahmen zu sichern, kauft allerdings nur Zeit. Denn mehr Einzahler bedeuten auch mehr künftige Leistungsberechtigte. Außerdem kann in einer Welt, in der faktisch alle Staaten auf qualifizierte Zuwanderung setzen, die Abgabenbelastung nicht beliebig gesteigert werden. Schon heute verlassen jährlich rund 180.000 überwiegend jüngere und überdurchschnittlich qualifizierte Menschen Deutschland.

Will Scholz sein Versprechen halten, ohne Beitrags- und Steuerzahler immer mehr zu belasten, muss die neue Regierung fünf Maßnahmen zur Rentensicherung angehen:

  1. Sie muss für eine höhere Erwerbsbeteiligung sorgen. Dies reicht von einer Verkürzung der Ausbildungszeiten bis zu einer höheren Erwerbsquote von Frauen und Älteren. Dazu müssen die Kinderbetreuung verbessert und die Abgabenbelastung reduziert werden, um mehr Anreize zu geben, eine Arbeit aufzunehmen.
  2. Sie muss für höhere Einnahmen durch höhere Produktivität und damit höhere Einkommen der erwerbstätigen Bevölkerung sorgen. Dazu müssen die Investitionen in Bildung, Innovation und den Kapitalstock deutlich wachsen.
  3. Sie muss die Belastung der Bürger so gering wie möglich halten. Man denke an die Energiewende, die zu den höchsten Strompreisen in Europa geführt hat.
  4. Sie muss für mehr Beitragszahler sorgen, indem sie qualifizierte Zuwanderer anlockt, die im Schnitt mindestens so viel verdienen, wie die hier lebende Bevölkerung.
  5. Sie muss für weniger Leistungsempfänger von staatlichen Transfers sorgen, indem sie die Zuwanderung in das Sozialsystem verhindert und die Arbeitsanreize erhöht.

In den vergangenen Jahren hat die Politik, auch auf Betreiben der SPD, meist das Gegenteil von dem gemacht, was zur Sicherung der Rente notwendig wäre. Es ist Zeit für einen Kurswechsel.

handelsblatt.com: “Fünf Maßnahmen, um die Rente alterungsfest zu machen”, 15. Oktober 2021