Das Zugpferd China lahmt

Von 2015 bis 2019 war China Deutschlands größter Handelspartner und Deutschland der größte Handelspartner Chinas in Europa. Nach Schätzungen der Commerzbank erwirtschaften die 30 Dax-Konzerne rund 18 Prozent ihres Umsatzes in China. Bei den im MDax-notierten Firmen sind es immer noch 13 Prozent. Prominentestes Beispiel ist der VW-Konzern, der mittlerweile fast jedes zweite Auto in China verkauft. Die gute wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands in den zehn Jahren nach der Finanzkrise wäre ohne den Aufstieg Chinas nicht denkbar gewesen.

Umso mehr verwundert der Gleichmut, mit der das staatlich organisierte Platzen der chinesischen Immobilienblase zur Kenntnis genommen wird. Mag der mit rund 300 Milliarden US-Dollar verschuldete Immobilienentwickler Evergrande ruhig bankrottgehen, die kommunistische Staatsführung wird einen „Minsky-Moment“, also eine Finanzkrise, wie wir sie 2009 erlebten, niemals zulassen. Im Zweifel wird auch in China mehr Liquidität in das System gepumpt, was die globalen Börsen weiter befeuert.
Es ist höchste Zeit für uns zu erkennen, dass China es mit einer Immobilienblase historischen Ausmaßes zu tun hat, die jene von Irland und Spanien 2008 und sogar jene von Japan 1989 in den Schatten stellt. Wie Harvard-Professor Kenneth Rogoff vorrechnet, hat die Bauwirtschaft einen Anteil von 29 Prozent am BIP des Landes. Ein Wert von zehn bis 15 Prozent gilt als normal. Nirgendwo auf der Welt sind Immobilien ansatzweise so teuer wie in Peking, Shenzhen, Hongkong und Schanghai. 90 Prozent der Käufer von Immobilien besitzen bereits eine und lassen diese nach dem Kauf meist leer stehen (weil bewohnte Immobilien an Wert verlieren), spekulieren also auf einen weiteren Wertanstieg. Schon heute liegt die verfügbare Fläche pro Kopf auf dem Niveau westlicher Staaten. Ein klassisches Ponzi-Schema. Die Verschuldung hat sich seit 2008 auf mehr als 250 Prozent vom BIP verdoppelt.

Die politische Führung versucht nun geordnet Luft aus der Blase zu lassen. Dies mag ohne Crash gelingen, aber nicht ohne negative Wirkung auf das Wirtschaftswachstum bleiben. In Kombination mit dem Rückgang der Erwerbsbevölkerung wird es dazu führen, dass wir uns von den hohen Wachstumsraten der Vergangenheit verabschieden müssen. Die Maßnahmen der Partei gegen „kapitalistische Auswüchse“ dürften nicht geeignet sein, um die Innovationsfreudigkeit zu fördern, was wiederum keine großen Sprünge im BIP pro Kopf erwarten lässt. Wenig wahrscheinlich auch, dass die Welt weiter steigende Exportüberschüsse Chinas akzeptiert.

Deutschland muss das eigene Geschäftsmodell anpassen

Da es in der Wirtschaft weniger auf das Niveau und mehr auf die Veränderung ankommt, sind das sehr schlechte Nachrichten für die hiesige Wirtschaft. Deutschland wird nicht darum herumkommen, das eigene Geschäftsmodell anzupassen: Weniger Exporte, mehr Binnennachfrage lautet die Losung. Dabei müssen wir aufpassen, die Ressourcen so zu verwenden, dass sie zur Sicherung künftigen Wohlstands beitragen. Auch hier mahnt die letztlich Wohlstand vernichtende Immobilienblase Chinas zur Vorsicht.

handelsblatt.com: “Evergrande ist ein böses Omen für Deutschland”, 8. Oktober 2021