Die Euro-Staaten sollten ihre Alt­schulden vergemein­schaften – und die Wäh­rung reformieren

Wieder scheint sich die These zu bestätigen, dass für jeden neuen Entwicklungsschritt der EU eine Krise nötig ist. Gemeinsame Verteidigung, europäische Energiestrategie: Wichtige Themen für die Zukunft eines weiter zusammenwachsenden Europas werden angesichts des Krieges in der Ukraine entschlossen angegangen.

Auch bei der Fortentwicklung der Währungsunion bietet die Krise die Chance für wirkliche Lösungen. So dürften das zumindest Franzosen und Italiener sehen, die schon lange auf eine Vollendung in ihrem Sinne drängen: Sie fordern eine umfassende Schulden- und Transferunion.

Deutschland sollte sich diesem Drängen stellen, statt wie bisher im Zuge akuter Krisen langjährige Positionen quasi über Nacht zu räumen. Voraussetzung ist, dass Deutschland eine eigene Vorstellung davon entwickelt, wie der Euro dauerhaft stabilisiert werden kann.

Die Währungsunion hat nach Analysen des Internationalen Währungsfonds statt zu der erwarteten Konvergenz der Volkswirtschaften zu Divergenz geführt: Die wirtschaftlich starken Länder wurden relativ stärker, die schwächeren Länder relativ schwächer.

Hinzu kam in den Anfangsjahren ein Verschuldungsboom des Privatsektors wegen deutlich gesunkener Zinsen. Die folgende Euro-Krise vertiefte die Spaltung und führte zu einem starken Anstieg der Staatsschulden.

Es drohen weitere Krisen

Das Ergebnis: erhebliche Unterschiede in der Wettbewerbsfähigkeit, geringes Wachstum, hohe Schuldenstände, Kapitalflucht nach Deutschland. Und eine Notenbank, deren faktisches Mandat der Sicherung der Staatsfinanzen und damit des Überlebens des Euro das offizielle der Preisstabilität überlagert. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die nächste Krise ausbricht.

Von den Schuldnerländern wird die Vergemeinschaftung von Schulden und die Einrichtung eines dauerhaften Transfermechanismus propagiert. In Deutschland trifft das zum Teil auf Unterstützung. Entweder, weil man hofft, so die Vereinigten Staaten von Europa zu schaffen, oder aus Angst um die Absatzmärkte.

Dabei wird verkannt, dass die anderen Mitgliedsländer weit davon entfernt sind, auf ihre politische Eigenständigkeit zu verzichten. Dauerhafte Transfers verfestigen nur die strukturellen Unterschiede und führen zur Überforderung der Transferleistenden.

Der deutsche Vorschlag sollte sich am US-Modell orientieren: Die Bundesregierung sollte sich dafür einsetzen, dass nicht gemeinsam für die Schulden einzelner Mitgliedstaaten gehaftet wird, dass die Überziehungsmöglichkeiten beim Zahlungsverkehrssystem TARGET2 beschränkt werden und der gemeinsame Kapitalmarkt vollendet wird.

Dafür müssten allerdings die Altlasten bereinigt werden, indem alle Staaten einen Teil ihrer Staatsschulden in einen europäischen Altschuldenfonds übertragen und dafür gemeinsam haften. Hier sollte Deutschland großzügig einen Neustart ermöglichen. Danach allerdings müssen sich Haftung und Transfers auf einen vergrößerten EU-Haushalt beschränken.

handelsblatt.com: “Die Euro-Staaten sollten ihre Altschulden vergemeinschaften – und die Währung reformieren”, 18. März 2022