Cicero: Nicht weit vom Gieß­kannen­prinzip

Die Expertenkommission hat eine Art Gaspreisdeckel vorgeschlagen: die einmalige Übernahme der Abschlagszahlung für den Monat Dezember, also praktisch eine Einmalzahlung, sowie eine Preisbremse für Privatkunden ab März. Weltbewegend ist das nicht, außerdem ist die Hilfe sozial unausgewogen und nicht zielgerichtet. Zudem hat sie nur Sinn, wenn gleichzeitig das Energieangebot ausgeweitet wird.

Politikberatung ist nicht leicht. Das musste Professorin Veronika Grimm, Mitglied im Sachverständigenrat der Bundesregierung und Vorsitzende der sogenannten Expertenkommission, die mit der Operationalisierung der politischen Ideen zur Gaspreisdeckelung beauftragt wurde, an diesem Wochenende erleben. In einem Gastbeitrag sprach sie sich für Einmalzahlungen als zielgerichtete Hilfe für bedürftige Privathaushalte aus. Sogleich hagelte es Kritik. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Cansel Kiziltepe, die auch parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen ist, twitterte entrüstet, der Vorstoß sei „irritierend“ und gehe am „Auftrag der Kommission vorbei“. Der Wirtschaftsprofessor Gustav Horn, Vorsitzender des wirtschaftspolitischen Beirats der SPD, legte nach: Veronika Grimm wolle „ihren Auftrag offenbar nicht erfüllen“. Mit ihrem Einsatz für Einmalzahlungen „setzt sich die Kommissionsvorsitzende explizit über ihren Auftrag hinweg“. Damit „konterkariert sie die Absicht des Bundeskanzlers, vor Beginn des Winters den Menschen Sicherheit zu geben“.

Es geht also nicht um ökonomisch richtige Dinge, sondern um Lösungen innerhalb eines politisch vorgegebenen Rahmens, egal wie sinnvoll dieser Rahmen ist. Dennoch ist Frau Grimm gelungen, wenigstens etwas Sachverstand in die Verteilung der Mittel zu bringen.

Im Rahmen der Möglichkeiten

Die einmalige Übernahme der Abschlagszahlung für den Monat Dezember durch den Staat geht in die Richtung einer Einmalzahlung. Es blieb auch keine andere Möglichkeit, als über die Gasrechnung zu gehen, fehlen unserem Staat doch die technischen Möglichkeiten, Direktzahlungen zu leisten. Ein Armutszeugnis, mehr als zwei Jahre nach Beginn der Corona-Pandemie. Offensichtlich hat das Finanzministerium unter dem damaligen Chef Olaf Scholz nicht die Notwendigkeit gesehen, die Voraussetzungen zu schaffen – trotz der Mängel, die im Zuge der Rettungspakete während Corona offensichtlich wurden.

So bleibt uns nichts anderes übrig, als hinzunehmen, dass die Zahlung jene belohnt, die in der Vergangenheit viel verbraucht haben, und jene bestraft, die schon früher gespart haben. Ebenso bleibt trotz der Tatsache, dass die Zahlungen ab einer bestimmten Höhe steuerpflichtig sind und damit die Bezieher höherer Einkommen einen Teil der Zahlung wieder an den Staat zurückzahlen, eine soziale Unwucht. Es ist nicht Gießkanne, aber nicht weit davon entfernt.

Für die Deckelung des Gaspreises für 80 Prozent des Gesamtverbrauchs bei zwölf Cent pro Kilowattstunde ab März gilt die Kritik gleichermaßen. Auch hier dürfte der Sparanreiz zu gering sein und die Streuung der staatlichen Unterstützung zu breit.

Für die Wirtschaft gibt es ebenfalls Unterstützung, und zwar für die 25.000 Industriebetriebe, die einen speziellen Gastarif nutzen. Hier erfolgt ab Januar 2022 eine Deckelung des Tarifs auf sieben Cent pro Kilowattstunde für 70 Prozent des Verbrauchs. Der Preisdeckel ist nicht direkt mit dem für private Haushalte vergleichbar, weil Kosten für die Netznutzung und mögliche Lastspitzen noch hinzukommen. Auch dies kann man als sinnvolle Maßnahme betrachten.

Es genügt nicht

Die Arbeit der Kommission ist noch nicht abgeschlossen. Die „ExpertInnen-Kommission Gas und Wärme“ soll in der weiteren Arbeit die künftige Preisentwicklung von Gas bis zum Frühjahr 2024 abschätzen und „Optionen zur Abfederung der Preisentwicklung auf europäischer Ebene unter Berücksichtigung der Preisbildung an den Weltmärkten“ prüfen.

Man muss kein Experte sein, um zu erahnen, dass die Preise für Energie – vorbehaltlich eines massiven wirtschaftlichen Einbruchs in Deutschland und Europa, der im Falle einer echten Gasmangellage im Winter unvermeidlich wäre – dauerhaft hoch bleiben werden. Deshalb ist es unerlässlich, dass alles getan wird, um das Energieangebot auszuweiten. Dies gilt auf europäischer Ebene (Gasfelder in den Niederlanden), aber vor allem hierzulande: Die sechs noch funktionsfähigen Kernkraftwerke müssen dauerhaft, für mindestens fünf Jahre, wieder ans Netz. Das Tabu von Fracking, einer Technologie mit geringen und beherrschbaren Risiken, muss überwunden werden.

Preisdeckel sind nur sinnvoll, wenn sie die Brücke schlagen in eine neue Welt, in der die hiesigen Unternehmen wieder im globalen Wettbewerb bestehen können. Besteht die Absicht der Regierung nicht, diese Voraussetzungen zu schaffen, verschleppt die Deckelung der Preise nur, die Deindustrialisierung verhindert sie aber nicht. Auch ein beschleunigter Ausbau der Erneuerbaren ändert an dieser Einschätzung nichts.

Bleibt uns nur zu hoffen, dass Frau Professor Grimm auch hier ihre Erkenntnisse einbringt, unabhängig von den politisch gesetzten, inhaltlich falschen Leitplanken. So zeigte sie erst vor ein paar Tagen in einer Studie auf, dass die Verlängerung der Laufzeit der Atomkraftwerke „signifikante Auswirkungen auf die Preisentwicklung in Deutschland und den Nachbarländern“ hätte.

Wir ahnen schon den Aufschrei der Politik, wenn auch hier von den offiziellen Vorgaben abgewichen wird. Dabei ist offensichtlich, wo die Kompetenz liegt und wo nicht.

cicero.de: “Nicht weit vom Gießkannenprinzip”, vom 11.10.2022