“Cash is King, Gewinne sind eine Illusion”

Dieser Kommentar erschien im November 2015 bei bto und WirtschaftsWoche Online und passt schön zur Gewinndiskussion von heute Morgen.

„Unternehmen erzeugen Cash, den Gewinn macht der Buchhalter“ lautet einer der besseren Sprüche der Betriebswirtschaftslehre. In einfachen Worten eine wichtige Erkenntnis für Investoren. Die Zahlen, die Unternehmen als Gewinne ausweisen, haben zumeist nur entfernt mit dem zu tun, was in den Unternehmen wirklich passiert. Immer mehr Ausgaben werden als „außerordentlich“ klassifiziert, immer mehr außerordentliche Einnahmen als ordentlich verkauft. Seit Jahrzehnten entfernen sich so die gezeigten und von den Medien verbreiteten Gewinnzahlen immer weiter von der Realität.An der Wall Street wird dies zur Spitze getrieben, indem nicht die Gewinne nach den allgemein anerkannten Rechnungslegungsvorschriften (GAAP) in den Mitteilungen an Investoren und Presse im Vordergrund stehen, sondern die „pro-forma“-Zahlen nach eigener Definition. Dabei bieten die legalen Möglichkeiten zum Schönen der Zahlen schon genug Potenzial, die Investoren in die Irre zu führen. Aktienoptionen für Mitarbeiter, zum Beispiel, verwässern zwar das Kapital der Aktionäre, im Lohnaufwand finden sie sich dagegen nicht. Schon ist das Unternehmen vordergründig profitabler.

Die Wall Street spielt dabei nur zu gerne mit. Statt den Fundamentaldaten auf den Grund zu gehen, wird bereitwillig mit den überhöhten Zahlen gearbeitet. Zudem verdient es sich zu gut mit Aktienrückkäufen und Firmenübernahmen. Weshalb sollte man da die Firmenkunden verschrecken?

Bleibt den Investoren nichts anderes, als den Fakten selbst auf den Grund zu gehen: Wie viel Cash produziert das Unternehmen wirklich? Und im nächsten Schritt: Wofür wird der Cash verwendet? Dabei gilt, je höher und stabiler der freie Cashflow, desto sicherer ist das Investment. So habe ich gerade mit Blick auf die Fähigkeit auch in widrigem Umfeld Cash zu erzeugen, in der letzten Woche die Aktien von RoyalDutch Shell beleuchtet.

Betrachtet man die US-Börse aus dem Blickwinkel von Cash-Erzeugung und -Verwendung, ergibt sich ein besorgniserregendes Bild: Ein guter Teil der Gewinnsteigerungen der letzten Jahre ist nicht etwa darauf zurückzuführen, dass die Unternehmen wirklich profitabler geworden sind. Sie sind vielmehr die Folge von Aktienrückkaufprogrammen, die den Gewinn pro Aktie alleine dadurch steigern, dass es weniger Aktien gibt. Alleine im letzten Quartal haben nach Zahlen der Deutschen Bank über 300 Milliarden Dollar so den Weg von den Unternehmen zu den Aktionären gefunden. Mehr als jedes fünfte Unternehmen im S&P 500 Index hat alleine seit Anfang 2014 den eigenen Aktienumlauf um mehr als vier Prozent reduziert.

Zunächst kann man sich darüber freuen, doch auf den zweiten Blick erkennt man, dass da etwas nicht stimmen kann. Zum einen bezahlen Unternehmen einen hohen Preis dafür, dass Aktionäre keine Aktionäre mehr sind, zum anderen fehlt das Geld an anderer Stelle.

Berechnungen der Credit Suisse zeigen, dass die US-Unternehmen im historischen Durchschnitt immerhin 60 Prozent des Cashflows für Investitionen und Firmenübernahmen verwendet haben. Dieser Wert ist auf heute 53 Prozent gesunken, wobei der Anteil der Akquisitionen relativ gestiegen ist. Immer weniger wird in die Zukunft investiert, immer mehr auf die Optimierung des Ist-Zustandes und die Konsolidierung von Märkten gesetzt. Letzteres dürfte in der Tat die nachhaltige Ertragskraft stärken, erhöht aber die Gefahr, technologische Entwicklungen und andere Umbrüche zu verschlafen, deutlich.

Parallel dazu stieg die Ausschüttung an die Aktionäre von 26 auf nunmehr 36 Prozent des Cashflows, überproportional zugunsten der Aktienrückkäufe. Eigentlich sollten Aktionäre dagegen protestieren. Firmen, die Aktien zurückkaufen, zahlen nicht nur einen (zu) hohen Preis, sondern sie geben Aktionären Geld, welches sie nur sehr schwer wieder gut anlegen können. Dividenden sind da die deutlich bessere Option. Übrigens zeigen Studien, dass der Aktienmarkt auf die Ankündigung einer Dividendenerhöhung nachhaltiger reagiert als auf einen Rückkauf. Nicht zu unrecht.

Interessant ist der Vergleich zwischen Unternehmen, die einen überwiegenden Teil ihres Gewinns reinvestieren und jenen, die überwiegend ausschütten. Die Credit Suisse hat ermittelt, dass über die nächsten fünf Jahre erstere mit 19 Prozent pro Jahr deutlich schneller wachsen als die letzteren mit nur fünf Prozent. Natürlich ist das in gewisser Hinsicht tautologisch. Denn nur wer investiert, wächst und nur wer Wachstumschancen sieht, investiert.

Wenn nun aber die Firmen an der Wall Street immer mehr ausschütten und immer weniger investieren, ist die Nachricht doch klar. Das Management glaubt nicht an die Zukunft. Stellt sich die Frage: Weshalb sollten wir es tun?

Womit wir bei der eigentlichen Ursache des seltsamen Treibens wären. Weil eine Krise, ausgelöst durch Überschuldung, Über- und vor allem Fehlinvestition, nicht bereinigt wird, halten die Notenbanken die Zinsen unnatürlich tief. Das wiederum verschleppt die Bereinigung weiter, macht – wegen der Signalfunktion des Zinses und den bestehenden Kapazitäten – Investitionsprojekte unattraktiv und verhindert die schöpferische Zerstörung. Immer mehr werden die Unternehmen in die Verschuldung getrieben, um wenigstens durch Financial Engineering die ausgewiesenen Gewinne nach oben zu bekommen. Immer mehr entfernen wir uns damit von der Realwirtschaft und immer mehr dominieren die Fiktionen der Kapitalmärkte. Bis, ja, bis den Notenbanken die Luft ausgeht – und den Kapitalmärkten gleich mit. Deflationär oder (hyper)inflationär? Ich weiß es nicht. Bereite mich aber auf beides vor.

→  WirtschaftsWoche Online: „Cash is King, Gewinne sind eine Illusion“, 12. November 2015

Kommentare (5) HINWEIS: DIE KOMMENTARE MEINER LESERINNEN UND LESER WIDERSPIEGELN NICHT ZWANGSLÄUFIG DIE MEINUNG VON BTO.
  1. Johann Paischer
    Johann Paischer sagte:

    Ein Beispiel aus der Realwirtschaft. Ich arbeite für einen asiatischen Hersteller von Multifunktion Geräten – also Kopier, Fax, Drucker, Scanner in einem Gerät. Seit Jahren sinkt weltweit das Druckvolumen, gleichzeitig bietet man durch den Konkurrenzkampf immer billiger an. Die Kunden kaufen meist kein Multifunktionsgerät sondern leasen über einen all inclusive Vertrag – Toner, Wartung und inkludiertes monatliches Druckvolumen. Man hat im Konkurrenzkampf die Preise so weit nach unten gedrückt das es langsam gefährlich wird. Wenn ein Kunde neue Geräte nimmt und einen neuen Vertrag abschliesst dann machen wir selbst bei gleichem Gerätestand und Druckvolumen bis zu 20% weniger Umsatz. Gleichzeitig sinkt jedoch weltweit das Druckvolumen Jahr für Jahr. Das papierlose Büro, zumindest die elektronische Rechnung, etc,. wird immer mehr.
    Früher haben wir beim Geräte Verkauf, beim Toner, und in der Dienstleistung Gewinne gemacht. Der Konzern beschäftigt weltweit über 100.000 Mitarbeiter und macht einen zweistelligen Milliarden Umsatz. Was glauben Sie – in welchen Sparten macht der Konzern in Europa derzeit noch Gewinne? Sie werden es nicht glauben – mit den Bankgeschäften. Man hat eine eigene Banklizenz und macht die Leasing Geschäfte über die eigene Bank. Beim Geräte Verkauft machen wir zwar theoretisch einen kleinen Gewinn. Nur sind die Gewinn Margen so niedrig angesetzt das eine einzige defekte Platine die knapp kalkulierte Gewinn Marge vernichtet. Da die Produktzyklen immer kürzer werden häufen sich leider die Defekte.
    Ein Zinsanstieg wäre nicht günstig. Da wir bereits sehr hohe Zinsen von den Kunden verlangen ist da nicht mehr viel Raum nach oben. Ein Zinsanstieg würde die letzen Profite fressen.
    Cash haben wir genug, da kaufen wir dauernd eine Firma auf. Aber ein wenig vorsichtiger als Toshiba.

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    • Dietmar Tischer
      Dietmar Tischer sagte:

      Ich finde Ihren Beitrag bemerkenswert:

      Geld wird bei Multifunktionsgeräten also nicht mehr mit den PRODUKTEN, sondern praktisch NUR noch mit der FINANZIERUNG (der Produkte) verdient.

      Ich glaube nicht, dass dies nur am Produkt liegt.

      Klar, Faxen ist heute schon mehr oder weniger tot. Wenn irgendwann so gut wie alles digitalisiert ist und Medienbrüche damit Vergangenheit sind, braucht man die Multifunktionsgeräte nicht mehr. Soweit sind wir aber noch nicht.

      Ihr Geschäft mit Multifunktionsgeräten zeigt Parallelen mit der Automobilindustrie:

      Auch hier BANKEN, die Geld verdienen (im Premiumbereich freilich auch noch die Produkte).

      Es ist in beiden Branchen die MANGELNDE Nachfrage (bei hoher Produktivität und großen Fertigungskapazitäten), durch die Renditegenerierung in die FINANZIERUNG mutiert ist.

      Wenn die Margen gering sind, kann es auch da kippen:

      Falls die Leasing-Rückläufer einen höheren als den kalkulierten Wertverlust aufweisen (bei weiter geringer oder fallender Nachfrage), sind Abschreibungen fällig, welche auf die Finanzierungsrenditen drücken.

      An steigende Zinsen und damit zukünftig höhere Finanzierungskosten für die Kunden muss man dabei noch nicht einmal denken.

      Der zweite interessante Aspekt Ihres Beitrags ist, dass die Gewinne für FIRMENKÄUFE ausgegeben werden statt für INVESTITIONEN.

      Damit bin ich bei dem, was ich für signifikant ansehe:

      Offensichtlich ist der Kapitalismus in einer Phase, in der trendmäßig zumindest die großen produzierenden Unternehmen vorrangig durch SKALENEFFEKTE, d. h. Kostensenkungen Rendite erzielen.

      Ich glaube, dass dies die ULTIMA RATIO für die Schaffung großer homogener Märkte wie die EU ist und auch für das Bestreben, den Renditeeffekt durch Freihandelsabkommen wie TTIP, also die Schaffung noch größerer Märkte, zu verstärken.

      Es geht letztlich im Renditewettbewerb nur noch um KOSTENSENKUG.

      In der Produktion läuft das schon mit INDUSTREIE 4.0 und der Vertrieb stellt um auf ONLINE als dominierenden Vertriebskanal.
      Alles mega, nur:

      Wo kommt da die NACHFRAGE her?

      Helikoptergeld wird’s richten … letzte Ausfahrt Brooklyn, vermute ich.

      Antworten
  2. Dietmar Tischer
    Dietmar Tischer sagte:

    >Womit wir bei der eigentlichen Ursache des seltsamen Treibens wären …

    Das wiederum verschleppt die Bereinigung weiter, macht – wegen der Signalfunktion des Zinses und den bestehenden Kapazitäten – Investitionsprojekte unattraktiv und verhindert die schöpferische Zerstörung.>

    Es ist m. A. n. nicht daran zu zweifeln, dass die Bereinigung verschleppt wird.

    Die Diskussion dreht sich daher hier am Blog vornehmlich um die Ursachen und Folgen der verschleppten Bereinigung.

    Bleibt darüber hinaus eine, wie ich meine, interessante Frage:

    Was wäre denn der ZUSTAND, den die „schöpferische Zerstörung“ schaffen würde, wenn es zur Bereinigung kommt?

    Ich glaube nicht, dass jemand eine zutreffende Antwort geben kann.

    Aber es gibt die begründete Ahnung, dass sie nicht nur darin bestehen würde, das Sachvermögen und die Investitionen für eine nicht mehr vorhanden Nachfrage X zu entwerten (das Zerstörerische) und dafür durch andere Investitionen das Sachvermögen zu bilden und zu nutzen (das Schöpferische), was die entstehende bzw. neue Nachfrage Y befriedigt.

    M. A. n. ist überhaupt nicht sicher und daher nicht anzunehmen, dass das neue Y das alte X so ersetzt, dass es außer den unvermeidlichen Übergangsfriktionen KEINE weiteren Probleme gibt etwa derart, wie:

    Die Menschen, die durch die Entwertung der Pferdekutsche ihren Job verloren haben, haben in der Automobilindustrie inkl. Service (Wartung und Reparatur, Tankstellen etc.) neue Arbeit gefunden. Und das mit dem wunderbaren Ergebnis: Praktisch ALLE sind wohlhabender geworden.

    Ich meine, dass das, was mit Künstlicher Intelligenz voll umfänglich alle Lebensbereiche prägend auf uns zukommt, weit UMWÄLZENDERE Veränderungen mit sich bringen kann als der Vergleich zwischen Pferdekutsche und Automobil suggeriert.

    Natürlich ist auch diese Veränderung wie jede mit Chancen und Risiken verbunden.

    Die spannende, weil letztlich entscheidende Frage ist dann:

    Sind wir in der Lage, zwischen Chancen und Risiken einen Weg zu finden, auf dem wir die Veränderungen verträglich gestalten?

    Darauf gibt es heute keine Antwort.

    Lediglich an den Wegmarken, die wir auf welchem Weg auch immer hinterlassen, wird man Antworten ablesen können.

    PS:

    >Deflationär oder (hyper)inflationär? Ich weiß es nicht. Bereite mich aber auf beides vor.>

    Sind Sie sicher, dass Sie sich wirklich darauf VORBEREITEN?

    Ich schätze mal, dass Sie sich nicht darauf vorbereiten, sondern lediglich damit RECHNEN, Deflation oder Inflation seien möglich und sich daher das eine oder andere ereignen wird.

    Das ist etwas anderes.

    Wenn ich mich darauf vorbereiten wollte, würde ich mir einen großen Garten zur Selbstversorgung anschaffen und darauf u. a. Kartoffeln anbauen. Ich kann aus Erfahrung bekunden:

    Die Rendite ist SAGENHAFT.

    Von einer in den Boden gesteckten Knolle kann man – bei guter Wässerung aus dem eigenen Brunnen – im Durschnitt neun bis zehn Kartoffeln ernten. Und dafür braucht es noch nicht einmal ein Jahr.

    Immer schön bei der REALWIRTSCHAFT bleiben …

    Antworten
    • Ralph Klages
      Ralph Klages sagte:

      @Hr. D. Tischer: Wie immer ein lesenswerter Kommentar! Realwirtschaft, DAS ist es (ich probiers gerade mit Olivenbäumen).
      @Dr. Stelter: Sie spannen mich auf die Folter: Was ist denn bei der Analyse Shell herausgekommen? Besagtes?
      LG

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      • mg
        mg sagte:

        @DT: mal wieder ungeheuer lesenswert, Hut ab. Zudem sind Kartoffeln sehr vielseitig. Bratkartoffeln, Pellkartoffeln, Kartoffelsalat, gedünstete Kartoffeln, French Fries, Kartoffelecken, Kartoffelchips, Kartoffelschnaps, Kartoffelmännchen, Kartoffelsuppe… die Liste liesse sich endlos fortsetzen.

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