bto zu Wirecard

Dieser Kommentar von mir erschien bei Cicero:

Der mutmaßliche Betrug des insolventen deutschen Finanzdienstleisters Wirecard erzeugt viele Verlierer. Nicht nur die Politik, die Behörden und die Wirtschaftsprüfer, gerade die Sparer werden dazugehören. Deren Vertrauen in die Börse wird ein weiteres Mal zerstört.

Es ist ein rabenschwarzer Tag für Deutschland: aus der Traum von einer – wenn auch kleinen – Rolle in der neuen digitalen Welt, aus der Traum von einer möglichen Rückkehr der Bürger an die Aktienbörse. Stattdessen eine weitere prominente Wertvernichtung in Milliardenhöhe, die jenen Munition liefert, die Aktien und Börsen für gefährlich und keine sichere Möglichkeit der Geldanlage sehen. So sind wir alle Opfer des Betruges bei Wirecard.

Wirecard ist pleite. Und wenn man den Berichten Glauben schenken darf: eigentlich schon seit Langem. Die nicht von der Manipulation der Bücher betroffenen Geschäftsaktivitäten des Unternehmens schreiben seit Jahren Verluste. Gewinn wurde dort ausgewiesen, wo die Zahlen manipuliert waren. Ohne die Manipulation wäre Wirecard niemals in den DAX aufgestiegen. Vermutlich würde die breite Öffentlichkeit das Unternehmen nicht kennen, so es überhaupt noch existierte.

Der Hebel für den Betrug ist signifikant

In den kommenden Monaten werden wir mehr über die Hintergründe erfahren. Der Verdacht liegt nahe, dass ein anfänglich kleiner Betrug immer größere Ausmaße annahm und – so das Management dafür verantwortlich war – der damit verbundene Erfolg an der Börse immer weiteren Betrug erforderlich machte, um das Spiel fortzusetzen. Nicht nur auf dem Papier wurden viele reich, so sie rechtzeitig aus der Aktie ausstiegen. Noch letzte Woche hat der frühere CEO Markus Braun Aktien im Wert von über 100 Millionen Euro verkauft.

Der Hebel für den Betrug ist signifikant. Wird eine Aktie beispielsweise mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 10 gehandelt, bedeutet jede Erhöhung des Gewinns um eine Million Euro zehn Millionen mehr Börsenwert. Bei Wirecard waren es sogar über 30 Millionen, wurde das Unternehmen doch als Wachstums- und Technologiewert höher bewertet. Kann man da als Management 100 Millionen zusätzlichen Gewinn ausweisen – der eigentlich gar nicht existiert – hat man auf dem Papier einen Wertzuwachs von drei Milliarden. Markus Braun hielt etwas über sieben Prozent, macht also 210 Millionen Vermögenszuwachs.

Prüfer, Aufsicht, Fonds und Sparer

Noch ist offen, ob das Management nur nicht genau hingeschaut hat oder in Wahrheit selbst verantwortlich für die Manipulation ist. Andere Verlierer stehen hingegen fest:

Da ist zunächst die Wirtschaftsprüfung EY zu nennen, die Wirecard in den letzten zehn Jahren geprüft hat und den Betrug nicht bemerkte. Die nahe liegende Anfrage bei den Banken, ob denn das Geld – immerhin 1,9 Milliarden Euro – auch auf deren Konten liegen würde, wurde erst in diesem Frühjahr gestellt. Ordentliche Prüfung sieht anders aus.

Ebenso kritisch ist die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht – kurz BaFin – zu sehen. Bereits vor 18 Monaten hat die renommierte FINANCIAL TIMES (FT) in mehreren Artikeln schwere Vorwürfe gegen Wirecard erhoben und – wie nun für jeden offensichtlich – zu Recht auf Unregelmäßigkeiten in den asiatischen Büchern hingewiesen. Statt diesen Vorwürfen mit aller Kraft nachzugehen, erließ die BaFin ein Leerverkaufsverbot gegen Aktien des Unternehmens. Damit sollte „Marktmanipulationen“ vorgebeugt werden.

Leerverkäufe als Warnsignal

Dabei spielen Leerverkäufer an den Börsen eine sehr wichtige Wachhundfunktion. Ihr Geschäft basiert darauf, überbewertete Aktien zu identifizieren und dann bei diesen auf fallende Kurse zu setzen. In der Praxis läuft es so ab, dass der Leerverkäufer sich die Aktien bei einem anderen Investor – zum Beispiel einem Indexfonds, der alle Aktien halten muss, egal wie die Aussichten sind – gegen eine Gebühr leiht und dann verkauft. Er tut dies in der Hoffnung, die Aktie zu einem späteren Zeitpunkt billiger zurückzukaufen, läuft aber Gefahr, viel Geld zu verlieren, wenn er sich irrt und die Aktie weiter steigt.

Bei Wirecard war es ein gutes Geschäft für die Leerverkäufer, die noch vor dem Verbot der BaFin ihr Geschäft getätigt haben. Sie sind im Zuge des Skandals um Hunderte Millionen reicher geworden. Doch statt dies zu kritisieren oder gar zu verhindern, wie die BaFin es versucht hat, sollten alle Investoren und Aufsichtsbehörden die Aktivitäten der Leerverkäufer als ein ernstes Warnsignal nehmen, um genauer hinzuschauen.

Prominenter weiterer Verlierer ist der Fonds DWS Deutschland der Deutsche Bank-Tochter DWS. Zeitweise waren zwölf Prozent der Mittel in Wirecard investiert – mehr als die eigentlich vorgeschriebene Begrenzung von maximal zehn Prozent je Einzeltitel. Kein Wunder, dass der Fonds schlechter abschneidet als andere, die sich weniger von der Wirecard Geschichte haben blenden lassen.

Alle Sparer verlieren

Große Verlierer sind die Sparer, die ihr Geld direkt oder über Fonds in Wirecard angelegt haben. Vor allem wenn sie wie die DWS den Grundsatz ausreichender Diversifikation nicht beherzigt haben.

Es verlieren aber auch alle anderen Sparer in Deutschland, selbst wenn sie bisher nicht in Aktien investiert haben. Denn das mediale Echo des spektakulären Absturzes von Wirecard wird den Bürgern erneut den Eindruck vermitteln, dass es besser ist, dass Geld auf Konto, Sparbuch oder in der Lebensversicherung anzulegen. Doch genau das ist grundlegend falsch und führt letztlich zum sicheren Verlust.

In „The rate of Return on Everything 1870–2015“ rechnet ein Team um den Bonner Ökonomen Moritz Schularick vor, wie viel man mit der Geldanlage in Anleihen, Aktien und Immobilien verdienen konnte und wie schlimm die zwischenzeitlichen Verluste im Zuge von Börsencrashs und Wirtschaftskrisen waren. Das Ergebnis ist eindeutig:

  • Der reale Ertrag von „sicheren“ Anlagen in Anleihen war im betrachteten Zeitraum gering. Staatsanleihen erbrachten im Durchschnitt ein Prozent pro Jahr und Unternehmensanleihen 2,5 Prozent. Obwohl die Kursschwankungen geringer waren als bei Aktien und Immobilien, bot diese Anlageklasse keinen Schutz vor erheblichen Vermögensverlusten in Inflationszeiten und während der Kriege.
  • Demgegenüber liegt der langfristige Ertrag von „weniger sicheren“ Anlagen in Immobilien und Aktien je nach Land bei sechs bis 8 acht Prozent pro Jahr. Ein sehr robuster und stabiler Ertrag, wie die Autoren festhalten. Die Preisschwankungen von Aktien waren dabei deutlich größer als von Immobilien, aber bei ausreichender Haltedauer ist man immer besser gefahren als mit den vermeintlich sicheren Anleihen.

Eine wirkliche Katastrophe

Der Unterschied im Ergebnis ist erheblich. Legt man 1000 Euro an und reinvestiert den jährlichen Ertrag, so hat man bei einer Anlage zu einem Prozent Zins nach dreißig Jahren ein Vermögen von 1350 Euro. Legt man sein Geld zu sechs Prozent an, ein Vermögen von 5743 Euro. Kein Wunder also, dass wir Deutschen zu den ärmsten Privathaushalten in Europa gehören.

Der Wirecard-Skandal wird die Angst der Deutschen vor der richtigen Geldanlage noch verstärken. Mit Blick auf die in den kommenden Jahren – gerade auch als Folge der Corona-Krise – absehbaren Inflation, eine wirkliche Katastrophe.

cicero.de: “Ein schwarzer Tag für Deutschland”, 25. Juni 2020