Best of 2021 – Ungleichheit: Die Sozialpolitik fördert, was sie vorgibt zu bekämpfen

Dieser Beitrag erschien im Juli 2021.

Die Bundestagswahl naht und die Parteien des linken Spektrums überbieten sich mit Forderungen nach höheren Abgaben für die „Reichen“. Diese sollten, so die Argumentation, endlich einen höheren Beitrag zur Finanzierung des Gemeinwesens leisten. Getragen wird die Argumentation von einem weitverbreiteten Gefühl in der Bevölkerung, dass es in Deutschland immer ungerechter zuginge.

Doch ist dem so? Und vor allem, was wäre zu tun? Nun, mit Blick auf die Verteilung der Einkommen lässt sich feststellen, dass der Sozialstaat funktioniert. Während sich die Markteinkommen in den letzten Jahrzehnten auseinanderentwickelt haben, vor allem weil es gelungen ist, immer mehr Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren, blieb die Verteilung der verfügbaren Einkommen nach Abgaben und Transfers ausgesprochen stabil. Im internationalen Vergleich ist Deutschland eines der Länder mit der geringsten Ungleichheit bei den Einkommen.

Deutschland hat weniger Vermögen als andere Länder

Ganz anders sieht es bei den Vermögen aus. Hier liegt Deutschland mit einem Gini-Koeffizienten von 0,82 (0 = alle haben gleich viel, 1 = einer hat alles, alle anderen nichts) in einer Gruppe mit Ländern wie den USA und Russland. Grund genug für viele Politiker nach einer höheren Besteuerung zu rufen bis hin zu Vermögensabgaben. Dies ist jedoch das falsche Rezept.

Zunächst können wir feststellen, dass Staaten mit ähnlich gut ausgebautem Sozialsystem wie die Niederlande, Schweden und Dänemark eine noch höhere Vermögenskonzentration aufweisen. Dies ist nachvollziehbar, reduziert der Sozialstaat doch die Notwendigkeit der privaten Vorsorge. Bezieht man in Deutschland die Renten- und Pensionsansprüche der Bürger bei der Bemessung der Vermögen mit ein, sinkt der Gini-Koeffizient nach Berechnungen des ifo Instituts auf einen Wert von 0,53. Damit ist Deutschland auch bei den Vermögen eines der „gleichsten“ Länder der Welt.

Ein weiterer Aspekt sollte uns zu denken geben. Relativ zur Wirtschaftsleistung haben die deutschen Privathaushalte deutlich weniger Vermögen als die Bürger der meisten anderen Euroländer. Überschlägig fehlen uns zwischen dem 1,2- bis 2,0-Fachen des BIP an Vermögen, um zu Frankreich und Italien aufzuschließen, das wären rund 4000 bis 6900 Milliarden Euro an zusätzlichem Privatvermögen. Pro Kopf beeindruckende 48.000 bis 83.000 Euro. Selbst, wenn wir alle Vermögen in Deutschland umverteilen würden und jeder Bundesbürger gleich viel Vermögen besäße, bestünde diese Lücke weiterhin.

Dabei sind unsere Reichen nicht besonders reich. Nach Erhebungen der EZB liegen die Top-10-Prozent der Vermögenden mit 861.500 Euro nur geringfügig vor den Reichen in Spanien (839.900 Euro), Frankreich (803.200 Euro) und Italien (700.900 Euro). Ganz anders die Gruppe der 20 bis 40 Prozent Ärmsten: Diese haben in Deutschland ein Vermögen von nur 11.900 Euro. In Spanien (51.900 Euro), Italien (44.400 Euro) und Frankreich (23.700 Euro) verfügt diese Gruppe über deutlich mehr Vermögen.

Programm für mehr Vermögensbildung notwendig

Offensichtlich brauchen wir ein Programm für mehr Vermögensbildung in der breiten Bevölkerung. Das beginnt tatsächlich mit der Qualifikation in Finanzfragen. Solange sich die Bildungslücke darin manifestiert, dass die Mehrzahl der Bürger Sparbuch und Lebensversicherung für die beste Kapitalanlageform hält, werden wir die Vermögenslücke nicht schließen können. Ebenso wichtig ist der Zugang zu kostengünstigen Anlageformen. Hier könnten wir uns ein Beispiel an der schwedischen Aktienrente nehmen.

Immobilieneigentum ist der statistisch entscheidende Faktor, um den Unterschied im Vermögen zu den Nachbarländern zu erklären. Der Staat sollte den Erwerb von Eigentum erleichtern, zum Beispiel durch die Abschaffung der Grunderwerbssteuer für selbst genutzte Immobilien und finanzielle Förderung für Mieter, die die eigene Wohnung kaufen.

Leider verfolgt die Politik – getrieben von den Parteien, die die Ungleichheit am lautesten beklagen – genau die gegenteilige Strategie: immer höhere Abgaben, Überlegungen auch Selbstständige zur Finanzierung der Renten heranzuziehen, Begrenzen und Verteuern des Neubaus von Wohnungen durch immer mehr Auflagen, das Verbot, Wohnungen in Eigentumswohnungen umzuwandeln, werden dazu führen, dass wir in einigen Jahren eine noch größere Ungleichheit beklagen. Nicht, weil die Reichen so viel reicher geworden sind, sondern weil die breite Masse noch weniger hat als heute.

Studien zeigen, dass höhere Vermögen mit einer größeren Zufriedenheit der Bürger einhergehen. Auch Menschen mit geringem Einkommen sind zufriedener, sobald sie über Vermögen verfügen. Politik, die sich zum Ziel setzt, dass es allen besser geht, sollte hier ansetzen: mehr Vermögen für alle!

handelsblatt.com: “Die Sozialpolitik fördert die Ungleichheit, die sie eigentlich bekämpfen will”, 20. Juli 2021