Angela Merkel in Brüssel können wir uns nicht leisten

Dieser Kommentar von mir erschien bei manager-magazin.de:

Angela Merkel war eine teure Kanzlerin für die hiesigen Steuerzahler. Die Kosten für einen eventuellen Absprung nach Brüssel dürften uns aber endgültig überfordern.

Am Sonntag setzen die Staatschefs der EU das Postengeschachere in einem Sondergipfel fort. Manfred Weber, der Karriere-Politiker aus Brüssel hatte nie eine realistische Chance, Jean-Claude Juncker nachzufolgen. Der französische Präsident Macron hat schon vor der Wahl klar gemacht, was er von der Idee des „Spitzenkandidaten“ hält: nichts. Insofern war es ein reines Wahlkampftheater, das aufgeführt wurde. Selbst wohlwollende Parteifreunde Webers räumen hinter geschlossenen Türen ein, dass dieser im Konzert mit den Regierungschefs ein Leichtgewicht ist. Sicherlich wird man für Weber einen geeigneten Versorgungsposten finden.

Bleibt die Frage nach den Szenarien. Die einzige Chance für das Parlament, den eigenen Einfluss zu sichern, wäre die Nominierung von Margrethe Vestager. Selbst der französische Präsident könnte sich mit der kompetenten Dänin, die in den letzten Monaten intensiv an ihrem Französisch gearbeitet hat, leben. Er könnte sogar noch versuchen, einen Franzosen an der Spitze der EZB zu installieren, quasi als „Entschädigung“ dafür, dass er den beinharten Brexitverhandler Michel Barnier nicht durchsetzen konnte.

Alternativ wird ein Szenario diskutiert, das mit vordergründig geballter Kompetenz Europa voranbringen soll: die Französin Christine Lagarde, zur Zeit Chefin des IWF, als neue EZB-Präsidentin und Angela Merkel als Kommissionspräsidentin. Immer wieder hat Angela Merkel mit dem Gedanken eines Wechsels nach Brüssel kokettiert – so in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung vor einigen Wochen – nur um es kurz darauf wieder zu dementieren. Ich denke, wo Rauch ist, ist auch Feuer.

Aus deutscher Sicht wäre die Kombination Merkel/Lagarde auf den beiden wichtigsten Posten der EU nur auf den ersten Blick ein Gewinn. Was vordergründig nach einer Stärkung des deutschen Einflusses in EU und Eurozone aussieht, dürfte sich, wie viele Entscheidungen der Kanzlerin in den letzten 14 Jahren, als ein für den Steuerzahler teures Projekt der persönlichen Machtsicherung erweisen.

Geld anderer Leute

“Den Regierungen ist jede Entschuldigung recht, um neues Geld auszugeben. Geldausgeben ist das Lebenselixier von Politikern. Und zugleich die Grundlage ihrer Macht.” Wohl kein Politiker hat in den letzten Jahrzehnten, so die Einsicht von Milton Friedman, bestätigt, wie Angela Merkel. Wann immer es darum ging, die eigenen Wahlchancen zu steigern, wurde ohne Rücksicht auf die finanziellen Folgen gehandelt. Die Träger der Kosten dieser politischen Entscheidungen wurden entweder über die wahren Kosten im Unklaren gelassen oder aber nicht gefragt.

Die Bilanz dieser Politik habe ich hier und anderer Stelle schon mehrfach gezogen. Darum nur die Kurzfassung zu Erinnerung:

  • Von wegen Sparen: Obwohl in den Medien immer viel vom Sparen die Rede war, haben die Bundesregierungen der letzten zehn Jahre genau das Gegenteil getan. Seit 2008 wurden insgesamt mehr als 280 Milliarden Euro zusätzlich ausgegeben. Zählt man die Zinsersparnis von fast 140 Milliarden und die geringeren Kosten für Arbeitslosigkeit hinzu, hatten die Politiker 460 Milliarden Euro zur Verfügung. Die Schulden sind seit 2014 nur um 76 Milliarden gesunken, allein die Zinsersparnis in diesem Zeitraum liegt bei rund 87 Milliarden. Ausgegeben wurde das Geld mit vollen Händen, vor allem für Konsum: Rente − 100 Milliarden, Gesundheit – 100 Milliarden, „sonstiges“ (von Migration bis Energiewende) – 117 Milliarden. Für Investitionen (50 Milliarden) und die Bundeswehr (5 Milliarden) blieb da nicht viel übrig.
  • Lüge der „schwarzen Null“: Dabei haben die Regierungen Merkel diese Ausgaben nicht nur einmalig getätigt, sondern in Gesetzen auch für die Zukunft festgeschrieben. Wie sehr sie sich dadurch eingeschränkt haben, zeigt der Aufschrei um die neue Steuerschätzung. Diese ergibt übrigens nicht „weniger“ Steuereinnahmen, wie oft geschrieben, sondern weniger mehr, als erhofft. So werden die Einnahmen um 3,4 Prozent pro Jahr wachsen. Nicht wenige Arbeitnehmer wären froh, wenn ihre Nach-Steuer-Einkommen um diesen Satz wachsen würden in den kommenden Jahren. Das Theater verdeutlicht was anderes: Würde der Staat wie ein Unternehmen bilanzieren, wäre offensichtlich, dass die Schulden in den letzten Jahren deutlich gewachsen sind und nicht, wie offiziell behauptet, gesunken. Die verdeckten Verbindlichkeiten des Staates werden auf 3000 bis 4000 Milliarden Euro geschätzt. Mindestens 1000 Milliarden sind auf die Entscheide der letzten Jahre zurückzuführen.
  • Infrastruktur verfällt: Gespart wurde von der Politik in den letzten Jahren an der Zukunft unseres Landes. Mindestens 120 Milliarden wären erforderlich, um die marode Infrastruktur wieder auf Vordermann zu bringen. Würden wir dann auf dem durchschnittlichen Niveau der OECD investieren, wären weitere 30 Milliarden pro Jahr erforderlich. Kapitalisiert also rund 1000 Milliarden latente Last, für die niemand vorgesorgt hat. Nicht enthalten sind hier die Investitionen, die erforderlich wären, um Deutschland von Platz 28 von 32 Plätzen in Europa bei der Digitalisierung nach vorne zu bringen.
  • Bundeswehr kampfunfähig: Wie lautet der Witz zur Aufgabe der Bundeswehr? Den Feind aufhalten, bis eine Armee kommt. Mindestens 130 Milliarden wären kurzfristig nötig, dauerhaft mit Blick auf das Zweiprozent-Ziel der NATO gut 25 Milliarden pro Jahr mehr, was kapitalisiert rund 750 Milliarden entspricht.
  • Energiewende: Prominentestes Beispiel dürfte die überstürzte Energiewende sein. Angesichts der Tsunamikatastrophe in Japan wurde mit Blick auf die Landtagswahl in Baden-Württemberg über Nacht der Ausstieg aus der Atomkraft beschlossen – kurz nachdem zuvor die Laufzeiten der Kernkraftwerke verlängert worden waren. Diesen letztlich fehlgeschlagenen Versuch, die Wahlen für die CDU zu retten, bezahlen wir heute mit den höchsten Strompreisen in Europa und dem Verfehlen der CO2-Ziele. Auf bis zu 1000 Milliarden werden die Kosten dieser Aktion geschätzt.
  • Migration: Mittlerweile ist bekannt, dass die Entscheidung zur Grenzöffnung des Jahres 2015 weniger aus humanitärer Überzeugung als aus Angst vor unangenehmen Bildern im Fernsehen getroffen wurde. Die Folgekosten werden – je nach Integrationserfolg – auf 750 bis 1500 Milliarden Euro geschätzt.

Die gute Konjunktur und die damit sprudelnden Steuereinnahmen haben es der Politik und namentlich der Kanzlerin erlaubt, alle denkbaren Probleme mit Geld zu lösen. Dem Geld anderer Leute, ist doch die Abgabenbelastung trotz dieses Booms weiter gewachsen.

Nun also Europa

Man muss kein Hellseher sein, um zu erkennen, dass die guten Zeiten für Politiker sich hierzulande dem Ende nähern. Die Konjunktur schwächelt, wichtige Schlüsselindustrien stehen vor einem existenzbedrohenden Wandel (Auto), der demografische Wandel setzt jetzt massiv ein und die Fehlentscheidungen der letzten Jahre werden offensichtlich und spürbar. Kein Wunder also, dass Frau Merkel sich nach einer neuen Aufgabe umsieht.

Europa klingt nach einem ehrenvollen Abgang. Sie kann sich bitten lassen und als „Retterin Europas“ in die Geschichtsbücher eingehen. Dabei würde der Gang von Angela Merkel nach Brüssel nicht einer gewissen Ironie entbehren, hat doch gerade die Bundeskanzlerin mit ihren Entscheidungen der letzten Jahre der EU mehr geschadet als genutzt:

  • Der Alleingang in der Flüchtlingspolitik hat zu erheblichen Spannungen in der EU geführt und gerade auch die natürlichen Verbündeten Deutschlands in Osteuropa vor den Kopf gestoßen.
  • Ihre Weigerung einer Begrenzung der Zuwanderung nach Großbritannien zuzustimmen, hat – gerade auch vor dem Hintergrund der Bilder der Flüchtlingsbewegung – mit zu dem Brexit-Votum beigetragen. Mit Großbritannien verliert die EU die zweitwichtigste Wirtschaftskraft und die militärisch stärkste Kraft Europas.
  • Die Weigerung, die Eurokrise als Überschuldungs- und Wettbewerbskrise anzuerkennen und entsprechend zu handeln, zwingt die EZB zu ihrer aggressiven Geldpolitik. Damit verstärken sich die Ungleichgewichte im Euroraum und es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Eurokrise wieder mit voller Wucht ausbricht.

Dennoch hätte Frau Merkel sehr gute Chancen, Kommissionspräsidentin zu werden. Von einer Welle der Sympathie in den deutschen Medien und der Öffentlichkeit getragen und von der Hoffnung der anderen EU-Staaten, dass sich das Muster des Machterhalts von Angela Merkel fortsetzt: der Kauf von Unterstützung mit dem Geld Dritter.

Der Preis ist hoch

Emanuel Macron dürfte eine Transferunion als Preis für eine EU-Rolle von Angela Merkel fordern. Und Frau Merkel wird bereit sein, diesen zu bezahlen.

Im Kern möchte Macron die Krise, die durch zu viel billiges Geld und zu viele Schulden verursacht wurde, mit noch mehr Schulden bekämpfen. Ein Eurofinanzminister soll finanzielle Mittel europaweit verteilen, mit dem Ziel, bei Schocks und schlechter Entwicklung in einem Land mit gezielten Ausgabenprogrammen die Konjunktur zu beleben. Sein Ziel ist ein keynesianischer Superstaat mit eigenem Budget, gespeist aus eigenen Steuereinnahmen und – besonders wichtig – eigener Verschuldungsmöglichkeit. Dahinter liegt die Idee, dass nur so eine gleichmäßige Entwicklung in der Eurozone erzielt werden kann. In die gleiche Richtung zielen die Vollendung der Bankenunion (die ökonomisch auf eine Sozialisierung der faulen Privatschulden in einigen Ländern hinausläuft, Stichwort: italienische Banken!) und Überlegungen für eine eurozonenweite Arbeitslosenversicherung. Christine Lagarde würde als EZB-Chefin Forderungen in die gleiche Richtung stellen und damit die französische Agenda unterstützen, obwohl die Institution, der sie zurzeit vorsteht, vorgerechnet hat, dass Umverteilung nicht wirkt, nicht das Problem der auseinanderlaufenden Wettbewerbsfähigkeit adressiert und das Problem der Überschuldung nicht löst. Das einzige sichere Ergebnis ist, dass wir ärmer werden. Dabei ist es egal, ob diese Umverteilung wie bisher heimlich (TARGET II, EZB) oder künftig offiziell (Transferzahlungen, Investitionsbudgets, Bankenunion, etc.) stattfindet.

Schon jetzt wird die öffentliche Meinung darauf vorbereitet, in dem auf allen Kanälen die undifferenzierte Geschichte des einseitigen Eurogewinners Deutschland, der nun “auch mal etwas tun müsse”, verbreitet wird. Eine Sichtweise, die so pauschal keineswegs richtig ist, wie auch an dieser Stelle erläutert.

Dabei werden die Studien, die den Nutzen der EU für Deutschland zeigen sollen, immer banaler:

  • Kurz vor der Europawahl wurde auf allen Kanälen von einer Studie der Bertelsmann-Stiftung berichtet, die zeigen würde, dass “Deutschland der große Gewinner der EU sei”.  Wenn man genauer hinsieht, ging es weniger um die EU als um den Binnenmarkt und der Hauptgewinner war nicht Deutschland, sondern die Schweiz, die bekanntlich nicht Mitglied der EU ist. Ohnehin war es eine Studie auf dem Niveau: „Wird es wärmer, wenn die Sonne scheint?“, profitieren doch naturgemäß jene Länder und Regionen von einem Binnenmarkt besonders, die stark im Export sind. Das Ergebnis stand also schon vor dem Beginn der Berechnungen fest.
  • In die ähnliche Kategorie fällt eine ebenfalls viel zitierte Studie des Centrums für Europäische Politik unter dem Titel: “20 Jahre Euro: Verlierer und Gewinner”. Die Autoren vergleichen dabei die Entwicklung der deutschen Wirtschaft mit jener Japans in den letzten 20 Jahren (!), ohne dabei zu berücksichtigen, dass in Japan der demografische Niedergang schon zehn Jahre vor uns eingesetzt hat. Rechnet man sauber mit der Entwicklung des BIP pro Erwerbstätigen, sieht man, dass Japan mit einem Plus von 20 Prozent deutlich vor Deutschland mit 14 Prozent liegt. Selbst Großbritannien liegt mit 17 Prozent vor uns.

Diese offensichtlichen Schwächen ändern nichts daran, dass die Studien von den Medien ungeprüft verbreitet werden und so die Grundlage legen für die Bereitschaft, in eine Transferunion einzusteigen.

Wir können es uns nicht leisten

Nun könnte man großzügig meinen, dass es letztlich keine Rolle spielt, wenn wir in Zukunft noch ein paar Milliarden mehr in den europäischen Topf bezahlen. Obwohl wir nach Daten der EZB deutlich ärmer als unsere Nachbarn sind. Das Problem ist jedoch, dass es unsere Leistungsfähigkeit übersteigt. Angesichts des jetzt einsetzenden demografischen Wandels, für den in den letzten Jahren nicht vorgesorgt wurde, werden wir gar nicht in der Lage sein, die Leistung zu erbringen, die zu unseren Lasten versprochen wird:

  • Schon jetzt müssten wir ab sofort zwischen 35 und 100 Milliarden für die Kosten der Alterung zurücklegen.
  • Die Produktivität pro Kopf ist seit Jahren rückläufig, was auch mit der abnehmenden Qualifikation der Menschen zu tun hat. Dies führt zu geringeren Einkommen pro Kopf.
  • Die fehlenden staatlichen Investitionen in Infrastruktur, Digitalisierung, Innovation und Bildung unterminieren unsere Fähigkeit, auch in Zukunft hohe Einkommen zu erzielen.
  • Unsere Industrien stehen vor einem grundlegenden, in Teilen existenzbedrohenden Wandel und stammen allesamt noch auch der Kaiserzeit.
  • Die Sonderkonjunktur der letzten Jahre läuft aus und wird zu erheblichen Verteilungskämpfen führen.

Die Politik der letzten Jahre hat Verteilung vor Schaffung von Wohlstand gestellt. Nun nähern wir uns dem Ende unserer Kräfte. Das Land ist nicht so „reich“ wie Politiker, Medien und wir selbst so gerne glauben wollen. Der Preis für den letzten Karriereschritt von Frau Merkel können wir nicht mehr bezahlen. Selbst wenn wir wollten. Deshalb sollten wir Frau Vestager an diesem Sonntag fest die Daumen halten!