Deutschland braucht einen Finanz­minister gegen die Schuldenunion

Zwei Ämter stehen für die Sicherung des Wohlstands der Bürger: Der Präsident der Bundesbank wacht über die Stabilität des Geldwertes. Der Finanzminister wacht über das Vermögen der Bürger, indem er eine Balance zwischen dem Finanzierungsbedarf des Staates und der Abgabenlast herstellt und auf eine sinnvolle Verwendung der staatlichen Mittel achtet. Diese Aufgaben bestehen weiter, obwohl wir durch Aufgabe der eigenen Währung und die zunehmende Integration in der EU an Autonomie verloren haben.

Obwohl alle Euro-Staaten das gleiche Stimmgewicht im Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) haben, hatte das Wort von Bundesbankpräsident Jens Weidmann als Vertreter der wirtschaftlich stärksten Nation besonderes Gewicht. Verhindern konnte er den Weg in Richtung einer „italienischen Währungsunion“ zwar nicht, aber zumindest verlangsamen.

Ähnlich kommt dem Finanzminister die Aufgabe zu, den Weg in eine Schulden- und Transferunion zu bremsen und Alternativen aufzuzeigen – dies vor allem angesichts der erheblichen Risiken, die im Zuge des europäischen Wiederaufbaufonds eingegangen wurden. Der Bundesrechnungshof warnte: „Der Wiederaufbaufonds etabliert ein Haftungsregime, bei dem Mitgliedstaaten gegenseitig für ausstehende Verbindlichkeiten eintreten müssen. Faktisch handelt es sich um eine Vergemeinschaftung von Schulden.“

Größtes Interesse an dieser Vergemeinschaftung hat, neben Italien und Spanien, Frankreich. Das strukturelle Defizit des französischen Staates ist unter Macron auf fünf Prozent des BIP gestiegen. Die Verschuldung von Staat, privaten Haushalten und Unternehmen nähert sich dem Wert von 350 Prozent des BIP und liegt damit doppelt so hoch wie die deutsche. Kein Wunder also, dass es Befürchtungen gibt, der künftige deutsche Finanzminister könnte sich, anders als der amtierende, einer weitergehenden Schuldenunion verweigern.

Umverteilung der Schulden in der EU

Hilfestellung bekommen die Befürworter der Schuldenunion von Ökonomen, die glauben, es sei eine nachhaltige Strategie, Strukturschwächen und zu hohe Verschuldung mit noch mehr Schulden zu bekämpfen. Sie stören sich nicht daran, dass relativ ärmere Deutsche für reichere Italiener, Spanier und Franzosen einstehen. Das gipfelt in einem Votum angelsächsischer Ökonomen für den „moderneren“ Robert Habeck und gegen einen „rückwärtsgewandten“ Christian Lindner.  „Modern” ist demnach, wer Schulden macht und in der EU umverteilt.

In Wahrheit wäre es die Fortsetzung der Problemverschleppung. Besser wäre eine Lösung der grundlegenden Probleme von Euro und EU, zum Beispiel durch einen gemeinsamen Schuldentilgungsfonds.

“Wir werden deutsche Interessen im Lichte der europäischen Interessen definieren“, steht im Ampel-Sondierungspapier. Wenn das ernst gemeint ist, sollte die künftige Regierung den Partnern mit der Wahl des Finanzministers das richtige Signal senden.

handelsblatt.com: “Deutschland braucht einen Finanzminister gegen die Schuldenunion”, 5. November 2021