10.000 Euro für jeden Bürger!

Mein Kommentar erschien im manager magazin und bei FOCUS:

Schluss mit der verfehlten Geldpolitik der EZB. Gebt das Geld lieber den Bürgern direkt, statt jene zu begünstigen, die zuerst an das frisch geschaffene Geld kommen. Bei den Bürgern ist es auch besser aufgehoben als bei der Politik.

Vor fünf Jahren habe ich an dieser Stelle gefordert, die EZB solle, statt ein milliardenschweres Wertpapierkaufprogramm aufzulegen, besser das Geld an die Bürger überweisen. Die Forderung von “10.000 Euro für jeden Bürger” basierte auf der schlichten Erkenntnis, dass der Aufkauf vorhandener Vermögenswerte nicht zu mehr Nachfrage und Inflation führen würde. Zu hoch die Verschuldung in der Eurozone, zu unsicher die Zukunftsaussichten, zu geschwächt das Bankensystem.

Heute muss man feststellen, dass diese Einschätzung richtig war. Fünf Jahre und 2,6 Billionen Euro Schulden weiter, steht die Eurozone genauso schlecht da wie 2015. Mit noch höherer Verschuldung, einem faktisch insolventen Bankensystem, schwachem Wachstum und geringer Inflation ist Europa höchst anfällig für externe Schocks aus Handelskriegen, Brexit und Rezession in China.

Geldpolitik verpufft

Schon 2015 war klar: Billiges Geld hilft nur dann, wenn die potenziellen Schuldner noch über beleihbares Eigentum verfügen und auch bereit sind, dieses Eigentum zu beleihen, weil sie attraktive Investitionsmöglichkeiten sehen. Im Umfeld der Eurozone sehen Unternehmen dies nicht, und private Haushalte werden sich ebenfalls mit neuen Schulden zurückhalten, wenn Arbeitslosigkeit droht und die Preissteigerung gering ist.

Wenn nun aber alle sparen, also versuchen, bestehende Schulden abzutragen, fließt das „frische Geld“ der Notenbanken eben nicht in die Realwirtschaft, sondern in die Finanzmärkte, wo es die Vermögenspreise treibt. Da naturgemäß nur jene, die über Vermögen verfügen, davon profitieren, kommt es zu einer zunehmend ungleichen Vermögensverteilung, was dann bei Ökonomen wie Thomas Piketty und Politikern aller Couleur den Ruf nach mehr Umverteilung verstärkt. Die Realwirtschaft jedenfalls hat nichts davon.

Wie sehr diese Erwartung zutraf, kann man in Deutschland sehr schön beobachten. Während die normalen Sparer keine Zinsen mehr auf Sparbuch und Lebensversicherung erhalten und in den Pensionsfonds der Unternehmen immer größere Lücken klaffen – Flossbach von Storch beziffert die Lücke alleine bei den Dax-Werten auf 146 Milliarden Euro – steigen die Preise für Immobilien immer weiter.

Nach der jüngsten Studie der Schweizer Bank UBS ist nirgendwo das Risiko einer Blase am Immobilienmarkt so hoch wie in München. Die Stadt belegt damit den ersten Platz vor Toronto und Hongkong und Amsterdam. Auf Platz fünf folgt bereits Frankfurt. Wir haben das billige Geld also vor allem dazu genutzt, uns vorhandene Vermögenswerte zu immer höheren Preisen zu verkaufen. Kein Wunder, dass es mit der Eurozone nicht weiter vorangeht.

Frisches Geld nutzt jenen am meisten, die es als Erste bekommen. Diesen Effekt hat der irische Ökonom Richard Cantillon bereits im Jahre 1734 beschrieben. Zurzeit profitieren die Akteure an den Finanzmärkten von dem Cantillon-Effekt: Sie können früher als andere Finanzassets nachfragen und auf diese Weise relativ risikolose Erträge erwirtschaften. Die Realwirtschaft profitiert davon nicht und der normale Bürger bleibt der Dumme, wie wir beobachten können. Er spürt die Entwertung seiner Einkommen täglich, wenn er die Immobilienpreisentwicklung sieht. Klassische Umverteilung von unten nach oben also.

Direkte Staatsfinanzierung als Nächstes

In verschiedenen Kommentaren habe ich mich an dieser Stelle mit den Aussichten für Geld- und Fiskalpolitik beschäftigt. Da die Akteure wissen, dass das mit der Geldpolitik eben nicht funktioniert, werden die Rufe immer lauter, in die mehr oder weniger direkte Finanzierung der Staaten einzusteigen. Ob nun Mario Draghi in seinem Abschiedsinterview mit der “Financial Times”, der IWF, BlackRock oder auch die Deutsche Bank in einer neuen Studie.

Alle sind sich einig, dass die Staaten – vor allem die gering verschuldeten wie Deutschland, aber faktisch alle – mehr ausgeben sollen, um die ökonomische Eiszeit zu bekämpfen. Idealerweise von den Notenbanken finanziert, ungeachtet der erheblichen Nebenwirkungen, bedeutet es doch nichts anderes als den Weg in eine von den Notenbanken gesteuerte Planwirtschaft. Notenbanksozialismus eben.

Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der Kampf gegen den Klimawandel demnächst als Begründung für die direkte Finanzierung der Staaten herangezogen wird. Dabei dürfte auch hier der ökonomische Beweggrund eine viel bedeutsamere Rolle spielen als die Rettung des Weltklimas. Gäbe es die Klimapanik nicht, man müsste sie aus ökonomischer Sicht erfinden!

Ich zweifle keine Sekunde daran, dass wir uns auf dem Weg befinden. Die designierte Präsidentin der EZB hat den Klimaschutz bereits als eines der Ziele der Notenbank ausgerufen, was eigentlich schon zeigt, wie weit sich die Notenbanken von ihrer eigentlichen Aufgabe entfernt haben. Unabhängigkeit der Notenbank von der Politik gibt es allenfalls noch auf dem Papier.

Doch was wird passieren, wenn die Politik Zugriff auf weitere Mittel bekommt? Es steht anzunehmen, dass damit mehr oder weniger sinnvolle Projekte finanziert werden, die am langfristigen Wachstumspotenzial der Wirtschaft nichts ändern. Wer daran zweifelt, der möge sich anschauen, wofür die 40 (bis 80!) Milliarden Euro für den Kohleausstieg vorgesehen sind (praktisch alles Konsum oder Projekte mit zweifelhaftem ökonomischen Nutzen) oder wofür die Bundesregierungen der letzten zehn Jahre die rund 460 Milliarden Spielraum im Bundeshaushalt (gespeist aus 280 Milliarden Mehreinnahmen, rund 140 Milliarden Zinsersparnis und 40 Milliarden geringeren Kosten für Arbeitslosigkeit) verwendet hat (für Rente, Gesundheit, Migration). Angesichts der demografischen Entwicklung wäre es dringend erforderlich, die Produktivität pro Erwerbstätigen zu steigern. Dazu wären Investitionen in Digitalisierung, Infrastruktur, Innovation und Bildung nötig. Stattdessen werden wohl politische Lieblingsprojekte gefördert.

Hauptleidtragende dieser Politik wird abermals die Mittelschicht sein. Die höheren Staatsausgaben werden jenen zugutekommen, die direkt davon profitieren, wie Bauunternehmen und Subventionsempfänger in geförderten Bereichen. In der Folge werden nicht nur die Vermögenspreise weiter anziehen, sondern auch die allgemeine Inflation. Denn das ist ja das erklärte Ziel der Maßnahmen. Da die Notenbanken die Zinsen weiterhin tief halten werden – denn nur so lässt sich die gewünschte Entwertung der Schulden erreichen – verlieren alle jene, die in Geldvermögen sparen weiter.

Schon bisher hat die Niedrigzinspolitik zu einer Umverteilung aus der Mittelschicht nach unten geführt, was namhafte Ökonomen wie Marcel Fratzscher vom DIW ausdrücklich begrüßen. Ich begrüße das nicht und sehe vielmehr, dass die berechtigte Wut der Bürger über diese Politik sich entsprechend negativ auf das soziale Klima hierzulande auswirkt. Die französischen Gelbwesten protestieren nicht gegen den Klimaschutz, sie haben nur keine Lust, immer mehr der Zahlmeister zu sein. Zeit, dass auch hierzulande die Mittelschicht aufwacht.

Gebt das frisch gedruckte Geld den Bürgern direkt!

Deshalb wäre es besser, wenn wir aus den Fehlern der letzten fünf Jahre lernten und endlich das frische Geld den Bürgern direkt gäben. Die Gründe dafür liegen auf der Hand:

  • Da alle zeitgleich über das Geld verfügen können, wird der Cantillon-Effekt verhindert. Es gibt keine privilegierte Gruppe, die einen Vorteil daraus zieht vor allen anderen Zugriff auf das frische Geld zu bekommen.
  • Als Kopfgeld wäre es zugleich weitaus gerechter und hätte sogar eine soziale Komponente. Vor allem würde die Mittelschicht, die seit Jahren allein die Lasten von Eurorettung und Sozialstaat schultern muss, ebenfalls von der Zahlung profitieren.
  • Überschuldete Haushalte in den Krisenländern könnten das Geld zur Schuldentilgung verwenden; Haushalte ohne Schulden für mehr Konsum. Die Wirkung für die Realwirtschaft wäre in jedem Fall positiv.

Über welche Beträge sprechen wir? Um wirklich den erhofften Effekt zu erzielen, sollte die Zahlung einen nennenswerten Betrag ausmachen und vor allem auf einmal erfolgen. Orientieren wir uns an meinem Vorschlag von 10.000 Euro pro Kopf, reden wir von rund 3.300 Milliarden Euro. Nicht viel mehr als das, was die EZB bis zum Jahresende für nutzloses Quantitative Easing ausgegeben hat.

Ein Risiko gibt es: Der Bevölkerung würde klar, dass in unserem Geldsystem Geld wahrlich „aus dem Nichts“ geschaffen werden kann. Das Vertrauen könnte schwinden und die Rufe nach einer Reform der Geldordnung und der Eurozone könnten lauter werden. Mehr Chance als Risiko würde ich da meinen, müsste sich die Politik doch endlich ihrer Aufgabe stellen.

 → manager-magazin.de: “10.000 Euro für jeden Bürger!”, 3. Oktober 2019