Mit Vollgeld aus der Krise: das neue Geldsystem als Lösung?

Der IWF fordert eine Kombination aus finanzieller Repression, Inflation, Schuldenrestrukturierungen und Vermögensabgaben. Renommierte Kommentatoren stimmen laut in die Forderungen ein. Es wird immer deutlicher: Schmerzlos und heimlich kommen wir aus der Misere nicht mehr heraus. Nicht verwunderlich also, dass immer weitgehendere Vorschläge breiteres Gehör finden. So auch die Idee der Einführung von Vollgeld. Was ist damit gemeint? Nicht weniger als eine Revolution.
Im heutigen Wirtschafts- und vor allem Geldsystem können die Banken beliebig viel Geld aus dem Nichts schaffen. Wenn Sie einen Kredit von Ihrer Bank bekommen, so leiht Ihnen die Bank nicht die vorhandenen Guthaben von Sparern aus, sondern schreibt Ihnen einfach Geld auf dem Konto gut. Damit steigt gleichzeitig die Geldmenge in der Volkswirtschaft. Nur ein Bruchteil des Geldes, welches im Umlauf ist, stammt von der Notenbank, also der EZB oder der Fed. Der größte Teil des Geldes wurde von den Banken im Rahmen der Kreditgewährung geschaffen. Die Notenbanken können nur indirekt diesen Prozess der Geldschaffung beeinflussen: durch die Bestimmung des Zinsniveaus und indirekt durch den Aufkauf von Wertpapieren (siehe hierzu nochmals die exzellente Erklärung von Steve Keen).
Das steckt auch hinter dem heutigen Dilemma der EZB: Sosehr sie sich auch bemüht, die Geldmenge (richtiger müsste man sagen „Kreditmenge“) zu steigern, es gelingt nicht. Wenn die Banken nicht wollen oder wegen schwacher Bilanzen nicht können, kann die EZB wenig tun. Sie kann Ihnen höchstens die schlechten Aktiva abkaufen, damit Sie wieder Raum haben für neue Kredite. Denn im bestehenden System der bankengesteuerten Geldschöpfung ist die Eigenkapitalquote – selbst wenn diese nur sehr gering sein muss – die letzte Bremse. Ist ein guter Teil des Eigenkapitals schon weg, weil die vergebenen Kredite nicht mehr bedient werden, kann die Bank nicht mehr weitere Kredite vergeben. Genau deshalb werden „alternative Instrumente“ der Geldpolitik so aktiv diskutiert.

Wie ich schon oft geschrieben habe, gibt es keinen schmerzlosen Weg aus der Krise. Irgendwie müssen die unbedienbaren Schulden aus der Welt – und damit auch die Forderungen. Entweder die Gläubiger bekommen weniger zurück, müssen mit Steuern selber für die Tilgung bezahlen, oder sie erhalten durch Inflation entwertetes Geld zurück.

Doch es ist nicht das erste Mal in der Wirtschaftsgeschichte, dass eine Überschuldungssituation zu erheblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten führt. Auf der Suche nach einem eleganten Weg kamen die Professoren Henry Simons und Irving Fisher im Jahre 1936 auf eine neue Idee: die Abschaffung der Geldschaffungsmöglichkeit durch die Geschäftsbanken. Die Banken dürften nur noch jenes Geld verleihen, welches sie wirklich als Einlagen in den Büchern haben. Diese Einlagen würden zu 100 Prozent von der staatlichen Zentralbank zur Verfügung gestellt. Die beiden Professoren sahen darin einen Weg, das Geld – gleich Kreditwachstum einer Volkswirtschaft – zu stabilisieren und Zyklen aus Boom und Krise zu verhindern. Der Charme des Vorschlages liegt in der Möglichkeit, beim Übergang vom heutigen System zum System der völligen Zentralbankgelddeckung auch noch den lästigen Schuldenüberhang loszuwerden. Wie das?

  • In einem ersten Schritt müssen die Banken sämtliche Ausleihungen zu 100 Prozent mit Einlagen decken. Da sie das bisher nicht tun, müssen sie sich das dazu erforderliche Geld beim Staat leihen.
  • Da der Staat dann Kreditgeber und Schuldner zugleich ist (die Banken halten bereits jetzt im erheblichen Umfang Staatsanleihen), kann man eine Bilanzverkürzung vornehmen: Die Forderungen und Verbindlichkeiten werden einfach verrechnet.
  • Dies macht man nicht nur mit den von den Banken gehaltenen Staatsanleihen, sondern auch mit den vom Nicht-Finanzsektor gehaltenen Anleihen. Der Staat ist damit schuldenfrei.

Zwei Fliegen mit einer Klappe: Finanzsystem für die Zukunft stabilisiert und Schuldenproblem gelöst? Bekanntlich wurde der Plan der Professoren aus Chicago nicht umgesetzt. Zu groß war auch der Widerstand der Banken.

Umso interessanter, dass schon im Jahr 2012 zwei Forscher im Auftrag des IWF die Idee aufgriffen und für die heutige Zeit durchrechneten. Das Paper ist gut geschrieben, sehr lesenswert und beinhaltet neben der Methodik einen kurzen Abschnitt zur Diskussion von Wesen und Art von Geld. Geld wurde schon immer aus Krediten geschaffen und nicht zum Zwecke der Erleichterung des Tauschs. Damit einhergehend gab es schon früh die Phänomene von Zins, Wucher und auch Eigentumskonzentration über Zeit. Dies ist unter anderem durch den prozyklischen Charakter der Kreditvergabe bedingt: In guten Zeiten gibt es Kredit im Überfluss; in schlechten Zeiten werden Kredite nicht verlängert oder nur zu sehr hohen Zinsen. Wer kennt nicht den Spruch vom Banker, der den Regenschirm bei Sonne verleiht und bei Regen wieder zurückfordert?

Eben aus diesem Grund waren Zinsverbote und Jubeljahre schon im Altertum bekannt, weshalb auch unser Vorschlag einer ähnlichen Schuldenrestrukturierung aus dem Jahr 2011 “Back to Mesopotamia” betitelt ist.

Kernaussage des historischen Abrisses: Die Idee von Vollgeld und staatlichem Geldmonopol ist nicht neu und hatte in der Vergangenheit prominente Unterstützer, wie Benjamin Franklin, David Ricardo und Thomas Jefferson und später der Nobelpreisträger Milton Friedman (1967).

Die Modellierung des Chicago Plans mit den heutigen Mitteln der Ökonometrie führt zu folgender Erkenntnis:

  • Die Umstellung auf ein Vollgeldsystem würde funktionieren und der Nutzen sogar über dem von Fisher und Kollegen erwarteten Werten liegen.
  • Im Fall der USA würde es sogar eine teilweise Tilgung der privaten Schulden ermöglichen, da der Finanzsektor in Summe Verbindlichkeiten von rund 200 Prozent des BIP hat. (BTO: Gleiches gilt erst recht für Europa, wo der Bankensektor noch viel aufgeblähter ist.)
  • Die Forscher erwarten mittelfristig gar eine Stärkung der Wirtschaftsleistung der USA um zehn Prozent (geringere Realzinsen, weniger Besteuerung, geringere Kosten der Kreditüberwachung, weil weniger zweifelhafte Kredite vergeben werden) und keinerlei Beeinträchtigung der Kernfunktion des Bankensektors: der effizienten Verteilung von Krediten.

Letztlich kann man sagen, dass es sich um eine „Monetisierung“ der bestehenden Schulden handelt. Das muss keineswegs inflationär sein, da Inflation sich nur aus einer Mehrnachfrage und damit letztlich Kreditwachstum ergibt. Die offene Frage bleibt, ob ein solches System das Vertrauen der Bevölkerung genießen würde. Voraussetzung ist sicherlich, dass der Staat mit der nun gegebenen Möglichkeit der monopolisierten Geldschaffung vorsichtig umgeht. Zu groß ist die Gefahr, dass die Politik der Versuchung nicht widerstehen wird, durch großzügiges Geldmengenwachstum Scheinblüten zu erzeugen und damit die Krisen noch zu vergrößern. Diesem Argument halten die Autoren des IWF-Papiers entgegen, dass man in einem Vollgeldsystem die Geldpolitik nicht Kriminellen wie John Law (Südseeblase Frankreich 1717-1720) überlassen und zudem keine Kriege führen (und auch noch verlieren) sollte. Ich finde, dass es sich zumindest lohnt, diesen Weg genauer anzuschauen. Vielleicht ist es der schmerzfreieste Weg aus der Situation der völligen Überschuldung?

Das Thema bekommt dadurch Aktualität, dass in der Schweiz eine Volksabstimmung zu diesem Thema vorbereitet wird. Die Unterstützer kommen aus allen politischen Richtungen und argumentieren ähnlich wie die Wissenschaftler des IWF und Irving Fisher mit einer einmaligen Entschuldung des Staates, mehr Finanzstabilität und der Sozialisierung der Geldschöpfungsgewinne, die heute vor allem bei den Privatbanken anfallen. Bei einem Wirtschaftswachstum von ein Prozent läge dieser in der Schweiz demnach bei sieben Milliarden Franken pro Jahr (wenn man das auf die Bundesrepublik skaliert, entspräche dies rund 40 Milliarden Euro).

Unabhängig vom Ausgang ist die Tatsache, dass es eine Abstimmung darüber geben soll, ein ermutigendes Signal. Dass so fundamentale Fragen der Wirtschaftsordnung breit in der Öffentlichkeit diskutiert werden, kann gar nicht hoch genug geschätzt werden. Bleibt zu hoffen, dass das Thema – auch wenn es weniger populistisch ist wie die Begrenzung von Managergehältern, über die die Schweizer auch abstimmen durften – auch in die deutsche politische Diskussion Eingang findet. Wobei: Da es gegen die Interessen der Banken geht, wird sich schon jemand finden, der es propagiert.