Energie und Geschichte – eine Symbiose

Bereits öfter veröffentlichte ich einen Gastbeitrag von Herrn Bauer auf bto. Langjährige Leser/-innen kennen ihn als Kommentator.
Dieses Mal fasst der Autor seine Gedanken zur sozialen Entwicklung der menschlichen Gesellschaft unter dem Aspekt der Energieproduktion und -nutzung als ein Schlüsselkritierium zusammen.

Energie und Geschichte

Energie ist Leben und Geschichte entsteht aus früher Erlebtem. Allerdings gibt es wenig Literatur, die den inneren Zusammenhang zwischen Energie und Geschichte schlüssig behandelt. Ein wichtiges, vielleicht sogar das wichtigste Werk dazu ist “ Why The West Rules – For Now” von Ian Morris, 2010, ISBN 978-1-84668-208-7. Der Autor liefert darin eine Weltgeschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart und untersucht die soziale Entwicklung (Social Development) anhand von Schlüsselkriterien unter Einschluss der Energie. Aus gegebenem Anlass (Entropie und Erneuerbare Energie) habe ich es noch mal hervorgeholt und durchforstet. Das Buch ist der Ausgangspunkt dieser Überlegungen und ich werde mehrfach darauf Bezug nehmen.

Mr. Morris wählte vier Kriterien, Energieverbrauch (Energy Capture), Organisation (Settlement Size), Kommunikation (Communication) und Kriegsstärke (War Making), und bildete daraus gleichgewichtet (4 x 250) einen Wert zwischen 0 und 1000 für die soziale Entwicklung, jeweils getrennt für Ost und West, wobei der Höchstwert 1000 für das Jahr 2000 steht.

Naturgemäß gibt es Energieverbrauch von allem Anfang an mit einem überlebensnotwendigen Mindestwert von 4 kcal/c/d (= 4.65 kWh/capita/day) für Nahrung und Brennholz. Die anderen drei Kriterien waren über lange Perioden der Frühgeschichte dagegen völlig untergeordnet und zeigen erst später quantifizierbare Werte und plausible Relationen zum Energieverbrauch. Es lag damit nahe, sie in den Energieverbrauch zu integrieren und nur mit diesem einen Wert die weitere Untersuchung fortzusetzen. Mr. Morris habe ich darüber unterrichtet.

Der Energieverbrauch entwickelte sich im Westen stetig über zwölftausend Jahre mit wechselnden Schwerpunkten von Vorderasien, bis er um 1 v./n. Ch. mit Rom als Zentrum bei 42 kcal/c/d (~rd. 50 kWh/c/d) stagnierte und ab dem 2. Jahrhundert signifikant wieder abfiel. Der Osten erlebte dieselbe Entwicklung 1000 Jahre später mit Kaifeng als Zentrum. Beide Zentren hatten an ihrem Höhepunkt etwa 1 Millionen Einwohner. Mr. Morris weist ausdrücklich (S. 168 ff mit Diagramm 3.8) auf diese Anomalien hin und begründet sie mit geschichtlichen Ereignissen (Regimewechsel, Unruhen).

Ich kann mich dieser Meinung nicht so recht anschließen, da die Parallelität der Ereignisse zu eindeutig ist, um nur zufällig zu sein. In Rom war dies die Periode von Augustus mit dem Wandel der Republik zur Autokratie bis zum Auftreten der Soldatenkaiser, eine Periode, die durch die Werke zeitgenössischer Beobachter gut belegt ist.

Trotz der noch vorhandenen Befestigungsanlagen war die Millionenstadt Rom bereits eine offene Stadt, jedoch kein Ort, um sicher zu leben. Der jährliche Zuzug aus dem Reich wird mit cirka 100000 beziffert – meist Entwurzelte aus allen Ecken des Reichs, Freigelassene, entlassene Soldateska – und glich in etwa den Abgang durch Geburtenschwund, Mord, Totschlag, einstürzende Wohnbauten und den Nachschub für die Menschen- und Tierkämpfe im Kolosseum aus. Diese menschliche Grundsuppe wurde durch die Gratisverteilung von Nahrung und freien Zugang zu den “Spielen” einigermaßen bei Laune gehalten. Zahlreiche lokale Aufstände und bürgerkriegsähnliche Eruptionen wurden brutal unterdrückt.

Für den Osten mit Zentrum Kaifeng gilt Vergleichbares, lediglich 1000 Jahre später.

Als Quelle verwertbarer Leistung (Dimension kWh) stand der Menschheit damals außer etwas Wind- und Sonnenenergie nur Muskelkraft zur Verfügung, entweder menschliche oder von Nutztieren. Physikalisch betrachtet handelte es sich dabei um Energie niederer Ordnung (hoher Entropie). Hochtemperaturenergie konnte zwar schon früh – in größerem Umfange seit der Bronzezeit – erzeugt werden, jedoch nur mit erheblichem Einsatz, das heißt mit geringem Wirkungsgrad aus niederwertiger Energie.

In den menschlichen Ansiedelungen musste ein großer Teil der Flächen zur Unterbringung der Leistungsträger (Sklaven, Nutztiere) bereitgestellt werden, in der nächsten Umgebung für die Gewinnung von Nahrung und Fourage ebenso. Transport und Verteilung derselben einschließlich Brennmaterial für Küche und Heizung sowie Beseitigung der zwangsläufig entstehenden Abfälle (Mist, Asche) war ein logistisches Problem, das weitere Leistung und mehr Raum erforderte.

Und dies alles zusätzlich zum Raumbedarf für Verkehr, Handel, Gewerbe und die übrigen Funktionen des Zusammenlebens.

Diese Zwänge beschränkten die mögliche Dichte einer Siedlung, besonders die von großen, da Kommunikation, Organisation und Verkehr mehr oder weniger auf Fußgängergeschwindigkeit begrenzt waren. Rom und später Kaifeng erreichten diese kritische Größe und damit die Möglichkeit der Regierbarkeit. Es ist daher durchaus berechtigt, hier von einem Grenzwert zu sprechen, der der hohen Entropie der verfügbaren Energiequellen entsprach und diesen Grenzwert als Entropie der Stadtkultur zu definieren.

Die weitere Verdichtung wirkte destruktiv, die Verwaltung des Reichs und andere Kernfunktionen wichen unter Dezentralisierung an die Peripherie aus, die Zentren verloren an Macht, die Bevölkerung schrumpfte, der Zenit war überschritten, was ja auch die Geschichtsschreibung bestätigt. Der langsame Abstieg des Römischen Reiches in den nächsten 400 Jahren war anfangs eher die Folge dieser Strukturänderung als des Drucks äußerer Feinde, welcher erst weit später als Völkerwanderung fühlbar wurde.

Es gibt zu denken, dass gemäß Morris der Untergang Roms in die Obskurität des Mittelalters sich in einem Rückgang des Energieverbrauchs um nur rund 20 Prozent ausdrückt. Die Einwohnerzahl Roms sank von 1 Million auf unter 100000. Einen Rückgang des Energieverbrauchs von mindestens 20 Prozent streben doch auch unsere Klimaapostel an oder täusche ich mich da? Da steht künftigen Generationen noch einiges bevor, was sie sich so nicht wünschen können.

Erst die Aufklärung leitete die Kehrtwende ein und um 1700 wurde der Spitzenwert Roms im Westen wieder erreicht, um in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts allmählich übertroffen zu werden. Diesmal war es London, die als größte Stadt wieder in die Nähe der 1 Millionen Einwohner kam, mit einem Energieverbrauch von rund 50 kcal/c/d (58 kWh/c/d), einem Plus von etwa 20 Prozent seit Rom. Vor Beginn der industriellen Entwicklung waren die Energiequellen noch immer dieselben wie vor 1800 Jahren mit dem Unterschied, dass in London bereits überwiegend Kohle statt Holzkohle verbrannt wurde, was den höheren Grenzwert erklärt. Denn es war ein Grenzwert. London litt an denselben Symptomen wie seinerzeit Rom.

Warum beträgt die Spurweite fast aller Eisenbahnen seit dem 19. Jahrhundert bis heute und wohl in Zukunft 1435.5 mm? Weil dies die höchstzulässige Breite (4 ft. 8.5 in.) der Kutschen und Lastfuhrwerke im London des 18. Jahrhunderts war, damit zwei auf den engen Straßen und im dichten  Verkehrsgedränge noch aneinander vorbeikamen. Die ersten Eisenbahnkonzessionen übernahmen dieses Maß der Einfachheit halber, und dabei blieb es.

Laut zeitgenössischen Berichten mussten täglich 5000 Tonnen Stallmist und Kloakeninhalt aus London hinausgeschafft werden, was allein etwa 2000 Fuhrwerke beschäftigte, deren Zugtiere wiederum … usw. Jeder bürgerliche Haushalt hatte noch Droschken-/Reitpferde und Haustiere im Untergeschoss, von adeligen Hofhaltungen ganz abgesehen.

Nach allen Indizien war London daran zu ersticken, also gerade an dieselbe Entropie-bedingte Entwicklungsgrenze zu stoßen wie Rom 1800 Jahre vorher. Es kam jedoch anders – gerade noch zur rechten Zeit. Ingenieure mit praktischer Erfahrung stießen die Tür zur Zukunft auf: Matthew Boulton und James Watt 1776 mit der ersten brauchbaren (das heißt Drehmoment liefernden) Dampfmaschine und Richard Trevithick 1804 mit der Lokomotive, der selbstfahrenden Dampfmaschine auf Rädern.

Wie groß der Druck der Entropiegrenze bereits war, kann man ermessen an der Geschwindigkeit der industriellen Übernahme und Verbreitung dieser Erfindungen. Innerhalb weniger Jahre förderten die Kohleminen ihr Wasser kontinuierlich mit Dampfpumpen aus den Schächten, die Textilindustrie expandierte und verzehnfachte ihren Umsatz, die ersten Eisenbahnen verbanden die Städte im englischen Mittelland. Die Betriebskosten sanken teilweise um mehr als 90 Prozent, der frei werdende Cashflow wurde reinvestiert statt konsumptiv verteilt, was Charles Dickens und später Karl Marx und Friedrich Engels zu Kritik und düsteren Vorhersagen veranlasste, die zwar in dieser Schärfe nicht eintraten, uns aber heute noch beschäftigen.

Morris analysiert hier eine Singularität. Das ist ein Bruch in der Entwicklung und er hat zweifellos recht damit, datiert sie allerdings erst für die Jahrtausendwende. Meine statistische Analyse ergab, dass diese Singularität für den Westen unmittelbar mit Beginn des 19. Jahrhunderts, also um 1800 anzusetzen ist. Im Osten, der ja damals noch weitgehend kolonial beherrscht wurde, kam der Start erst rund 100 Jahre später um 1900, ausgelöst durch die Emanzipierung der Kolonien und ihre Einbeziehung in den Ersten Weltkrieg. Während vor dieser Singularität die Entwicklung gut mit Polynomen nachzubilden ist, gelten seitdem exponentielle Formeln.

Letztere haben allerdings die Eigenschaft, dass ihnen bald die Luft zu dünn wird, sie also nicht einfach extrapoliert werden können. Im Westen beobachten wir diese Erscheinung seit der Jahrtausendwende, wenn sie nicht schon vorher bereits fühlbar war. Der Osten holt auf und verkürzt den Abstand stetig. Da die technische Entwicklung inzwischen eindeutig an physikalische Grenzen stößt, bahnbrechende Ausweitungen der erreichbaren Grenzen also nicht gleich zu erwarten sind, stellt sich die Frage, ob hier nicht ein neuer Grenzwert der erreichbaren Entropie vorliegt. Die GRÜNEN sind ja schon dabei, einen solchen Deckel anzuordnen und möglichst bald sukzessive abzusenken. Was sie damit anrichten werden, lässt sich durch Studium des römischen Endes erahnen.

Trotz Globalisierung wird dieser zu erwartende Deckel nicht gleichmäßig wirken. Der Energieverbrauch in den USA beträgt gegenwärtig rund 240 kWh/c/d, in Europa (EU) 110 kWh/c/d, in China 51 kWh/c/d und im weltweiten Durchschnitt 58 kWh/c/d. Dies sind die letzten einheitlich verfügbaren Daten von 2014, die auch heute noch aktuell sein sollten, da der zwischenzeitliche Zuwachs von etwa 1,4 Prozent jährlich durch die COVID-Folgen in etwa kompensiert wird.

Es ist interessant zu vermerken, dass die USA etwa doppelt so viel Energie brauchen wie Europa für einen im Wesentlichen gleichwertigen Lebensstandard. Europa musste seinen Energieverbrauch nur reichlich verdoppeln, um seinen gegenwärtigen Lebensstandard zu erreichen, und dass China sich im Mittel etwa auf dem Stand von London um 1800 befindet, allerdings mit einer enormen Zuwachsrate, die, sollten da jemals Vergleichsdaten zugänglich werden, ähnlich ist wie im London des beginnenden 19. Jahrhunderts.

Dieser neue Deckel ist nicht einfach zu überwinden, da er einerseits administrativ verordnet wird und andererseits physikalisch die Luft dünn wird. Die Industrienationen sind an Grenzen angelangt, die mit herkömmlichen und erprobten Mitteln nicht mehr überwindbar sind. Kommunikation und EDV haben mit der Lichtgeschwindigkeit jeweils ihr Limit erreicht. Im Luftverkehr beschränken wir uns auf Geschwindigkeiten unterhalb Mach 1 (Schallgeschwindigkeit), weil alles darüber zwar technisch bereits erprobt, aber völlig unwirtschaftlich ist und bleibt. Die Erdölchemie ist ausgereift, aber man wird ihr den Hahn zudrehen.

Auch diese Grenze wird eines Tages überschritten werden, allerdings nicht durch Fortschreibung der gegenwärtigen Zustände. Auf mittlere Sicht gibt es die Aussicht, dass mit zwei Sprüngen vorwärts die Stagnation überwunden werden könnte, nämlich mit

  • dem praktisch unlimitierten Zugang zu Energie und daraus resultierend zu Leistung durch die Weiterentwicklung der Nukleartechnik auf Basis der Nutzung von Thorium und verwandter Techniken. Wer diese Nuss als Erster knackt, wird die Welt beherrschen. Wichtig wird dabei sein, Thoriumreaktoren so weit zu miniaturisieren, dass sie in mobilen Einheiten (Schiffe, Schwermaschinen) mit Vorteil anwendbar werden. Mit Uranreaktoren ist dies im Militärbereich längst gelungen. Darüber wird man zum Wasserstoffantrieb greifen, darunter zum Elektroantrieb, da beides durch billigere Energie Vorteile verspricht. Hier ist mit Asien, insbesondere mit China zu rechnen.
  • einem langfristig stabilen Finanzsystem, um das durch Unterbeschäftigung eskalierende Verteilungsproblem im Griff zu behalten und eine weltweit konfliktarme Wirtschaftsordnung zu gewährleisten. Dies wäre ein ernstes Anliegen der Industriestaaten, um zuerst ihre bereits aus dem Ruder laufenden Dysfunktionen zu beheben und wenigstens auf dem Finanzsektor die Oberhand behalten zu können.

Fazit

Ein Großteil der immer vorhandenen übrigen Probleme könnte sich damit weitgehend von selbst erledigen. Beides wird Zeit brauchen, die uns lehren wird, mit den Versäumnissen der Vergangenheit zu leben und in Zukunft auf weltanschauliches Sektierertum zu verzichten.