Die Theorie der langen Wellen der Kon­junktur (I)

Am Sonntag (28. Mai 2023) spreche ich in meinem Podcast über lange Zyklen der Wirtschafts- und Gesellschaftsentwicklung. Zur Einstimmung gibt es ein paar Beiträge. Heute einen Auszug aus meiner Dissertation aus dem Jahr 1990. Es geht um die Kondratieff-Wellen und fasst den damaligen Wissensstand zusammen. Dieser ist aber nicht unbedingt veraltet, wird doch immer noch über das Phänomen diskutiert:

 

Grundlagen

Anfang der 70er Jahre erlebte die Theorie der langen Wellen der Konjunktur eine wahrhafte Wiedergeburt, nachdem sie  in den vorangegangenen Jahrzehnten stürmischen Wachstums in Vergessenheit geraten war. Seither wurden viele neuere Untersuchungen des Phänomens vorgenommen, und es gibt “(…) eine relativ grosse, an Zahl ständig wachsende Gruppe von Nationalökonomen, (…) für welche die Existenz von Wachstumswellen nicht nur feststeht, sondern auch deren immer wiederkehrende Periodizität.” Statistische Untersuchungen führen jedoch zu keiner eindeutigen Bestätigung der Existenz langer Konjunkturwellen.

Bereits in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts gab es erste Untersuchungen über die langfristige Entwicklung von Volkswirtschaften. Die bekannteste stammt von N.D. Kondratieff, nach dem die langen Wellen der Konjunktur noch heute benannt werden.

Bei der Analyse verschiedenster  Grössen, wie Preisniveau, Zinsen, Löhne, Produktion und Aussenhandel, gelang es  ihm, die Vermutung der Existenz derartiger Zyklen zu stützen. So spricht er von einer hohen Wahrscheinlichkeit des “(…) Vorhandensein(s) langer zyklischer Wellen der Konjunktur (…)”. Aufbauend auf diesen Ergebnissen entwickelte Schumpeter seine “Drei-Zyklen-Theorie”, die vom Vorhandensein eines etwa 3jährigen Kitchin-, eines 10jährigen Juglar- und eines 60jährigen Kondratieff-Zyklus ausgeht.

Der klassische Kondratieff-Zyklus ist eine lange Welle der ökonomischen Entwicklung, die in der Regel 50 bis 60 Jahre anhält und in vier Phasen zerfällt:

Phase 1: Der „Frühling“ basiert auf Innovationen und der Umsetzung neuer Technologien und ist eine Expansionsphase, die den allgemeinen Wohlstand steigert und schließlich eine Inflation produziert. Diese Phase dauert rund 25 Jahre.

Phase 2: Der „Sommer“ hält nur flüchtige fünf Jahre lang an. Die Expansion erreicht ihren Höhepunkt, dann entstehen Probleme. Überproduktion führt zu Engpässen bei den Ressourcen, was die Kosten treibt und die Gewinne sinken lässt. Das Wirtschaftswachstum verlangsamt sich.

Phase 3:  Der „Herbst“ währt rund zehn Jahre. In dieser Phase kommt es zur ersten Rezession des Kondratieff-Zyklus, danach tritt die Wirtschaft in eine Zeit mit stabilem, aber niedrigem Wachstum ein. In dieser Hochphase steigt dank niedriger Inflation und guter Wirtschaftsaussichten die Kreditaufnahme.

Phase 4: Der „Winter“ zieht sich im Schnitt über 18 Jahre hin. Er beginnt mit einem durch die hohe Verschuldung der Herbstphase ausgelösten langwierigen, rezessionsähnlichen Abschwung, der bis zu drei Jahren anhalten kann. Darauf folgt eine Periode von bis zu 15 Jahren mit niedrigen Wachstumsraten, bis der nächste Frühling kommt.

Quelle: IfW Kiel

 

2.2 Erklärungsansätze für die Existenz von Kondratieffzyklen

Von besonderem Interesse sind zweifellos die Ursachen, die zu zyklischen Schwankungen in der Entwicklung von Volkswirtschaften führen. Einige der bedeutendsten Theorien sollen im Folgenden kurz charakterisiert werden.

2.2.1 Innovationscluster als Auslöser der langen Wellen

Dieser Ansatz, der vor allem von Schumpeters “dynamischem Unternehmer” geprägt wurde, stellt die technologische Entwicklung in  den Mittelpunkt der Analyse. Basierend auf Schumpeter waren es vor allem Mensch, Marchetti, Kleinknecht und van Duijn, die die Bedeutung von Innovationen für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung und den Zusammenhang zwischen Kondratieffzyklen und Auftreten von Innovationen untersucht haben.

2.2.1.1 Der Ansatz von G. Mensch

2.2.1.1.1 Grundzüge

Im Zentrum der Untersuchungen von Mensch steht der Zusammenhang zwischen dem Auftreten von sog. Basisinnovationen und der langfristigen Entwicklung der Volkswirtschaft, wobei dieser nicht auf den Kapitalismus beschränkt, sondern auch im Sozialismus festzustellen ist.

Die bedeutendste Erkenntnis ist jene, dass Basisinnovationen, also Innovationen, die auf industrielles Neuland führen, gebündelt auftreten. So stellt sich die wirtschaftliche Entwicklung nach Mensch wie folgt dar:

Ein Bündel von Basisinnovationen führt zum Aufbau verschiedener neuer Industriezweige, die Nachfrage  auf sich ziehen und ständig Verbesserungsinnovationen vornehmen. Es kommen gleichzeitig verschiedene Wachstumszyklen in Gang, die weitgehend parallel verlaufen. In der Aufschwungsphase besteht ein Verkäufermarkt, es kommt zu Massenfertigung und Standardisierung. Mit zunehmendem Wachstum der neuen Industriezweige sinkt die Neigung zu Basisinnovationen, da diese risikoreicher sind als die Vornahme von Verbesserungsinnovationen. Dies führt dann zu einem Innovationsstau, da die Erfindungen (Inventionen) relativ gleichmässig im Zeitablauf auftreten. Der einsetzende Konzentrationsprozess verringert den Druck zur Durchführung von Verbesserungsinnovationen, die, wegen der mit ihnen verbundenen Produktionsumstellungen und der Erschwerung von Standardisierung und Massenfertigung, beim Management nicht beliebt sind. Auf der anderen Seite ist eine steigende Marktsättigung festzustellen, das Nachfragevolumen stagniert, und die in der Prosperitat aufgebauten Kapazitäten bleiben immer mehr unausgelastet.  In dieser Situation gesättigter Märkte in den wichtigsten Schlüsselindustrien, die Mensch als “technologisches Patt” bezeichnet, haben sich die industrialisierten Länder bis “aufs Engste angeglichen”, was Produktionstechnik, Lebensstandard und Lebensweise betrifft.

Die einsetzende Stagnation ist Ausdruck eines Mangels an grundlegenden Innovationen, jedoch ist das technologische Patt nur eine Umbruchsphase, die zu einer Weltwirtschaftskrise führen kann, nicht muss. Verschiedene Branchen erreichen gleichzeitig einen Sättigungsgrad, was sich über Multiplikatoreffekte in der ganzen Wirtschaft auswirkt.

Stagnation ist in diesem Modell die originäre Kraft, “Innovation und Stagnation induzieren einander.” Dieses Modell entspricht nach Auffassung von Mensch eher der Realität, da diese keine Sinuskurve, sondern aufeinanderfolgende Wachstumstrends zeigt. Zudem ist der fehlende Determinismus vorteilhaft, kann doch aus der Stagnation heraus ein Kollaps, ein langsamer Nieder- oder ein fliessender Übergang in einen neuen Wachstumsschub resultieren. Auch lässt sich anhand einzelner Unternehmen und Branchen eine Analyse durchführen, was dazu beiträgt, die einseitige “Black-Box”-Betrachtung des Phänomens der langen Wellen zu überwinden.

2.2.1.1.2 Zusammenhang zwischen Invention und Innovation

Innovationsarmut und -reichtum wechseln einander ab, wobei der Trendwechsel im technologischen Patt erfolgt. Anhand von historischen Daten der letzten drei Kondratieff-Zyklen analysiert Mensch den Zusammenhang zwischen Invention und Innovation, wobei er feststellt, dass

  • Invention und Innovation nicht dicht beieinander liegen
  • das Auftreten von Basisinnovationen zwischen 1740 und 1955 heftigen Schwankungen unterlag
  • in Prosperitätsphasen geringe Neigung zu Basisinnovationen bestand
  • in Krisen große Neigung zu Basisinnovationen bestand
  • diese Ergebnisse mit dem Metamorphose-Modell im Einklang stehen.

Bei Analyse der Ursachen für das zyklische Verhalten von Basisinnovationen stellt er fest, dass es keine ähnlichen Schwankungen bei den Inventionen gibt. Vor jeder Krise gab es einen aufgestauten Wissensstock, da die Investoren erst in der Krise ihre Risikoaversion überwinden und sich auf die Möglichkeiten der Basisinnovationen besinnen.

Der heutige Eindruck des sich beschleunigenden technischen Wandels beruht auf Verbesserungs- und Scheininnovationen in traditionellen Bereichen, während es bei Basisinnovationen eher zu einer Verlangsamung gekommen ist.

Die Zeitspanne, die zwischen Basisinventionen und -innovationen vergeht, wird innerhalb eines Zyklus kleiner, was an der Leitfunktion der Vorläufer liegt. Diese erleichtern die Durchführung von Folgeinnovationen, die deshalb weniger Zeit in Anspruch nehmen. Ausgangspunkt bildet meist: ein grundlegender Paradigmawechsel, der in verschiedenen Wissensgebieten völlig neue Forschungsmöglichkeiten eröffnet.

Gerade wenn die Verkürzung der Innovationszeiten am deutlichsten ist, werden jene völlig neuen Ansätze welche Basis für die neue Kondratieff-Welle bilden jedoch verzögert. Erst im Zuge einer Depression erfolgt deren Umsetzung.

So lässt sich zusammenfassend sagen, dass:

  • Stagnation die Folge von fehlenden Innovationen ist
  • diese Situation des technologischen Patts zu tiefgreifenden Krisen führen kann
  • der Innovationsmangel auf Fehler der Wirtschaftsführung zurückzuführen ist
  • nur Basisinnovationen einen neuen Aufwärtstrend auslösen können.

2.2.1.1.3 Kritik am Ansatz von Mensch

Folgende Kritik wird an dem Ansatz von Mensch zumeist geübt:

  • “systematische Häufungen von Basisinnovationen, deren Identifikation ohnehin nie frei von Willkür ist -” sind bisher noch nicht hinreichend belegt worden.
  • Vernachlässigung des Diffusionsprozesses.
  • Zweifel an der Reliabilität von Menschs empirischen Beobachtungen.
  • Zweifel an der theoretischen Erklärung: Innovationen werden von Gewinnerwartungen ausgelöst. Diese sind in expandierenden Märkten besser als in Depressionen, weshalb eine Zunahme der Innovationen im Aufschwung/Boom vorliegen müsste.
  • Fehlen eines eindeutigen Abgrenzungskriteriums zwischen Basis- und Verbesserungsinnovationen.

2.2.1.2 Der Ansatz von J. van Duijn

Ebenso wie bei Mensch steht auch bei van Duijn die Bündelung von Basisinnovationen als Hauptursache für die zyklische Wirtschaftsentwicklung fest. Sie begründen seiner Meinung nach neue Industriezweige, die sich entlang logistischer Kurven entwickeln. Dies führt zu Multiplikator- und Akzelleratoreffekten und so zum Aufbau von Überkapazitäten, die dann, über einen Rückgang der Investitionstätigkeit, die Depression auslösen. Erst ein erneuter Anstieg der Investitionen ermöglicht, über die damit verbundenen positiven Multiplikatoreffekte, die Wirtschaftskrise zu überwinden. Die volkswirtschaftliche Entwicklung basiert folglich auf den Lebenszyklen der Innovationen. Es gibt zwar Innovationen, deren Lebenszyklus sich über mehr als eine lange Welle erstreckt (z.B. US Automobil­ und Flugzeugindustrie), das Wachstum flacht jedoch mit jeder Welle ab. Im Gegensatz zu Mensch erwartet van Duijn den Innovationsboom nicht in der Depression, sondern im Laufe des Aufschwungs, da die Innovatoren davon überzeugt sein müssen, dass sie neue Märkte entwickeln. Diese Überzeugung tritt erst während einer Aufwärtsentwicklung ein. Ursache dieses erneuten Aufschwungs ist eine “technische Reaktion”, wenn die Oberkapazitäten beseitigt sind und die bestehende Infrastruktur einer Erneuerung bedarf.

2.2.1.3 Der Ansatz von A. Kleinknecht

Für Kleinknecht ist die von Mensch vorgenommene Analyse theoretisch richtig, da er von einer Konzentration auf Verbesserungsinnovationen in der Prosperität ausgeht: Weshalb sollte eine Unternehmung ein erhöhtes Risiko eingehen, wenn ihre vorhandenen Produkte leicht verkauft werden können? In Depressionszeiten hingegen erscheinen Investitionen in alten Industrien wenig attraktiv, zudem sie von größerem Risiko und Unsicherheit gezeichnet sind. “Thus, longer depression periods are favourable times for process innovazions (…), and for radical product innovations, giving the basis for new growth industries.” Seine empirischen und statistischen Untersuchungen bestätigen die These von Mensch, dass Innovationen konzentriert in Depressionen auftreten. Ausdrücklich verweist Kleinknecht auf die politischen Einflüsse, wie die forcierten Rüstungsanstrengungen in den 30er Jahren. Letztlich muss, um eine umfassende Theorie der Clusterungstendenzen zu entwickeln, der gesamte Komplex sozialer, politischer und wirtschaftlicher Veränderungen während der Krise betrachtet werden.

2.2.1.4 Der Ansatz von c. Marchetti et al..

Auch Marchetti untersucht den Zusammenhang zwischen Invention und Innovation, wobei er sich auf das Datenmaterial von Mensch stützt. Dabei gelangt er zu folgenden Ergebnissen:

  • es kommt erst dann zu einem Wirtschaftsaufschwung, “(…) wenn ein beträchtlicher Teil der Innovationen nennenswerte Marktanteile erobert hat”.
  • von Zyklus zu Zyklus ergibt sich eine Beschleunigung sowohl von Inventionen als auch von Innovationen. Dies bedeutet, dass die benötigte Zeit um 80% der Inventionen/Innovationen (zwischen 10% und 90% der gesamten Inventionen/Innovationen) umzusetzen, immer kurzer wurde.
  • der Abstand zwischen den Zeitpunkten, bis zu denen 50% der Innovationen umgesetzt wurden, blieb mit etwa 57 Jahren konstant.

Die Hauptursache einer möglichen Krise liegt seiner Meinung nach in der Sättigung der wichtigsten Märkte, wobei er den Automobilmarkt als Paradebeispiel anführt.

Mit der von ihm angewandten Methode lässt sich der voraussichtliche Sättigungswert einzelner Märkte berechnen, was entsprechende Rückschlüsse auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung erlaubt.  Dabei stützt er sich auf Analogien der Marktentwicklung zu Prozessen in der Natur. Demzufolge ist von einem logistischen Wachstum von Industrien auszugehen, ähnlich der Besetzung von ökologischen Nischen durch Lebewesen. Die berechnete maximale Marktgröße entspricht der Größe der “Eco-Niche” für das betreffende Produkt. Es kann sein, dass dieser Wert nie erreicht oder aber deutlich überschritten wird, wobei es aber vorwiegend nur Schwankungen um einen Sättigungswert sind. Ob eine Vergrößerung der Nische, wie in der Biologie, mit zunehmendem Wachstum der Spezies möglich ist, kann gemäß Marchetti nicht beantwortet werden.

Wesentlich ist, dass Marchetti bewusst von finanziellen bzw. geldmäßigen Aspekten abstrahiert und nur die mengenmäßige Sättigung eines Marktes betrachtet. Diese soll hier als eine absolute definiert werden, im Unterschied zu einer kaufkraft­abhängigen relativen Sättigung. Absolute Sättigung versteht der Verfasser als die Ausschöpfung der mengenmäßigen Aufnahmefähigkeit eines Marktes, z.B. die Menge verzehrbaren Fleisches pro Kopf der Bevölkerung. Hat hingegen der überwiegende Teil der Privathaushalte seine finanziellen Möglichkeiten ausgeschöpft (inkl. Verschuldungskapazität), so sind praktisch alle Märkte gesättigt, weil keine weitere Nachfrage mehr möglich ist (relative Sättigung).

Interessant an diesem Ansatz ist m.E., dass es zu immer kürzeren Innovationsphasen bei erhöhter Geschwindigkeit kommt. Da aber die Distanz zwischen den einzelnen Zyklen gleichbleibt, lässt sich dies dahingehend interpretieren, dass zukünftig immer längere Phasen wirtschaftlicher Stagnation zu erwarten sind.

Angewendet auf einzelne Märkte weisen seine Prognosen eine erstaunliche Präzision auf. So erlebte der britische Kohlebergbau in den letzten Jahren einen Niedergang, der ziemlich genau mit den theoretisch ermittelten (logistischen) Abläufen übereinstimmt. Nur kurzzeitig gab es eine deutliche Abweichung, die auf Eingriffe der britischen Regierung zurückzuführen ist. Unterdessen ist deren Wirkung jedoch vergangen, und die tatsächliche Fördermenge gleicht sich der prognostizierten an. Ein Beispiel, welches die Unveränderlichkeit derartiger Prozesse und die Wirkungslosigkeit staatlicher Eingriffe aufzeigt.

Die wesentliche Ergänzung dieses Ansatzes zu jenem von Mensch liegt in der engen Verknüpfung des Strukturwandels mit der langfristigen Entwicklung der einzelnen Volkswirtschaften. So wird nachgewiesen, dass sich der Einsatz von neuen Technologien, aber auch von verschiedensten Energieträgern zyklisch entwickelt hat, wobei Innovationsschube jeweils zeitgleich mit der Einführung einer neuen Primarenergie auftreten. Diese Entwicklung stellt sich im historischen Ablauf als ein Prozess sukzessiver Substitutionen dar, denen ebenfalls eine Zeitdauer von ca. 55 Jahren zugrunde liegt. Letztlich ist es diese wiederholte Verdrängung alter durch neue Technologien, die die langen Wellen der Konjunktur auslöst. Welcher Mechanismus als “Taktgeber” hinter diesen Substitutionsprozessen steht, bleibt zu untersuchen. Marchetti betont die in einer Gesellschaft ablaufenden Lernprozesse, die den Transfer von Theorie in Praxis erst ermöglichen und deshalb Zeit benötigen.

2.2.1.5 Der Ansatz von c. Freeman et al.

Aufbauend auf einer Kritik an Menschs’ Theorie der Innovationscluster, entwickeln Freeman et al. einen eigenen Ansatz, der ebenfalls die Bedeutung von Innovationen in den Vordergrund stellt. Zentral ist dabei der Diffusionsprozess, da nur dieser Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung haben kann.

Basisinnovationen treten danach zufällig in jedem Stadium der langfristigen Entwicklung auf. Wann der Prozess der Diffusion von Innovationen einsetzt, hängt nicht nur von erfolgreichen Basisinnovationen ab, sondern auch von den übrigen Rahmenbedingungen. Mit Beginn der Verbreitung neuer Technologien werden Multiplikatoreffekte ausgelöst, was wiederum den Anreiz zur Umsetzung von Innovationen erhöht. “It is this combination of related and induced innovations which grives rise to expansionary effects in the economy as a whole.” Zudem müssen die einzelnen Diffusionsprozesse miteinander verknüpft sein, denn sonst ließe sich das gleichzeitige Auftreten von mehreren derartigen Abläufen nicht erklären. Folglich sprechen Freeman et al. auch von neuen “technologischen Systemen“.

Depressionen erscheinen nicht als Auslöser für konzentriert auftretende Basisinnovationen, jedoch können sie Veränderungen der politischen und sozialen Rahmenbedingungen herbeiführen, die sich in der Aufschwungsphase positiv auf die Umsetzung von Neuerungen auswirken. Mit zunehmender Entwicklung der neuen Industriezweige sinkt die Innovationsneigung, bis sie sich nur noch auf geringfügige Verbesserungen von Produkt und Produktionstechnik beschränkt. Ziel ist es dann, durch Standardisierung und Rationalisierung Kosten zu senken. Die Konzentration auf arbeitseinsatzsparende Innovationen in der Spätphase des Aufschwungs ist die Reaktion auf steigende Lohnkosten und Arbeitskräftemangel, die sich in sinkenden Gewinnen niederschlagen. Dennoch sind die Produktivitätszuwächse im Vergleich zu den Vorjahren gering, da keine Economies of Scale mehr genutzt werden können. Schließlich führt diese Ausrichtung auf Einsparungen und Standardisierung, gepaart mit Sättigungserscheinungen, zur Depression. Erst die erneute Verbesserung der Profiterwartungen ermöglicht einen neuen Aufschwung.

2.2.1.6 Würdigung der Innovations-Ansätze

Für den hier interessierenden Zusammenhang ist es m.E. unerheblich, ob die auf Basisinnovationen beruhenden neuen Industriezweige bereits in der Depression auftreten und die Trendwende herbeiführen oder aber erst im Aufschwung. Wesentlich erscheint der Zusammenhang zwischen Wirtschaftsentwicklung und Innovationen, wobei die Frage der Kausalität nicht eindeutig beantwortet werden kann. Empirische Untersuchungen stützen allerdings die These von Mensch, zeigen sie doch auf, dass Unternehmen in Zeiten der Krise eher bereit sind, Risiko auf sich zu nehmen, als in Prosperitätsphasen. Für die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft ist entscheidend, dass mit großer Wahrscheinlichkeit ein neuer Innovationszyklus bevorsteht, wobei die Gefahr einer tiefgreifenden Wirtschaftskrise nicht von der Hand zu weisen ist. Mit bewusster Beeinflussung der Innovationsaktivität könnte versucht werden, die Depression zu vermeiden oder zumindest ihre Dauer zu verringern. Selbst für den Fall, dass dies nicht die geeignete Strategie des Krisenmanagements ist, bleibt es immerhin ein ernstzunehmender Lösungsansatz.

Diese Erklärungsansätze zeigen deutlich, dass es wenig sinnvoll ist, veraltete Industriestrukturen zu erhalten, da deren Niedergang und Substitution ohnehin nicht auf Dauer verhindert werden kann. Folge derartiger den Strukturwandel behindernder staatlicher Interventionen ist letztlich nur eine höhere Staatsverschuldung bzw. höhere Steuern.

Die Politik sollte sich auf Beschleunigung und soziale Abfederung der Anpassungsprozesse beschränken. Aus heutiger Sicht stellt die “New-Deal”-Politik der USA in den 30er Jahren ein Beispiel für die Förderung veralteter Branchen dar. Sinnvoller und vermutlich auch erfolgreicher wäre eine Unterstützung junger Industrien gewesen.

MORGEN TEIL 2