Deutschland vor dem Wirtschafts­sturm

Ende Oktober 2019 erschien „Der größte Crash aller Zeiten: Wirtschaft, Politik, Gesellschaft. Wie Sie jetzt noch Ihr Geld schützen können“  im Eichborn Verlag. Es ist das neueste Werk der Bestsellerautoren Marc Friedrich und Matthias Weik. Im Vorfeld kamen die beiden auf die namhaften Autoren Norbert Häring (Handelsblatt) und Gerhard Schick (ehemaliger Bundestagsabgeordneter der Grünen) und auch auf mich zu und baten um Gastbeiträge für ihr Buch. Ich stimmte zuMeine Motivation: Ich wollte auf diesem Weg breitere Gesellschaftsschichten auf die Fehlentwicklungen in Deutschland und Europa hinweisen. Dies bedeutet nicht, dass ich alle im Buch getroffenen Aussagen vollumfänglich teile. Da mein Beitrag darin verkürzt publiziert wurde, hier für meine Leserinnen und Leser der Artikel in voller Länge.

Der Weltwirtschaft droht eine schwere Krise, die deutlich problematischer sein wird als jene des Jahres 2009 und der Eurozone droht der ungeordnete Zerfall. Deutschland sonnt sich derweil im Glück vergangener Erfolge, ist aber denkbar schlecht aufgestellt für den Sturm, der sich zusammenbraut. Die Kombination von fehlendem Verständnis von Bürgern und Politikern für die Weltwirtschaftsordnung und schlechter Politik hierzulande, wird uns teuer zu stehen kommen.

Wirtschaft auf Pump

Auf globaler Ebene haben wir es mit einem völlig aus dem Fugen geratenen Finanz- und Wirtschaftssystem zu tun. Seit Mitte der 1980er-Jahre erleben wir weltweit, vor allem in den USA, Europa und Japan, eine immer schneller steigende Verschuldung relativ zur Wirtschaftsleistung, gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP). In den zwanzig Jahren bis zur Finanzkrise 2008 hat sich die Verschuldung relativ zum BIP mehr als verdoppelt. Real – also bereinigt um die Inflation – hatten Unternehmen mehr als dreimal so viele Schulden wie zuvor, Staaten mehr als viermal und private Haushalte mehr als sechsmal so viel.

Die sogenannte Finanzkrise war deshalb vielmehr eine Überschuldungskrise. Die Welt schien am Ende der Verschuldungskapazität angelangt. Die Verschuldungskapazität hängt vom beleihungsfähigen Eigenkapital oder Einkommen und von den Zinsen ab. Je höher das Eigenkapital und das Einkommen und je tiefer die Zinsen, desto mehr Schulden lassen sich schultern. 2008 stiegen die Kosten für Kredite drastisch, nicht zuletzt, weil das Vertrauen der Kreditgeber in die Zahlungsfähigkeit der Schuldner deutlich zurückging. Zugleich verfiel der Wert des Eigenkapitals und die Einkommensaussichten verschlechterten sich wegen der sich abzeichnenden Rezession. Was bei moderater Verschuldung im Einzelfall ärgerlich ist, erweist sich bei zu hoher Verschuldung als Brandbeschleuniger für eine Große Depression.

Dass es nicht dazu kam, verdanken wir dem beherzten Eingreifen der Notenbanken, die die Weltfinanzmärkte mit Liquidität überschwemmten und die Zinsen mittlerweile in den negativen Bereich gedrückt haben. Nur so können die Schuldner weiter so tun, als wären sie solvent und die Gläubiger weiterhin denken, sie hätten noch werthaltige Forderungen. Damit haben die Notenbanken allerdings genau jene Politik fortgesetzt, die uns in die Überschuldung geführt hat. Immer, wenn es in den letzten dreißig Jahren an den Finanzmärkten oder in der Wirtschaft zu Turbulenzen kam, haben die Notenbanken der westlichen Welt Zinsen gesenkt und Liquidität in die Märkte gepumpt: Börsencrash von 1987, Russlandkrise, Asienkrise, Dotcom-Blase, Finanzkrise – immer das gleiche Muster. Anschließend wurden die Zinsen allerdings nie wieder auf das vorherige Niveau erhöht. So sanken die Zinsen über die Jahrzehnte immer tiefer.

Auf diese Weise wurde es immer attraktiver, auf Kredit zu spekulieren. Je höher verschuldet das System ist, umso größer ist jedoch seine Krisenanfälligkeit und desto bedrohlicher wird auch jede Krise. Deshalb mussten die Notenbanken immer heftiger – mit Zinssenkungen – intervenieren, was wiederum einen Anreiz gab, weitere Schulden zu machen, weil es nochmals deutlich billiger wurde. Das Medikament, das die Notenbanken verabreichen, verstärkt die Krankheit, anstatt sie zu heilen.

So lief es auch in den letzten zehn Jahren. Statt ein Sinken der Schuldenlast zu bewirken, haben die Notenbanken den Schuldenberg weiter aufgebläht. Die Welt ist mit über 325 Prozent des Bruttoinlandsprodukts verschuldet, 75 Prozentpunkte mehr als 2007. Diese Schuldenlast ist nur zu immer tieferen Zinsen tragbar.

Notenbanker füttern das Schuldenmonster

Doch nicht nur die Schulden wachsen weiter. Auch in anderer Hinsicht hat die Politik der Notenbanken erhebliche negative Nebenwirkungen:

  • Eng mit dem Schuldenboom verbunden ist die Entwicklung der Vermögen. Jeder vierte der 400 reichsten Amerikaner ist durch „Investments“ so extrem reich geworden. Die meisten davon mit billigem Kredit. Banken, Hedgefonds und Private Equity erzielen ihre zum Teil fantastischen Renditen nur durch den massiven Einsatz von „Leverage“, also Kredit. Nur dank des Treibstoffs billigen Geldes ist es überhaupt möglich, dass die Vermögen – wie die Schulden – seit Jahren schneller wachsen als die Realwirtschaft. Die Reichen werden immer reicher, weil das immer billigere Geld die Preise von Immobilien, Finanzanlagen, Kunst- und Sammlerobjekten immer höher treibt.
  • Je höher die Bewertungen an den Vermögenswerten, desto größer die Gefahr von Einbrüchen, wenn die Blasen hin und wieder platzen. Dies hat aber verheerende Folgen für die Realwirtschaft, weil die Nachfrage sinkt und vor allem, weil das Finanzsystem sofort wieder ins Wanken gerät. Fallen die Vermögenspreise, verlieren die Kreditgeber Geld und die Banken stehen wieder vor einer neuen Finanzkrise. Dies zwingt die Notenbanken, bei ihrer Geldpolitik immer mehr auf die Finanzmärkte zu blicken. Letztlich sind sie gezwungen die Vermögensmärkte mit immer billigerem Geld zu stabilisieren. Die Zinsen müssen also morgen noch tiefer sein, weil sie heute schon tief sind.
  • Die stetig steigende Verschuldung führt zu einer zunehmenden „Zombifizierung“ der Wirtschaft. Immer mehr Unternehmen sind unter normalen Umständen nicht mehr in der Lage, ihre Schulden zu bedienen. Weil das Bankensystem wiederum die Verluste aus Abschreibungen auf diese Kredite nicht verkraften könnte, kommt es zu einer stillen Übereinkunft: Solange das Unternehmen den Zinsverpflichtungen nachkommt, tun beide Seiten so, als wäre der Kredit noch werthaltig, das Unternehmen also nicht insolvent. So bleibt das Unternehmen zwar am Markt, hat aber keine Mittel für Investitionen und Innovation. In der Folge gibt es weniger Wirtschaftswachstum, was wiederum die Schuldentragfähigkeit weiter mindert und noch tiefere Zinsen erforderlich macht.

Den Notenbanken ergeht es wie Johann Wolfgang von Goethes „Zauberlehrling“. In ihrem Bemühen, Turbulenzen an den Finanzmärkten und Rezessionen zu bekämpfen, haben sie alles getan, um das Kreditwachstum und damit die Nachfrage zu befeuern. Sie haben das Monster erst geschaffen, das sie nun seit Jahren mit immer noch mehr Geld vorgeben zu bekämpfen, in Wahrheit jedoch beständig mehr füttern. Sie bekommen das Schuldenmonster nicht mehr in den Griff.

Der Euro als Krisenbeschleuniger

Im Kontext der global steigenden Verschuldung erweist sich der Euro als Krisenkatalysator. Zum einen hat die Einführung des Euro zu einer deutlichen Zinssenkung in den heutigen Krisenländern geführt, mit der Folge drastisch steigender privater Verschuldung – vor allem zu Spekulations- und Konsumzwecken – in Spanien, Portugal, Frankreich und Irland und unterlassener Sanierung der Staatsfinanzen in Italien. Zum anderen hat er statt zur erhofften Konvergenz der Wirtschaften der Mitgliedsländer zu einer weiteren Divergenz geführt. Die Euroländer haben heute wirtschaftlich weniger miteinander gemein als im Jahre 2000, rechnet der Internationale Währungsfonds vor. Die US-Bank JP Morgan kam in einer Untersuchung gar zu der Feststellung, dass die Eurozone die denkbar schlechteste Währungsunion sei, noch schlechter als eine hypothetische Union aller Staaten der Welt, die mit einem „M“ beginnen.

Die Eurokrise ist eine um Strukturprobleme verschärfte Überschuldungskrise und damit ist offensichtlich, was zu tun wäre:

  • Die Überschuldung ist durch Schuldenschnitte zu bereinigen.
  • Das insolvente Bankensystem ist durch Schuldenschnitte und Rekapitalisierung zu sanieren.
  • Die divergierende Wettbewerbsfähigkeit muss durch Neuordnung der Mitglieder der Eurozone wiederhergestellt werden.

Aus Sicht der Politik sind das alles sehr unangenehme Schritte, müsste man doch eingestehen, dass der Euro – aus politischen Gründen gegen den Rat führender Ökonomen durchgedrückt – gescheitert ist und zu einer erheblichen Vernichtung von Wohlstand geführt hat.

Stattdessen wird – wider besseres Wissen – die Rettung in mehr Umverteilung zwischen den Ländern gesehen. So rechnet der IWF vor, dass 80 Prozent eines Schocks selbst in Ländern wie den USA und Deutschland über private und nicht über öffentliche Mittel aufgefangen werden. Unbeachtet bleibt außerdem, dass die deutlich ärmeren deutschen Privathaushalte dann für die reicheren Italiener, Spanier und Franzosen bezahlen würden.

Überlebt hat der Euro nur, weil die EZB ihn zu einer frei verfügbaren, faktisch kostenfreien Ware gemacht hat und weil sie mit Negativzins und Wertpapierkäufen überschuldete Staaten und Privatsektoren am Leben erhält. Ganz nebenbei finanziert die EZB so die Kapitalflucht aus den Krisenländern. Das schlägt sich in immer größeren, faktisch wertlosen (da zins- und tilgungsfrei ohne Sicherheit) TARGET2-Forderungen der Bundesbank und damit der hiesigen Bevölkerung nieder: gegenwärtig immerhin schon mehr als 12.000 Euro pro Kopf.

Doch das dürfte nicht genügen, um dem Euro weitere zwanzig Jahre Existenz zu ermöglichen. Immer offensichtlicher wird, dass der Euro sein Wohlstandsversprechen nicht erfüllt. Spätestens in der nächsten Rezession wird in einigen Ländern der politische Druck zunehmen, was Austritte immer wahrscheinlicher macht. Erster Kandidat für einen solchen Schritt bleibt Italien, das bereits mit den Planungen für die Einführung einer Parallelwährung begonnen hat. Gegenwärtig sicher noch, um weitere Zugeständnisse zu erzwingen, perspektivisch wohl aber auch zur Organisation des Ausstiegs.

Unstrittig ist, dass ein chaotischer Zerfall des Euro eine tiefe weltweite Rezession und Finanzkrise auslösen wird. Obwohl dies dafür spräche, den Euro lieber in einem geregelten Verfahren neu zu ordnen, macht die bisherige „Euro-Rettungspolitik“ dafür wenig Hoffnung. Das Zerfallsszenario bleibt real.

Deutschland ein Euro-Gewinner?

Die deutsche Politik hält weiter an der Vorstellung fest, Deutschland sei der große Gewinner des Euro und sollte deshalb einen erheblichen finanziellen Beitrag zu seinem Erhalt leisten. Eine Haltung, die in den kommenden Jahren in eine europäische Transferunion führen wird, von der vor allem Italien, Spanien und Frankreich profitieren werden. Dabei sind durchaus Zweifel an der These angebracht, dass Deutschland wirklich der Profiteur vom Euro ist:

  1. Zu Zeiten der D-Mark stand die deutsche Wirtschaft unter konstantem Aufwertungsdruck. Die Währung der Haupthandelspartner, der französische Franc, die italienische Lira oder auch der US-Dollar werteten in schöner Regelmäßigkeit gegenüber der Mark ab. In der Folge war die deutsche Wirtschaft zu anhaltenden Produktivitätszuwächsen gezwungen. So wuchs die Produktivität in den Jahren vor der Euroeinführung deutlich schneller als in der Zeit danach.
  2. In der Folge wuchs das BIP pro Kopf ‒ der entscheidende Indikator für die Entwicklung des Wohlstands ‒ ebenfalls langsamer als vor der Einführung des Euro. Lief die Entwicklung bis zum Jahr 2000 noch halbwegs parallel zur Schweiz ‒ wenn auch auf tieferem Niveau ‒, so ist Deutschland in den vergangenen Jahren deutlich zurückgefallen.
  3. Die deutschen Konsumenten haben bis zur Einführung des Euro von den Abwertungen der anderen Länder profitiert. Importierte Waren und Urlaube wurden billiger. Seit dem Jahr 2000 hat sich dies geändert. Die Importe wurden teurer und Gleiches gilt für den Urlaub. Damit sank die Kaufkraft des Durchschnittsdeutschen.
  4. In den ersten Jahren nach der Einführung des Euro waren die Zinsen für die heutigen Krisenländer zu tief und für Deutschland zu hoch. Die Rezession in Deutschland war deshalb tiefer und länger, als sie ohne den Euro gewesen wäre. Die Regierung war gezwungen, Ausgaben zu kürzen und die Arbeitsmarktreformen durchzuführen, die zu geringeren Löhnen in Deutschland führten. In Summe stagnierten die Einkommen der Durchschnittsbürger mehr als zehn Jahre lang.
  5. Die stagnierenden Löhne führten zu geringeren Steuereinnahmen, während die Exporte zulegten. Somit hat der Euro es Deutschland nicht „erlaubt“, Handelsüberschüsse zu erzielen. Der Euro hat diese erzwungen. Die geringe Binnennachfrage ist der Hauptgrund dafür, dass die Wirtschaft sich auf den Export konzentrierte.
  6. Die Eigentümer der exportorientierten Unternehmen profitierten von der Euroeinführung. Bei den börsennotierten Unternehmen sind dies überwiegend ausländische Investoren. Profiteure sind auch die Beschäftigten der Exportunternehmen, die zwar geringe Lohnzuwächse hatten, dafür aber einen Arbeitsplatz. Aber zugleich gingen auf den Binnenmarkt ausgerichtete Arbeitsplätze verloren und das Lohnniveau stagnierte insgesamt.
  7. Aufgrund der schwachen wirtschaftlichen Entwicklung nach Einführung des Euro, den gedämpften Steuereinnahmen und anhaltend hohen Kosten für Sozialleistungen und den Aufbau Ost ging die Politik dazu über, die Ausgaben für Investitionen zu kürzen. Folge ist ein erheblicher Instandhaltungsstau bei der hiesigen Infrastruktur von mindestens 120 Milliarden Euro.
  8. Ein Handelsüberschuss geht immer mit einem Ersparnisüberschuss einher. Dies führte zu einem enormen Kapitalexport in das Ausland: teilweise als Direktinvestitionen, überwiegend jedoch als Kredit zur Finanzierung des Schuldenbooms in anderen Ländern. Dabei gibt es nichts Dümmeres, als in einer überschuldeten Welt, Gläubiger zu sein.
  9. Als die Krise in Europa offensichtlich wurde, haben private Banken ihr Geld aus den Krisenländern abgezogen. Dabei wurden sie entweder von öffentlichen Geldgebern abgelöst ‒ Modell Griechenland ‒ oder aber die Bundesbank musste den Geldabfluss durch die Gewährung von TARGET2-Krediten ausgleichen. In Summe wurden so die von privaten Banken gegebenen Kredite ‒ unsere Ersparnisse ‒ durch direkte und indirekte Kredite des deutschen Staates ersetzt. Später kam die Kapitalflucht aus den Krisenländern hinzu. So finanziert die Bundesbank indirekt den Kauf von Immobilien in Deutschland durch Italiener und Griechen. Angesichts von mindestens drei Billionen Euro fauler Schulden in Europa ist sicher, dass Deutschland als Hauptgläubiger einen großen Teil der Verluste tragen wird.
  10. Alle Bemühungen, den Euro durch noch tiefere Zinsen über die Runden zu bringen, führen – bereits für jeden offensichtlich – zu einer Enteignung der Sparer.

Für den Durchschnittsdeutschen stellt sich die Situation so dar: Die Einführung des Euro führte zu einer langen Phase geringen Wachstums, hoher Arbeitslosigkeit und Lohnstagnation. Die Tage der billigen Urlaube in Italien und Griechenland waren vorbei. Der Staat kürzte Ausgaben für Sozialleistungen, Infrastruktur und Investitionen. Die Wirtschaft musste sich auf den Export konzentrieren, weil die Binnennachfrage gedrückt war und die Ersparnisse dazu genutzt wurden, Lieferantenkredite zu gewähren. Vor diesem Hintergrund ist die Aussage, dass wir Deutschen die Hauptnutznießer des Euro seien, schwer haltbar. Ohne den Euro hätte es die Schuldenparty im Süden nicht gegeben, aber auch nicht die großen deutschen Exportüberschüsse – dafür einen höheren Lebensstandard und bessere Infrastruktur in Deutschland.

Das monetäre Endspiel steht bevor

Die EZB hat sich noch mehr als die anderen Notenbanken der westlichen Welt in eine Ecke manövriert. Das führt zu Fragen: Ist die nächste Krise schon der Beginn vom Endspiel oder gelingt es den Notenbanken, das System eine Runde weiter zu bekommen und noch ein paar Jahre steigende Vermögenspreise, stabile Konjunktur und Wohlstandsillusion auf Pump zu ermöglichen?

Dass Notenbanker und Politiker über dieses Thema intensiv nachdenken, zeigt die Flut an Testballons, die in den letzten Jahren aus der akademischen Welt lanciert wurden.

Es geht darum, den Notenbanken den Weg zu noch negativeren Zinsen und weiteren umfangreichen Liquiditätsspritzen zu ermöglichen und zugleich die Fluchtmöglichkeiten aus dem System zu begrenzen:

  • Kampf gegen das Bargeld: Ökonomen wie der ehemalige Chefvolkswirt des IWF, Kenneth Rogoff, plädieren, Bargeld möglichst weitgehend abzuschaffen; vordergründig, um Schattenwirtschaft und Kriminalität zu bekämpfen, in Wahrheit, um eine Flucht aus dem Bankensystem zu verhindern.
  • Kampf gegen das Gold: Passend dazu erklärt der IWF in einem weiteren Arbeitspapier, dass Gold ein destabilisierender Faktor für die Wirtschaft ist. Wer denkt, ein Verbot privaten Goldbesitzes sei undenkbar, der sei an die deutsche, aber auch US-amerikanische Geschichte erinnert!
  • Kapitalverkehrsbeschränkungen: Passend dazu werden Beschränkungen des freien Kapitalverkehrs als geeignetes Instrument gesehen, um Krisen vorzubeugen und Finanzmärkte zu stabilisieren. Fallen Bargeld und Gold als Ausweichmöglichkeiten weg, muss nur noch die Flucht in ausländische Währungen abgewendet werden, um die Sparer unter Kontrolle zu bekommen.
  • Monetarisierung der Schulden: Sind Ausweichreaktionen unter Kontrolle gebracht, kann man sich auf die „Lösung“ des Schuldenproblems konzentrieren. Da ist zunächst die schon länger diskutierte „Monetarisierung“ der Schulden. Gemeint ist, dass die Notenbanken die aufgekauften Schulden von Staaten und Privaten einfach annullieren.
  • Helikopter-Geld: Eine weitere Idee sind staatliche Konjunkturprogramme, direkt von den Notenbanken finanziert. In Anlehnung an Milton Friedman spricht man von „Helikopter-Geld“. Auch hier mehren sich die Stimmen in der Wissenschaft, die in diesem Vorgehen das Normalste aller Dinge sehen.
  • Modern Monetary Theory (MMT): Wäre es nicht ohnehin besser, wenn man den Staat dauerhaft und großzügig direkt von der Notenbank finanzierte, anstatt wie heute den Umweg über die Geschäftsbanken zu gehen? Vorreiter dieser Überlegungen, bezeichnen es als „Modern Monetary Theory“. Danach können Staaten, die die Kontrolle über die eigene Notenbank haben (also z. B. die USA, aber eben nicht Italien) so viel neu geschaffenes Geld ausgeben, wie sie wollen, solange die Wirtschaft unausgelastete Kapazitäten hat, sowie innovativ und produktiv genug ist, um alle Wünsche zu erfüllen! Diese Idee zeigt ganz klar, in welche Richtung es geht.

Nachdem sie sich selbst in die Ecke manövriert haben, werden die Notenbanken in der nächsten Krise – die nicht eine Frage des „Ob“, sondern nur des „Wann“ ist – alles auf eine Karte setzen. Das Endspiel der bestehenden Geldordnung steht bevor. Schwer vorstellbar, dass sie das übersteht.

„Das Märchen vom reichen Land“

Und wie ist Deutschland mit Blick auf die sich abzeichnenden Turbulenzen aufgestellt? Denkbar schlecht! Billiges Geld, zunehmende Verschuldung und schwacher Euro trieben die Nachfrage nach deutschen Waren an. Damit wuchs die doppelte Abhängigkeit vom Ausland: als Markt für unsere Waren und als Schuldner für unsere Forderungen. Nun droht ein Einbruch der Nachfrage und erhebliche Verluste bei den Forderungen, wobei noch offen ist, wie diese realisiert werden, durch Konkurse und Zahlungseinstellungen oder doch durch hohe Inflation. Genauso gut hätten wir unsere Autos und Maschinen auch ins Ausland verschenken können.

Die deutsche Politik hat es versäumt, vorzusorgen. Wohin man blickt, hat Deutschland den Anschluss verloren: Das Bildungssystem ist im internationalen Vergleich nur noch unteres Mittelfeld, die Infrastruktur hat einen Sanierungsrückstand in dreistelliger Milliardenhöhe. Weitere 30 Milliarden müssten dauerhaft jährlich mehr zum Erhalt aufgewendet werden. Bei der Digitalisierung belegt Deutschland Platz 28 in Europa, so eine Studie der EU. In der Bundeswehr schwimmt, fliegt und fährt fast nichts mehr.

Selbst die „schwarze Null“ entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als Mogelpackung. Die Politik hat immer von „Sparen“ gesprochen, aber das Gegenteil gemacht. Die Bundesregierungen der letzten zehn Jahre haben mehr als 280 Milliarden Euro zusätzlich ausgegeben. Gleichzeitig sanken dank der Nullzinspolitik der EZB die Zinsausgaben um mindestens 136 Milliarden Euro und die gute Konjunktur reduzierte die Aufwendungen für den Arbeitsmarkt um 46 Milliarden. Von 2008 bis Ende 2018 standen der Politik so 460 Milliarden Euro für Ausgaben aller Art zur Verfügung, die überwiegend in den Konsum geflossen sind:

  • Am stärksten wuchsen die Ausgaben für Soziales. Nimmt man 2008 als Basisjahr, betragen die kumulierten Ausgabenzuwächse in diesem Resort 167 Milliarden Euro, also rund 40 Prozent der zusätzlichen Ausgaben. Das ist ein beeindruckender Zuwachs angesichts eines Rückgangs der Arbeitslosenquote von 7,8 auf 5,2 Prozent im selben Zeitraum.
  • Den größten Zuwachs an Ausgaben innerhalb des Sozialbereichs auf Bundesebene weisen die Zuschüsse für die Rentenkasse auf. Immerhin rund 100 Milliarden wurden zusätzlich an die Rentenkasse überwiesen und eine weitere Steigerung der Zuschüsse ist angesichts der jüngsten Rentenbeschlüsse der Großen Koalition unvermeidbar. Schon bald dürfte fast ein Drittel des Bundeshaushalts für die Rente verwendet werden.
  • Wenig thematisiert werden die deutlich anwachsenden Zuschüsse zur gesetzlichen Krankenversicherung. In Summe wurden hier ebenfalls rund 100 Milliarden Euro zusätzlich aufgewendet, vor allem um sogenannte „versicherungsfremde“ Leistungen zu finanzieren.
  • Den größten Zuwachs weisen mit über 117 Milliarden die „restlichen Ausgaben“ auf. Dahinter verstecken sich Zuweisungen und Zuschüsse an Sondervermögen, die künftige Ausgaben beispielsweise im Bereich des Klimaschutzes, der Kinderbetreuung und der Integration von Migranten decken sollen. Allein 2017 wurden für die „Aufnahme und Integration von Asylsuchenden und Flüchtlingen einschließlich der Fluchtursachenbekämpfung“ 20,8 Milliarden Euro ausgegeben.

Die Situation entspricht jener des Gewinners einer Lotterie. Wenn man 1.000 Euro gewinnt, gönnt man sich etwas, spart einen Teil und zahlt womöglich Schulden zurück. Was man aber auf keinen Fall macht, ist, in eine neue Wohnung zu ziehen, die 1.000 Euro pro Monat mehr kostet. Weil man weiß, dass man sich die nur leisten kann, wenn man weiterhin jeden Monat 1.000 Euro im Lotto gewinnt. Und das ist eben ziemlich unwahrscheinlich.

Unsere Politiker scheinen hingegen zu denken, sie könnten weiterhin im Lotto gewinnen. Und zwar noch jahrzehntelang! Die dargelegten Ausgabesteigerungen sind nämlich überwiegend keine Einmalzahlungen, sondern in Gesetz gegossene nachhaltige Verpflichtungen. Während die Grundlagen für unseren künftigen Wohlstand erodieren – Infrastruktur, Digitalisierung, Bildung – berauschen sich Politiker und die Öffentlichkeit am Märchen vom reichen Land, das sich alles leisten kann. Dass diese Illusion weiter anhält, erkennt man auch an der Tatsache, dass zusätzliche Kosten von 40 bis 80 Milliarden Euro für den Kohleausstieg schulterzuckend zur Kenntnis genommen werden.

Im Sommer 2019 mehren sich die Anzeichen für ein baldiges, bitteres Ende des Märchens vom reichen Land. Die Probleme der Automobilindustrie, das sich weltweit abschwächende Wirtschaftswachstum und die zunehmenden Handelskonflikte sind deutliche Anzeichen dafür, dass unser Boom endet. Dann wird offen zutage treten, wie wenig wir die guten Jahre genutzt haben, um vorzusorgen. Höchste Zeit für eine andere Politik.