Der DIW-Faktencheck – Teil 1 (Einführung und Zusammenfassung)

Meine Kritik an Methodik und Annahmen der Berechnungen des DIW ist auch bei manager magazin online erschienen:

manager-magazin.de: Wie der Regierungsberater DIW bei den ökonomische Folgen des Flüchtlingsstrom in die Irre führt, 13. November 2015

In der aktuellen Ausgabe des SPIEGEL gibt es ein Streitgespräch zwischen Marcel Fratzscher, dem Präsidenten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und mir. In der vergangenen Woche hatte das DIW mit einem Papier zu den ökonomischen Folgen der Flüchtlingskrise breites mediales Aufsehen erregt. So unter anderem hier:

DIE WELT: „Nach sieben Jahren bringt ein Flüchtling dem Staat Geld“, 3. November 2015

n-tv.de: „Ökonom widerlegt Mythen“, 1. November 2015

wallstreet:online: „Schockierend, einseitig, irreführend – So verlogen ist die deutsche Flüchtlingsdebatte!“, 4. November 2015

SPIEGEL ONLINE: „Wirtschaftsfaktor Flüchtling – was auf Deutschland zukommt, 3. November 2015

 

In einer kurzen Kommentierung habe ich am 3. November auf die bei SPIEGEL ONLINE gezeigte Berechnung reagiert und einige der darin ersichtlichen Annahmen kritisiert. Wobei ich an dieser Stelle für neue Leser von bto auf folgende Punkte hinweisen muss:

  • Meine Meinung: Die Flüchtlingskrise entzieht jeglicher Wirtschaftlichkeitsrechnung. Es ist eine humanitäre Herausforderung und deshalb nicht für eine Kosten-Nutzen-Analyse geeignet.
  • Wenn Experten und Wirtschaft dennoch den wirtschaftlichen Nutzen betonen, so muss dies auf einer soliden Datenbasis beruhen – und genau die haben wir nicht. Deshalb habe ich – nicht als Prognose, sondern als Weckruf – in einer simplen Rechnung gezeigt, welche Bandbreite die wirtschaftlichen Folgen haben. Dabei ist verständlich, dass je mehr Flüchtlinge erfolgreich in den Arbeitsmarkt integriert werden und je höher die von ihnen erzielten durchschnittlichen Einkommen, desto besser ist es für diese Menschen und für uns.
  • Statt also den (erhofften) wirtschaftlichen Nutzen zu betonen, sollten wir eher fragen, was wir tun müssen, um den Flüchtlingen helfen zu können. Es genügt nicht, dass wir ihnen Sicherheit geben und sie versorgen. Wir müssen ihnen auch eine Chance auf ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen. Das setzt neben dem Spracherwerb vor allem Bildung voraus. Nur dann erfüllen wir die Erwartungen, die wir geweckt haben. Und nur dann besteht auch die Hoffnung für uns, langfristig Aufwand und Ertrag der Flüchtlingshilfe in Balance zu bringen – wenn das überhaupt ein Ziel sein kann.
  • Wird suggeriert, dass Flüchtlinge ein wirtschaftlicher Gewinn für uns sind, besteht die Gefahr, dass wir nicht das tun, was wir tun müssen: nämlich ausreichend und schnell in die Bildung der neuen Mitbürger zu investieren. Die ersten Diskussionen zum Staatshaushalt 2016 legen nahe, dass diese Sorge mehr als berechtigt ist.
  • Was zu tun wäre, habe ich bereits im September in einem 10-Punkte-Plan zur Bewältigung dieser Aufgabe dargelegt: → manager magazin online: „Eine ehrliche Rechnung zu den Flüchtlingen“, 3. September 2015

Aufgrund meiner deutlichen Kritik an den Modellannahmen des DIW, bat mich die Redaktion des SPIEGEL um ein Streitgespräch mit Marcel Fratzscher. Soviel zur Genese des Streitgespräches und meiner Position.

Meiner nun folgenden Kritik am Papier des DIW sei noch die grundsätzliche Einschätzung vorausgeschickt: Flüchtlinge unterscheiden sich von Einwanderern gerade dadurch, dass von ihnen kein Deckungsbeitrag erwartet wird.

Da das DIW dennoch den Versuch einer wirtschaftlichen Betrachtung gemacht hat, untersuche ich ab dieser Stelle die Annahmen und Rechnungen des DIW. Ab jetzt ist es in diesem Blogbeitrag also eine rein ökonomische Betrachtung.

  1. Das Papier des DIW

Zunächst ist festzuhalten, dass es sich bei dem als „Studie“ vom DIW und den Medien beschriebenen Dokument um eine einfache Simulationsrechnung handelt. Ähnlich der Investitionsrechnung bei Unternehmen werden hierin Annahmen getroffen:

  • zum Investitionsbedarf
  • zu zukünftigen Kosten
  • zu zukünftigen Erträgen

Übersteigen die künftigen Erträge die Kosten und verdienen die anfängliche Investition zurück, so ist es ein lohnendes Investment. Aus meiner mehr als 25-jährigen Beratungspraxis weiß ich, dass die Investitionen zumeist unterschätzt, die laufenden Kosten zu gering angesetzt und die laufenden Erträge überschätzt werden. Im schlimmsten Fall können derartige Fehlannahmen zu existenziellen Krisen führen, wie am Beispiel der Stahlinvestitionen von ThyssenKrupp in den letzten Jahren zu beobachten.

Demzufolge kommt den Annahmen, die man der Rechnung zugrunde legt, eine erhebliche Bedeutung zu. Im Beraterjargon spricht man von „garbage in – garbage out“. Wer mit qualitativ schlechten Annahmen arbeitet, bekommt auch qualitativ schlechte Ergebnisse.

Wie gut sind nun die Annahmen des DIW? Um dies zu hinterfragen, bin ich tiefer in die einzelnen Punkte des DIW-Modells eingestiegen. Das Papier und das hinter der Berechnung liegende Excel-Sheet sind hier für jedermann im Original zu lesen:

DIW: „Integration von Flüchtlingen – eine langfristig lohnende Investition“, 4. November 2015

Dabei ist die Berechnung der volkswirtschaftlichen Bedeutung der Flüchtlinge eine Wirtschaftlichkeitsrechnung der besonderen Art. Es müssen nämlich alle für das Ergebnis relevanten Daten geschätzt werden. Denn wir kennen keine Werte der relevanten Variablen mit Bestimmtheit. Wir wissen nicht:

  • wie viele Menschen zu uns kommen;
  • wie viele von diesen Menschen bei uns bleiben;
  • wie hoch die finanziellen Aufwendungen für die Integration der Flüchtlinge sind, damit sie hier ein selbstbestimmtes Leben führen können;
  • welcher Anteil der Flüchtlinge wirklich am Arbeitsmarkt teilnimmt und welcher dauerhaft auf Unterstützung angewiesen ist;
  • wie hoch die künftigen Einkommen der Flüchtlinge sein werden.

Weil wir das alles nicht wissen, hätte ich zum heutigen Zeitpunkt keine Rechnung vorgelegt und als „Studie“ mit „Beweiskraft“ in den Medien präsentiert. Herr Fratzscher hat in unserem Gespräch richtigerweise darauf hingewiesen, dass es jedem frei stünde, die Annahmen zu ändern und mit dem Modell zu spielen. Nur wissen wir alle, dass sich in der heutigen Zeit kein Journalist die Mühe machen kann. Da ist es doch allemal besser, einfach die Bilder abzudrucken, wie am Sonnabend die Süddeutsche Zeitung auf dem Titel.

Gehen wir die Annahmen des DIW Schritt für Schritt durch und prüfen sie auf Plausibilität. Wobei ich es nicht besser weiß als das DIW. Denn auch ich weiß nicht, was kommt. Ich kann nur bei jeder einzelnen Annahme des DIW fragen: Ist das nachvollziehbar?

  1. Kurzzusammenfassung der Ergebnisse

Für eilige Leser eine Kurzzusammenfassung der Betrachtung des DIW-Modells:

  • Mit den Annahmen bezüglich der Anzahl der Flüchtlinge des DIW kann man arbeiten – denn niemand weiß, was wirklich auf uns zukommt. Wenn überhaupt, dürften die echten Zahlen darüber liegen.
  • Die Kosten für Verpflegung und Unterkunft sind zu gering angesetzt, bleiben aber in einem nachvollziehbaren Rahmen. Ich würde mit durchschnittlich 2.000 Euro pro Kopf und Jahr mehr arbeiten, was einer Differenz von 30 Milliarden Euro für die Jahre 2016 – 2020 entspricht. Dies würde an der grundlegend positiven Einschätzung der ökonomischen Wirkungen nur wenig ändern.
  • Obwohl das DIW in den öffentlichen Diskussionen die Notwendigkeit von Investitionen in Sprache, Schul- und Berufsbildung betont, tauchen diese in der Berechnung des DIW nicht auf. Sie sind also null. Dies passt m. E. nicht zu den folgenden Annahmen zu Erwerbsquote und Durchschnittseinkommen. Meinen wir es ernst mit der Integration, sind diese Bildungsausgaben zu tätigen. Der Finanzbedarf für die Qualifikation ist erheblich. Alleine für die Qualifikation der anerkannten Flüchtlinge sind 30 bis 50 Milliarden Euro anzusetzen.
  • Das DIW schätzt die Erwerbsquote der Flüchtlinge nach elf Jahren auf 41 Prozent. Dies entspricht dem Schnitt der heute hier schon lebenden Migranten. Das ist theoretisch möglich, aber sehr unwahrscheinlich, wenn wir tatsächlich null Euro in Bildung investieren, wie die Rechnung des DIW suggeriert. Selbst der Wert von 34 Prozent im pessimistischen Szenario des DIW wird ohne erhebliche Bildungsausgaben nicht zu erreichen sein.
  • Zugleich nimmt das DIW in allen Szenarien ein durchschnittliches Lohnniveau von 24.000 Euro an. Dieses liegt ziemlich genau auf dem Niveau des Gehalts aller arbeitenden Männer mit Migrationshintergrund im Jahre 2014, jedoch weit über dem heutigen Lohnniveau von Migranten aus mehrheitlich muslimischen Ländern. Wiederum ist es sehr unwahrscheinlich, dass dies eintritt.
  • Interessant ist Folgendes: Das Modell des DIW reagiert auf eine Änderung der Variablen nur sehr träge. Die zwei Inputfaktoren mit der größten Wirkung sind das durchschnittliche Lohnniveau der Migranten nach elf Jahren und die laufenden Ausgaben für die Versorgung der Zuwanderer, die einen positiven Nachfrageeffekt haben (nehmen wir mehr Ausgaben an, steigt der wirtschaftliche Effekt!). Letzteres hätten wir auch ohne Zuwanderer haben können, Ersteres ist äußerst optimistisch gegriffen.
  • Zu guter Letzt noch ein weiterer, mit Blick auf die Schlagzeilen, wichtiger Hinweis. Es genügt nicht, wenn die neuen Mitbürger an Steuern und Sozialabgaben mehr bezahlen als die Zuwanderer in die Sozialsysteme kosten. Denn dann sind die anderen Kosten des Staates noch nicht finanziert wie Infrastruktur, Verteidigung, Polizei und Justiz – um ein paar Beispiele zu nennen. Das DIW betrachtet Grenzerträge und Deckungsbeiträge, nicht die Vollkosten. Doch am Ende kommt es auf diese an.

Hier geht es weiter zu: Der DIW Fakten-Check Teil 2 (Kosten und Investitionen)

Hier geht es weiter zu: Der DIW Fakten-Check Teil 3 (Erträge und Fazit)