Der Brexit und die Folgen

Bevor wir einsteigen, kurz eine Standortbestimmung meinerseits. Ich bin kein Fan des Brexits, vor allem aus Eigeninteresse. Es wäre für alle Beteiligten ökonomisch und wohl auch politisch besser, wenn es keinen Brexit gäbe:

  • Es gäbe keine zusätzliche Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage in Großbritannien, in der EU, der Eurozone und vor allem auch nicht in Deutschland.
  • Ein Austritt aus der EU macht Großbritannien nicht weniger anfällig für Krisen in der EU/Eurozone, die unabhängig vom Brexit auf uns zukommen – eventuell wegen der von einem Brexit ausgelösten Rezession sogar früher.
  • Großbritannien könnte ohne Brexit eine wichtige Stimme der Vernunft sein, um weitere Fehlentwicklungen in der EU zu verhindern – vor allem den unweigerlichen Marsch in eine immer mehr staatsgläubige Umverteilungs- und Schuldenwirtschaft.
  • Deutschland wäre nicht in der Minderheit bei wichtigen Weichenstellungen in der EU.

Was nun zu den verschiedenen Fragen führt:

  1. Wie kam es zum Brexit?
  2. Wie wird sich Großbritannien nach dem Brexit entwickeln?
  3. Was bedeutet der Brexit für Deutschland und die EU?
  4. Wie hätten EU und Deutschland nach reagieren sollen?
  5. Was passiert bis Ende 2020?

Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich für treue Leser wiederhole, hier also der Versuch von Antworten:

1. Wie kam es zum Brexit?

Viel wurde zu diesem Thema geschrieben. Im Kern sehe ich folgende Gründe für die (kleine) Mehrheit der Briten, die für einen Brexit gestimmt haben:

  • Eine Ursache ist die zunehmend größere Schicht der Bevölkerung, die relativ zurückgefallen ist. Man sieht es eklatant an der unterschiedlichen Entwicklung in der Weltstadt London und auf dem Land. Hier hat sich Frust aufgestaut, ähnlich der Unzufriedenheit, die Donald Trump und anderen Stimmen bescheren.
  • Das springt aber zu kurz. Die 52 Prozent stammen wahrlich nicht nur aus den „weniger privilegierten Schichten“. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass die Brexit-Unterstützung bis weit in die sogenannte „Elite“ hineinreicht: alteingesessene Familien, erfolgreiche Unternehmer und Banker, Akademiker.
  • Dazu gehört auch die Feststellung, dass viele Briten zwar die Wirtschaftsgemeinschaft schätzen, nicht jedoch die Idee der Vereinten Staaten von Europa mit immer mehr Zentralisierung und Verlust an nationaler Souveränität. Ich denke, dass in vielen Ländern bei Volksabstimmungen durchaus ähnliche Ergebnisse herauskämen, wenn man diesen Punkt betonte. Die Deutschen dürften mit ihrer Bereitschaft, in den Vereinigten Staaten von Europa aufzugehen, recht allein sein, zumindest wenn man die Umfrageergebnisse ansieht:
    Quelle: Eurobarometer der EU-Kommission, Oktober 2018, 

    abrufbar hier.

  • Nach Luxemburg und Irland liegen wir auf Platz 3. Die anderen großen Länder, Frankreich, Großbritannien und Italien befinden sich am anderen Ende des Spektrums. Ja, es ist immer noch eine (kleine!) Mehrheit, die sich als „Bürger der EU“ fühlen. Aber ganz anders als bei uns.
  • Was damit auch bedeutet, dass man mit einer Kampagne, die gegen die EU zielt, auch dort erfolgreich sein könnte. Die Kampagne hat bekanntlich mit einer Mischung aus Versprechen und Unwahrheiten mobilisiert. Trifft das auf ein durchaus begründetes negatives Gefühl, ist alles möglich.

    Hinzu kommt – wie ich immer wieder geschrieben habe – das Versagen der EU in den zwei zentralen Versprechen: der Schaffung von Wohlstand und der Sicherung der Außengrenzen.

    • Seit der Einführung des Euro entwickelt sich die Wirtschaft immer schlechter – nach einer kurzen schuldenfinanzierten Blüte. Die Sparpolitik nach der Eurokrise hat das verstärkt. Und das wirkt ebenfalls auf Großbritannien aus, auch wenn es nicht Mitglied im Euro ist. Die Löhne stagnieren seit Langem.
    • Die Brexit-Abstimmung fand zum Höhepunkt der Migrationskrise statt. UKIP, die Partei von Nigel Farage, hat das Land damals mit Plakaten überzogen, die die Kolonnen der Zuwanderer zeigte und damit für den Brexit geworben. Nach dem Motto: Deutschland ist die Zwischenstation, danach kommen alle zu uns. David Cameron hatte auf dem EU-Gipfel vor der Volksabstimmung darum gebeten, die Personenfreizügigkeit temporär auszusetzen. Also die Zuwanderung nach Großbritannien aus Ländern der EU begrenzen zu dürfen. Dies wurde abgelehnt, vor allem auf Betreiben von Kanzlerin Merkel. Das war schon deshalb falsch, weil die Briten im Unterschied zu Deutschland von Anfang an Personenfreizügigkeit für Osteuropäer hatten. Wir hatten da eine Übergangsfrist. Es wäre also ein Leichtes gewesen, den Briten diese „Pause“ nachträglich zu gönnen.

    Deshalb haben Kritiker wie Thomas Piketty durchaus recht: Deutschland unter Führung von Frau Merkel hat einen Anteil am Brexit. Er fokussiert auf die Austeritätspolitik. Ich würde die Weigerung, die Freizügigkeit temporär einzuschränken, dazurechnen.

    2. Wie wird sich Großbritannien nach dem Brexit entwickeln?

    Bei diesem Punkt sind sich die Kommentatoren weitgehend einig. Kurz- und mittelfristig droht ein Einbruch der Wirtschaftsleistung. Doch was dann?

    Zunächst die Feststellung von Michael Cembalest, CIO von JPMorgan Asset Management:

    • UK growth will suffer a huge hit. Of all the analyses I’ve read about a possible Brexit scenario, I found Open Europe’s report to be the most clear-headed and balanced. Their realistic case estimates the cumulative impact of Brexit on UK GDP at just –0.8% to 0.6% by the year 2030; hardly the stuff that economic calamity is made of.” bto: Überhaupt sind die Berechnungen so von Annahmen abhängig.
    • UK-EU trade will collapse.Not necessarily. Norway, Iceland and Switzerland have entered into agreements with the EU on trade and labor mobility (European Economic Area, European Free Trade Area). These three non-EU countries export as much to the EU as its members do.” bto: Vor allem haben wir ein großes Interesse am britischen Markt.

    Unzweifelhaft würde ein No-Deal-Brexit die Wirtschaft Großbritanniens hart treffen. Und das Risiko bleibt bestehen, muss doch der Vertrag zu den neuen Beziehungen zwischen UK und der EU bis Ende 2020 ausgehandelt werden. Die Frage ist nur, wie es auf lange Sicht aussieht? Hier meine – bekannten – Überlegungen dazu:

    1. Kein Absturz der Konjunktur

    Ginge es nach den Experten, müsste sich die britische Wirtschaft heute in einer tiefen Rezession befinden. Alle namhaften Auguren vom IWF bis zur Bank of England haben vor dramatischen Folgen gewarnt, sollten die Befürworter eines Brexits bei der Volksabstimmung Erfolg haben. Der Immobilienmarkt würde kollabieren, der Konsum einbrechen und die Wirtschaft abstürzen. Nichts davon ist geschehen. Zwar stimmt es, dass sich die Preise für Wohnungen im obersten Preissegment in London um circa zehn Prozent ermäßigt haben, dies aber von einem sehr hohen Niveau aus.

    1. Heilsamer Schock zur Modernisierung der Wirtschaft

    Richtig ist, dass das Pfund, wie vorhergesagt, deutlich eingebrochen ist. Dadurch wurden Exporte gefördert und Importe verteuert. Ein höchst willkommener Effekt, war doch das Handelsdefizit von rund fünf Prozent des BIP ohnehin nicht auf Dauer tragbar. Im Zuge des Brexits stellt die Regierung das bisherige Wirtschaftsmodell infrage und strebt eine Modernisierung und Re-Industrialisierung an. Tiefere Steuern können das Land zudem attraktiv für ausländische Investoren machen. Gut möglich also, dass der Brexit-Schock die Grundlage für einen mittelfristigen Aufschwung der britischen Wirtschaft legt.

    1. Positive demografische Entwicklung

    Großbritannien wird spätestens 2050 mehr Einwohner haben als Deutschland. Die Bevölkerung ist kontinuierlich gewachsen und es sieht so aus, als würde sich an diesem Trend nichts ändern. Wir hingegen stehen vor einem dramatischen Rückgang der Bevölkerung von heute rund 82 auf dann 75 Millionen. Daran ändert auch die jüngste Zuwanderung der Migranten aus dem Nahen Osten und Afrika nichts. Besonders die Erwerbsbevölkerung steht in den nächsten zehn Jahren vor einem dramatischen Einbruch. Da Wirtschaftswachstum im Kern von der Entwicklung der Erwerbsbevölkerung und deren Produktivität abhängt, stehen die Chancen Großbritanniens also gar nicht so schlecht.

    1. Attraktiv für qualifizierte Zuwanderung

    Die positive Entwicklung der Bevölkerung hat natürlich etwas mit der Zuwanderung der letzten Jahre zu tun, die auch zu der Brexit-Stimmung beitrug. Man könnte also davon ausgehen, dass die Briten in Zukunft deutlich restriktiver mit der Zuwanderung umgehen und damit das Wachstumspotenzial beschränken.

    Was hier in der Diskussion immer wieder übersehen wird, ist, dass die Befürworter des Brexits keineswegs gegen jede Einwanderung sind. Im Gegenteil, ein Punktesystem wurde nach kanadischem Vorbild diskutiert. Verbunden mit dem Vorteil der Sprache, bliebe das Land damit nicht nur für qualifizierte Zuwanderer attraktiv, es könnte sogar gerade gegenüber der EU noch attraktiver werden. Länder, die sich die Migranten aussuchen können, haben weniger Zuwanderung in Sozialsysteme und deutlich mehr Erfolg bei der Integration. Deshalb sind die Lasten der Umverteilung geringer, was wiederum das Wirtschaftswachstum und die Attraktivität für qualifizierte Zuwanderer erhöht.

    1. Führende Stellung in Elitenbildung

    Dabei hilft auch die Tatsache, dass die Spitzenbildung in Großbritannien durchaus etwas zu bieten hat. Neben den berühmten Privatschulen sind dies vor allem die Universitäten. Im letzten Ranking der 100 besten Universitäten der Welt ist Großbritannien mit immerhin achtzehn Universitäten vertreten. Die EU bringt es (ohne GB) auf 12, davon je drei in Deutschland, Frankreich und den Niederlanden und je eine in Schweden, Dänemark und Belgien. In den Krisenländern der EU gibt es übrigens keine Universität in den weltweiten Top 100. → Die besten Universitäten der Welt

    Eine gesteuerte Einwanderung, ein herausragendes Bildungssystem und die geringe Sprachbarriere dürften für Großbritannien in den kommenden Jahren außerhalb der EU zu einem deutlichen Wettbewerbsvorteil werden.

    1. Marktwirtschaftliche Tradition

    Schon vor dem Votum hat JPMorgan aufgezeigt, dass die EU Großbritannien an Länder bindet, die nicht das gleiche Wirtschaftsprofil und eine unterschiedliche Wettbewerbsfähigkeit haben. Deutschland, Holland, Schweden und Irland fallen in dieselbe Kategorie wie UK. Frankreich, Italien, Spanien und Portugal eindeutig nicht. Deshalb sei es für Großbritannien gut, nicht mehr in diesem Klub dabei zu sein. Höhere Produktivität und geringere Umverteilung zugunsten der schwächeren Länder würden sich entsprechend positiv für Großbritannien auszahlen. Hinzu kommt eine stark marktwirtschaftliche Tradition, die noch mehr als wir auf die Kraft der Märkte und persönliche Freiheit setzt als auf staatliche Umverteilung. Auch dies dürfte sich entsprechend positiv auf das langfristige Wachstum auswirken.

    1. Unbestrittenes Weltfinanzzentrum

    Mögen Frankfurt und Paris noch so träumen, die City of London bleibt das Weltfinanzzentrum. Es ist nicht so einfach, ein Kompetenzzentrum zu verlagern. Zu eng sind die Verbindungen, zu bedeutend das vorhandene Geschäft. Zwar gab es eine Welle von Gründungen von Tochtergesellschaften im Euroraum, die Masse der Kompetenz wird bleiben, wo sie ist: in London.

    Den Unkenrufen zum Trotz könnte London von der unstrittigen Kompetenz, der eigenen Währung und der Befreiung von Brüsseler Bürokratie sogar profitieren. Erste Stimmen sprechen bereits von einer künftigen Schweiz für die Fluchtgelder aus aller Welt. Gerade aus der Eurozone dürfte die große Flucht noch bevorstehen.

    1. Höheres Wirtschaftswachstum

    Großbritannien hat gute Chancen, in den kommenden Jahrzehnten schneller zu wachsen als die Eurozone und auch Deutschland. Zwar beabsichtigt die EU, mit ihrer harten Verhandlungshaltung ein Exempel statuieren, doch ist das für beide Seiten ein Verlust.

    Das höhere Wachstum in Großbritannien ist angesichts der aufgezählten Faktoren fast garantiert. Eine wachsende Bevölkerung, gesteuerte Zuwanderung, herausragende Bildungseinrichtungen und das Weltfinanzzentrum sind die Treiber.

    1. Renaissance des Commonwealth

    Kritiker der britischen Entscheidung machen sich gerne über jene Brexit-Befürworter lustig, die eine Rückkehr zu den guten alten Zeiten des Commonwealth beschwören. Natürlich wird es nicht dazu kommen. Allerdings ist auch mit Blick auf die Haltung der derzeitigen US-Regierung das Szenario eines großen angelsächsischen Handelsraums nicht so abwegig. Die USA, Großbritannien, Australien, Neuseeland als Kern. Kanada dürfte sich dem nicht entziehen können. Zugleich dürfte aus Sicht der skandinavischen Staaten ein solcher Bund, der mehr auf marktwirtschaftliche Freiheit setzt, über Zeit eine deutliche Sogwirkung entfalten. Es könnte ein attraktiver Gegenentwurf zu einer EU werden, die auf immer mehr Bürokratie und Umverteilung setzt.

    Wie man angesichts dieser Fakten zu der Einschätzung kommen kann, dass Großbritannien eine nachhaltige schlechtere wirtschaftliche Entwicklung haben muss, nach dem Brexit verschließt sich mir. Mit der richtigen Politik hat das Land viele Trümpfe in der Hand für eine gute Entwicklung, vor allem relativ zur EU und Deutschlands. Und darum geht es ja bei der Frage, wo man investieren soll und sich persönlich ausrichtet.

    3. Was bedeutet der Brexit für Deutschland und die EU?

    Hierzulande herrscht derweil die Überzeugung vor, dass uns der Brexit nicht betrifft. Das halte ich für eine Fehleinschätzung:

    • Deutschland im falschen Boot: JPMorgan hat basierend auf Daten der Wettbewerbsfähigkeit von Ländern des Weltwirtschaftsforums ausgewertet, welche Länder mehr oder weniger gemein haben. Deutschland, Schweden, Irland und die Niederländer haben mehr mit Großbritannien gemein als mit Frankreich, Spanien, Portugal und Italien. Mit dem Ausscheiden Großbritanniens fehlt uns dieser Anker und wir sitzen mit jenen im Boot, die weniger wettbewerbsfähig sind und vor allem aus Tradition auf Umverteilung und Staatswirtschaft setzen.


    • Deshalb ist es auch so bedauerlich, dass die Bundesregierung im Falle Griechenlands, das wirtschaftlich und politisch unbedeutend ist, alle Grundsätze über Bord geworfen hat (Bail-out-Verbot), um das Land im Euro und in der EU zu halten. Hingegen lässt sich Deutschland bei dem ungleich wichtigeren Großbritannien auf einen harten Kurs ein – angeführt von Frankreich und der EU-Kommission –, anstatt alles zu tun, um das Land in der EU zu halten. Zur Erinnerung: → Das BIP Griechenlands liegt bei rund 180 Milliarden Euro, das Großbritanniens bei 2320 Milliarden! Nach Großbritannien exportiert die deutsche Wirtschaft Waren im Wert von 85 Milliarden, nach Griechenland im Wert von etwas über fünf Milliarden. Die Wirtschaftskraft des Vereinigten Königreichs ist genauso groß wie die der 20 kleinsten EU-Länder zusammengenommen. Es ist, als würden 20 von 28 Ländern gleichzeitig austreten.
    • Eurozone gefangen in Dauerstagnation: bedingt durch zu viele faule Schulden, rückläufige Erwerbsbevölkerung, schwaches Produktivitätswachstum, Reformstau und eine Mentalität, die die Umverteilung von Wohlstand über die Schaffung von Wohlstand stellt. Was wir brauchen, sind Schuldenrestrukturierungen, Reformen und eine Neuordnung der Eurozone. In keinem der drei Punkte ist auch nur ansatzweise ein Fortschritt zu sehen. Nur noch dank der Geldschwemme der EZB ist es bisher nicht zum Kollaps gekommen.
    • Mehr Umverteilung: Die Vorstellung der Politik, durch eine „sozialere“ Gestaltung der EU den gefühlten Wohlstand und damit die Attraktivität der EU zu erhöhen, wird das Gegenteil bewirken: Es ist die Fortsetzung einer Politik, die Verteilen vor Schaffen von Wohlstand stellt. Gerade für uns Deutsche sind das keine guten Aussichten, weil unsere Handelsüberschüsse fälschlicherweise mit Reichtum gleichgesetzt werden, obwohl alle Studien zeigen, dass in den meisten EU-Ländern das Privatvermögen pro Kopf deutlich über hiesigem Niveau liegt.
    • Stimmenmehrheit für die Umverteiler: Der Ökonom Hans-Werner Sinn verweist auf das Stimmengewicht im Ministerrat, das sich durch den Austritt Großbritanniens zulasten Deutschlands verändert: „Für die meisten Abstimmungen braucht man dort 55 Prozent der Länder und 65 Prozent der dahinter stehenden Bevölkerung, was umgekehrt bedeutet, dass Länder, die zusammen mindestens 35 Prozent der EU-Bevölkerung auf sich vereinen, eine Sperrminorität bilden können. Zusammen mit Großbritannien hat der ehemalige „D-Mark-Block“ (Deutschland, Niederlande, Österreich und Finnland) einen Bevölkerungsanteil von 35 Prozent, also gerade die Sperrminorität. Das sind allesamt Länder, die sich dem Freihandel verschrieben haben. Gleichzeitig haben die eher staatsgläubigen Anrainer des Mittelmeers, denen man wegen der Schwäche der eigenen Industrien protektionistische Attitüden unterstellen kann, mit 36 Prozent der EU Bevölkerung ebenfalls die Sperrminorität. Diese im Lissabon-Vertrag angestrebte Balance ist nun zerstört, denn der erste Block schrumpft mit dem Brexit auf einen Bevölkerungsanteil von 25 Prozent, und die Mittelmeerstaaten erhöhen ihren Anteil auf 42 Prozent.“
    • Militärische Bedeutung: Ohne Großbritannien wird Europa noch schwächer auf der militärischen Bühne. Immerhin 75 Prozent der Militärausgaben im Rahmen der NATO werden von den USA getragen, die sich immer unzufriedener mit dem Beitrag der Europäer zeigen. Großbritannien hat nicht nur das Zwei-Prozent-Ziel eingehalten, es verfügt auch über Atomwaffen.

      FAZIT:
      Der Austritt Großbritanniens ist auch aus Sicht der EU ein Desaster und vor allem für Deutschland dürfte es sich als fatal herausstellen. Weshalb ich bei meiner Einschätzung bleibe, dass wir eventuell in zehn Jahren traurig nach Großbritannien blicken. Angesichts des Niedergangs hierzulande.

    4. Wie hätte man meiner Meinung nach reagieren sollen aufseiten der EU/Deutschlands?

    Die Antwort auf diese Frage ergibt sich nach dem oben genannten von allein:

    • Kritik ernst nehmen: Statt selbstgefällig auf das Votum zu reagieren, hätte die EU die Kritik von Großbritannien ernst nehmen sollen und das nachholen, was man vor der Volksabstimmung versäumt hat: mehr Subsidiarität statt Einmischung in Details von Bananenkrümmung bis Trinkwasserqualität, Lösung der Migrationskrise durch wirksamen Schutz der Außengrenzen und Anpassung der Sozialleistungen, Lösung der Eurokrise durch wirkliche Reformen und Schuldenschnitte.
    • Versuch, durch Reformen Großbritannien zu halten: Mit solch einem Reformprogramm hätte man Großbritannien vielleicht in der EU halten können, hätte man doch den Brexiteers Argumente weggenommen – vor allem mit Blick auf die Souveränitätsrechte.
    • Verhandlungen statt Strafaktion: Dazu gehört auch, dass man konstruktiv verhandelt. Der Vertrag mit Theresa May war für die Briten nicht ernsthaft zu akzeptieren, hätte es doch eine  Fortsetzung des Status quo ohne Mitspracherecht bedeutet. Und dies noch unbefristet. Das war weder für Remain noch für Leave eine akzeptable Option.
    • Regelung des neuen Verhältnisses im selben Vertrag: Im Artikel 50 des Vertrages über die Europäische Union wird der Austritt eines Landes geregelt. Dort steht: „Ein Mitgliedstaat, der auszutreten beschließt, teilt dem Europäischen Rat seine Absicht mit. Auf der Grundlage der Leitlinien des Europäischen Rates handelt die Union mit diesem Staat ein Abkommen über die Einzelheiten des Austritts aus und schließt das Abkommen, wobei der Rahmen für die künftigen Beziehungen dieses Staates zur Union berücksichtigt wird.“ Genau das haben die Franzosen verhindert. Sie bestanden darauf, den Austritt zu regeln und erst danach über das künftige Verhältnis zu reden. Nur deshalb hatten wir das Backstop-Theater. Das passt allerdings zu einer Politik, die auf Sanktionierung statt Attraktivität der EU setzt.
    • Deutschland hätte die eigenen Interessen verfolgen sollen: Dies bedeutet zum einen eine andere Verhandlungsstrategie, zum anderen, dass wir – wie Hans-Werner Sinn vorschlägt – auf eine Neuordnung des Lissabonner Vertrages hätten drängen müssen, um die Stimmrechte im Rat wieder so zu ordnen, dass wir nicht dauerhaft überstimmt werden können.

    5. Was passiert bis Ende 2020?

    Ich bin auch kein Hellseher, denke aber, dass es nach dem letzten Jahr recht klar ist, was auf uns zukommt:

    • Die Briten treten wie geplant am 31. Januar 2020 aus der EU aus. Das steht nach dem Ergebnis der Wahlen fest.
    • Nun beginnen die Verhandlungen zu den neuen Beziehungen zwischen der EU und UK, mit dem Ziel bis Ende 2020 einen entsprechenden Vertrag zu haben. Gelingt dies nicht, gäbe es theoretisch die Möglichkeit einer Verlängerung. Dies setzt aber voraus, dass beide Seiten zustimmen. Boris Johnson hat bereits erklärt, unter keinen Umständen einer Verlängerung zuzustimmen. Einig man sich nicht, kommt es doch noch zum gefürchteten Hard-Brexit.
    • Die EU stellt sich recht hart auf, wie man den Äußerungen von Frau von der Leyen entnehmen konnte. In London sagte sie bei einem Vortrag an der LSE: “But the truth is that our partnership cannot and will not be the same as before. And it cannot and will not be as close as before – because with every choice comes a consequence. With every decision comes a trade-off. Without the free movement of people, you cannot have the free movement of capital, goods and services. Without a level playing field on environment, labour, taxation and state aid, you cannot have the highest quality access to the world’s largest single market. The more divergence there is, the more distant the partnership has to be. And without an extension of the transition period beyond 2020, you cannot expect to agree on every single aspect of our new partnership. We will have to prioritise. The European Union’s objectives in the negotiation are clear. We will work for solutions that uphold the integrity of the EU, its single market and its Customs Union. There can be no compromise on this.” Übersetzt bedeutet dies, die EU ist zwar freundlich in der Wortwahl, aber knallhart in ihren Interessen. Der Franzose Barnier, der die Verhandlungen führt sagte gleich zu Jahresbeginn: “Nobody, nobody should doubt the determination of the commission, and my determination, to continue to defend the interests of EU27 citizens and businesses, and to defend the integrity of the single market (…).”
    • Aus Sicht von Großbritannien kann es kein Interesse daran geben, alle Regeln der EU – siehe Äußerung von vdL – zu akzeptieren, denn dann hätte man in der EU bleiben können. Der Reiz liegt doch gerade darin, sich positiv zu unterscheiden. Andere/weniger Regulierung, Autonomie bei der Zuwanderung, günstigere Steuern. All dies will die EU verhindern, fürchtet sie doch eine offensichtlich bessere Alternative vor ihren Toren.
    • Boris Johnson wird also die erfolgreiche Strategie der letzten Monate fortsetzen. Er stärkt seine Verhandlungsposition, indem er klar macht, dass das Parlament ihm nicht in den Rücken fallen kann. Es gibt nun eine breite Mehrheit und seine Drohung mit einem No-Deal/harten Brexit ist realistisch.
    • So werden wir ein hochvolatiles Jahr erleben. Mit Achterbahnfahrt an Börsen und Devisenmärkten, je nachdem welche Nachrichten gerade aus den Verhandlungsräumen kommen. Am Ende wird es einen Deal geben. Davon bin ich überzeugt und sei es einen, in dem bestimmte Dinge im Nachhinein konkretisiert werden.

    Konkret:

    • UK wird bei den Fischereirechten hart bleiben, allein schon, um es für Schottland unattraktiver zu machen, das UK zu verlassen.
    • Das liegt vor allem an Irland. Ein No-Deal würde zu einem Einbruch des irischen BIP von über vier Prozent führen. Das kann die EU nicht zulassen – eben, weil es EU und Euro weiter destabilisiert.
    • UK ist für die EU ein viel zu großer Markt, um einen Exporteinbruch und damit eine weitere Destabilisierung der EU und der Eurozone zu riskieren. Deshalb gibt es einen Deal. Spät, aber noch rechtzeitig.
    • Deshalb wird es auf jeden Fall bis zum Jahresende zu einer Vereinbarung kommen, die den EU-Waren-Exporteuren freien Zugang nach Großbritannien sichert. Dafür wird die EU mehr Konzessionen machen, als sie heute zugibt.

    Und damit wird UK zur attraktiven Alternative zum europäischen Superstaat, der dabei ist, zur zweitgrößten Planwirtschaft der Welt zu werden.

    Kommentare (32) HINWEIS: DIE KOMMENTARE MEINER LESERINNEN UND LESER WIDERSPIEGELN NICHT ZWANGSLÄUFIG DIE MEINUNG VON BTO.
    1. Jens Schirner
      Jens Schirner sagte:

      Angesichts der Qualität von Herrn Stelters Beitrag und der folgenden Diskussion bleibt mir wieder nur ungewohnte Lobhudelei. Da zu Wirtschaft und Politik fast alles geschrieben ist, nur zwei Anmerkungen:

      Als England-Fan seit dem ersten Sprachaufenthalt mit zwölf und US-Austauschschüler mit 15 bin ich Fan der angelsächsischen Kultur. Schon immer hat mich deren Philosophie und Wissenschaftsgeschichte beschäftigt, von den großen Humanisten des Mittelalters über die großenteils schottischen Aufklärer und liberalen Ökonomen bis zu den modernen Burkes und Scrutons. Hier zieht sich eine viele Jahrhunderte alte Linie durch die Geschichte, die erheblichen Anteil an Thatcher und Brexit haben dürfte. Ich finde es bezeichnend, daß die Worte “Fairness” und “common sense” nie ins Deutsche übersetzt werden konnten, wo von Romantik über Hegel und Nietzsche und Heidegger nur Nischen- Philosophie entstanden ist.

      Daneben habe ich auf YouTube Farage gefunden, wie er seinen Kollegen im EU-Parlament sagt, keiner von denen habe jemals einen anständigen Beruf in seinem Leben gehabt. Köstlich.

      Mit freundlichen Grüßen,
      ein Fan dieses gepflegten Austausches hier.

      Antworten
    2. Aegnor
      Aegnor sagte:

      Eine sehr interessante Einschätzung. Ich stimme da vielem zu. Allerdings gibt es ein paar Punkte, wo ich anderer Meinung bin:

      1. “Bürger der EU” – Die Frage ist mE falsch gestellt, denn man kann ja EU-Bürger UND Staatsbürger des Heimatlandes sein. Sie müsste lauten: “Sehen Sie sich primär als Bürger der EU?” Dann sähen die Zahlen sicher anders aus.

      2. Bei der angeblich so positiven Demografie des UK wäre ich vorsichtig. Die Geburtenrate der indigenen Bevölkerung ist (ähnlich wie in Frankreich) nicht wesentlich höher als bei uns. Es sind im UK und in F vor allem die wirtschaftlich und bildungsmäßig schwachen muslimischen (Noch-)Minderheiten, die dort weit häufiger die Staatsbürgerschaft haben, welche die Statistik mit ihren hohen Raten verzerren. Auch in D ist die Geburtenrate in den letzten 20 Jahren massiv angestiegen (von 1,35 Anfang der 2000er auf >1,65 aktuell), seitdem es vermehrt zu Einbürgerungen kommt.

      3. Ich glaube auch nicht daran, dass die Bedeutung des UK für unsere Wirtschaft die EU zum Einlenken in den Verhandlungen zwingt. Dort geben die Franzosen den Ton vor und die sind vom Export nach UK wesentlich weniger abhängig als wir oder die Holländer. Wenn harte Bedingungen das UK und gleichzeitig D wirtschaftlich schwächen, wird das für die Franzosen eher ein double-win sein. Man sollte sich da auch keinen Illusionen hingeben. Auch ein wirtschaftlich geschwächtes D wird nicht zu weniger Zahlungen D’s und/oder gar mehr Zahlungen F im Rahmen der EU führen. Das war ja auch zu Beginn der 2000er mit uns als “krankem Mann Europas” schon so.

      Antworten
    3. Richard Ott
      Richard Ott sagte:

      Wunderschöne Abschiedsrede von Nigel Farage im EU-Parlament: https://www.youtube.com/watch?v=LIgmfpHBiDw

      “I want Brexit to start a debate across the rest of Europe. What do we want from Europe? If we want trade, friendship, cooperation, reciprocity, we don’t need a European Commission, we don’t need a European Court, we don’t need these institutions and all of this power. And I can promise you, both in UKIP and indeed in the Brexit Party, we love Europe, we just hate the European Union! It’s as simple as that. So I’m hoping this begins the end of this project. It’s a bad project. It isn’t just undemocratic, it is anti-democratic, and it puts in that front row. It gives people power without accountability, people who cannot be held to account by the electorate, and that is an unacceptable structure.”

      Antworten
    4. qed
      qed sagte:

      Wie unten @ruby schon angeschnitten hat: Was werden die Osteuropäer, insbesondere die Visegrads tun?
      Wenn ich es richtig sehe, sind auch die Balten, insbesondere die Esten nicht so dolle begeistert von der immer sozialistischer werdenden Umverteilungs-EU, zurecht fürchten sie wohl, daß künftig der Geldsack hauptsächlich über den PIGS ausgeschüttet wird.
      Junge Leute dort streben jedenfalls beruflich lieber nach GB, in S und SF auch. Ihre geschätzte Meinung?

      Antworten
    5. Matt
      Matt sagte:

      Gute Folge, was mir am Ende ein bisschen gefehlt hat wäre was die EU jetzt tun sollte. Auf der einen Seite die eigenen Handelsinteressen wahren, aber auch Johnson nicht zu viel entgegenkommen, um keinen Präzedenzfall zu schaffen. Wahrscheinlich eine Quadratur des Kreises, Ihre Meinung wie konkret die EU das schaffen kann?

      Antworten
    6. foxxly
      foxxly sagte:

      … ich denk, england (GB) hat einen klugen und überfälligen schritt gemacht. natürlich bekommt deutschland nachteile, vielleicht auch wohl so mit einkalkuliert!?
      wenn deutschland auf england angewiesen, dadurch eine vernünftige politik und entscheidungen zu treffen, – dann gute nacht! (deutschland wird so, oder so in dieser eigenen entwicklung, keinen vernünftigen weg mehr selbstständig gehen, leider!)
      england hat kurzfristig nachteile, längerfristig fliegt die eu-konstruktion etc., uns sowieso um die ohren. england ist dann von der weiteren haftung fein raus.
      schlau und richtig wäre gewesen, dass deutschland den dexit gemacht hätte!
      die engländer waren in der vergangenheit, nie (richtige) europäer, – und konnten/wollten sich nie in diese zentralistische EU ein-, bzw. unterordnen. Also war dieser schritt folgerichtig.
      in den ganzen wirtschafts-politischen werdegang der eu, ging es stets darum, wie kann deutschland am besten gemolken werden, – und wir größten deppen der welt, machen dies in einer anbieterung und unterwürfigkeit, wohl gerne und nach kriegsschulden-manier, bis zur unkenntlichkeit, mit. das ist auch merkel´s strategie!

      Antworten
    7. Wolf Palmer
      Wolf Palmer sagte:

      Was Dr.Stelter in seinem hervorragenden Beitrag sehr deutlich beschrieben hat, sind die Unterschiede zwischen GB und der undemokratischen EU-Transfer-Union.

      Ich habe vor meiner Selbständigkeit 20 Jahre lang als Marketing-Mann für britische Großkonzerne gearbeitet und bei vielen Gesprächen mit Unternehmern den Unmut über den schlecht regierten EU-Moloch gehört.

      Als ehemaliger mittelständischer Unternehmer hatte ich auch bei vielen Führungskräften wenig qualifizierte Einwände gegen den Brexit gefunden.

      Im Gegenteil, man erhofft sich mit Hilfe der neuen Freiheit einen Aufbruch in neue Geschäftsfelder, vor allem auch in der weltweit führenden Finanz-Industrie.

      Bei Gesprächen in London und in Offshore-Finanzplätzen wurde mir klargemacht, daß man sich jetzt schon darauf vorbereitet, als europäische Steuer-Oase der EU heftig am Zeug zu flicken.

      Bisher in Dublin, Irland, Luxemburg und Holland existierenden Steueroasen soll also mächtig Konkurrenz gemacht werden.

      Ich überlege nun tatsächlich wieder, ob ich in dem von mir favorisierten Auswanderungs-Land wieder ein kleines Unternehmen gründen sollte, wenn die anspruchsvollen Pläne der Tories über Standort- und Steuervorteile nach dem Brexit tatsächlich in die Tat umgesetzt werden.

      Meine Liebe zur angelsächsischen Lebensart, (und ich gebe zu, Hochsee-Angeln als mein liebstes Hobby) würden mir die Entscheidung erleichtern.

      Antworten
    8. michael
      michael sagte:

      Hm. Gegenthese:

      Ausser Australien und NZ wird die UK keine grossen Freihandelsabkommen abschliessen koennen, die ueber das hinausgehen, was sie schon durch die EU habe. Indien-EU? Damals an der UK gescheitert! Canada? Haben sie jetzt schon mit der EU. USA? Da sind die Zoelle schon jetzt niedrig. Ausserdem kann gut sein, dass der Congress das Abkommen blockiert, spaetenstens, wenn in Nordirland wieder Halligalli ist. China? Die werden die UK bei den Finanzdienstleistungen abblitzen lassen. Russland? Das will die UK nicht. Bleibt Afrika. Ob es das bringt?

      Die UK ist damals als Kranker Mann Europas wieder aufgestiegen, weil
      1. Thatcher Reformen gemacht hat
      2. Sie Oel in der Nordsee gefunden haben und
      3. Der EU (EG) beigetreten sind.

      2 und 3 ist jetzt vorbei. Der Austritt duefte uebrigens eine Folge von 2 gewesen sein:
      https://hbr.org/2019/08/did-austerity-in-the-uk-lead-to-the-brexit-crisis

      Vielleicht schaut man sich dazu mal an, wie die UK, dank ihrer Finance heavy Wirtschaft, die Schulden durch die 2008 Krise aufgeblaeht hat.

      Fazit: Es wird Jahre brauchen, die Wirtschaft zu rebalanzieren. Dabei steht die naechte Rezession vor der Tuer und die UK ist immer noch Finanzlastig. Da koennte es fuer die UK auch ganz schnell “Arrivederci” heissen.

      So sehr ich Daniels Analysen auch schaetze, hier fehlt mir das long tail risk fuer den Downturn. Und DAS IST DA!

      Antworten
    9. Dietmar Tischer
      Dietmar Tischer sagte:

      Zu 1.

      >Es wäre also ein Leichtes gewesen, den Briten diese „Pause“ (die Personenfreizügigkeit getreffend, D. T.) nachträglich zu gönnen.>

      NACHTRÄGLICH in der EU etwas fundamental zu ändern, ist schier unmöglich.

      Täte man es, würden Präzedenzfälle für jeden und alle geschaffen, die prinzipiell nicht mehr unter Kontrolle zu halten sind:

      Wenn für Land a ein x möglich ist, warum dann nicht ein y für Land b?

      Darauf lässt sich niemand ein, der an das Ganze glaubt und es zusammenhalten will.

      Man kann Probleme nur KOMPENSIEREN – mit Geld.

      Es wäre möglich gewesen, hätte aber zu weiteren Schwierigkeiten geführt, weil es die beim Geld immer gibt und besonders erschwerend, wenn Geld verteilt wird.

      Zu 2.

      Für die lange Sicht werden AUSSCHLIESSLICH positiven Faktoren herangezogen.

      Und auch das nicht einmal systematisch.

      Beispiel:

      Ja, in der Spitzenbildung ist U.K. der EU überlegen.

      Aber Spitzenbildung ist nicht die gesamte Bildung und möglicherweise noch nicht einmal die entscheidende.

      Die Pisa-Ergebnisse 2018 zeigen U.K. nur unwesentlich vor Deutschland.

      Hier:
      https://www.pisa.tum.de/fileadmin/w00bgi/www/Berichtsbaende_und_Zusammenfassungungen/Zusammenfassung_PISA2018_Endfassung_29_11_19.pdf

      Wie hier für UK ein HERAUSRAGENDES Bildungssystem festzustellen, dies also für das GESAMTE Bildungswesen, ist durch nichts im Beitrag belegt.

      >Wie man angesichts dieser (positiven, D.T.) Fakten zu der Einschätzung kommen kann, dass Großbritannien eine nachhaltige schlechtere wirtschaftliche Entwicklung haben muss, nach dem Brexit verschließt sich mir.

      Mir auch.

      Mir verschließt sich aber auch, wie man ALLEIN damit zu der Einschätzung kommen kann, dass Großbritannien eine gute wirtschaftliche Entwicklung bevorsteht.

      Manche kommen dazu, tendenziell – so mein Eindruck – mitunter auch Dr. Stelter, was die lange Frist betrifft.

      In diesem Beitrag ist dies nicht der Fall.

      >Mit der richtigen Politik hat das Land viele Trümpfe in der Hand für eine gute Entwicklung, …>

      Stimmt, die Frage ist nur:

      Wird eine „richtige Politik“ betrieben werden (können) und haben andere – nicht notwendigerweise die EU – BESSERE Trümpfe in der Hand.

      Zu 3.

      >Der Austritt Großbritanniens ist auch aus Sicht der EU ein Desaster und vor allem für Deutschland dürfte es sich als fatal herausstellen.>

      Das unterschreibe ich.

      Zu 4.

      Nicht falsch, aber Wunschdenken.

      Die Rest-EU war so einig wie NIE bei den Austrittsverhandlungen.

      Grund:

      Wäre man UK in den Verhandlungen „konstruktiv“ entgegengekommen, hätte man die Einheit der EU geschwächt.

      Sie ist bereits so schwach, dass man hart bleiben MUSSTE.

      Zu 5.

      v. d. Leyen hat den Tarif durchgegeben:

      >The European Union’s objectives in the negotiation are clear. We will work for solutions that uphold the integrity of the EU, its single market and its Customs Union. There can be no compromise on this.“>

      Heißt:

      Es wird einen Deal mit Kompromissen geben, aber vieles wird auch offen bleiben, weil es nicht zu vereinbaren sein wird aufgrund der unterschiedlichen Interessen.

      Fazit:

      >Deshalb wird es auf jeden Fall bis zum Jahresende zu einer Vereinbarung kommen, die den EU-Waren-Exporteuren freien Zugang nach Großbritannien sichert. Dafür wird die EU mehr Konzessionen machen, als sie heute zugibt.>

      Das mag sein, ist sogar wahrscheinlich.

      Aber es werden nicht die Zugeständnisse sein, die UK das Ticket in die Hand geben, auf dem USA, China und anderen die Abkommen schließen können, die diesen Nationen einen bequemen Eintritt in die – allein der Größe wegen – attraktive EU ermöglichen.

      Damit UK eine attraktive Alternative zum europäischen Superstaat werden kann, müssen m. A. n. zumindest diese beiden Bedingungen erfüllt sein:

      a) UK muss die Spaltung seiner Gesellschaft überwinden und darf vor allem nicht auseinanderbrechen (Schottland, Nordirland).

      Dafür gibt es keinen Automatismus und es wird nicht einfach.

      b) Die EU darf kein funktionierender Superstaat werden, sondern muss ich weiter auseinander dividieren durch die verstärkte Wahrnehmung nationaler Interessen.

      Je weiter sich die EU dahingehend entwickelt, desto vorteilhafter wird uns UK erscheinen.

      Insofern:

      Ja, U. K. kann attraktiv für uns werden und möglicherweise muss es dafür nicht einmal alles richtig machen und selbst sehr stark werden.

      Antworten
      • Richard Ott
        Richard Ott sagte:

        @Herr Tischer

        “NACHTRÄGLICH in der EU etwas fundamental zu ändern, ist schier unmöglich. Täte man es, würden Präzedenzfälle für jeden und alle geschaffen, die prinzipiell nicht mehr unter Kontrolle zu halten sind”

        Nein, das ist ein vorgeschobenes Argument. Wann hat die EU denn zuletzt interessiert, welche Regeln sie sich selbst einmal gegeben hatte? Bei der Griechenland-“Rettung” etwa? Oder bei der sogenannten “Flüchtlingspolitik”, die in Wirklichkeit eine “Offene-Grenzen-für-Migranten-Politik” ist?

        Der Grund für die Unnachgiebigkeit der EU beim Thema Personenfreizügigkeit ist ein ganz anderer. Lassen wir den galaktischen Imperator mit einem Auszug aus seiner diesjährigen Davos-Rede zu Wort kommen:

        “Some forty years ago, when I got engaged in what I call my political philanthropy, the wind was at our back and carried us forward. International cooperation was the prevailing creed. (…)In contrast, the European Union was in the ascendant and I considered it the embodiment of the open society. But the tide turned against open societies after the crash of 2008 because it constituted a failure of international cooperation. This in turn led to the rise of nationalism, the great enemy of open society. (…) I see another constructive force emerging worldwide: the mayors of major cities are organizing around important issues. In Europe, climate change and internal migration are high on their agenda. This coincides with the main concerns of today’s youth. Uniting around these issues could create a powerful pro-European, pro-open society movement. But it’s an open question whether these aspirations will succeed.” -George Soros
        https://www.georgesoros.com/2020/01/23/remarks-delivered-at-the-world-economic-forum-3/

        Offene Grenzen und Personenfreizügigkeit sind wichtig für den Kampf gegen den bösen “Nationalismus” und ein integraler Bestandteil von dem, was Soros so manipulativ die “offene Gesellschaft” nennt. (Meinungsfreiheit ist Soros offenbar nicht so wichtig, wie wir an den Sprach- und Gedankenpolizei-Aktivitäten von Soros-NGOs wie Correctiv sehen können – und das Demokratiedefizit innerhalb der EU-Institutionen wird von ihm auch überhaupt nicht thematisiert. Das ist ein grundsätzlicher Widerspruch zu dem Konzept der “Offenen Gesellschaft”, wie es Karl Popper ursprünglich formuliert hatte. Soros ist ein nur Heuchler, der seine eigenen Interessen verfolgt und dabei Popper vorschiebt und das ganze auch noch ganz dreist “Philanthropie” nennt.)

        Ob man innerhalb der vor-Brexit-EU oder in den zukünftigen Beziehungen mit UK die Personenfreizügigkeit einschränkt, ist aus der Soros-Perspektive eine höchst ideologische Frage von extremer Wichtigkeit.

        Dort einen pragmatischen Kompromiss zu finden, wie er mit Cameron völlig sinnvoll gewesen wäre und vielleicht sogar den Brexit verhindert hätte, ist ungefähr genau so aussichtsreich wie mit “Opus Dei” darüber zu verhandeln, ob man nicht vielleicht das katholische Dogma der Jungfrauengeburt ein bisschen aufweichen könnte.

        Antworten
        • Wolf Palmer
          Wolf Palmer sagte:

          @ Herr Ott

          Es würde mich nicht wundern, wenn der “politische Philantroph” Soros die offenen Grenzen in die EU-Sozialsysteme deswegen favorisiert und finanziell unterstützt, weil er vielleicht in der kaputten EU wieder ein neues Gangster- und Husarenstück plant:

          “Die Spekulation gegen die Untergangswährung €uro”.

      • Dietmar Tischer
        Dietmar Tischer sagte:

        @ Richard Ott

        >Wann hat die EU denn zuletzt interessiert, welche Regeln sie sich selbst einmal gegeben hatte?>

        Richtig, man hat die Regeln und sonstige Vereinbarungen immer wieder gebrochen.

        Aber die Regeln zu brechen, ist etwas anderes als Strukturen fundamental zu ändern.

        Ihr Beispiel der Griechenland-Rettung:

        In 2011 haben Sarkozy und Merkel in Cannes in einem „ruhigen und sachlichen Gespräch unter Freunden“ den damaligen griechischen Ministerpräsidenten Papandreou sehr schnell überzeugen können, ein Volksentscheid in Griechenland über den Verbleib in der Eurozone abzublasen.

        Man musste ihm nur klar machen, welche Auswirkungen der Austritt für GRIECHENLAND haben würde.

        Hier zur Erinnerung:

        https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/abgeblasenes-referendum-so-baendigten-merkel-und-sarkozy-die-griechen-a-795779.html

        Andererseits:

        Merkel und anderen war in 2015 völlig klar, dass der Schaden für die EUROZONE existenziell sein würde, wenn Griechenland aufgrund seiner Insolvenz ausscheiden müsste.

        Nicht nur die Aufräumarbeiten bei den europäischen Banken wären enorm gewesen.

        Letztlich entscheidend:

        Niemand hätte den Ländern der Peripherie noch irgendetwas geborgt, weil es kein VERTRAUEN in den Bestand der Eurozone mehr gegeben hätte.

        Darauf kommt es an – nicht auf mehr oder weniger folgenlose Regelbrüche.

        Antworten
        • Richard Ott
          Richard Ott sagte:

          @Herr Tischer

          Mit Sachzwängen kann ich aber genauso gut argumentieren, um einen “Regelbruch” (Befürworter würden es eine “zeitweilige Aussetzung der Personenfreizügigkeit für UK” nennen) zu rechtfertigen.

          “Man musste Papandreou nur klar machen, welche Auswirkungen der Austritt für GRIECHENLAND haben würde.”

          Auch hier ist die Rhetorik ganz leicht umzudrehen: Cameron konnte der EU offensichtlich nicht klar machen, welche Auswirkungen der Brexit für die EU haben würde. ;)

        • Dietmar Tischer
          Dietmar Tischer sagte:

          @ Richard Ott

          Es geht nicht darum, ob die Rhetorik umzudrehen ist oder nicht.

          Der Punkt ist:

          Die EU, d. h. die GEMEINSCHAFT der in ihr verbundenen Staaten wird nichts willentlich herbeiführen, was für sie erkennbar ein RISIKO der Auflösung darstellen würde.

          Einzelne Staaten können natürlich austreten WOLLEN.

          Dafür müssen sie die EU nicht von irgendetwas überzeugen.

          Sie tun es einfach, wie UK es tut.

          Nicht nur der austretende Staat, sondern auch die EU müssen dann die Konsequenzen tragen.

          Für die EU heißt es in dieser Konstellation:

          Man wird lieben die Konsequenzen tragen wollen, als sich selbst zu zerlegen.

          Die Konsequenzen mögen nicht angenehm und im vorliegenden Fall des Austritts von UK werden sie sehr schwer zu ertragen sein, wobei die eigenen Schwierigkeit natürlich ALLEIN UK angerechnet werden.

          Wie auch immer:

          Die Auflösung der EU wird DURCHWEG als das GRÖSSERE Übel angesehen.

          Es ist auch klar, warum das so ist.

          Schauen Sie sich die Grafik Nr. 1.im Beitrag an.

          KEIN Land der EU, in dem sich die Mehrheit NICHT als EU-Bürger ansieht.

          Das muss und wird nicht ewig so sein.

          Aber wenn den Bürgern die Frage nach dem AUSTRITT aus der EU gestellt würde, werden es m. A. n. noch einige Zeit lang mehr sein, die drin bleiben wollen, als die Umfragewerte in der Grafik Nr. 1. es andeuten.

          Das Gehacke in UK während der letzten drei Jahre hat abschreckend gewirkt.

          Und wenn es UK in einem Jahr deutlich schlechter gehen würde, werden noch mehr Menschen in der EU einen Austritt ablehnen.

          Das alles macht die EU NICHT besser und wird sie auch nicht stärken auf dem Weg in wachsende Schwierigkeiten.

          Sie machen einen Fehler, den viele begehen:

          Aus den Defiziten der EU und der Abneigung zu ihr umstandslos zu SCHLIESSEN, dass es richtig sei, sie zu verlassen und UK beweisen wird, wie erfolgreich man damit ist.

          Es wird sich ZEIGEN (müssen).

        • Richard Ott
          Richard Ott sagte:

          @Herr Tischer

          “Der Punkt ist: Die EU, d. h. die GEMEINSCHAFT der in ihr verbundenen Staaten wird nichts willentlich herbeiführen, was für sie erkennbar ein RISIKO der Auflösung darstellen würde. Einzelne Staaten können natürlich austreten WOLLEN. Dafür müssen sie die EU nicht von irgendetwas überzeugen.”

          Der Punkt ist: Mit Zugeständnissen an Cameron insbesondere im Bereich Personenfreizügigkeit wäre das Brexit-Referendum möglicherweise anders ausgegangen. Aber die EU war zu stur. Und dadurch hat sie mit dem Brexit eine Situation mit herbeigeführt, in der die Wahrscheinlichkeit eines weiteren Zerfalls der EU viel größer ist als zuvor.

          “Aber wenn den Bürgern die Frage nach dem AUSTRITT aus der EU gestellt würde, werden es m. A. n. noch einige Zeit lang mehr sein, die drin bleiben wollen, als die Umfragewerte in der Grafik Nr. 1. es andeuten.”

          Nicht aussagekräftig als Indikator dafür, wie die Bevölkerung bei einem EU-Austrittsreferendum im jeweiligen Land abstimmen würde.

          Laut dieser Umfrage von Oktober 2018 sehen sich auch 57% der Briten als Bürger der EU. Trotzdem gab es zwei Jahre vorher eine Mehrheit für den Brexit und ein Jahr danach einen deutlichen Wahlsieg für Boris Johnson. Man kann sich durchaus als EU-Bürger sehen (das ist ja schlicht eine Anerkennung der politischen Realität) und diesen Umstand gleichzeitig gerne durch einen EU-Austritt beenden wollen. Ich sehe mich zum Beispiel auch als EU-Bürger und bekomme Schweißausbrüche, wenn ich daran denke, dass eine zutiefst korrupte und unfähige Frau wie Ursula von der Leyen als “meine” EU-Kommissionspräsidentin installiert worden ist und hirnrissige Projekte wie den “Green New Deal” vorantreibt.

          “Sie machen einen Fehler, den viele begehen: Aus den Defiziten der EU und der Abneigung zu ihr umstandslos zu SCHLIESSEN, dass es richtig sei, sie zu verlassen und UK beweisen wird, wie erfolgreich man damit ist. Es wird sich ZEIGEN (müssen).”

          Boris Johnson muss jetzt liefern und zeigen, wie erfolgreich UK nach dem Brexit sein kann. Da haben Sie schon recht, eine Erfolgsgarantie gibt es nicht.

          Aber verglichen mit, sagen wir mal, 2015, ist der EU-Austritt eines Landes jetzt eben kein völlig abwegiges Szenario mehr sondern politische Realität, die auch andere mit der EU unzufriedene Länder auf interessante Ideen bringen wird.

        • Dietmar Tischer
          Dietmar Tischer sagte:

          @ Richard Ott

          >Mit Zugeständnissen an Cameron insbesondere im Bereich Personenfreizügigkeit wäre das Brexit-Referendum möglicherweise anders ausgegangen.>

          Möglicherweise.

          >Aber die EU war zu stur.>

          Sie war stur aus dem Grund, den ich genannt habe.

          >Und dadurch hat sie mit dem Brexit eine Situation mit herbeigeführt, in der die Wahrscheinlichkeit eines weiteren Zerfalls der EU viel größer ist als zuvor.>

          Das ist IHRE Meinung – und eben KEINE schlüssig abzuleitende Aussage aus dem zuvor Gesagten.

          Wir könnten hier noch ewig weitermachen.

          Es bringt nichts, zumal wir uns in einem wesentlichen Punkt doch einig sind:

          Johnson muss jetzt liefern bzw. ab 2021, wenn alles eingetütet ist, was bis dahin eingetütet werden kann.

          Von dem, was er liefern wird, hängt auch ab, ob die – wie ich meine – fatale Entwicklung der EU sich BESCHLEUNIGT (Ihre Meinung) oder sich VERLANGSAMT (was nicht auszuschließen ist).

          Wir sollten es dabei belassen.

        • Richard Ott
          Richard Ott sagte:

          @Herr Tischer

          “>Aber die EU war zu stur.>
          Sie war stur aus dem Grund, den ich genannt habe.”

          Da haben wir völlig unterschiedliche Meinungen darüber, ob die Sturheit gegenüber UK gerechtfertigt und vor allen Dingen strategisch klug war. Ich sehe hier das Potenzial für einen wunderschönen selbstverstärkenden Fehler in der EU-Verhandlungsstrategie gegenüber Austrittsländern, die der EU noch viel schneller auseinanderfliegen lassen könnte als geahnt.

          Was sollte die EU denn Ihrer Ansicht nach machen, wenn der nächste unzufriedene Mitgliedsstaat ankommt und um Zugeständnisse bittet um die Erfolgsaussichten von einem anstehenden Austritts-Referendum zu schmälern?

          Noch unnachgiebiger sein als bei UK? Noch mehr drohen? Noch üblere Untergangs-Szenarien entwerfen und durch EU-treue Journalisten verbreiten lassen? Und dann in den möglichen Austrittsverhandlungen noch härter auftreten als gegenüber UK?

          Wenn Johnson in den nächsten Jahren mit seinem Brexit erfolgreich ist, könnte das eine ganze Austrittslawine auslösen. Mit der EU noch im Guten zu verhandeln, bringt ja offensichtlich nichts – und grundlegend reformfähig ist dieser Moloch schon lange nicht mehr.

        • troodon
          troodon sagte:

          @ Richard Ott
          Meiner bescheidenen Meinung nach ist der Brexit mit KURZFRISTIG deutlich geringeren Folgen für das UK verbunden, als es z.B. bei einem DEXIT für Deutschland der Fall wäre. Das UK hatte schon eine eigene Währung, die zunächst abgewertet hat, eine neue DM würde (zunächst) deutlich aufwerten. Da die Wirtschaftsstruktur in D viel stärker von der Export-Industrie geprägt ist, wären die KURZFRISTIGEN Folgen viel deutlicher negativ.

          Und bei den PIIGS Ländern wäre die Schuldenproblematik eine andere als beim UK, wenn z.B. deren neue Lira etc.nach Austritt deutlich abwerten würde. Banken UND Staat wären (auch offiziell) insolvent. Aus meiner Sicht war deshalb der Brexit der leichtest mögliche EXIT. Das wird es ein zweites Mal nicht geben.
          Von daher sehe ICH den Brexit nicht als Beschleuniger für den Zerfall der Eurozone.

        • Dietmar Tischer
          Dietmar Tischer sagte:

          @ Richard Ott

          Nur noch das dazu:

          Man kann ja die Meinung haben, die Sie hier als Ihre vortragen.

          Sie besagt:

          Ich hätte anders gehandelt bzw. verhandelt als die EU – und das begründet so.

          Es ist aber müßig, darüber zu diskutieren und zu beurteilen, ob etwas „strategisch klug“ ist oder nicht angesichts dessen, was ich vorgebracht habe:

          Die EU hatte einen Grund, UK nicht soweit entgegenzukommen, wie es – hypothetisch angenommen – erforderlich gewesen wäre, das Land in der EU zu halten.

          Der Grund war gerechtfertigt.

          Denn es nicht von der Hand zu weisen, dass dann andere mit ihren Forderungen gekommen wären, wie ich dargelegt habe und dies ein Zerfallsszenario heraufbeschworen hätte.

          Damit ist die Diskussion beendet, WARUM etwas so ist, WIE es ist.

          Die Frage, ob Sie nicht Recht damit haben, dass sich die EU damit LETZTLICH geschadet habe, UK nicht drin gehalten zu haben, ist zum Zeitpunkt der Verhandlungen nicht zu beantworten.

          Es macht daher auch keinen Sinn, mit derartigen Auffassungen zu argumentieren, d. h. das Handeln der EU als FALSCH darzustellen.

          Sie können ja Recht haben, es ist jedenfalls nicht auszuschließen.

          Dann war es mit Blick zurück falsch (vorausgesetzt man kann eindeutig feststellen, dass der Zerfall auf den Brexit zurückzuführen ist):

          Ist nicht falsch, sondern WAR falsch.

        • Richard Ott
          Richard Ott sagte:

          @Herr Tischer

          Das wäre eine schöne Inschrift auf einem Grabstein oder auf einem Denkmal für den Zerfall der EU: “Sie hatten es nicht besser gewusst – und dachten, sie taten das Richtige.”

        • Dietmar Tischer
          Dietmar Tischer sagte:

          @ Richard Ott

          Nicht ganz.

          Wenn die EU wegen des Brexit zerfallen würde, müsste die zum Thema PASSENDE Inschrift lauten:

          „Sie KONNTEN es nicht besser wissen – und dachten, sie taten das Richtige“.

        • Richard Ott
          Richard Ott sagte:

          @Herr Tischer

          Was ist der Unterschied zwischen “etwas nicht besser wissen können” und Dummheit?

          Cameron hat von 2014 an etliche Male auf Lockerungen der Personenfreizügigkeit für UK gedrängt, und wenige Tage vor dem Referendum regelrecht darum gebettelt:

          Cameron made last-ditch pre-vote appeal to Merkel over immigration – BBC
          “As polls indicated immigration concerns were swaying the public towards supporting Brexit, the BBC said Cameron, who quit after the EU result, telephoned Merkel to ask if she was willing to issue a statement with other EU leaders agreeing to make concessions on free movement if Britain voted to stay. The idea was eventually shelved and the BBC said Merkel had told Cameron at an EU summit after the vote that there could be no compromise on free movement within the bloc.
          ‘The people who are very, very concerned about immigration, what they wanted was purely and simply for the UK to be able to have total control of its borders and total control of the flow of people into this country,’ he told the BBC. ‘And we didn’t have an argument that could remotely compete with that. It meant we couldn’t really engage in the campaign on that vital issue. We didn’t have much option but to keep trying to pivot back to the economic risks.'”

          Cameron hatte die Lage genau richtig eingeschätzt.

    10. Richard Ott
      Richard Ott sagte:

      Cembalest: “‘UK growth will suffer a huge hit.‘ Of all the analyses I’ve read about a possible Brexit scenario, I found Open Europe’s report to be the most clear-headed and balanced. Their realistic case estimates the cumulative impact of Brexit on UK GDP at just –0.8% to 0.6% by the year 2030; hardly the stuff that economic calamity is made of.'”

      Diese Studie von “Open Europe” muss schon ziemlich alt sein, aber das Ergebnis ist so bemerkenswert, dass sie eigentlich mehr verdient hätte, als in ein paar Sätzen abgehandelt zu werden.

      Die Details der Studie kenne ich nicht, aber ein Brexit-Einfluss auf das 2030er GDP von UK von “-0.8% bis +0.6%” wäre überhaupt kein “harter Schlag” sondern ein auf die langfristige Entwicklung der Wirtschaftsleistung fast folgenloses Ereignis. Und unter der Annahme, dass die Wahrscheinlichkeitsverteilung der möglichen Ergebnisse in der Studie einer Normalverteilung ähnelt, ergibt sich daraus sogar eine ordentliche Wahrscheinlichkeit, dass ein Brexit die Wirtschaftsleistung nicht leicht senken sondern leicht *ERHÖHEN* wird.

      Antworten
    11. Richard Ott
      Richard Ott sagte:

      bto: “Ich bin kein Fan des Brexits, vor allem aus Eigeninteresse. Es wäre für alle Beteiligten ökonomisch und wohl auch politisch besser, wenn es keinen Brexit gäbe: Großbritannien könnte ohne Brexit eine wichtige Stimme der Vernunft sein, um weitere Fehlentwicklungen in der EU zu verhindern – vor allem den unweigerlichen Marsch in eine immer mehr staatsgläubige Umverteilungs- und Schuldenwirtschaft. Deutschland wäre nicht in der Minderheit bei wichtigen Weichenstellungen in der EU.”

      In jedem Zeitrahmen betrachtet schlecht für Deutschland, aber langfristig eindeutig gut für UK.

      Da ist doch völlig nachvollziehbar, wieso sich die Briten aus ihrem Eigeninteresse für den Brexit entschieden haben. Und nachdem wir das anerkannt haben, sollten wir Deutschen wiederum aus unserem Eigeninteresse heraus darauf hinwirken, die Beziehungen mit UK nach dem Brexit möglichst kooperativ und freundlich zu gestalten.

      Dagegen spricht nur das Eigeninteresse der EU-Bürokraten, die sich um ihre üppig versorgten Pöstchen sorgen.

      Antworten
      • ruby
        ruby sagte:

        Am 23.01. hat Horst Lüning bei Mission Money genau erklärt nur Dollar, Franken und Pfund sind nicht gecrasht. Und er sehr verständlich das Geldsystem über GB, UK den Crown Islands sowie die City of London erklärt, wo die Nichtsteuerzahler das Vermögen sichern. Euroland mit dem Pariser Bankenersatzplatz bleibt chancenlos und die Deutsche Bank mit Gabriel als Aufsichtsrat gibt massiven Anlaß zu Spekulationen, deren Kaufpreis in ein Klacks für richtige Player die geleverraged sind.

        Antworten
    12. ruby
      ruby sagte:

      Ende diesen Jahres müssen der Brexitnachfolgevertrag und neue EU Finanzplan beschlossen werden. Dabei sind unbekannte Rechnungsfaktoren enthalten.
      Hinzu kommt ein Rechtssystem in Polen, daß den Rausschmiß aus der Gemeinschaft bedingt – Stellungnahme Deutscher Richterbund https://www.drb.de/newsroom/mediencenter/pressemeldungen/pressemeldung/news/richterbund-solidaritaet-mit-polnischer-justiz-gefragt/, was natürlich politisch nicht gelingen wird.
      Vielleicht sind 2021 Großbritannien und die Osteuropäer ante Portas, also die Nichteurostaaten. Eurozone gegen Freie Währungsstaaten.

      Antworten

    Trackbacks & Pingbacks

    1. […] Dr. Daniel Stelter – www. think-beyondtheobvious.com    […]

    Ihr Kommentar

    An der Diskussion beteiligen?
    Hinterlassen Sie uns Ihren Kommentar!

    Schreibe einen Kommentar zu Dietmar Tischer Antworten abbrechen

    Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.