COVID-19 – eine Zivilisations­krankheit?

Im Januar habe ich den Kommentar des treuen bto-Lesers und -Kommentators Bauer zum monetären Endspiel veröffentlicht:

→ Das monetäre Endspiel wird vorbereitet (II)

Im April hat Herr Bauer seine Berechnungen zu Infektionsverlauf und Todesrate von COVID-19 auf bto veröffentlicht. Eine lohnende Lektüre, die sehr viel diskutiert wurde: 

→ COVID-19 – nüchtern betrachtet

Heute nun eine aktuelle Auswertung von Herrn Bauer, die ich wiederum den Lesern von bto nicht vorenthalten möchte:

Sehr geehrter Herr Dr. Stelter,
COVID-19 ist eine Zivilisationskrankheit. Diese Feststellung wird Sie überraschen, aber urteilen Sie selbst:
Nachdem der erste Seuchendurchlauf annähernd zu Ende geht, habe ich mich der Mühe unterzogen, etwas tiefer zu schürfen. Als schlüssiges Ergebnis ist es zu anliegender Aufstellung gekommen.
Die Liste beinhaltet alle 200 Staaten, deren Seuchendaten von der WHO veröffentlicht wurden, und zwar bestätigte Ansteckungen (cases) und Tote (deaths). Die Erbsenzählerei der WHO ist dilettantisch, da diese Werte nicht in Bezug zu den Bevölkerungszahlen gesetzt wurden. Das habe ich jetzt besorgt.
Es hat sich gezeigt, dass diese relativen Werte erheblich unterschiedlich, jedoch allein aussagekräftig sind. Ich bin auf die Suche nach einer Gesetzmäßigkeit gegangen.
In den letzten beiden Spalten sehen Sie das nach Kaufkraft gewertete jeweilige GDP in int. $ und PPP ebenfalls in int. $/a. Das ist der Schlüssel zum Verständnis.
Die Staaten sind absteigend geordnet nach den Toten per 1 Mio. Einwohner. Anschließend habe ich die Quintilen gebildet und zusammengefasst. Das Ergebnis sehen Sie auf Blatt 3 ganz unten. Es ist eindeutig.
Die höchstentwickelten Staaten der 5. Quintile haben 239.4 Tote per 1 Mio. Einwohner und ein PPP von 38’722 $/a. Die erste Quintile hat 0.1 Tote bei nur 3’964 $/a, die anderen reihen sich schön absteigend dazwischen. Das Ganze eindeutig gegenläufig zu den zu vermutenden hygienischen Verhältnissen, während die bunte Mischung der Staaten erkennen lässt, das klimatologische Besonderheiten eher untergeordnet sind.
Erklärend erwähne ich auch, dass ich die Zahl der Toten für zuverlässiger halte als die ‘cases’, da man Tote nicht so einfach unter dem Teppich verstecken kann, während die ‘cases’ davon abhängen, wie eifrig bzw. systematisch getestet wurde.
Damit scheint evident, dass COVID-19 sich bevorzugt dort ausbreiten konnte, wo die Bevölkerung am weitesten entfernt von der Natur lebt (gemeint im übertragenen Sinne), d. h. nicht mehr imstande ist, eine ausreichende natürliche Resistenz zu entwickeln und heute daher ständig beim Allergologen im Wartezimmer hockt.
Ich fand das interessant, jedoch stellten sich mir zwei Fragen: Was entgegnen Sie jenen, die die Ursache für diese Daten darin sehen, dass in den ärmeren Ländern
a) die Zahlen nicht so gut erhoben werden?
b) die Bevölkerung im Schnitt jünger ist?
Hierzu Herr Bauer:
Das sind natürlich Einwände, die mir auch durch den Kopf gehen. Jedoch
zu a) Dieses Argument gilt ja auch für die USA und andere Staaten im 5. Quintil und es kann nicht gleich eine Zehnerpotenz ausmachen. Sie können aus dem 5. Quintil mindestens ebenso viele Staaten mit vermutlich lückenhafter Statistik herauspicken wie im 1. Quintil solche mit vermutlich korrekter Erfassung.
zu b) Das drückt sich ja deutlich aus in der Zahl der Todesfälle je 1 Mio. Einwohner. Bis zur lfd. Nr. 25 liegt dieser Wert bei über dem Doppelten des Weltdurchschnitts von 48.4, wird aber überlagert von dem weit einflussreicheren Lebensstandard. Außerdem ist in solchen ärmeren Ländern auch die Lebenserwartung wesentlich niedriger und die Bevölkerung ist mit 50 Jahren schon in schlechterem Zustand als in der 1. Welt mit 70. Japan hat erwiesenermaßen die älteste Bevölkerung und liegt mit Nr. 98 satt im 3. Quintil, dagegen Russland mit seiner geringen Lebenserwartung bei Nr. 51. Weiterhin wird in Ländern mit junger Bevölkerung das Abstandsgebot mit Sicherheit weit weniger, wenn überhaupt eingehalten und (was in Italien als mögliche Ursache gesehen wird) es leben weit häufiger drei und mehr Generationen in derselben Zweiraum-Behausung.
Insgesamt gesehen halte ich daher die Todeszahlen für weit zuverlässiger als die Fallzahlen, da auch unter den beschränkten Verhältnissen armer Länder wenigstens die Toten gezählt werden, und stütze meine Berechnungen auf diese. Außerdem verwischt die Zusammenfassung in Quintile solche Feinheiten, sofern sie tatsächlich existieren sollten. Man müsste sonst jedes einzelne Land auf den Prüfstand nehmen und in der Lage sein, weitere sekundäre Einflüsse wie Klima, Jahreszeit (Nord-/Südhalbkugel), Gebräuche berücksichtigen. Im Zweifelsfalle wird das intime Kenner eines Landes noch lange beschäftigen.
Ich habe auch andere Bezugsgrößen in Betracht gezogen, aber das PPP war der schlüssige Treffer. Ganz Afrika hatte bei achtfacher Bevölkerung wie Italien nur rd. 87 % der cases und rd. ein Siebtel der Toten. Das sagt doch alles!
Zusätzlich hat Herr Bauer diese Feststellungen gemacht:
Ergänzend zu meiner E-Mail über den Ablauf der COVID-19 Infektion will ich Ihnen hier noch einige Gedanken nahebringen, die ich wohlweislich von der Faktensammlung getrennt äußere.
  1. Da ist zunächst die auffällige Tatsache, dass San Marino und Andorra auf Platz 1 und 3 der Tabelle stehen. Ich sehe eine Erklärung dazu, die eindeutig wirtschaftlich ist und daher aus dem Rahmen fällt. Beides sind Kleinststaaten inmitten Italiens bzw. an Spanien (Barcelona) angrenzend (wobei die direkte Verbindung nach Frankreich über hohe Pyrenäenstraßen führt, die im Winter geschlossen sind). Es ist beliebt und nützlich, dort lediglich seinen legalen Wohnsitz zu haben, aber ansonsten im Nachbarland zu leben, um dort sein Geld unversteuert zu verdienen. Der natürliche Reflex verleitete, sich nach Hause zu begeben, um dort die Quarantäne auszusitzen und ggf. zu sterben und dadurch die Statistik zu bereichern.
  2. Abgesehen von diesen beiden fallen die ersten zehn Staaten durch ihre hohe Letalitätsrate im zweistelligen Bereich auf. Da zeigt sich der hohe Anteil an sehr alter Bevölkerung, die dank ärztlicher Bemühungen noch trotz der vorhandenen chronischen Gebrechen am Leben gehalten wird. Das gut bis sehr gut ausgebaute Gesundheitssystem und allumfassende Krankenversicherung erlauben das. Nicht umsonst wird aus diesen Ländern berichtet, dass das Durchschnittsalter der Betroffenen bei 80+ Jahren lag.
  3. Einige andere Staaten zeigen ähnlich hohe Letalität, die weit über die allgemein festgestellte Letalität von 1 bis 2 % hinausgeht und im Einzelfall zu begründen wäre, z. B. Mexiko (Nr. 29) – vielleicht wegen der Nähe zu den USA und dem hohen Drogenkonsum, Ungarn (Nr. 35) ist eher rätselhaft, wäre aber bei näherer Erforschung der Umstände wohl auch erklärlich, BVI (Nr. 50) wegen der vielen in den US Virgin Islands Beschäftigten (?), Antigua (NR. 53) ist ein beliebtes englischsprachiges Altersheim, Bahamas (Nr. 58) siehe BVI (?), Belize (Nr. 114) ist der einzige englischsprachige Festlandstaat Mittelamerikas und daher auch ein beliebtes Altersheim. Jemen (Nr. 139) befindet sich im Kriegszustand, das Gesundheitssystem ist längst zusammengebrochen.

Bei dieser Gelegenheit will ich auch den gegenwärtigen Schwebezustand ansprechen. Eigentlich ist die Ansteckungswelle außerhalb einiger Staaten (die USA!) durchgelaufen und man könnte wieder zur Tagesordnung übergehen, wenn da nicht schon die Angst vor einer nächsten Welle geschürt würde. So wird die Wirtschaft nicht auf die Beine kommen. Es ist Utopie, auf das Verschwinden des Virus zu warten zu wollen; er wird uns weiter begleiten.

Ursächlich ist zunächst die von der WHO aufgebaute Definition eines COVID-Todesfalles dahingehend, dass jeder Todesfall mit (auch post mortem) festgestellten Positivbefund als COVID-Fall zu melden sei, außer es liegt ein Trauma, z. B. ein Messer zwischen den Rippen, vor. Die von zahlreichen Experten geforderte Unterscheidung zwischen solchen, die ‚am Virus‘ gestorben sind und solchen, die ‚mit dem Virus‘, jedoch bei abwägender Wertung an einem anderen Befund verstorben sind, wird unterlassen.

Diese sachlich nicht haltbare Definition in Verbindung mit der statistischen Wahrscheinlichkeit führt dann dazu, dass wir immer weiter COVID-Tote aufgetischt bekommen, denn unweigerlich wird es aus dem Produkt von (Sterbefälle/Jahr) x (Durchseuchungsgrad der Bevölkerung) x (mittlere Letalität) zu einer unvermeidbaren Zahl von dem Virus zugeschriebenen Todesfällen kommen, die es gestatten, der ahnungslosen Bevölkerung den Lebensmut zu nehmen und sie zu lähmen.

Inzwischen hat sich die tägliche Todesrate in den von mir näher beobachteten Ländern recht stabil auf einen annähernd konstanten Wert eingependelt, der uns noch einige Zeit verfolgen könnte. Dieser beträgt derzeit für die USA 745/Tag, für Italien 60/Tag, für Frankreich 35/Tag, für Deutschland 15/Tag und die Schweiz 2/Tag. Diese Werte sind zu hoch, um von der Öffentlichkeit übersehen zu werden, anderseits zu wenige, um Gegenmaßnahmen zu begründen, also bleibt es beim Weder-Noch.

Da der Durchseuchungsgrad der Bevölkerung länderspezifisch, jedoch weitgehend unbekannt ist, sollten die freien Laborkapazitäten endlich dafür genutzt werden, um plausible Daten zu gewinnen und deren Entwicklung im Auge zu behalten.

China hat übrigens diese Geschichte bereits abgeschlossen und ist zur Tagesordnung zurückgekehrt. Im Mittel 20 gemeldete Ansteckungsfälle pro Tag und keine Toten sind ein Witz. Die Wirtschaft wird es Mr. Xi danken.

 Um so zu schließen: “Stellen Sie unseren privaten Blog doch einfach zur Debatte.”

bto: was ich hiermit mache!