Buchhinweis: “Wettkampf um die Klugen”

Gunnar Heinsohn wird auf bto immer wieder zitiert. Seine Überlegungen zur Bedeutung von Demografie, Migration und Bildung sind entscheidende Grundlagen, wenn es um das Beurteilen der wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Aussichten geht. Nun hat der emeritierte Professor ein neues Buch verfasst, Wettkampf um die Klugen” erschienen im Orell Füssli Verlag. Ich habe es gelesen und möchte an dieser Stelle einige Highlights des sehr lesenswerten Buches hervorheben:

Gleich zur Einführung stellt Heinsohn lapidar fest: „Gehirn schlägt Religion, ‘Rasse’, Klasse, und jugendliche Masse. Kommen bis weit ins 20. Jahrhundert hinein Patente noch von gut Begabten, braucht es für Innovationen in Gegenwart und Zukunft Teams von Hochbegabten. Sie gehören zu den Schülern, die es bei den Mathematik-Olympiaden (TIMSS) in die Gruppe der Besten (»advanced«) schaffen. In Ostasien sind das pro Jahrgang dreißig bis fünfzig Prozent. Sie übertreffen Osteuropäer und die meisten englisch-sprachigen Länder um das Zwei- bis Dreifache. Die Westeuropäer werden – von wenigen Ausnahmen abgesehen – um mindestens das Sechsfache (Deutschland) bis Zwölffache (Frankreich) abgehängt. Die gut 170 verbleibenden Nationen liegen zwischen null und ein Prozent fast aussichtlos zurück.“ – bto: Was bei uns immer wieder vergessen wird ist, dass selbst Großbritannien rund viermal so viele Top-Leister in Mathematik hervorbringt als Deutschland. Wir sind nach den jüngsten Zahlen der OECD ohnehin schon verloren und die wenigen, die noch rechnen können, gehen dorthin, wo ihnen nach einfacher Subtraktion wenigstens was bleibt. Allein schon die Einführung zum Buch wäre eine Pflichtlektüre für unsere Politiker!

  • „Da es nicht für alle reicht, betreiben diese Länder die gegenseitige Abwerbung ihrer besten fünf Prozent. Wer pro Jahrgang nur ein bis fünf Prozent Mathe-Asse zur Verfügung hat, rutscht bei dieser gegenseitigen Kannibalisierung schnell unter die kritische Masse für ein Verbleiben im Spitzenfeld.“ – bto: Er meint damit natürlich Deutschland. Und die Art der Zuwanderung drückt unser Leistungsniveau weiter.
  • „Auch ein hohes Durchschnittsalter wird erst dann zu einem Problem, wenn es mit fallender Kompetenz einhergeht. Dass Japan von 150 Hundertjährigen im Jahr 1963 auf 70000 im Jahr 2018 springt, wird in Europa als erschreckender Beweis für seinen unaufhaltsamen Abstieg hingestellt. Hingegen wird gern übergangen, dass die unstrittige Führungsnation beim Vergreisen pro Jahrgang aber immer noch sechsmal so viele mathematisch begabte Kinder aufzieht wie Deutschland (…).“ – bto: Auch ich sehe Japan als ein Erfolgsmodell, das sich in die Zukunft wird retten können. Das BIP pro Erwerbstätigen wächst deutlich schneller als bei uns und das ist der Indikator für die kommende Leistungsfähigkeit auch zur Versorgung der alternden Gesellschaft. Bildung, Innovation, Technologieoffenheit. Damit bewahrt man Wohlstand für Generationen, während bei uns abgewirtschaftet wird.
  • „Der eigene Kognitionsverlust wird im Westen bis heute kaum zum Thema. So beschreibt eine Untersuchung von ‘BNP Parisbas’ aus dem Frühjahr 2019 eine ‘Japanisation’ der EU ausdrücklich als Schreckgespenst. Man nimmt die vergangenen dreißig Jahre Japans (1989–2019) als Folie für die eigene Zukunft, betrachtet aber nur finanzielle und quantitativ-demografische Faktoren. Warum die EU heute schon technologisch hinter dem Inselstaat rangiert, wird nicht einmal gefragt. Kognitive Differenzen bleiben vollkommen ausgeblendet.“ – bto: Auch bei bto war die „Japanisierung“ und die vordergründig ökonomischen Gesichtspunkte immer wieder ein Thema. Richtig ist natürlich, dass in der Tat die Innovationsfähigkeit der EU gegenüber Japan deutlich abfällt.
  • „Bei den besonders streng gesiebten Patentanmeldungen nach dem Patent Cooperation Treaty (PCT) kommen 2018 fast 50000 Erfindungen aus Japan, aber nur knapp 20000 aus Deutschland. Bei zwei Dritteln der japanischen Bevölkerung (82 zu 126 Millionen) hätten die Deutschen für einen Gleichstand aber 33000 Anmeldungen benötigt. (…) Zu den fünfzig patentstärksten Einzelfirmen des Jahres 2018 gehören sechzehn japanische, aber nur fünf deutsche, die fürs Gleichziehen mit Japan jedoch zwei Drittel davon bzw. zehn bis elf benötigen würden.“ – bto: Und im Rest der EU sieht es nicht besser aus.

Ausführlich diskutiert Heinsohn die Bedeutung der Mathematikleistungen als Frühindikator für die Innovationsfähigkeit von Nationen. Dazu gehört dann die Berechnung der Anzahl der „Mathe-Asse“ nach Nationen. Japan hat demnach 1,8 Millionen. Polen, Deutschland, Italien, Frankreich, Spanien, Ungarn, Portugal, Irland, Dänemark, Niederlande, Schweden und Finnland (also die EU ohne UK) kommen auf 988.000, also nur auf 55 Prozent des Niveaus von Japan. Damit ist wohl alles gesagt. Es zeigt übrigens auch, wie groß der Verlust von Großbritannien für die EU ist und weshalb das Land mit 570.000 Top-Leistern deutlich bessere Aussichten hat als die EU (von Deutschland nicht zu reden!).

 

Quelle: “Wettkampf um die Klugen”, Gunnar Heinsohn

  • „Regelmäßig versprechen etwa deutsche Ökonomen, dass die Bundesrepublik technologisch wieder nach vorne kommen werde, wenn es nur mehr Geld nicht nur in die marode Infrastruktur, sondern auch in die Bildung stecke. Solche Behauptungen wären leicht zu überprüfen. So gibt Deutschland rund 50 Prozent mehr pro Kind aus als Ungarn. Gleichwohl sind – bei TIMSS 2015 – unter 1000 ungarischen Kindern 126 in der mathematischen Spitzengruppe, in Deutschland aber nur 53.“ – bto: Das führt zu der politisch heiklen Erkenntnis – und wird von Heinsohn auch entsprechend offen diskutiert –, dass Intelligenz eben doch von Faktoren abhängt, die der Staat mit noch so vielen Mitteln nicht kompensieren kann.
  • „Schon 2012 gibt es bei PISA eine Sonderauswertung für den altdeutschen Nachwuchs und für den mit Migrationshintergrund. Bei den Migranten gibt es unter 1000 Kindern 13 Mathe-Asse. 63 finden sich bei den Altdeutschen. Beide Spitzensegmente können es mit den Besten der Welt aufnehmen. Dreißig Prozent der Altdeutschen schneiden in Mathematik allerdings mangelhaft, ungenügend oder schlechter ab. Bei den Migrantenkindern der zweiten Generation sind es sogar 51 Prozent (…) Mittlerweile kommen aus diesem Bevölkerungssegment fast 40 Prozent der Neugeborenen. Nichts spricht mithin für ein Überwinden des Bildungsfiaskos, vielmehr alles für seine Ausweitung.“ – bto: was an der Art der Zuwanderung liegt, und zwar nicht an Religion, Hautfarbe etc. wie Heinsohn begründet, sondern am intellektuellen Niveau.
  • „Der stetige Abstieg von 2007 bis 2015 bei der Mathe-Olympiade TIMSS ist also kein Problem, dass auf muslimische Neuzugänge ab 2015 zurückgeführt werden könnte. Zu ihm tragen Nachkommen christlicher Gastarbeiter von Portugal bis Griechenland schon viel länger bei. Italienische Kinder und Enkel schneiden schulisch nämlich nicht besser ab als etwa türkische. Schließlich hat keines dieser Länder seine heimischen Eliten in deutsche Bergwerke und Stahlhütten geschickt. Eine Ausnahme bilden lediglich Kinder vietnamesischer Arbeiter, die in der DDR eingesetzt wurden. Obwohl sie aus ihrer heimischen Unterschicht stammen, deklassieren sie nicht nur alle anderen Migrantenkinder, sondern auch den altdeutschen Nachwuchs.“ – bto: Wenn die Eliten nicht kommen, ist es schwer. Noch schwerer wiegt, wenn unsere Eliten auswandern. Und das tun sie, wie Heinsohn eindrücklich darlegt. Gute Sprachkenntnisse haben sie, was soll sie halten in einem Land, das immer mehr auf Genderlehrstühle (Heinsohn) und Umverteilung setzt, dessen Kinder sich immer weniger für MINT-Fächer und Wirtschaft interessieren?
  • „Niemals zuvor war die Nachfrage nach Talenten größer als heute und sie wird morgen noch weit höher liegen, (…) Wer in diesem Umfeld Leistungssenker bevorzugt, (…) stiftet Schaden, weil seine Helferkapazitäten schwinden, während die Hilfsbedürftigen im eigenen Land ihren Anteil erhöhen.“ – bto: eine Einschätzung, die der Studie zur Zuwanderung nach Deutschland aus dem Jahr 2014 entspricht. Umso unverständlicher, dass diese Politik in Deutschland fortgesetzt wird und jede Kritik daran sofort mit erheblichem Druck begegnet wird. Es müsste doch einleuchten, dass es niemandem dient, wenn wir unser Land überfordern.
  • Wie man es besser macht zeigt „(…) Singapur. Mit aktuell nur 0,83 Kindern pro Frauenleben wäre der Stadtstaat ohne Einwanderung zum Aussterben verurteilt. Realiter aber steigt die Bevölkerung zwischen 1968 und 2019 von gut 2 auf knapp 6 Millionen. 44 Prozent der Einwohner sind Einwanderer oder ausländische Beschäftigte. Ihre Kompetenz von CA106 (CA = Cognitive Ability) ist für Migranten die höchste weltweit. Selbst die Einheimischen Singapurs schaffen nur CA105, was für sie allerdings ebenfalls die Weltspitze markiert.“ – bto: Bildung wird dort großgeschrieben und ist ein allgegenwärtiges Thema. Ich werde nie vergessen, wie der Taxifahrer gleich auf dem Weg vom Flughafen in die Stadt die wichtigsten Fakten abgefragt hat und meinte, man müssen sich entsprechend vorbereiten, sonst würde das nichts.

Was mir angesichts der Zahlen nicht einleuchtet, ist, weshalb unsere Politik nicht drastisch und radikal umsteuert. Es ist nicht schwer zu verstehen und man muss schon verbohrt sein, um nicht zu erkennen, dass, egal, was man politisch gern möchte, die Voraussetzung für alles eine ausreichende wirtschaftliche Ertragskraft des Landes ist. Nur ein wirklich reiches Land kann helfen. Deshalb muss die Zuwanderung auf Qualifizierte fokussieren, wie das andere Nationen vormachen. Wie schon 2014 von Professor Bonin in einer Studie für die Bertelsmann Stiftung gefordert (und danach von dieser mit einem ganz anderen Spin verkauft). Das Problem ist allerdings, dass diese Qualifizierten sich eher in Länder orientieren, die eine geringere Abgabenlast haben.

In seinem Buch beleuchtet Professor Heinsohn den Niedergang Westeuropas, den Aufstieg Südkoreas, die Chancen der USA, ihren Vorsprung zu erhalten und die wesentlichen Gründe, weshalb China entgegen der Unkenrufe der Alterung dennoch deutlich aufholen dürfte, getragen von den erheblichen kognitiven Fähigkeiten der Bevölkerung. Letztlich ist es ein Szenario, das für Westeuropa wenig Hoffnung macht und anregt, über die Konsequenzen für sich und die eigene Familie nachzudenken. Vorbereitung auf Auswanderung ist die einzige logische Schlussfolgerung, was vor allem bedeutet: Bildung.

Zum Schluss entwirft Heinsohn noch das Szenario einer Kompetenzfestung entlang der Achse Washington – Moskau – Peking, was eine Region umfassen würde, in der im Jahre 2050 ein Viertel der Weltbevölkerung lebt. Diese Region müsste sich vom Rest der Welt konsequent abschirmen (Klartext: Zuwanderung steuern bzw. verhindern) und hätte „(…) nur als konservativer eine Zukunft, (müsste) also das Dreieck aus Leben, Eigentum und Freiheit immer im Zielhorizont halten. Es geht um die welthistorisch einzigartige Verbindung aus der Lebensheiligkeit des jüdischen Monotheismus mit der Eigentumszivilisation der griechisch-römischen Welt.“ So Heinsohn. Westeuropa wäre da wohl nicht mehr dabei. Außer, es gelänge, in großem Stil qualifizierte Zuwanderer aus den anderen Kompetenzfestungen anzuziehen. Doch danach sieht es nicht aus.

Ein sehr gutes Buch. Faktenreich, argumentationsstark, flüssig zu lesen. Leider nicht aufmunternd. Gerade deshalb wäre es Pflichtlektüre für unsere politische Führung, so diese überhaupt das Interesse hat, etwas im Interesse des Landes zu tun.