Bodenwert­steuer als intelli­gentere Grundsteuer?

Am 4. Juli 2021 ist Professor Dirk Löhr zu Gast in meinem Podcast. Er lehrt Steuerlehre und Ökologische Ökonomik an der Hochschule Trier, Umwelt-Campus Birkenfeld (hier auch Sprecher des Center for Land Research). Nebenberuflich ist er als selbstständiger Steuerberater sowie als Kommunalberater tätig. Zudem ist er Mitglied im Oberen Gutachterausschuss für Grundstückswerte Rheinland-Pfalz und dem regionalen Gutachterausschuss Rheinhessen-Nahe, im wissenschaftlichen Beirat der Freiherr-vom-Stein-Akademie für Europäische Kommunalwissenschaften, im Arbeitskreis Raumentwicklung, Bau und Wohnen der Friedrich-Ebert-Stiftung sowie im Ausschuss Bodenpolitik der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung (DASL). Löhr war ebenfalls Mitglied der „Baulandkommission“ (BMI) und des „Fachdialogs Erbbaurecht“ (BMI).

Professor Löhr war zudem Mitgründer des Aufrufs „Grundsteuer: Zeitgemäß!“, die sich für eine Bodenwertsteuer einsetzt, was ein Grund dafür war, mit ihm darüber zu sprechen. Zur Einstimmung hat er mir folgenden Text zur Verfügung gestellt:

Zur Reformation der Grundsteuer

Nach Urteil des BVerfG vom 12.04.2018 musste die Grundsteuer reformiert werden. Die bisherigen Einheitswerte stammten aus dem Jahre 1935 (Ost) bzw. 1964 (West) und hatten in Höhe und Struktur nichts mehr mit den Verkehrswerten zu tun.

Nach vielen Schleifen entschied sich die Bundesregierung 2019 für ein von Bundesfinanzminister Scholz vorgelegtes Modell, das der Verkehrswertermittlung von Grundstücken angenähert ist. Es handelt sich um eine „verbundene Steuer“, die den Wert von Grund und Boden sowie des Gebäudes zusammen in die Bemessungsgrundlage einbezieht. Man möchte so die objektbezogene Leistungsfähigkeit erfassen. Zumal es sich bei Immobilien um die bedeutendsten Vermögenswerte handelt, wollte die SPD offensichtlich (teilweise auch offen ausgesprochen) den Einstieg in eine Vermögensbesteuerung erreichen. Allerdings wurden schon früh verfassungsmäßige Zweifel laut, zumal bei Wohnimmobilien die pauschal angesetzten Mieten innerhalb der Kommunen nicht nach Lagen differenzieren.

Mit der Grundsteuerreform wurde auch auf Druck Bayerns eine Länderöffnungsklausel beschlossen, die den Ländern erlaubt, umfänglich vom Bundesmodell abzuweichen. Grundsätzlich andere Modelle werden von Hamburg, Niedersachsen, Hessen, Bayern sowie Baden-Württemberg genutzt.

Interessant ist dabei v. a. das Modell von Baden-Württemberg, das nur die Bodenwerte, nicht aber die aufstehenden Gebäude besteuert. Es handelt sich dabei um eine alte Idee, die bis auf Adam Smith zurückgeht: Bodenwerte ergeben sich aus den erzielbaren Bodenerträgen. Diese stellen „ökonomische Renten“ dar, also leistungslose Einkünfte, die v. a. auf eine privilegierte Lage bezüglich der Erreichbarkeit von Infrastruktureinrichtungen und öffentlichen Räumen, der Nutzbarkeit des Grundstücks, aber auch auf naturgegebene Vorteile (Blick auf die Berge oder das Wasser) zurückzuführen sind. Die Kosten der Inwertsetzung trägt größtenteils – in Form von Steuern, aber auch von Verzichtskosten (vorläufige Unmöglichkeit anderer Nutzungen) – die Allgemeinheit. Die Bodenwertsteuer wird nun mit dem Äquivalenzgedanken begründet: Der Grundstückseigentümer soll der Allgemeinheit wenigstens einen Teil des Nutzens, den er aus den Leistungen der Allgemeinheit zieht, wieder zurückgeben. Nutzen und Kosten sollen so besser gekoppelt werden – ein marktwirtschaftliches Prinzip. Die Abschöpfung von ökonomischen Renten als „Übergewinn“ ist im Übrigen ökonomisch unschädlich. Solange bei den Akteuren mindestens ein Normalgewinn verbleibt, schränken sie auch dann ihre wirtschaftlichen Aktivitäten nicht ein, wenn ihnen ein Teil des „Übergewinns“ wieder weggenommen wird. Auch machen sie keine kostenintensiven „Umwege“ (steuerliche Zusatzlasten), um die Besteuerung zu reduzieren oder sich ihr in Sicherheit zu bringen. Der beste Steuerberater kann Grundstücke nicht nach Luxemburg oder auf die Bahamas bringen. Wird hingegen auch das aufstehende Gebäude besteuert, kann der Eigentümer reagieren: So kann er Ausbauten, Aufstockungen oder Modernisierungen unterlassen; reagieren viele Eigentümer auf diese Weise, wird das Wohnungsangebot verknappt, und für die Mieter wird es am Ende teurer. Die Unschädlichkeit der Bodenwertsteuer veranlasste den liberalen Ökonomie-Nobelpreisträger Milton Friedman zu der Bemerkung, es handele sich um die „beste von allen schlechten Steuern“.

Die Bodenwertsteuer gibt zudem einen Anreiz, die knappe Ressource Fläche möglichst effizient zu nutzen: Da der Bodenwert den „Highest und best use“ abbildet, zahlt ein Eigentümer bei ineffizienter Nutzung dasselbe wie bei optimaler Nutzung des Grundstücks. So wird ein Nutzungsdruck erzeugt. Aus diesen Gründen unterstützten (neben dem arbeitgebernahen IW Köln und dem IG Bauen-Agrar-Umwelt und vielen anderen mehr) auch die Planer- und Naturschutzverbände die Einführung einer Bodenwertsteuer. Dadurch, dass die Bodenwertsteuer einen Teil der Bodenrente in die Hand der Kommunen umleitet, werden auch die Bodenwerte gedämpft. Hier sehen v. a. Planer Vorteile, werden doch die oftmals stumpfen städtebaulichen Instrumente des Baugesetzbuches (z. B. Baugebote oder Ausübung des kommunalen Vorkaufsrechts) hierdurch geschärft. Zudem wird der Bodenmarkt mobilisiert, das effektive Angebot erhöht sich – dies ist angesichts des mangelnden Baulandangebotes wünschenswert. Wünschenswert wäre insofern ein Weniger an Grunderwerbsteuer, die ja Sand im Getriebe des Immobilienmarktes ist, und dafür eine höhere Belastung durch eine Bodenwertsteuer.

Zwar soll die Umstellung auf die neuen Grundsteuersysteme möglichst aufkommensneutral erfolgen. Allerdings verschieben sich bei allen Grundsteuermodellen die Belastungsstrukturen – ansonsten hätte Karlsruhe sein Urteil nicht sprechen müssen. Immer wieder wird daher die Frage nach der Überwälzbarkeit der Bodenwertsteuer gestellt. Oftmals verzichten Vermieter darauf, die Mieterhöhungsspielräume abzuschöpfen. Soweit aber mit der Steuerumstellung eine Steuererhöhung einhergeht, wird es daher kurzfristig zu einer Erhöhung der Nebenkosten kommen. Langfristig ist aber – weil der Bodeneigentümer eben nicht reagieren kann (preisunelastisches Bodenangebot) – eine Bodenwertsteuer schwieriger zu überwälzen als alle anderen Grundsteuermodelle.

Nun kann man berechtigterweise die Frage aufwerfen, warum angesichts eines Steueraufkommens von ca. 15 Mrd. Euro so viel Aufheben um die Grundsteuer gemacht wird – vom Volumen her handelt es sich eigentlich um eine Bagatellsteuer. Berücksichtigt man jedoch die Sozialversicherungsbeiträge, ist Deutschland durchaus ein Hochsteuerland. Bei der Belastung der Arbeitnehmer belegt Deutschland einen der Spitzenplätze in der OECD, was v. a. geringer qualifizierte Arbeitnehmer latent gefährdet. Auch der Verbrauch wird – nicht nur durch die Umsatzsteuer – üppig besteuert. Schließlich liegt – nicht zuletzt durch die Gewerbesteuer – auch eine spürbare Belastung auf den produktiven Investitionen. Die OECD empfiehlt Deutschland schon seit vielen Jahren eine Steuerumschichtung auf unschädlichere Abgaben (mit geringeren steuerlichen Zusatzlasten): Alternativ zur Umsatzsteuer (die allerdings verteilungspolitisch regressiv wirkt) kommt hier eben die Grundsteuer infrage. Während der Anteil der Grundsteuern am Gesamtsteueraufkommen in den „kapitalistischen“ USA immerhin gut 12 % beträgt, sind dies in Deutschland noch nicht einmal 2 %. Die Grundsteuerreform hätte die Chance geboten, Deutschland über einen „Tax shift“ wettbewerbsfähiger aufzustellen. Ein erster Schritt hätte sein können, die Gewerbesteuer zugunsten der Grundsteuer zurückzuführen oder gar abzuschaffen.

Der amerikanische Bodenreformer Henry George forderte schon vor 140 Jahren, den Staat ausschließlich über eine Bodenwertsteuer zu finanzieren („Single tax“). Was zunächst verrückt klingt, ist durchaus möglich: Dies zeigt das von verschiedenen Ökonomen (darunter auch dem Nobelpreisträger Joseph E. Stiglitz) in den 70er- und 80er-Jahren formulierte Henry George-Theorem („Golden Rule of Local Public Finance“). Eine Rückführung „herkömmlicher“ Steuern würde die Bodenerträge überproportional erhöhen (da sich dann mehr Nachfrage auf den Boden richtet und keine steuerlichen Zusatzlasten mehr anfallen); diese könnten zugunsten der öffentlichen Hand abgeschöpft werden. Stiglitz erweiterte das Henry George-Theorem zum „Henry George-Prinzip“, nach dem nicht nur die Bodenrenten, sondern auch andere ökonomische Renten bevorzugt zur Finanzierung des Staates herangezogen werden sollten.

Bolschewistische Fieberfantasien? Alles andere als das. Singapur macht es vor – zwar nicht mit einer Bodenwertsteuer, aber über das öffentliche Eigentum an Boden. Der Stadtstaat zieht einen erheblichen Teil seiner Finanzierung aus dem Boden. Gleichzeitig hat er die Besteuerung der mobilen Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital sowie des Verbrauchs drastisch abgesenkt. Diese Boden- und Steuerpolitik dürfte einen erheblichen Anteil daran haben, dass Singapur seine ehemalige Kolonialmacht Großbritannien innerhalb weniger Dekaden wirtschaftlich rechts überholen könnte. Obwohl es sich um eine der teuersten Städte der Welt handelt, hat Singapur es zudem im Wesentlichen verstanden, die Bevölkerung mit leistbarem Wohnraum zu versorgen (Gastarbeiter sind hier allerdings eine unrühmliche Ausnahme – in vielerlei Hinsicht). Dabei versteht sich Singapur keineswegs als Wohlfahrtsstaat, sondern als eine meritokratisch und marktwirtschaftlich orientierte Ordnung.

Durch den Flickenteppich, der mit der Grundsteuerreform in puncto Grundsteuer geschaffen wurde, ist eine zukunftsfähige Reform des Abgabensystems jedoch weiter in die Ferne gerückt.