Best of BTO 2022: Scheinver­mögen und die Illusion des Vermögens­zuwachses

Dieser Beitrag erschien im August 2022 bei bto: 
Gute Nachrichten: Laut Bundesbank konnten die Deutschen mehr Geld auf die Seite legen. Zwischen 2009 und 2022 wuchs das Vermögen der privaten Haushalte real um etwa 1,3 Prozent pro Quartal. Eine erfreuliche Entwicklung, liegen wir doch bei den Privatvermögen deutlich hinter Ländern wie Italien, Frankreich und Spanien.
Außerdem nahm der Bundesbank zufolge die Vermögensungleichheit ab. Haushalte, die weniger Geld hatten als der Durchschnitt, sparten mehr. Damit verringerte sich der Abstand zwischen ärmeren und reicheren Haushalten in Deutschland.
Wer überdurchschnittlich viel Vermögen besaß, der konnte vor allem von gestiegenen Immobilienpreisen profitieren. Im vergangenen Jahrzehnt stiegen die Immobilienpreise in Deutschland stark an. Die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank machte es für viele Investoren attraktiv, einen Kredit für den Hauskauf aufzunehmen.

Angesichts leerer Staatskassen dürften Rufe zunehmen, Vermögen höher zu besteuern. Das oberste Prozent träfe das erfahrungsgemäß nicht, weil dessen Vermögen überwiegend in Unternehmen gebunden ist. Ins Visier geraten regelmäßig hingegen diejenigen, die kein Betriebsvermögen und weniger Möglichkeiten zur Steuervermeidung haben.

Unter den Reichen in Deutschland konzentriert sich das Vermögen auf die besonders Wohlhabenden. 17 Prozent des Gesamtvermögens entfällt nach Rechnungen von Boston Consulting auf diejenigen, die über eine Million bis 20 Millionen Euro verfügen. Zum Vergleich: In Italien sind es 20 Prozent, in der Schweiz 42 Prozent und in den USA sogar 51 Prozent.

Sich bei der Besteuerung auf die „kleinen Millionäre“ zu konzentrieren, führt im aktuellen Umfeld dazu, dass Scheingewinne belastet werden. Scheingewinne sind Vermögensänderungen, die nicht durch kommerzielle Tätigkeiten entstehen, sondern schlicht durch veränderte Marktbedingungen, ohne Zutun der Inhaber.

Die Immobilienpreise könnten in den nächsten Jahren wieder sinken

Wie die Bundesbank ausführt, waren es vor allem die Immobilienpreise, die seit 2009 gestiegen sind. Grundsteuer, Grunderwerbssteuer und Erbschaftssteuer setzen an diesen deutlich gestiegenen Marktwerten an. Dabei drücken diese weniger eine erhöhte Ertragskraft der Immobilien aus, sondern vielmehr gesunkene Finanzierungskosten.

Der Wertzuwachs ist damit nichts anderes als ein vorweggenommener künftiger Ertrag. Hinzu kommt das Risiko, dass die Immobilienpreise in den kommenden Jahren wieder fallen, weil die Nominalzinsen steigen, die Alterung der Gesellschaft die Nachfrage dämpft und Klimaauflagen zu Investitionen zwingen.

Der Vermögenszuwachs im vergangenen Jahrzehnt ist leider nur eine – vorübergehende – Illusion, geschaffen vom billigen Geld. Eine Basis für eine weitere Belastung durch den Staat ist er nicht.

handelsblatt.com: “Nur Betongold: Die Illusion vom Vermögenszuwachs”, 29. Juli 2022