Warum Abenomics scheitert – und was es für uns bedeutet

Der japanische Aktienmarkt feiert. Trotz der enttäuschenden Konjunkturzahlen geht es wieder aufwärts. Der Grund ist einfach: Die japanische Notenbank hat versichert, noch aggressiver auf das Gaspedal zu drücken. Und wie wir wissen, kann dann ja nichts mehr schiefgehen. Immer mehr Geld kann doch nur zu Konjunkturaufschwung, allgemeinen Wohlstand und Lösung aller Schuldenprobleme führen.

Abgesehen davon, dass es berechtigte Gründe gibt, die Wirksamkeit der Geldpolitik in Zeiten der allgemeinen Überschuldung in Frage zu stellen (wie letzte Woche hier erläutert), gibt es auch gute Gründe, an der Wirksamkeit von Abenomics zu zweifeln.

Was Abenomics erreichen will

Abenomics ist der radikale Versuch der japanischen Regierung, die Wirtschaft aus der jahrzehntelangen Lethargie zu reißen, die Deflation zu überwinden und letztlich einen Staatsbankrott abzuwenden (mehr dazu hier).

Die Strategie basiert auf drei Säulen:

  • viel Geld drucken (relativ zur Größe der Volkswirtschaft rund ein Drittel mehr als die nicht gerade knausrige Fed), um dadurch die Inflation über zwei Prozent zu bekommen
  • „flexibel“ weiter Defizite machen (zur Zeit zirka zehn Prozent vom BIP Staatsdefizit)
  • mit Reformen das Wachstumspotential stärken, zum Beispiel durch eine höhere Erwerbsquote von Frauen.

The Economist war so begeistert von dem Politikwechsel, dass er den japanischen Ministerpräsidenten und Namensgeber des Programms Abe in einem Supermannkostüm auf dem Titel zeigte.

Bis jetzt kann die Politik durchaus einige Erfolge vorweisen: Die deutliche Abwertung des Yen hat Exporte gestärkt und zu einem Kursfeuerwerk am japanischen Aktienmarkt geführt. Auch die Inflation ist durch teurere Importe leicht gestiegen.

Wird es funktionieren?

Bleibt die offene Frage: Wird Abenomics tatsächlich die Wende für Japan bringen? Der Kernhebel von Abenomics ist die Steigerung des Außenhandelsüberschusses: Japan will sich quasi aus der Krise „herausexportieren“. Dies geschieht auf zwei Wegen. Zum einen wird die japanische Wirtschaft dank einer schwachen Währung international deutlich wettbewerbsfähiger, und gerade die deutsche Industrie wird dies noch deutlicher zu spüren bekommen. Zum anderen führt die Abwertung des Yen zu höheren Importpreisen. Diese wirken wie eine Konsumsteuer. Die Privathaushalte fragen weniger nach. Gesamtwirtschaftlich gesehen sinkt die Konsumquote, und die Ersparnisse nehmen zu. Wenn nicht mehr investiert wird, fließen diese Ersparnisse als Kapitalanlage ins Ausland und drücken den Yen zusätzlich. Ein Mechanismus der ständigen Abwertung.

Dieses Zusatzangebot an Gütern trifft aber auf keine Zusatznachfrage in der Welt, weil verschuldete Länder sich nicht weiter verschulden wollen oder können. Damit wächst das Risiko, dass andere Staaten mit ähnlichen Maßnahmen auf die Politik Japans reagieren und wir einen Abwertungswettlauf erleben. Das zeigt sich auch an der zunehmenden Kritik an den deutschen Exportüberschüssen. Gerade China wird angesichts der sich zuspitzenden Probleme im Finanzsektor wieder verstärkt auf Exporte setzen.

Eine wesentliche Komponente von Abenomics müsste deshalb eine zunehmende Kreditnachfrage von Unternehmen für Investitionen sein. Eine einseitige Orientierung am Export kann nicht funktionieren und wird im Zweifel einen Abwertungswettlauf auslösen. Doch die Unternehmen fragen nicht mehr Kredite nach, wie das THE WALL STREET JOURNAL schon vor einiger Zeit berichtete.

Sollte Abenomics funktionieren und das Nominalwachstum anspringen, müsste die Notenbank angesichts der Rekordschulden des Staates die Zinsen weiter tief halten. Schon ein geringer Zinsanstieg würde zur Zahlungsunfähigkeit führen. Damit käme es zur – sicherlich gewünschten – financial repression, also der schleichenden Enteignung der Sparer zugunsten des Staates. Empirisch weiß man jedoch, dass dies wiederum zu einer höheren Sparquote und damit – bei gegebenen Investitionsniveau – zu noch höheren Handelsüberschüssen führen wird. In der heutigen Welt unwahrscheinlich, dass andere Länder dies akzeptieren.

Hinter der japanischen Misere steht eine Kombination aus verschleppter Überschuldungskrise und schrumpfender Bevölkerung. Bis heute hat Japan nicht die Folgen der Blase aus den 1980er-Jahren bereinigt. Statt die untragbaren Schulden abzubauen, wurden sie vom Privatsektor auf den Staat übertragen. Abenomics ist der verzweifelte Versuch, diese untragbare Schuldendynamik zu durchbrechen. Doch in einer Welt, in der alle wesentlichen Wirtschaftsregionen vor ähnlichen Problemen stehen, wird dies nicht funktionieren. Japan wird nicht darum herumkommen, das Schuldenproblem offen zu lösen.

Lehren für Europa

Was können wir aus dem japanischen Beispiel lernen? Wir befinden uns in einer sehr ähnlichen Situation wie Japan nach dem Platzen der Blase Anfang der 1990er-Jahre: Die Schulden in den Ländern Europas sind auf Rekordniveau und steigen weiter. Die Erwerbsbevölkerung beginnt zu schrumpfen. Für die Kosten der alternden Gesellschaft wurden keine Rücklagen gebildet. Der Euro ist viel zu stark, gegeben der Zustand der europäischen Wirtschaft, das Bankensystem ist marode, und gerade in den Ländern der Peripherie wimmelt es von „Zombie-Unternehmen“ wie die Financial Times berichtete. Unternehmen, die nur noch am Leben sind, weil die Banken die Abschreibungen nicht verkraften. Im Unterschied zu Japan haben wir es mit verschiedenen Staaten, Sprachen und Sozialsystemen zu tun, was die Handlungsmöglichkeiten einschränkt. Und auch wenn die EZB auf einen aggressiveren Kurs einschwenkt, bleibt sie die Zentralbank für verschiedene Länder mit verschiedenen Interessen.

Als Vorbild für uns kann Japan sicherlich nicht dienen. Eher als Warnung. Die Ausgangslage von Europa ist ungleich schlechter heute, als jene von Japan vor 25 Jahren. Der japanische Staat konnte sich von einem tiefen Niveau kommend stark verschulden, um die Wirtschaft zu stabilisieren. Finanziert wurden diese Schulden von den japanischen Sparern. Die europäischen Staaten hingegen haben schon vor der Krise enorme Schulden angehäuft. Zudem benötigen sie viele Kreditgeber aus dem Ausland, weil die inländische Ersparnis nicht zur Finanzierung der Defizite genügt. Wir werden nicht 25 Jahre dem japanischen „Vorbild“ folgen können. Besser wäre es, die richtigen Schlüsse aus dem japanischen Beispiel zu ziehen: das Schuldenproblem bereinigen, statt es ungebremst anwachsen zu lassen, bis es knallt.

Bis jetzt sieht es aber so aus, dass niemand diese Mahnung erhört.