„Zwei Drittel können kaum lesen und schreiben“

Bekanntlich habe ich den von allen Seiten betonten wirtschaftlichen Nutzen der ungesteuerten Zuwanderung in verschiedenen Beiträgen etwas kritischer beleuchtet. So unter anderem in meinem DIW-Faktencheck und dem dazugehörigen SPIEGEL-Streitgespräch mit dem Präsidenten des DIW, Marcel Fratzscher.

Dabei musste ich lernen, wie emotional aufgeladen die Diskussion ist. Selbst ehemalige Kollegen, mit denen ich über 20 Jahre gut und vertrauensvoll zusammengearbeitet habe, machten mir deutliche Vorwürfe. So schrieb mir einer: „Inhaltlich kann ich Dir nicht zustimmen weil Deine Cassandra-Rufe als volkswirtschaftlicher Homo Oeconomicus ein (volks-)wirtschaftliches Nutzenprimat unterstellen und ganz bestimmt von Aktivisten aus der AfD-Ecke instrumentalisiert werden. Und wenn Worte zu Waffen werden hat der ‚Waffenproduzent‘ auch eine Verantwortung für deren WeiterverwendungDas müsstest Du eigentlich wissen. Insofern finde ich, dass Du – zwar mit sicher solide erarbeiteten Analysen – zündelst und latent vorhandene Ressentiments befeuerst. Oder zumindest billigend in Kauf nimmst, dass mit Deinen guten Argumenten schlechte, sprich populistische Politik gemacht wird. Provokation ist ein legitimes Gestaltungsmittel – entbindet aber nicht von einer Folgenabschätzung.“

Natürlich habe ich darauf hingewiesen, dass nicht ich mit der Berechnung der volkswirtschaftlichen Folgen begann, sondern nur auf die Berechnungen anderer reagiert habe. Zudem habe ich auch darauf verwiesen, dass Flüchtlinge sich von normalen Zuwanderern eben gerade dadurch unterscheiden, dass man sich keinen wirtschaftlichen Nutzen verspricht.

Meine Schlussfolgerung aus der sich daraus ergebenden Kommunikation per Mail:

  1. Das Thema ist hoch emotional und es geht ein Riss quer durch unsere Gesellschaft – was kein gutes Zeichen ist!
  2. Zunehmend geht es nicht mehr um Fakten. Eine falsche Analyse darf man nicht kritisieren, solange sie „der Sache dient“. Das finde ich ein noch schlechteres Zeichen. Übrigens gilt das für beide Seiten der Diskussion.

Nachdem ich einer der Ersten war, der die Jubelmeldungen zumindest hinterfragt hat, mehren sich nun die Stimmen zum Thema wirtschaftlicher Nutzen, so Bildungsökonom Ludger Wößmann in einem Gespräch mit der ZEIT:

  • In der Tat wird viel mit unbewiesenen Vermutungen argumentiert. Das heißt im Umkehrschluss jedoch nicht, dass wir überhaupt keine Daten haben. Wir haben gerade erst für die OECD die Schulbildung in insgesamt 81 Ländern miteinander verglichen (…) Legt man die Ergebnisse der internationalen Schulleistungsstudien Pisa und Timss von 2011 – also für die heute 18-Jährigen – zugrunde, ergibt sich ein niederschmetterndes Bild: In Syrien schaffen 65 Prozent der Schüler nicht den Sprung über das, was die OECD als Grundkompetenzen definiert.“ – bto: Nochmals zur Klarstellung, das ist als solches nicht schlimm, solange wir nicht erwarten, so unsere Renten zu sichern.
  • „Das heißt, dass zwei Drittel der Schüler in Syrien nur sehr eingeschränkt lesen und schreiben können, dass sie nur einfachste Rechenaufgaben lösen können. Und das bedeutet, dass diese Schüler in Deutschland, selbst wenn sie Deutsch gelernt haben, kaum dem Unterrichtsgeschehen folgen können.“
  • „Vom Lernstoff her hinken syrische Achtklässler im Mittel fünf Schuljahre hinter etwa gleichaltrigen deutschen Schülern hinterher. Und dabei liegt der Besuch in der weiterführenden Schule dort nur bei 69 Prozent.“
  • „Den zwei Dritteln der jungen Syrer, die nach internationalen Bildungsstandards als funktionale Analphabeten gelten müssen, wird zumeist die nötige Ausbildungsreife für die hiesigen Betriebe fehlen.“ – bto: was auch erklärt, weshalb die Quote derjenigen, die die Lehre abbrechen, so hoch ist.
  • Wir müssen uns darauf einstellen, dass die Mehrheit der jungen Flüchtlinge an einer drei Jahre langen Vollausbildung mit hohem Theorieanteil scheitern würde.“
  • „Wenn wir wollen, dass die Flüchtlinge in unsere Gesellschaft und unseren Arbeitsmarkt integriert werden, müssen wir pragmatischer sein und die Flüchtlinge arbeitsrechtlich mit Langzeitarbeitslosen gleichsetzen, bei denen wir solche Ausnahmen auch zulassen. Wer schön daherredet, dass ein niedriger Mindestlohn gegen die Würde der Flüchtlinge verstoße, der sollte die ganze Wahrheit sagen: nämlich, dass er in Kauf nimmt, dass dann ein großer Teil der Flüchtlinge niemals in den Arbeitsmarkt integriert werden wird. Das ist die realistische Alternative – und der wirkliche Verstoß gegen die Würde dieser Menschen.“ – bto: Indem wir uns einreden, hier die künftigen Fachkräfte zu haben, verhindern wir faktisch deren Eingliederung. Das ist ein Skandal.
  • Die Lernforschung zeigt, dass junge Kinder am schnellsten die Sprache lernen, wenn sie ins kalte Wasser geworfen werden und täglich sprachlichen Austausch mit Kindern ohne Migrationshintergrund haben. Das heißt, möglichst alle Kleinkinder sollten spätestens mit drei in die Kita gehen und die Grundschulkinder von Anfang an in die Regelklassen.“ – bto: Das stimmt! Nur müssen die Eltern der Kinder das auch zulassen!
  • In Deutschland liegt der Anteil der Geringqualifizierten bei 14 Prozent, und trotz der hervorragenden Konjunktur und der vorhandenen Deutschkenntnisse ist jeder Fünfte von ihnen arbeitslos.“ – bto: Und genau diese Gruppe wächst jetzt massiv an.
  • Wenn wir es jetzt richtig machen bei den Kindern der Flüchtlinge, wenn wir zugleich ihren Eltern eine Chance auf Arbeit und Integration geben, dann werden die Kinder es sein, die in 25 Jahren unsere demografischen Probleme verringern.“ – bto: Deshalb fordere ich schon lange im Interesse der Flüchtlinge und unserem eigenen deutliche Investitionen in Ausbildung und Sprache. „Möglichst schnell in Arbeit muss das Motto lauten.

ZEIT ONLINE: „Zwei Drittel können kaum lesen und schreiben“, 3. Dezember 2015

Die Aussagen von Ludger Wößmann lassen sich auch gut aus dieser Präsentation seines Kollegen vom ifo Institut nachvollziehen:

ifoCEMIR: WOHLFAHRTSEFFEKTE DER EINWANDERUNG, November 2015