William White zur Wirtschaftspolitik: Schluss mit der Allmachtsfantasie

William White ist wohl der schärfste Kritiker der Politik der Notenbanken. Seine Warnung vor der Krise, als er noch im Dienst der BIZ war, ist legendär. Seine Analysen zu den Folgen der Politik billigen Geldes und seine Warnungen vor dem nächsten Crash sind Pflichtlektüre. Einfach in das Suchfeld eingeben und alle seine Beiträge tauchen bei bto auf. Heute nun ein Gastkommentar, der daran erinnert, dass man komplexe Systeme nicht so einfach steuern kann, wie sich das die Notenbanken und Volkswirte so denken:

  • Das grundlegende Problem besteht darin, dass moderne Makroökonomik auf einer Reihe falscher Glaubenssätze beruht, am fundamentalsten auf demjenigen, dass die Wirtschaft im Wesentlichen eine verständliche, sich nicht ändernde Maschinerie ist. Darüber hinaus erzeuge diese Maschinerie Ergebnisse in vollkommen vorhersehbarer, linearer Art und Weise, unter enger Kontrolle der politischen Steuerung.“ – bto: Klingt ziemlich nach Planwirtschaft!
  • Was man von einem System verstehen kann, hängt von seiner Natur ab, und die Natur unserer Volkswirtschaften ist schlicht zu komplex, um gut verstanden – und erst recht kontrolliert – zu werden. Überdies verändert sich die Wirtschaft fortlaufend unter dem Einfluss des technologischen Wandels und der Anforderungen des Wettbewerbs.“
  • Die Wirtschaft sollte, statt als Maschinerie, eher als eine Art Wald betrachtet werden, als ein komplexes, anpassungsfähiges System mit grossen gegenseitigen Abhängigkeiten unter seinen Bestandteilen, zudem mit dem Potenzial, ausgesprochen nichtlineare Ergebnisse hervorzubringen.“ – bto: Das hat man übrigens zumindest mit Blick auf Unternehmen an der Hochschule St. Gallen (meiner Alma Mater) schon in den
    1980er-Jahren gelernt …
  • „Die Gestalter der Wirtschaftspolitik könnten aus diesen interdisziplinären Studien viel lernen.
  • Erstens: Alle komplexen Systeme versagen regelmässig, das heisst, sie münden in eine Krise. Die Forschung geht davon aus, dass die Verteilung der Ergebnisse gewöhnlich bestimmt wird von einem Potenzgesetz. Grosse Krisen treten selten auf, kleinere häufiger.“ Deshalb: „Wenn Krisen tatsächlich unvermeidlich sind, dann brauchen wir vorbereitete Mechanismen, um sie zu bewältigen. Unglücklicherweise war das nicht der Fall, als 2007 die globale Krise bzw. 2010 die Krise der Eurozone ausbrach. Tatsächlich fehlen solche Mechanismen nach wie vor.“ – bto: Das stimmt und sollte uns besorgt machen.
  • Zweitens: Der Auslöser für eine Krise ist unerheblich. Er könnte irgendwas sein, vielleicht sogar für sich allein betrachtet etwas Triviales. Es ist das System, das instabil ist.“ – bto: Ich würde ergänzen, dass ein System, welches zudem durch übermäßigen Leverage gekennzeichnet ist, noch härter von einer Krise getroffen wird! Findet White auch: „Namentlich neigen wirtschaftliche und finanzielle Systeme zu Instabilität, wenn Kredit- und Schuldenvolumen steigen – entweder auf ein hohes Niveau oder sehr schnell. Das sind beides gefährliche Entwicklungen und gehen gewöhnlich einem steilen Wirtschaftsabschwung voraus.“
  • Drittens können komplexe Systeme – in Übereinstimmung mit dem Potenzgesetz – häufiger zu sehr grossen wirtschaftlichen Verlusten führen, als es eine Normalverteilung annehmen liesse. Ferner lösen grosse Wirtschaftskrisen oft gesellschaftliche und politische Instabilität aus.“
  • Hieraus ergibt sich die Lektion, dass sich die politisch Verantwortlichen mehr darauf einstellen müssen, wirklich schlechte Ergebnisse zu vermeiden, als gute Ergebnisse noch zu optimieren.“ – bto: Das ist ganz wichtig!! 
  • Die Wirtschaftspolitiker haben jedoch, im Gegensatz hierzu, in den vergangenen Jahrzehnten alle Hebel in Bewegung gesetzt, um jedem kleinen Abschwung entgegenzuwirken. Auf diese Weise haben sie dazu beigetragen, das Problem des Schuldenüberhangs zu schaffen, mit dem wir heute noch konfrontiert sind.“ – bto: allen voran die Notenbanken!
  • Viertens zeigt der Blick auf die Geschichte von Wirtschafts- und Finanzkrisen, dass sie zwar viele Ähnlichkeiten aufweisen, aber ebenso viele Unterschiede. Wie Mark Twain es sagte: Die Geschichte wiederholt sich nie, doch sie reimt sich.“

Die Erkenntnis, dass das Verfolgen ultralockerer Geldpolitik in unserer komplexen und anpassungsfähigen Wirtschaft sehr wohl unerwünschte und unerwartete Folgen haben kann, würde zu einer konzentrierteren Ausrichtung auf alternative Politiken führen, um die Krise durchzustehen und zu lösen. Ohne solche Politiken könnten sich die gegenwärtigen Schwierigkeiten, denen die Weltwirtschaft ausgesetzt ist, noch ausweiten, statt sich allmählich sanft aufzulösen.“

bto: „Alternative Politiken bedeutet Schuldenschnitte und Vermögensabgaben –, was White jedoch nicht schreibt. 

→ FINANZ und WIRTSCHAFT: „Was die Komplexität lehrt“, 5. Februar 2016